OLG Frankfurt vom 22.12.2020 (8 UF 61/18B)

Stichworte: Sorgerecht, gemeinsam; Vollmacht; Kommunikationsfähigkeit; Verhältnismäßigkeit; Bevollmächtigung; Kooperationsfähigkeit; Abstammung, Unterrichtung; Verstandesreife; Vater, leiblicher; Persönlichkeitsrecht; Information, Vorenthaltung
Normenkette: BGB 1626; BGB 1666; BGB 1671; BGB 1684
Orientierungssatz:
  • Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen eine Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt.
  • Dies setzt eine (noch) ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraus, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich bzw. erforderlich ist. Die Vollmacht ist deshalb nicht ausreichend, wenn eine notwendige Mitwirkung trotz Aufforderung nicht geleistet wird.
  • Die Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene leibliche Abstammung kann die freie Entfaltung der Persönlichkeit spezifisch gefährden (BVerfG, Urteil vom 19. April 2016 – 1 BvR 3309/13 – Rn. 34 ff.). Einem Elternteil kann deshalb gemäß § 1666 Abs. 3 BGB aufgegeben werden, das verstandesreife Kind über seine wahre Abstammung zu unterrichten.
  • 91 F 892/17
    AG Bad Homburg v.d.H.

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache betreffend die elterliche Sorge

    hat der 8. Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter … am 22. Dezember 2020 beschlossen:

    Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des; AGs - Familiengericht - Bad Homburg vor der Höhe vom 7. Dezember 2017 - Az. 91 F 892/17 - wird zurückgewiesen.

    Der Antragstellerin wird aufgegeben, ihren Sohn Vorname2, geboren am XX.XX.2012, über seine wahre Abstammung zu unterrichten.

    Die Gerichtskosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Eltern jeweils zur Hälfte zu tragen im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

    Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    Die weiteren Beteiligten zu 1) und 2) sind die rechtlichen und leiblichen Eltern des am XX.XX.2012 von der Antragstellerin geborenen Kindes Vorname2. Mit Urkunde vom 4. Dezember 2012 haben die Eltern die gemeinsame Sorge eingerichtet, dabei erhielt ihr gemeinsamer Sohn den Nachnamen des Kindesvaters. Die Kindesmutter ist 1974 geboren, der Kindesvater 1956. Der Kindesvater hat aus zwei anderen Beziehungen eine 1983 geborene Tochter A und eine im (…) 2012 geborene und in Kroatien lebende Tochter B.

    Die Eltern haben sich Ende 2011 im beruflichen Kontext kennengelernt. Sie lebten nach dem Vortrag der Antragstellerin nie, nach dem Vorbringen des Antragsgegners bis 2014 zusammen.

    Um denselben Nachnamen wie ihr Kind zu führen, hat die Kindesmutter 2014 ihren Nachnamen geändert; sie führt nun denselben Nachnamen wie der Kindesvater.

    Vorname2 lebt seit seiner Geburt bei seiner Mutter. Diese hat nach ihren Angaben seit Ende 2013 eine Beziehung zu einem ihr seit ihrer Jugendzeit bekannten Mann, den sie im (…) 2016 geheiratet hat. Der Kindesvater hat nach Angabe der Kindesmutter seit 2014, nach Angabe des Kindesvaters seit April 2016 keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn. Vorname2 ist von seiner Mutter nie über seine Abstammung aufgeklärt worden. Nach Angabe der Mutter weiß Vorname2 nicht (mehr) um die Existenz seines Vaters und betrachtet stattdessen ihren Ehemann als seinen Vater.

    Das Amtsgericht - Familiengericht - Bad Homburg v.d.H. hat der Antragstellerin - mit Zustimmung des Antragsgegners - mit Beschluss vom 21. Mai 2013 das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung übertragen, Az. .../13 (Bl. 13 d. A.).

    In dem auf Umgang gerichteten Verfahren … vereinbarten die Kindeseltern am 16. Februar 2017, Beratung beim Jugendamt in Anspruch zu nehmen mit dem Ziel, Vorname2 über seine Abstammung aufzuklären und Umgang einzuleiten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Anhörung Bezug genommen (Bl. Bl. 33 d. A.). Den vom Jugendamt in der Folge angebotenen ersten Beratungstermin sagte der Kindesvater, die drei weiteren Termine die Kindesmutter ab. Die vereinbarte Aufklärung des Kindes über seine Abstammung unterließ die Kindesmutter.

