OLG Frankfurt vom 25.09.2019 (8 WF 132/19)

Stichworte: Kostenfestsetzung; Beschwerdeverfahren; anwaltliche Versicherung; Abwicklungstätigkeit; Geschäftsbetreibung; Verfahrensgebühr, ermäßigt
Normenkette: FamFG 85; RVG 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9; RVG VV Nr. 3201; RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 2
Orientierungssatz:
  • Sofern der Verfahrensbevollmächtigte in irgendeiner Weise über die Neben- und Abwicklungstätigkeiten des Verfahrens der ersten Instanz hinaus im Rahmen der Erfüllung seines zweitinstanzlichen Auftrags tätig wird, entsteht eine Gebühr für das Beschwerdeverfahren (Anschluss an BGH NJW 2013, 312, Rn. 1).
  • Für das Entstehen der ermäßigten Verfahrensgebühr gemäß RVG VV Nr. 3201 genügt das Betreiben des Geschäfts der zweiten Instanz mit einer Beratung des Mandanten oder der Beschaffung von Informationen, die in irgendeiner Weise der Durchführung des Verfahrens dienen.
  • Die anwaltliche Versicherung eines Verfahrensbevollmächtigten steht im Beweiswert einer eidesstattlichen Versicherung zumindest gleich, zumal wenn es um die Versicherung einer üblichen anwaltlichen Tätigkeit nach Beschwerdeeinlegung geht.
  • 537 F 120/18
    AG Wiesbaden

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hier: Kostenfestsetzungsverfahren

    hat der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Köhler als Einzelrichter am 25.09.2019 beschlossen:

    Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 07.05.2019 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wiesbaden vom 29.04.2019 wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

    Gründe:

    I.

    Mit rechtskräftigem Beschluss des Senats vom 31.01.2019 zu Az. 8 UF 3/19 wurden im Rahmen eines zweitinstanzlichen Kindschaftsverfahrens die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beschwerdeführerin auferlegt und der Beschwerdewert auf 3.000,- Euro festgesetzt. Hintergrund war, dass die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung zum Sorgerecht eingelegt hatte und diese Beschwerde nach Zustellung der Beschwerdeschrift an die übrigen Beteiligten zurückgenommen hatte.

    Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Amtsgericht die aufgrund des Beschlusses vom 31.01.2019 von der Beschwerdeführerin an den Beschwerdeführer zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 286,91 Euro nebst Zinsen fest. Angesetzt wurde dabei die reduzierte Verfahrensgebühr von nach RVG VV Nr. 3201 von 1,1 Gebühren aus einem Wert von 3.000,- Euro, Post- und Telekommunikationspauschale sowie Mehrwertsteuer.

    Der Beschluss wurde der Beschwerdeführerin am 07.05.2019 zugestellt.

    Mit der am 07.05.2019 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, dass zweitinstanzliche Kosten nicht entstanden seien, da die Beschwerde vor schriftlicher Stellungnahme der Gegenseite bereits zurückgenommen worden sei.

    Das Amtsgericht half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Senat zur Entscheidung vor.

    Der Senat wies darauf hin, dass die reine Entgegennahme der Beschwerdeschrift keine Kosten der zweiten Instanz auslöse. Daraufhin teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdegegners mit, dass er die Beschwerdeschrift nicht nur entgegen genommen habe, sondern auch an seinen Mandanten weitergeleitet und der Mandant über das weitere Verfahrensprozedere informiert worden sei, ebenso sei die Rücknahme an diesen weitergeleitet worden und der Mandant sei über die daraus resultierenden Konsequenzen informiert worden. Diese Angaben wurden anwaltlich versichert.

    Die Beschwerdeführerin bestreitet weitere anwaltliche Tätigkeiten als die Entgegennahme der Beschwerde.

    II.

    Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 85 FamFG, 104 Abs. 3, 567 Abs. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und der Beschwerdewert ist erreicht (§§ 567 Abs. 2, 569 ZPO).

    In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Weil der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdegegners über bloße Abwicklungstätigkeiten der ersten Instanz in der zweiten Instanz tätig geworden ist, sind dem Beschwerdegegner Kosten entstanden, die ihm nach der Kostengrundentscheidung des Senats durch die Beschwerdeführerin zu ersetzen sind und der Höhe nach zutreffend festgesetzt wurden.

