OLG Frankfurt vom 25.03.2021 (8 WF 7/21)

Stichworte: Kindschaftsverfahren; Privatgutachten; Amtsermittlungspflicht; Amtsermittlungsgrundsatz; Kostenerstattung
Normenkette: FamFG 26; FamFG 85, ZPO 104 Abs. 3 S. 1; FamFG 151 Nr. 1; BGB 1666; ZPO 104 Abs. 3 S. 1
Orientierungssatz:
  • In Kindschaftssachen sind die Kosten eines Privatgutachtens im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe regelmäßig nicht erstattungsfähig, weil ein nicht kostenarmer, wirtschaftlich vernünftiger Beteiligter die Einholung eines privaten Zweitgutachtens nicht als sachdienlich einschätzen, sondern sich wegen des dort geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes auf Vorbringen zur Sache und Angriffe auf das gerichtliche Gutachten beschränken würde.
  • 531 F 65/20
    AG Wiesbaden

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge für

    hat der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wiesbaden vom 22. Dezember 2020 (Nichtabhilfeentscheidung vom 8. Januar 2021) durch Richterin am Oberlandesgericht ... als Einzelrichterin am 25. März 2021 beschlossen:

    Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

    Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

    Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.784 € festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    Die sofortige Beschwerde betrifft die Frage der Erstattungsfähigkeit von Kosten für ein in einem Kindschaftsverfahren privat eingeholtes Zusatzgutachten.

    Das Amtsgericht hat in einem Verfahren zur Prüfung von Maßnahmen nach § 1666 BGB i.V.m. § 1666a BGB die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet, welches durch die vom Amtsgericht bestimmte Sachverständige am 17. September 2020 erstattet wurde. Das Amtsgericht hat mit der Übersendung des Sachverständigengutachtens Termin zur Anhörung bestimmt und um Mitteilung gebeten, ob ergänzende Fragen an die Sachverständige gestellt werden sollten bzw. die Erörterung des Sachverständigengutachtens im Termin erbeten werde.

    Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2020 hat die Kindesmutter um Verfahrenskostenhilfe nachgesucht und beantragt, die zu gewährende Verfahrenskostenhilfe auf die erforderlichen Kosten eines unabhängigen Sachverständigengutachtens zu erstrecken, welches das gerichtlich eingeholte Gutachten einer kritischen Überprüfung unterziehen solle. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass die Kindesmutter zur Überprüfung des Gutachtens auf eine sachverständige Person angewiesen sei. Zugleich hat sie ergänzende Fragen an die gerichtlich bestellte Sachverständige formuliert und um mündliche Erläuterung des Gutachtens gebeten (Bl. 230 d.A.).

    Mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 hat das Amtsgericht der Kindesmutter Verfahrenskostenhilfe bewilligt und darauf verwiesen, dass über gegebenenfalls erstattungsfähige Auslagen nicht im Verfahrenskostenhilfebeschluss zu entscheiden sei (Bl. 245 f. d.A.).

    Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 hat die Beschwerdeführerin um Erstattung von Kosten in Höhe von 2.784 € für die Einholung des privaten Sachverständigengutachtens gebeten (Bl. 269 d.A.) und dies mit Schriftsatz vom 23. November 2020 wiederholt (Bl. 275 d.A.).

    Der Bezirksrevisor beim Landgericht hat mit Verfügung vom 25. November 2020 darauf hingewiesen, dass die für das Privatgutachten angefallenen Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung in dem amtswegig zu führenden Verfahren nicht notwendig gewesen und damit nicht erstattungsfähig seien (Bl. 277 f. d.A.).

    Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg aufrechterhalten (Bl. 290 d.A.).

    Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. Dezember 2020 hat der zuständige Rechtspfleger beim Amtsgericht den Antrag auf Erstattung von Kosten für ein psychologisches Zweitgutachten unter Verweis auf die Ausführungen des Bezirksrevisors zurückgewiesen (Bl. 296 d.A.).

    Gegen den ihrer Vertreterin am 29. Dezember 2020 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit am 5. Januar 2021 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde erhoben und auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren angetragen; zudem hat sie für den Fall der Zurückweisung der sofortigen Beschwerde die Zulassung der Rechtsbeschwerde angeregt (Bl. 301).

    Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Bl. 305 d.A.).

    II.

    Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 85 FamFG i.V.m. § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden; sie hat in der Sache allerdings keinen Erfolg.

    Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Bezirksrevisors den Antrag auf Ausgleichung privater Gutachterkosten zurückgewiesen. Der Senat nimmt Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss, die er sich zu Eigen macht.

    Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Erstattung von Kosten für einen privat beauftragten Sachverständigen in Betracht, wenn diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung notwendig waren (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02, juris Rn. 13 = BGHZ 153, 235 ff.; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05, juris Rn. 10 = NJW 2006, 2415). Die BeUrteilung dieser Frage hat sich dabei daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich hätte ansehen dürfen (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02, juris Rn. 13 = BGHZ 153, 235 ff.; Beschluss vom 26. Februar 2013 - VI ZB 59/12, juris Rn. 5 = NJW 2013, 1823; Schindler in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage 2018, § 80 FamFG Rn 25). Danach kommt eine Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Beteiligter infolge fehlender Sachkenntnisse nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage ist (vgl. BGH a. a. O.; OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2012 - II-4 WF 11/12, BeckRS 2012, 12070; Schindler, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage 2018, § 80 FamFG Rn. 25; Dürbeck in: Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 9. Auflage 2020, Rn. 743). Diese Ausnahme ist insbesondere auf Zivilverfahren zugeschnitten, in denen es den Parteien nach dem sogenannten Beibringungsgrundsatz obliegt, substantiiert die gebotenen Tatsachen und Informationen vorzutragen, die als Grundlage für die Entscheidung des Gerichts erforderlich sind (vgl. hierzu Herget in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 91 ZPO, Rn. 13.73).

    Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

    Es ist bereits fraglich, ob die Einholung eines Privatgutachtens für eine Auseinandersetzung mit dem gerichtlich bereits eingeholten Sachverständigengutachten erforderlich war. Die Beschwerdeführerin ist im Verfahren anwaltlich vertreten; ihre Vertreterin ist als Rechtsanwältin in der Lage, ihre Interessen wahrzunehmen. Entsprechend hat ihre Vertreterin mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2020 um mündliche Erläuterung des Gutachtens im Rahmen eines (in der Folge durchgeführten) Anhörungstermins vor dem Amtsgericht gebeten und einen Katalog von Fragen an die seitens des Gerichts bereits bestellte Sachverständige gerichtet (Bl. 230 d.A.).

    Insbesondere aber hätte ein verständiger und wirtschaftlich vernünftiger Beteiligter davon abgesehen, eine kostenintensive privatgutachterliche Stellungnahme einzuholen. In Kindschaftssachen im Sinne des § 151 Nr. 1 FamFG gilt gemäß § 26 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz. Deshalb stehen die Beteiligten hier nicht wie im streitigen Zivilprozess in der Pflicht, ihr Vorbringen zu substantiieren, um ihm Gehör zu verschaffen und eine Beweisaufnahme des Gerichts herbeizuführen. Demzufolge benötigen Beteiligte eines Kindschaftsverfahrens regelmäßig kein Privatgutachten, um mit ihrem tatsächlichen Vorbringen gehört zu werden und eine (weitere) Beweisaufnahme initiieren zu können (Schindler, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage 2018, § 80 FamFG Rn 25). Entsprechend hätte ein nicht kostenarmer, verständiger und wirtschaftlich vernünftiger Beteiligter die Einholung eines Privatgutachtens nicht als sachdienlich eingeschätzt, sondern sich auf (tatsächliches) Vorbringen zur Sache und die daran anknüpfende Amtsermittlungspflicht des Gerichts beschränkt.

    Zuletzt war auch eine Förderung des Verfahrens durch die privatgutachterliche Stellungnahme nicht zu erwarten. Gerade in Kindschaftsverfahren kann die erforderliche Neutralität eines Sachverständigen bei einer privaten Beauftragung durch einen Beteiligten fraglich sein. Zudem stellt eine privatgutachterliche Stellungnahme verfahrensrechtlich lediglich Beteiligtenvorbringen dar (BGH, Urteil vom 11. Mai 1993 - VI ZR 243/92, juris Rn. 17 = NJW 1993, 2382) und ist entsprechend zu würdigen. Dies war für die - anwaltlich vertretene - Beschwerdeführerin bereits bei Erteilung des Gutachterauftrags erkennbar.

    Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen. Es sind keine Gründe:für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde ersichtlich. Die vorliegende Entscheidung beruht auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der zufolge die Voraussetzungen der Erstattungsfähigkeit von Kosten für ein Privatgutachten geklärt sind. Soweit die Beschwerdeführerin eine - nicht begründete und auch nicht veröffentlichte - Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg vom 11. Juni 2020 - 4 UF 19/19 - vorgelegt hat, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, da das Oberlandesgericht Naumburg einen Kostenvorschuss gewährt hat, ohne die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlichen Voraussetzungen geprüft zu haben.

    Soweit die Beschwerdeführerin zuletzt auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren angetragen hat, ist darauf hinzuweisen, dass die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu den Kosten der ersten Instanz gehören, § 76 FamFG i.V.m. § 119, § 104 Abs. 1 S. 1 ZPO (vgl. Herget, in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 119 ZPO, Rn. 3.15).

    Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 85 FamFG i.V.m. § 104 Abs. 3 S. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.