    In dem unter dem Aktenzeichen … geführten Verfahren verpflichtete der Kindesvater sich im Anhörungstermin am 10. November 2016, mit der Kindesmutter bis zur Regelung eines Umgangs keinen Kontakt aufzunehmen. Hintergrund dieses Verfahrens war das Vorbringen der Kindesmutter, dass der Kindesvater sie mit Telefonanrufen belästigt und sie vor ihrem Haus abgepasst habe. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Anhörung Bezug genommen (Bl. 75 d. A. …).

    In einem weiteren, von der Kindesmutter im Oktober 2016 eingeleiteten Verfahren vor dem Amtsgericht Bad Homburg, Az. …/16, erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin im Rahmen einer Vereinbarung im Anhörungstermin vom 16. Februar 2017 eine vom Gericht protokollierte „umfängliche Vollmacht“, insbesondere bezogen auf alle Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge, der Vermögenssorge, der schulischen Angelegenheiten, der Vertretung gegenüber Behörden und ähnlichem, für Passangelegenheiten sowie für die Vertretung gegenüber dem Standesamt zur Streichung des Vornamens Vorname1 (vgl. Bl. 36 f. der Akte …/16).

    In dem Verfahren .../17 bat der Kindesvater Anfang Juni 2016 erneut um Gewährung von Umgang; die Kindesmutter trat dem mit der Anregung eines Umgangsausschlusses entgegen. In diesem Verfahren ordnete das Amtsgericht am 30. Mai 2018 in Abänderung zweier früherer Entscheidungen zur Einholung eines Sachverständigengutachtens vom 3. Januar 2018 (Bl. 233 der Akte .../17) sowie vom 28. Februar 2018 (Bl. 279 der Akte .../17) die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch die Sachverständige Frau C insbesondere zu der Frage an, ob Gründe:vorlägen, aufgrund derer zum Wohl des Kindes sein Umgang mit dem Vater auszuschließen sei, welche Folgen eine Durchführung oder ein Ausschluss des Vater-Sohn-Umgangs für das Kind aus psychologischer Sicht habe und ob sich etwaige Gefahren mittels einer Umgangsbegleitung beseitigen ließen bzw. ob - insbesondere bei Nichtausschluss des Umgangs - Gründe:des Kindeswohls dagegensprächen, den Sohn über die Vaterschaft des Vaters zu informieren. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 361 der Akte .../17 Bezug genommen.

    Die gegen die Beweisbeschlüsse erhobenen Verfassungsbeschwerden der Kindesmutter wurden vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerden gegen die zunächst ergangenen Beweisbeschlüsse seien unzulässig, weil diese durch den zuletzt ergangenen Beweisbeschluss prozessual überholt seien. Die gegen eben diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde sei mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 - 1 BvR 1240/18; Bl. 467 ff. der Akte .../17). Die darauf gegen den Beweisbeschluss zum Senat erhobene sofortige Beschwerde wurde mit Beschluss des Senats vom 5. Juni 2019 verworfen (…/19; Bl. 582 ff. der Akte .../17). Das Sachverständigengutachten wurde bislang nicht erstellt. Die Kindesmutter will vor einer Mitwirkung am Sachverständigengutachten die konkreten Lebensverhältnisse des Kindesvaters geklärt wissen.

    Im Ausgangsverfahren beantragte die Antragstellerin am 17. August 2017 erneut, ihr die alleinige Sorge für Vorname2 insgesamt zu übertragen. Die Vollmacht habe sich als unzureichend erwiesen, da potentielle Vertragspartner, insbesondere die Kindertagesstätte, und Behörden, insbesondere das Standesamt sowie das Konsulat, diese nicht vorbehaltlos akzeptiert hätten. Zur Anmeldung in der Kindertagesstätte habe es einer vom Kindesvater unterschriebenen Erklärung sowie einer Kopie seines Personalausweises bedurft. Ihrer entsprechenden schriftlichen Aufforderung sei der Kindesvater nicht nachgekommen. Gleiches gelte für die vom Kindesvater gebilligte Streichung des Vornamens „Vorname1“ des Kindes. Auch insoweit habe das Standesamt eine unterschriebene Erklärung sowie eine Kopie des Personalausweises des Kindesvaters vorausgesetzt. An derselben Anforderung sei bislang auch ihr Antrag auf Eintragung der zweiten Staatsangehörigkeit des Kindes beim kroatischen Konsulat gescheitert. Zum Nachweis ihrer schriftlichen Aufforderungen an den Kindesvater hat die Kindesmutter im verfahrenseinleitenden Schriftsatz vom 17. August 2017 Einlieferungsbelege bei der E vorgelegt (Bl. 25 ff. d. A.).

