Referate auf dem Vortrags- und Diskussionsnachmittag der Rechtsanwalts- und Notarkammern Frankfurt am Main und Kassel, des Landesverbandes Hessen im Deutschen Anwaltsverein, der Richterverbände der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Hessen (DRB, NRV, ver.di) und des Bundes Deutscher Rechtspfleger - Landesverband Hessen - unter dem Thema "Ethik in der Justiz" am 20. Juni 2007 in Frankfurt am Main

Rechtsanwalt und Notar Lutz Tauchert, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer und Hauptgeschäftsführer der Notarkammer: "Grußwort"

Brigitte Zypries, Bundesjustizministserin: Grußwort zur Veranstaltung


Die Veröffentlichung des nachstehenden Veranstaltungsberichts von Rechtsanwalt H. Wendling (NJW 29/2007 S. XVI) erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags C. H. Beck oHG (die Links führen zum Manuskript des jeweiligen Redners.

Ethik in der Justiz - Brauchen die Organe der Rechtspflege gemeinsame ethische Grundlagen? 2. Symposium "Sicherung der Qualität der Rechtspflege". Auf Einladung der Berufsverbände der Rechtspfleger, Richter, Staats- und Rechtsanwälte sowie der Rechtsanwaltskammer Frankfurt a. M. beteiligten sich am 20. 6. in Frankfurt a. M. etwa 200 Berufsträger an einer Veranstaltung zu den ethischen Grundla­gen der Berufsausübung.

Die Fachvorträge eröffnete Rechtsanwalt Matthias Kasch zum Thema "Ethik der Anwaltschaft in Großkanzleien" mit der These, dass eine Unternehmensethik für internationale So­zietäten mit weltweit unterschiedlichen standesrechtlichen Vorschriften und höchst individuellen Wertvorstellungen von mehreren Hundert Partnern und mehreren Tausend Mitarbeitern eine unverzichtbare Managementaufgabe sei. Für die an­waltliche Beratung gelte, dass eine an kurzfristigen wirtschaft­lichen Interessen orientierte Beratung heute zu kurz greife. Gerade die jüngeren Korruptionsfälle in großen deutschen Unternehmen und deren Folgen zeigten, dass ein Umdenken begonnen habe und die Mandanten heute anwaltliche Berater erwarteten, die eine komplexe Matrix von Stakeholderinteres­sen bewerten können. Der angemessene Umgang mit ethi­schen Grundwerten werde Teil der anwaltlichen Qualifikation.

Zur Einführung in die "Ethik in der anwaltlichen Akquisitionstätigkeit" skizzierte Rechtsanwalt Dr. Sven Hartung die Entwicklung vom standesrechtlichen Werbeverbot zu der weit­gehend deregulierten aktuellen Praxis. Eine Frage sei es aber, ob Anwälte auch alles tun sollten, was sie tun dürfen. Dabei könne nicht übersehen werden, dass der Anwalt wesentlich auf das Vertrauen in seine Integrität angewiesen sei. Ein bloß rechtmäßiges Verhalten könne, auch wenn es erlaubt sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der Anwaltschaft beschädigen. Es gebe gute Gründe, die eine oder andere Werbemaßnahme zu unterlassen. Die Abwägung zwischen den "Risiken und Nebenwirkungen" für den persönlichen Ruf und das Ansehen der Anwaltschaft müsse der Einzelne selbst vornehmen. Es sei allerdings davon auszugehen, dass einige zur Berücksichtigung ethischer Vorstellungen nicht bereit, manche aus wirtschaftlichen Gründen bei unbefriedigender Auftragsentwicklung auch nicht in der Lage seien.

Der Strafverteidiger und ehemalige hessische Justizminister Rupert v. Plottnitz referierte zur "Ethik in der Verteidigung im Rahmen von Verständigungsgesprächen". Keiner der Be­teiligten möchte - wie mit den unschönen Worten von den "Deals" und den "Dealern" unterstellt - in den Ruch schnöder Geschäftemacherei geraten, obwohl dies der Wahrheit ziem­lich nahekomme. Die StPO enthalte die grundlegenden Prinzi­pien des Strafprozesses, Urteilsabsprachen und Verständigungsgespräche kenne sie nicht. Das entscheidende Argument des Großen Senats für Strafsachen des BGH, die Zulässigkeit von Absprachen festzustellen, gleiche einem Not­schrei, wenn nicht gar einer Kapitulationserklärung: Angesichts der knappen Ressourcen der Justiz sei die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege sonst nicht mehr zu gewährleisten.

