OLG Frankfurt vom 26.03.2020 (8 WF 45/20)

Stichworte: Beschleunigungsgebot; Beschleunigungsrüge; Beschleunigungsbeschwerde; Umgang, begleitet; Umgangsbegleiter; Verfahrensdauer; Amtsermittlung
Normenkette: FamFG 26; FamFG 155 Abs. 1; FamFG 155b; FamFG 155c; BGB 1684 Abs. 4 S. 3; SGB VIII 18 Abs. 3
Orientierungssatz:
  • Gegenstand einer Beschleunigungsbeschwerde gemäß § 155c FamFG ist nicht die Überprüfung der Richtigkeit der Verfahrensführung des Amtsgerichts, sondern die Beachtung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 Absatz 1 FamFG durch eine daran ausgerichtete Verfahrensförderung (Anschluss an OLG Stuttgart FamRZ 2017, 1254 (LS)).
  • Eine pauschale Feststellung, ab wann ein Verfahren nicht mehr hinreichend beschleunigt geführt wurde, gibt es nicht. Für die Bewertung der Verfahrensdauer ist eine Gesamtabwägung aller verfahrens- und sachbezogenen Faktoren sowie der subjektiven personenbezogenen Umstände vorzunehmen.
  • Aufgrund des Beschleunigungsgebots des § 155 Abs. 1 FamFG ist das Familiengericht gehalten, die aus seiner Sicht notwendigen Ermittlungen von Amts wegen zu führen, um so die Entscheidungsreife des Verfahrens herbeizuführen und - wenn die Eltern sich nicht einigen können - zeitnah in der Sache zu entscheiden.
  • Wenn aus der Sicht des Familiengerichts ein begleiteter Umgang nach § 1684 Abs. 4 S. 3 BGB geboten erscheint, gehört zu den gebotenen Ermittlungen gemäß § 26 FamFG - unter Mitwirkung der Kindeseltern gemäß § 27 Abs. 1 FamFG - eine Nachfrage beim Jugendamt und fachlich geeigneten freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, ob bzw. welche Möglichkeiten der Umgangsbegleitung für den konkreten Fall dort vorhanden sind (Anschluss an OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.03.2015 - 5 UF 270/14, FamRZ 2015, 1730, Rn. 9).
  • 533 F 305/18
    AG Wiesbaden

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend den Umgang

    hier: Beschleunigungsbeschwerde

    hat der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Köhler ,Richterin am Oberlandesgericht Dr. von Pückler sowie Richterin am Amtsgericht (abg.) Wulfmeyer am 26.03.2020 beschlossen:

    Es wird festgestellt, dass die bisherige Dauer des Verfahrens vor dem Amtsgericht Wiesbaden betreffend die Regelung des Umgangs zwischen X und dem Kindesvater nicht dem Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG entspricht.

    Gründe:

    I.

    Die Beteiligten streiten um den Umgang des Kindesvaters mit seiner Tochter.

    Der Kindesvater regte mit am 12.12.2018 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz die Regelung des Umgangs mit seiner bei der Kindesmutter lebenden Tochter an. Er trägt vor, dass er seine Tochter zuletzt im März 2018 gesehen habe und die Kindesmutter jeglichen Kontakt mit ihm ablehne. Mit Beschluss vom 17.12.2018 bestellte das Amtsgericht dem Kind eine Verfahrensbeiständin und leitete die Anregung des Kindesvaters an das Jugendamt weiter zur Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren. Mit Verfügung vom 17.01.2019 bestimmte das Amtsgericht einen Anhörungstermin auf den 01.02.2019, der wegen Verhinderung des Bevollmächtigten des Kindesvaters verlegt wurde auf den 15.03.2019. In dem Termin wurden das Kind, der Kindesvater, die Kindesmutter, die Verfahrensbeiständin und eine Vertreterin des Jugendamts persönlich angehört. Der Kindesvater erklärte, dass er auch mit einem begleiteten Umgangskontakt einverstanden sei, die Kindesmutter lehnte jegliche Umgangskontakte ab. Das Jugendamt wurde nicht explizit dazu befragt, ob die Möglichkeit der Begleitung von Umgangskontakten bestehe. Das Kind erklärte, dass es den Kindesvater nicht sehen wolle. Das Gericht wies im Termin darauf hin, dass die Anordnung eines begleiteten Umgangs mangels mitwirkungsbereitem Dritten vorliegend nicht möglich erscheine und insofern entweder über unbegleiteten Umgang oder einen vorübergehenden Umgangsausschluss zu entscheiden wäre. Die Verfahrensbeiständin empfahl zunächst Kontakte des Kindesvaters zu seiner Tochter in Form von Briefen, Postkarten oder Päckchen. Die Kindesmutter regte nach dem Termin einen Umgangsausschluss bzw. begleitete Umgangskontakte an.