    Der Kindesvater trat dem Ansinnen der Kindesmutter auf Übertragung des Sorgerechts entgegen und erteilte am 22. November 2017 eine weitere, nun öffentlich beglaubigte Vollmacht zu Gunsten der Antragstellerin, in welcher Angelegenheiten betreffend die Kindertagesstätte, Passangelegenheiten sowie die Vertretung beim Standesamt zwecks Streichung des Vornamens Vorname1 nochmals ausdrücklich enthalten waren (vgl. Bl. 116 f. der Akte). Die Aufforderungsschreiben der Kindesmutter habe er nicht erhalten; die von der Kindesmutter vorgelegten Einlieferungsbelege seien nicht geeignet, den Nachweis für eine Übersendung an ihn unter seiner Anschrift zu führen. Eine Kopie seines Personalausweises übersandte der Antragsgegner nicht, ebenso wenig die von der Kindesmutter erbetenen Erklärungen.

    Nach Anhörung der Eltern am 11. Oktober 2017 (Bl. 70 ff. d. A.) übertrug das Amtsgericht der Antragstellerin mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. Dezember 2017 die elterliche Sorge zur alleinigen Ausübung. Der Kindesvater habe die von der Kindesmutter erbetenen Mitwirkungshandlungen nach deren unwidersprochenem Vorbringen nicht erbracht, wodurch sich die erteilten Vollmachten als nicht ausreichend zur Vermeidung einer Übertragung des Sorgerechts erwiesen hätten. Wegen des tiefgreifenden Kommunikationskonflikts der Eltern sei das gemeinsame Sorgerecht daher insgesamt aufzuheben und auf die Kindesmutter zu übertragen. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen (Bl. 124 ff. d. A.).

    Von einer Anhörung des am 10. Oktober 2017 beim Amtsgericht erschienenen Kindes sah das Amtsgericht wegen dessen Alters und wegen des Umstandes ab, dass dieses keine Kenntnis von der Vaterschaft des Antragsgegners hatte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vermerk vom selben Tage Bezug genommen (Bl. 69 d. A.).

    Gegen den seinem Vertreter am 27. Dezember 2017 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am 26. Januar 2018 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde erhoben, mit welcher er erstrebt, es beim gemeinsamen Sorgerecht zu belassen. Mit der Beschwerde hat der Kindesvater sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und insbesondere nochmals darauf verwiesen, dass er die Kindesmutter durch die erweiterte, öffentlich beglaubigte Vollmacht vom 22. November 2017 in die Lage versetzt habe, umfassend für Vorname2 zu agieren. Vorname2 habe angehört werden müssen. Er müsse zudem über seine Abstammung aufgeklärt werden.

    Eine Äußerung dazu, dass der Kindesvater die für die Namensänderung und Eintragung der kroatischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Maßnahmen mittlerweile nachgeholt habe, erfolgte nicht.

    Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten, sie erstrebt die Aufrechterhaltung der amtsrichterlichen Entscheidung. Zur Begründung hat sie mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2018 unter anderem nochmals darauf verwiesen, dass die vom Kindesvater erteilte Vollmacht - auch in der notariell beglaubigten Form - nicht ausgereicht habe, um Vorname2 bei der Kindertagesstätte anzumelden, seinen Namen zu ändern und seine kroatische Staatsangehörigkeit anzumelden. Da künftig weitere Entscheidungen wie die Anmeldung zur Schule, zum Hort sowie gegebenenfalls die Einbenennung anstünden, sei die Übertragung des Sorgerechts dringend erforderlich (Bl. 250 ff. d. A.).

    Das Jugendamt hat sich mit Blick auf die mangelnde Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern für die Aufhebung des Sorgerechts ausgesprochen; dem hat sich die Verfahrensbeiständin angeschlossen. Auf ihre Stellungnahmen wird Bezug genommen (Bl. 187, 193 d. A.)