Das bedeute, je komplexer und zeitaufwändiger eine Haupt­verhandlung zu verlaufen drohe, desto dringlicher sei die Jus­tiz auf Absprachen und den durch sie abgesicherten kurzen Prozess angewiesen. Der Strafprozess gerate zur Verfü­gungsmasse der Beteiligten, die das Interesse am kurzen Pro­zess vereint und die keinen Wert auf Kontrolle durch das Revi­sionsgericht legen. Zunehmend säßen Staatsanwaltschaften und Gerichte mit der Möglichkeit der Androhung einer schärfe­ren Sanktion bei Verweigerung einer Absprache am längeren Hebel, meint v. Plottnitz. Zur professionellen Ethik des Vertei­digers gehöre es deshalb, eine Absprache nur dann zu emp­fehlen, wenn er nach genauer Lektüre der Akten und nach bestem Wissen und Gewissen zu der Überzeugung gelange, dass eine deutlich geringere Strafe erwartet werden kann. Da­bei gehöre es auch zur Ethik, für Transparenz und Öffentlich­keit durch genaue Protokollierung des Inhalts zu sorgen, um den Mandanten vor mutwilligen Abweichungen zu schützen. Die Anwaltschaft könne jedoch kein Interesse daran haben, dass die nach den Grundsätzen der StPO durchgeführte Hauptverhandlung zur Ausnahme werde und der Rechtsanwalt vom Organ der Rechtspflege zum Kaufmann in Sachen Straf­maß und Strafhöhe mutiere.

Zum zweiten Schwerpunkt "Staatsanwaltschaft zwischen Ethik und Weisungsgebundenheit - ein Zwiespalt?" referierten Oberstaatsanwältin Annette v. Schmiedeberg und Ge­neralstaatsanwalt a. D. Dr. Hans Christoph Schaefer. Zwischen Ethik und Weisungsgebundenheit sah Schaefer keinen Ge­gensatz. Der Staatsanwalt diene der Durchsetzung des Rechtswillens des Staates, nicht des politischen Willens. Er schulde Loyalität, aber eine kritische. Das gewachsene Selbstbewusstsein moderner Staatsanwälte mache diesen Standpunkt und die gelegentlich erforderliche Zivilcourage heute beinahe selbstverständlich.

Auf der rechtlichen Grundlage von Rechtsstaats- und Fair­nessgebot (Art. 20 GG, Art. 6 EMRK) sieht Schaefer für alle Prozessbeteiligten einen gemeinsamen ethischen Kanon: Höf­lichkeitsgebot; Respekt vor dem prozessualen Gegner; ver­antwortungsvoller Umgang mit den Medien; Gewährleistung einer verfassungsgemäßen effektiven Strafverfolgung, Verbot der Prozesssabotage. Zusammengefasst in einem Vorver­ständnis eigener Wertmaßstäbe, Anstand, Stil: "So etwas ge­hört sich nicht!".

Frau v. Schmiedeberg legte die rechtlichen Grundlagen des Weisungsrechts dar. Der weit verbreitete Verdacht der "politi­schen" Einflussnahme lasse sich aus ihrer Erfahrung nicht er­härten. Externe ministerielle Weisungen seien äußerst selten. Die im Konfliktfall drohende Öffentlichkeit führe zu ministeriel­ler Zurückhaltung. Druck werde im Regelfall auch intern subti­ler über die durchaus legitime Anforderung von Berichten und die Durchführung von Dienstbesprechungen ausgeübt.
v. Schmiedeberg berichtete von den Reformbemühungen zur Er­richtung einer unabhängigen Staatsanwaltschaft. Diese gebe es bereits in einigen europäischen Ländern sowie am Interna­tionalen Strafgerichtshof. Sie betrachte diese Vorstellungen mit Sympathie und wünsche sich vor allem, dass das externe Weisungsrecht aufgehoben werde.