    Mit Hinweisbeschluss vom 01.04.2019 wies das Amtsgericht darauf hin, dass für die Anordnung von begleiteten Umgangskontakten ein mitwirkungsbereiter Dritter erforderlich sei und das Gericht auch gegenüber staatlichen Stellen keine Umgangsbegleitung gegen deren Willen anordnen könne. Weiter wies es den Kindesvater darauf hin, dass er ggf. gehalten sei, gegenüber dem Jugendamt im Verwaltungsrechtswege seine Rechte nach § 18 Abs. 3 SGB VIII geltend zu machen und bat ihn um Mitteilung, falls ihm ein mitwirkungsbereiter Dritter bekannt werde. Vom Amtsgericht könne gegenwärtig nichts weiter veranlasst werden. Wegen des weiteren Inhalts wird auf Bl. 87 f. Bezug genommen.

    Mit Schriftsatz vom 03.06.2019 wies der Kindesvater darauf hin, dass sich die Suche nach einem mitwirkungsbereiten Dritten schon aufgrund der Ortsverschiedenheit schwierig gestalte.

    Mit Schriftsatz vom 09.12.2019 regte der Kindesvater an, der Kindesmutter das Sorgerecht in den Teilbereichen des Umgangs zu entziehen und auf einen Pfleger zu übertragen.

    Mit Schreiben vom 16.01.2020 wies das Amtsgericht den Kindesvater darauf hin, dass es kein sorgerechtliches Verfahren zur Ergreifung von Maßnahmen nach § 1666 BGB einzuleiten gedenke und es im hiesigen Verfahren plane, das Mädchen Mitte des Jahres 2020 erneut anzuhören, um den aktuellen Kindeswillen festzustellen.

    Mit Schriftsatz vom 22.01.2020 bat der Kindesvater um Übermittlung eines beschwerdefähigen Beschlusses, da er die Ansicht des Amtsgerichts im Schreiben vom 16.01.2020 nicht teile.

    Mit Schreiben vom 24.01.2020 wies das Amtsgericht darauf hin, dass die Ablehnung der Einleitung eines Amtsverfahrens nach § 24 Abs. 2 FamFG nicht förmlich durch Beschluss zu erfolgen habe und dass die Ablehnung der Einleitung eines Verfahrens nach herrschender Meinung nicht rechtsmittelfähig sei.

    Mit Schriftsatz vom 20.02.2020 erhob der Kindesvater eine Beschleunigungsrüge nach § 155b FamFG mit dem Antrag, nunmehr über den Umgang des Kindesvaters zu entscheiden. Das Amtsgericht solle auf dem einen oder anderen Wege (begleitete Umgangskontakte oder Umgangsausschluss) entscheiden, damit der Kindesvater im Beschwerdewege die nächste Instanz beschreiten könne. Die Verfahrensweise des Gerichts, ohne Entscheidung das Kind Mitte 2020 erneut anhören zu wollen, komme einem Ausschluss des Umgangs gleich. Stillstand sei jedenfalls in diesem Verfahren nicht das probate Mittel.

    Mit Beschluss vom 24.02.2020 wies das Amtsgericht die Beschleunigungsrüge zurück. Zur Begründung führte es aus, dass zwar eine zeitnahe Entscheidung über den Umgang nicht erfolgt und nach gegenwärtigem Stand auch nicht zu erwarten sei. Dies läge aber daran, dass begleitete Umgangskontakte geboten seien, dem Gericht aber kein mitwirkungsbereiter Dritter bekannt sei und ihm die Kompetenz fehle, einen Dritten hierzu zu verpflichten. Die faktische Nichtregelbarkeit führe aber nicht dazu, dass stattdessen ein Umgangsausschluss auszusprechen wäre. Im Übrigen habe der Kindesvater die Verzögerung mitverursacht, da er keinen begleitungswilligen Dritten benannt und auch den Verwaltungsrechtsweg offensichtlich nicht beschritten habe. Wegen des weiteren Inhalts wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

    Der Beschluss wurde dem Kindesvater am 27.02.2020 zugestellt.