    Der Senat hat die Entscheidung des Amtsgerichts mit Beschluss vom 27. Februar 2019 aufgehoben und den Antrag der Antragstellerin auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts zurückgewiesen.

    Der Senat hat die Auffassung vertreten, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter grundsätzlich dem Kindeswohl am besten entspreche. Zwischen den Eltern bestehe ein Kommunikationskonflikt, der eine gemeinsame Entscheidungsfindung in kindbezogenen Belangen kaum möglich erscheinen lasse, insbesondere, weil die Kindesmutter die Elternschaft des Kindesvaters gegenüber dem gemeinsamen Sohn nicht offenlegen wolle. Gleichwohl sei die Übertragung der noch gemeinsam ausgeübten Teile des Sorgerechts auf die Kindesmutter aus Gründe:n der Verhältnismäßigkeit nicht geboten, da der Kindesvater die Kindesmutter durch die Erteilung der Vollmachten in der Lage versetzt habe, auch ohne eine Übertragung des elterlichen Sorgerechts für ihren Sohn tätig zu werden. Soweit die Kindesmutter Hinderungsgründe benannt habe, die dem Abschluss einzelner von ihr gewünschter Rechtsgeschäfte und Handlungen entgegenstünden, ließen sich diese auch mit einer Sorgerechtsübertragung auf die Antragstellerin nicht ausräumen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 27. Februar 2019 Bezug genommen (Bl. 373 ff. d. A.).

    Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hat der Bundesgerichtshof den Beschluss des Senats mit Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

    Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seien Vollmachten zur Ermöglichung eines alleinigen Handelns in den von den Vollmachten umfassten Bereichen regelmäßig geeignet, eine Sorgerechtsübertragung entbehrlich zu machen. Gleichwohl setze eine Vollmachterteilung eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraus, soweit dies auch unter Berücksichtigung des durch die Vollmacht erweiterten Handlungspielraums des bevollmächtigen Elternteils unerlässlich sei.

    Insoweit rüge die Kindesmutter mit Recht, dass das Oberlandesgericht die von ihr gegen die Tauglichkeit der Vollmacht vorgebrachten Gründe:auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen als nicht durchgreifend betrachtet habe. Der vollmachtgebende Elternteil könne insbesondere etwa bei mangelnder Akzeptanz der Vollmacht durch Dritte verpflichtet sein, dadurch notwendig werdende Mitwirkungshandlungen zu erbringen. Die Kindesmutter habe die mangelnde Akzeptanz der Vollmacht anlässlich der Anmeldung in der Kindertagesstätte nachvollziehbar vorgetragen. Da sich die Vollmacht danach im Rechtsverkehr als nicht ausreichend erwiesen habe, sei es vom Kindesvater zu verlangen gewesen, dass er die von seiner Seite noch notwendige Mitwirkung leiste. Ähnlich verhalte es sich mit der einvernehmlich erstrebten Namensänderung. Auch insoweit habe es nach dem Vorbringen der Kindesmutter und den entsprechenden Feststellungen des Amtsgerichts der Mitwirkung des Kindesvaters bedurft. Auch hier habe er die über die Vollmachterteilung hinaus erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht erbracht.

    Entsprechend sei noch aufzuklären, ob die für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge in Verbindung mit einer Vollmachterteilung unerlässliche Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Kindeseltern noch vorhanden sei. Dafür habe der Senat insbesondere die persönliche Anhörung der Kindeseltern nachzuholen. Zudem sei im Hinblick auf die Erziehungseignung der Mutter bislang noch nicht gewürdigt worden, dass diese offensichtlich nicht bereit sei, das Kind über die Vaterschaft des Antragsgegners aufzuklären, was insoweit Zweifel aufwerfe.

    Der Senat hat darauf die Kindeseltern, das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin am 11. Dezember 2020 persönlich angehört. Dabei haben die Kindeseltern ihre jeweiligen Positionen wiederholt, ohne dass der Kindesvater mitgeteilt hat, dass er die erforderlichen Mitwirkungshandlungen nunmehr nachgeholt habe. Die Vertreterin des Jugendamts hat sich für die Aufhebung der gemeinsamen Sorge ausgesprochen. Zudem hat sie eindringlich darauf verwiesen, dass Vorname2 umgehend über seine Herkunft - gegebenenfalls mit sachverständiger Unterstützung - aufgeklärt werden müsse. Diesen Einschätzungen hat sich die Verfahrensbeiständin angeschlossen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 11. Dezember 2020 verwiesen (Bl. 435 ff. d. A.).