Das gemeinsame Problem von Staatsanwälten und Richtern  - der Fallerledigungsdruck - bildete die Überleitung zu den Vor­trägen der Vorsitzenden Richterin am OLG Elisabeth Dittrich und des Präsidenten des OLG Celle Dr. Peter Wedekind Götz v. Olenhusen unter der Überschrift "Gerichtliche Tätigkeit zwischen Ethik und Fallerledigungszahlen - ein Zwiespalt?". Götz v. Olenhusen sah neben der Debatte um die wirt­schaftliche Effizienz Probleme, die aus den Strukturen des richterlichen Alltags resultieren. Es gehe nicht nur um die Ökonomisierung der Justiz. Richter treffe keine unmittelbare Haftung für unseriöses Verhalten. Das könne auch zu einer gewissen Rücksichtslosigkeit führen. Er stelle zunehmend fehlende Sensibilität für die Situation der Anwälte fest, ebenso wie geringe Teamfähigkeit im Verhältnis zu Kollegen und Mit­arbeitern. Viele junge Kollegen brächten Lebenserfahrung und Wertorientierungen nicht mehr mit. Da bedürfe es der Orientie­rungshilfe durch Ältere. Es gehöre zum unverzichtbaren rich­terlichen Selbstverständnis, sich die Zeit für die erforderliche Reflexion zu nehmen. Ein ethischer Kanon sei noch nicht for­mulierbar. Es komme jetzt darauf an, die richtigen Fragen zu stellen.

Dittrich eröffnete ihren Vortrag mit der Feststellung, dass die Steigerung der Effizienz der Justiz mit den aus der Wirtschaft bekannten Steuerungsmechanismen wie Controlling, Bench­marking u. a. nach messbaren quantitativen Aspekten betrie­ben werde. Andere Aspekte träten so in den Hintergrund. Im Zentrum des justizpolitischen Denkens stehe die schnelle Verfahrenserledigung. Die Erledigungszahlen bestimmten mehr und mehr Denken und Handeln der Beteiligten. Es werde oft versucht, mit allen Mitteln das Dezernat "sauber" zu halten. Eine gewisse, dem Fall angemessene Bearbeitungstiefe müsse aber schon sein. Mit der Beschwörung der Charakter­festigkeit der Richterpersönlichkeit allein lasse sich das Prob­lem nicht lösen. Menschen verhielten sich in Systemen nun mal so, wie das System es verlange. Unabhängigkeit des Richters komme nicht von allein, sie zu erlangen, sei Aufgabe des Richters, ihn dabei zu stützen, die Aufgabe der Justizverwaltung. Wenig hilfreich seien der dramatische Stellenabbau im Rechtspflegebereich, die Verlagerung von Arbeitskraft in Verwaltungsfunktionen und die Tendenzen zur "Verbeamtung" der Richtertätigkeit.

In der Diskussion - angeregt und geleitet von der als Mode­ratorin gewonnenen Vorsitzenden des Nationalen Ethikrates, der ehemaligen Staatsekretärin im hessischen Justizministe­rium und Vorsitzenden Richterin am OLG a. D. Kristiane Weber-Hassemer - wurde die Beratungs-Verantwortung der Großkanzleien im Zusammenhang mit der Korruption in der Dritten Welt ebenso hinterfragt wie der Einfluss der Beset­zungspraxis auf die Standfestigkeit von Richtern und Staats­anwälten. Weitgehend einig war man sich darin, dass die ethi­schen Grundsätze aus dem Anstand derer, die es angeht, entwickelt werden müssten und den jeweils anderen Verfah­rensbeteiligten "in gehöriger Form" (Schaefer) begegnet wer­den müsse. Andererseits schien die Förderung der "Tugend­haftigkeit" des Einzelnen angesichts der wirtschaftlichen Her­ausforderungen nicht allen Teilnehmern ausreichend, um zu verhindern, dass "die Menschen, für die wir da zu sein haben" (Götz v. Olenhusen), zu "bloßen Objekten von Verfahren" werden (v. Plottnitz). Die Beobachtung und Beeinflussung der Justiz hin zu einem "ethikfreundlichen System", das diese "Tugendhaf­tigkeit", fördere, sei ebenso wichtig, sonst gerate "das, was sich gehöre", in um sich greifende Unsicherheit.

Dr. Ute Doepfer, Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltver­eins, stellte im Schlusswort fest, dass gemeinsame ethische Grundsätze noch nicht festgeschrieben werden könnten, man aber mit der Ethikdebatte nicht - wie ein großer deutscher Konzern - warten wolle, bis der Super-GAU eingetreten sei, sondern heute schon die Weichen stellen wolle. Den Schwung des allgemein zu spürenden Bedürfnisses nach ethischer Fundierung werde man nutzen, um den Diskurs zwischen den verschiedenen Berufsträgern zu institutionalisieren. Dabei werde sich herausstellen, welche Schnittmengen bestehen und ob eine "Ethik der Justiz" niedergeschrieben werden könne.

Rechtsanwalt Hilmar Wendling, NJW/GRUR-Redaktion,
Frankfurt a. M.