    Mit der am 10.03.2020 beim Amtsgericht eingegangen Beschleunigungsbeschwerde wendet sich der Kindesvater gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 24.02.2020 und begehrt eine zeitnahe Entscheidung des Amtsgerichts über den Umgang.

    Die Akten gingen am 26.03.2020 beim Oberlandesgericht ein.

    II.

    Die nach § 155c Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschleunigungsbeschwerde, über die der Senat nach Aktenlage zu entscheiden hat, § 155c Abs. 3 S. 1 Hs. 1 FamFG, hat Erfolg.

    Das hier zu prüfende Beschleunigungsgebot umfasst, ebenso wie die Regelungen der §§ 155b und 155c FamFG zu seiner verfahrensrechtlichen Sicherung, sämtliche in § 155 Abs. 1 FamFG bezeichneten Kindschaftssachen. Das vom Kindesvater angeregte Umgangsverfahren ist ein Verfahren aus dem Katalog des § 155 Abs. 1 FamFG.

    Die bisherige Verfahrensdauer des Verfahrens vor dem Amtsgericht widerspricht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG, was in der Beschlussformel der Entscheidung über die Beschleunigungsrüge festzustellen ist, § 155c Abs. 3 S. 3 FamFG.

    Wegen des dem Amtsgericht bei seiner Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums ist Gegenstand einer Beschleunigungsbeschwerde gemäß § 155 c FamFG nicht die Überprüfung der Richtigkeit der Verfahrensführung des Amtsgerichts, sondern die Beachtung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 Absatz 1 FamFG durch eine daran ausgerichtete Verfahrensförderung (OLG Stuttgart FamRZ 2017, 1254 (LS)).

    Für die Bewertung der Verfahrensdauer ist – wie das Amtsgericht zutreffend erkannt und in seiner Entscheidung vom 24.02.2020 auch ausgeführt hat – eine Gesamtabwägung aller verfahrens- und sachbezogenen Faktoren sowie der subjektiven, personenbezogenen Umstände vorzunehmen. Zu berücksichtigen sind die Schwierigkeit des Verfahrens, seine Bedeutung vor allem für die Verfahrensbeteiligten, deren Verhalten im Verfahren sowie die Verfahrensführung und -förderung durch das Gericht. Dabei prägt und begrenzt das Kindeswohl den Beschleunigungsgrundsatz (OLG Stuttgart FamRZ 2017, 1254 (LS)). In Verfahren, die das Verhältnis einer Person zu ihrem Kind betreffen, obliegt den Gerichten eine besondere Förderungspflicht, weil die Gefahr besteht, dass allein der fortschreitende Zeitablauf zu einer faktischen Entscheidung der Sache führt. Verfahren, die – wie vorliegend – das Umgangsrecht betreffen, sind insoweit (neben Kinderschutzverfahren) besonders bedeutsam (vgl. Keuter, FamRZ 2016, 1817 <1821>).

    Eine pauschale Feststellung, ab wann ein Verfahren nicht mehr hinreichend beschleunigt geführt wurde, verbietet sich.

    Im vorliegenden Verfahren hat das Amtsgericht zwar zeitnah zur Anregung des Kindesvaters auf Umgangsregelung die notwendigen Verfahrenshandlungen vorgenommen (Anhörung des Kindes, § 159 FamFG, und der Eltern, § 160 FamFG, Anhörung des Jugendamts, § 162 Abs. 1 S. 1 FamFG, vorliegend auch Bestellung eines Verfahrensbeistandes für das Kind, § 158 FamFG). Jedoch hat das Amtsgericht nach dem Abschluss dieser Verfahrensschritte – und entgegen seiner im Termin geäußerten Absicht, dass entweder über unbegleiteten Umgang oder einen vorübergehenden Umgangsausschluss zu entscheiden wäre – seit nunmehr über einem Jahr in der Sache nicht entschieden. Mit seiner Verfügung vom 16.01.2020 hat das Amtsgericht zudem darauf hingewiesen, dass es das Kind Mitte 2020 nochmals anhören möchte, aber bis dahin nicht gedenkt, in der Sache zu entscheiden.