    Die Akten .../13, …, …/16 und .../17 wurden zu Informationszwecken beigezogen. Das beim Amtsgericht - Familiengericht Bad Homburg unter dem Aktenzeichen …/20 geführte Verfahren wurde nach entsprechendem Hinweis im Anhörungstermin am 11. Dezember 2020 mit dem vorliegenden Verfahren verbunden.

    II.

    Die Beschwerde des Kindesvaters ist gemäß § 111 Nr. 2, § 151 Nr. 1, §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden. Sie hat in der Sache allerdings keinen Erfolg und ist zurückzuweisen. Zudem ist der Kindesmutter aufzugeben, ihren Sohn umgehend über seine Abstammung aufzuklären.

    Leben gemeinsam sorgeberechtigte Eltern nicht nur vorübergehend getrennt, ist gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB einem von ihnen auf seinen Antrag auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am Besten entspricht.

    Der Regelung des § 1671 BGB liegt nicht zugrunde, dass dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge ein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt wird. Ebenso wenig besteht eine einfach- oder gar verfassungsrechtliche Vermutung, dass die gemeinsame Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung darstellt und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht kommt (Britz, FF 2015, 387). Die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge setzt vielmehr eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, die es ihnen ermöglicht, am Kindeswohl orientierte Entscheidungen zu treffen. Gelingt es Eltern bei Fortbestehen der gemeinsamen Sorge nicht, die Belange ihres Kindes angemessen zu besprechen und zu Entscheidungen in dessen Interesse zu gelangen, kann dies für das betroffene Kind zu Belastungen führen, die mit seinem Wohl nicht vereinbar sind. "Funktioniert" die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht, ist sie daher aufzuheben und der Alleinsorge eines Elternteils gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge der Vorzug zu geben (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2015 - 1 BvR 486/14, juris Rn. 11 = FamRZ 2015, 1585; BGH, Beschluss vom 29. September 1999 - XII ZB 3/99, juris Rn. 10 = FamRZ 1999, 1646; Beschluss vom 11. Mai 2005 - XII ZB 33/04, juris Rn. 6 = FamRZ 2005, 1167; Beschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 158/05, juris Rn. 10 = FamRZ 2008, 592; Britz, FF 2015, 387 (389)).

    Allerdings ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Danach kann die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen eine Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 18 ff. = FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184).

    Das setzt allerdings eine (noch) ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraus, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich bzw. erforderlich ist. Nur dann erweist sich die Vollmachterteilung als geeignet, eine Sorgerechtsübertragung entbehrlich zu machen (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 21, 28, 29 = FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184). Durch die Vollmacht wird der Bestand der gemeinsamen elterlichen Sorge sowie die Befugnisse des vollmachtgebenden Elternteils nicht eingeschränkt. Insbesondere kann der vollmachtgebende Elternteil daher etwa bei mangelnder Akzeptanz der Vollmacht verpflichtet sein, dadurch notwendig gewordene Mitwirkungshandlungen zu erbringen. Zudem kann er unter Umständen gehalten sein, die Vollmacht zu widerrufen, wenn er deren missbräuchliche Ausübung feststellt (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 33= FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184; Prinz, NZFam 20, 755). Die hierfür erforderliche Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit muss zwischen den Kindeseltern (noch) vorhanden sein.