    Im Einzelnen:

    Die Beschwerdeführerin hat nach der Entscheidung des Senats vom 31.01.2019 die dem Beschwerdegegner im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu tragen. Der Kostenerstattungsanspruch besteht nur insoweit, wie dem Beschwerdegegner im Beschwerdeverfahren überhaupt Kosten entstanden sind. Voraussetzung dafür ist, dass der Beschwerdegegner seinem Verfahrensbevollmächtigten gegenüber zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist, was sich nach den Vorschriften des RVG richtet. Der im Beschwerdeverfahren tätige Rechtsanwalt erhält eine Verfahrensgebühr für das „Betreiben des Geschäfts“ (RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 2). Abzugrenzen ist dieses Betreiben des Geschäfts der Beschwerdeinstanz von Neben- und Abwicklungstätigkeiten des Verfahrens der ersten Instanz. Dazu gehören nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG die Zustellung oder Empfangnahme von Entscheidungen oder Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber (vgl. BGH NJW 2013, 312).

    Wird der Verfahrensbevollmächtigte aber in irgendeiner Weise über diese Neben- und Abwicklungstätigkeiten des Verfahrens der ersten Instanz hinaus im Rahmen der Erfüllung seines zweitinstanzlichen Auftrags tätig, entsteht eine Gebühr für das Beschwerdeverfahren (BGH NJW 2013, 312, Rn. 11).

    Für das Entstehen der ermäßigten Verfahrensgebühr gemäß RVG VV Nr. 3201 ist ein Auftreten des Verfahrensbevollmächtigten gegenüber dem Gericht - anders als für die volle Verfahrensgebühr gemäß RVG VV Nr. 3200 - nicht erforderlich; dies folgt bereits aus dem Gesetzeswortlaut des RVG VV Nr. 3201 Ziffer 1 (vgl. auch BGH NJW 2013, 312; BGH NJW 2005, 2233). Das Betreiben des Geschäfts der zweiten Instanz kann sich beispielsweise auf eine Beratung des Mandanten oder auf die Beschaffung von Informationen beschränken; bereits geringfügige Tätigkeiten des Verfahrensbevollmächtigten, die in irgendeiner Weise der Durchführung des Verfahrens dienen, erfüllen die Voraussetzungen für eine Verfahrensgebühr (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 2025).

    Vorliegend hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdegegners anwaltlich versichert, dass er nicht nur die amtsgerichtliche Entscheidung entgegen genommen und dem Beschwerdegegner kommuniziert hat (was als bloße Abwicklungstätigkeit des Verfahrens der ersten Instanz zu bewerten wäre und keine Gebühren für das Betreiben des Verfahrens zweiter Instanz auslöst), sondern auch, dass der Mandant über das weitere Verfahrensprozedere des Verfahrens zweiter Instanz informiert wurde. Diese Beratung und Information des Mandanten geht über bloße erstinstanzliche Abwicklungstätigkeit hinaus, insbesondere, da in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (anders als in Ehe- und Familienstreitsachen) kein Begründungszwang für die Beschwerde gilt, dessen Nichteinhaltung ohne inhaltliche Prüfung zur Unzulässigkeit der Beschwerde führen würde (vgl. BGH NJW 2014, 557) und das Gericht in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch ohne Begründung des Rechtsmittels bei zulässiger Beschwerde in der Sache neu entscheiden muss (vgl. zu den Erstattungsfolgen Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 24. Auflage 2019, § 19 Rn. 91).

    Diese zusätzliche anwaltliche Tätigkeit steht trotz des einfachen Bestreitens der Gegenseite mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. zu dem Beweismaß im Kostenfestsetzungsverfahren BGH NJW 2007, 2493) fest aufgrund der anwaltlichen Versicherung der Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdegegners, die im Beweiswert einer eidesstattlichen Versicherung zumindest gleichsteht (vgl. Saenger, ZPO, 8. Auflage 2019, § 294 Rn. 6), weil ein solches Vorgehen auch dem üblichen Verlauf der anwaltlichen Tätigkeit nach Beschwerdeeinlegung entspricht.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Eine Wertfestsetzung von Amts wegen war entbehrlich, da keine wertabhängigen Gerichtsgebühren, sondern eine Festgebühr anfällt (Ziff. 1912 KV FamGKG).

    Köhler