    Dies widerspricht dem Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG.

    Aufgrund des Beschleunigungsgebots des § 155 Abs. 1 FamFG ist das Familiengericht gehalten, die aus seiner Sicht notwendigen Ermittlungen von Amts wegen zu führen und bei Vorliegen von Entscheidungsreife eine zeitnahe Entscheidung in der Sache zu treffen. Vorliegend führt das Amtsgericht seit Abschluss der Anhörungen keine eigenen Ermittlungen gemäß § 26 FamFG durch, auch nicht hinsichtlich eines möglichen, zum Umgang bereiten Dritten. Aufgrund der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes ist das Amtsgericht gehalten, die Entscheidungsreife des Umgangsverfahrens herbeizuführen. Wenn aus der Sicht des Amtsgerichts ein begleiteter Umgang vorliegend geboten erscheint, ist das Amtsgericht gehalten, zeitnah – unter Mitwirkung der Kindeseltern gemäß § 27 Abs. 1 FamFG – selbst beim Jugendamt und fachlich geeigneten freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe nachzuforschen, ob bzw. welche Möglichkeiten der Umgangsbegleitung für den konkreten Fall dort vorhanden sind (zu den gebotenen Ermittlungen: OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.03.2015 – 5 UF 270/14, FamRZ 2015, 1730, Rn. 9).

    Aus der Akte ist nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht – außer der erfolglos gebliebenen Nachfrage beim Kindesvater vom 01.04.2019 hinsichtlich mitwirkungsbereiter Dritter bzw. dem Verweis auf den Verwaltungsrechtsweg – seit Ende März 2019 eigene Ermittlungen angestellt hat, um das Verfahren einer Entscheidungsreife zuzuführen. Aus der Akte ergibt sich auch nicht, dass das Jugendamt selbst zur Begleitung der Umgangskontakte befragt worden wäre oder diese verweigert hätte oder, ob der Kindesvater einen entsprechenden Antrag beim Jugendamt nach § 18 Abs. 3 SGB VIII gestellt hat.

    Falls die zeitnah einzuleitenden weiteren Ermittlungen des Amtsgerichts ergeben sollten, dass ein mitwirkungsbereiter Dritter für Umgangskontakte nicht zur Verfügung steht, wird es zu entscheiden haben, ob unbegleitete Umgangskontakte in Betracht kommen oder ob Umgangskontakte des Kindes mit dem Kindesvater für einen bestimmten Zeitraum auszuschließen sind.

    Ein bloßes Zuwarten des Amtsgerichts kommt bereits jetzt in der Wirkung für den Kindesvater einem Umgangsausschluss gleich.

    In einem Umgangsverfahren haben die Familiengerichte bei Vorliegen der Entscheidungsreife des Verfahrens und fehlender Einigung der Kindeseltern zeitnah eine Regelung über den Umgang zu treffen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.08.2005 – 1 BvR 776/05, FamRZ 2006, 1005 (Orientierungssatz); BGH, Beschluss vom 27.10.1993 – XII ZB 88/92, NJW 1994, 312 (LS)).

    Zu einer solchen Regelung ist das Amtsgericht auch aus Gründe:n der Justizgewährung verpflichtet, damit der Umgang begehrende Elternteil eine Entscheidung des Amtsgerichts ggf. im Rechtsmittelverfahren überprüfen lassen kann.

    Das Verfahren über die Beschleunigungsbeschwerde ist bei Obsiegen des Beschwerdeführers gerichtsgebührenfrei (Schneider, FamRB 2017, 479 <482>).

    Mangels Anfalls wertabhängiger Gerichtsgebühren war eine Wertfestsetzung von Amts wegen nicht veranlasst, § 55 Abs. 2 FamGKG.

    Köhler Dr. von Pückler Wulfmeyer