    Dabei ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die Vollmacht unter den gegebenen Umständen ausreicht, um die Kindesbelange verlässlich wahrnehmen zu können. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich aufgrund der für die Sorgerechtsübertragung nach § 1671 BGB anerkannten Kriterien, wobei die Erforderlichkeit einer (teilweisen) Sorgerechtsübertragung stets mit Blick auf die erteilte Vollmacht und die durch sie erweiterten Handlungsbefugnisse des hauptverantwortlichen Elternteils zu beurteilen ist (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 34 = FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184). Dabei bedarf es keiner - ohnedies unsicheren - Prognose, mit welcher Wahrscheinlichkeit die - jederzeit widerrufliche - Vollmacht vom vollmachtgebenden Elternteil künftig widerrufen werden könnte (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 35= FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184). Maßgeblich ist dagegen, ob der vollmachtgebende Elternteil hinreichend mitwirkt und kooperiert, wenn die erteilte Vollmacht für konkrete Rechtsgeschäfte oder Handlungen nicht ausreicht (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 41= FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184; Splitt, FF 2020, 413). Entscheidend ist dabei die Prognose, ob und inwieweit zu erwarten ist, dass durch die Erteilung der Vollmacht künftig Streit zwischen den Eltern vermieden werden kann oder aber der Elternstreit trotz Erteilung der Vollmacht fortgesetzt werden wird (Splitt, FF 2020, 414). Dabei liegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts nach Ausschöpfung der Amtsermittlung dem Elternteil, der diese begehrt (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2016 - XII ZB 419/15, juris Rn. 12, 14, 16, 38= FamRZ 2016, 1439 = BGHZ 211, 22; Splitt, FF 2020, 414).

    Nach diesem Maßstab scheidet die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge der Kindeseltern aus.

    Die Kindesmutter hat für die Notwendigkeit einer umfassenden Übertragung des Sorgerechts nachvollziehbar angeführt, dass sich die Vollmacht in verschiedenen Angelegenheiten als nicht ausreichend erwiesen und der Kindesvater die infolgedessen notwendige Mitwirkung trotz Aufforderung nicht geleistet habe.

    Dem ist der Kindesvater im Ergebnis nicht entgegengetreten. Ihm ist es dabei nicht anzulasten, dass er zunächst davon ausging, die in der Anhörung am 16. Februar 2017 erteilte Vollmacht reiche aus. Denn nach Bemerken dieses Missverständnisses hat er der Kindesmutter am 22. November 2017 nochmals eine umfassende, nunmehr öffentlich beglaubigte Vollmacht erteilt.

    Dennoch ist dem Kindesvater die auch bei Erteilung einer Vollmacht erforderliche Kooperation nicht gelungen, als die erteilte Vollmacht für konkrete Rechtsgeschäfte der Kindesmutter nicht ausreichte. Dabei kann dahinstehen, ob die Kindesmutter den Kindesvater vor Einleitung des hiesigen Verfahrens ausreichend zu den entsprechenden Mitwirkungshandlungen aufgefordert hat. Insbesondere bedarf der Streit um die ordnungsgemäße Zustellung der von der Kindesmutter aufgeführten Aufforderungsschreiben keiner Entscheidung. Denn selbst wenn der Kindesvater diese Aufforderungen nicht erhalten hat, so erhielt er spätestens mit Einleitung dieses Verfahrens im November 2017 Kenntnis von den von ihm an die Kindesmutter zu übermittelnden Unterlagen.

    Eben diese Erklärungen und Unterlagen, insbesondere eine Kopie seines Personalausweises, hat er bis heute nicht an die Kindesmutter übermittelt. Im amtsgerichtlichen Verfahren hat er lediglich auf die nunmehr öffentlich beglaubigte Vollmacht verwiesen. Eine Übermittlung ist auch im Beschwerdeverfahren nicht geschehen, obwohl das Amtsgericht sich in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf gestützt hat, der Kindesvater habe die für die Anmeldung zur Kindertagesstätte sowie die Rechtshandlungen gegenüber dem Standesamt und Konsulat erforderlichen Erklärungen und Unterlagen nicht abgegeben. Auch vor Erlass der Entscheidung des Senats am 27. Februar 2019 hat der Kindesvater gerade nicht darauf verwiesen, die erforderlichen Unterlagen nunmehr an die Mutter übermittelt zu haben. Dies ist auch nach Erlass der Entscheidung des Bundesgerichtshofs am 29. April 2020 bis heute nicht geschehen, obwohl dieser ebenfalls ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass sich die Vollmacht im Rechtsverkehr als nicht ausreichend erwiesen habe, weshalb vom Kindesvater zu verlangen gewesen sei, die von seiner Seite noch notwendige Mitwirkung zu leisten (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 41 ff. = FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184).

    Vor diesem Hintergrund kann das vom Bundesgerichtshof auch bei Vorliegen einer umfassenden Vollmacht für erforderlich erachtete Mindestmaß elterlicher Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit nicht mehr festgestellt werden. Ebenso wenig kann erwartet werden, dass durch die erteilte Vollmacht künftig Streit zwischen den Eltern vermieden werden kann.

    Danach kann dahinstehen, dass der Kindesvater auch die vom Bundesgerichtshof trotz Erteilung einer Vollmacht für erforderlich angesehene Kontrolle (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 33 = FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184) mangels Kontakt zu Mutter und Sohn gegenwärtig - wenn auch unverschuldet - nicht ausüben kann.

    Das Sorgerecht ist in Übereinstimmung mit der Empfehlung der Mitarbeiterin des Jugendamts und im Einklang mit der Einschätzung der Verfahrensbeiständin der Antragstellerin zu übertragen. Vorname2 lebt seit seiner Geburt im (…) 2012 bei seiner Mutter und wird von dieser - auch nach Einschätzung des Kindesvaters - angemessen versorgt. Diese trifft alle wesentlichen Entscheidungen für ihn; sein Vater hat ihn seit vielen Jahre nicht mehr gesehen und kennt wesentliche Aspekte aus dem Leben seines Sohnes nicht. Eine Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter entspricht damit der Kontinuität der Betreuung und Erziehung des Kindes ebenso wie den Bindungen des Kindes.

    Von einer Anhörung des Kindes im Sorgerechtsverfahren war abzusehen.

    Gemäß § 159 Abs. 2 FamFG ist das Kind persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründe:n angezeigt ist. Die Neigungen, Bindungen und der Kindeswille sind gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls, so dass in Verfahren betreffend das Sorgerecht regelmäßig eine Anhörung auch des unter 14 Jahre alten Kindes erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2016 - XII ZB 419/15, juris Rn. 44 ff. = FamRZ 2016, 1439 = BGHZ 211, 22: mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Anhörung des ca. 7 Jahre alten Kindes nachzuholen sei).

    Eben diese Umstände sind vorliegend allerdings nicht entscheidungserheblich. Die Entscheidung beruht nicht auf etwaigen Neigungen und Bindungen des Kindes sowie dessen Willen, sondern ausschließlich auf der fehlenden Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Kindeseltern. Zudem sind aufgrund der besonderen Konstellation keine Erkenntnisse über die Neigungen und die Bindungen des Kindes zu seinem Vater zu erwarten. Vorname2 kennt seinen Vater nicht bzw. jedenfalls nicht mehr, er weiß gegenwärtig auch nicht, dass dieser sein Vater ist. Entsprechend hat er bislang noch keine Neigungen zu und Bindungen an seinen Vater entwickeln können. Deshalb bedarf es vorliegend ausnahmsweise keines persönlichen Eindrucks von dem Kind. Entsprechend hat der Bundesgerichtshof - anders als in seiner Entscheidung vom 15. Juni 2016 (XII ZB 419/15, juris Rn. 44 ff. = FamRZ 2016, 1439 = BGHZ 211, 22) - im vorliegenden Verfahren zwar ausdrücklich auf das Erfordernis der Nachholung der Anhörung der Kindeseltern, nicht aber einer Anhörung des Kindes hingewiesen (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - XII ZB 112/19, juris Rn. 44 = FamRZ 2020, 1171 = BGHZ 225, 184).

    Der Kindesmutter ist gemäß § 1666 Abs. 3 BGB aufzugeben, ihren Sohn umgehend über seine wahre Abstammung zu unterrichten. Dieser verfügt über die hierfür erforderliche Verstandesreife.

    Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht gemäß § 1666 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Dabei enthält § 1666 Abs. 3 nur eine beispielhafte Auflistung der möglichen Maßnahmen („insbesondere“). Als solche kommen daher auch Ge- und Verbote in anderen als den in § 1666 Abs. 3 Nr. 1-6 angeführten Bereichen in Betracht (Veit, in: BeckOK BGB, 56. Edition, Stand: 1.11.2019, § 1666 Rn 112).

    Eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes liegt vor, wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt. An den Grad der Wahrscheinlichkeit dieser Gefährdung sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist. Für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit sind konkrete Verdachtsmomente erforderlich. Die Gefährdung muss nachhaltig und schwerwiegend sein; eine abstrakte Gefährdung reicht nicht aus. (BGH, Beschluss vom 23. November 2016 - XII ZB 149/16, juris Rn. 13 = FamRZ 2017, 212 = BGHZ 213, 107; Lugani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1666 Rn 50 ff.).

    Es obliegt zwar grundsätzlich der Verantwortung der (rechtlichen) Eltern, wann und in welcher Form sie ihr minderjähriges Kind über Besonderheiten seiner Herkunft informieren (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - XII ZB 280/15, juris Rn. 53 = FamRZ 2016, 2082 = BGHZ 212, 155). Für die Entwicklung des Kindes ist neben seiner Abstammung und neben der Qualität der Beziehung zu seinen jeweiligen Bezugspersonen allerdings auch das Wissen und die Gewissheit von maßgeblicher Bedeutung, zu wem es gehört, welcher Familie es zugeordnet ist und wer als Mutter oder Vater Verantwortung für es trägt. Nur dies schafft personale und rechtliche Sicherheit für das Kind, die ihm die Grundrechtsnorm über das Elternrecht vermitteln soll (BVerfG, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvR 1493/96, juris Rn. 59 = FamRZ 2003, 816 = BVerfGE 108, 82). Die Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene leibliche Abstammung kann deshalb die freie Entfaltung der Persönlichkeit spezifisch gefährden (BVerfG, Urteil vom 19. April 2016 - 1 BvR 3309/13, juris Rn. 34 = FamRZ 2016, 877 = BVerfGE 141, 186). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt daher auch vor deren Vorenthaltung (BVerfG, Urteil vom 19. April 2016 - 1 BvR 3309/13, juris Rn. 38 = FamRZ 2016, 877 = BVerfGE 141, 186).

    Verschweigt die Mutter ihrem Kind die Identität des Vaters, erscheint unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten daher eine Maßnahme nach § 1666 BGB gegen die Mutter gerechtfertigt, weil das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung einen entsprechenden Auskunftsanspruch begründet (Lugani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 1666 Rn 113 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvR 1493/96, juris Rn. 69 = FamRZ 2003, 816 = BVerfGE 108, 82; Urteil vom 19. April 2016 - 1 BvR 3309/13, juris Rn. 34 ff. = FamRZ 2016, 877 = BVerfGE 141, 186; Rauscher, in: Staudinger, Neubearbeitung 2011, § 1589 Einleitung Rn. 110 ff.; Siede, in: Palandt, 80. Auflage 2021, Einführung zu § 1591 Rn. 2; eingehend m.w.N. zum Auskunftsanspruch Straub, Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung und seine Einbettung in das Abstammungsrecht). Dies gilt nicht nur, wenn die Person des Vaters allgemein unbekannt ist, sondern auch und gerade dann, wenn die Kindesmutter dem Kind die Identität seines der Umwelt bekannten - leiblichen und rechtlichen - Vaters vorenthält und es stattdessen in dem Glauben lässt, dass ein anderer Mann sein Vater sei.

    Unabhängig davon besteht eine weitere konkrete Kindeswohlgefährdung. Die Person des Kindesvaters ist vorliegend nicht ausschließlich die Kindesmutter, sondern vielmehr allgemein bekannt. Es besteht daher die - stetig wachsende - Gefahr, dass Vorname2 von anderer Seite von der leiblichen und rechtlichen Vaterschaft des Antragsgegners erfährt. Vorname2 kann lesen und schreiben. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass er zufällig Kenntnis von an die Kindesmutter gerichteten Schreiben nimmt. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die zwischen den Kindeseltern geführten kindschaftsrechtlichen Verfahren, sondern ebenso für Schreiben des Standesamtes oder des Konsulats, mit denen die Kindesmutter gegenwärtig wegen der geplanten Vornamensänderung bzw. der Einbenennung ihres Sohnes sowie der Eintragung der kroatischen Staatsangehörigkeit in Austausch steht.

    Auch in der Schule dürfte spätestens nach der Anmeldung von Vorname2 bekannt sein, wer sein Vater ist, denn die Kindesmutter hat in der Anhörung am 11. Dezember 2020 ausgeführt, dass ihr die Anmeldung ihres Sohnes unter Vorlage der erstinstanzlichen Entscheidung gelungen sei. Aus dem Rubrum dieser Entscheidung ist ersichtlich, dass Vater des Kindes nicht der Ehemann der Kindesmutter, sondern der Antragsgegner des vorliegenden Verfahrens ist. Sollte die Kindesmutter nicht alle Lehrer über die von ihr geschaffene Situation informiert haben und neu hinzutretende Kollegen nicht regelmäßig hiervon in Kenntnis setzen, besteht die Gefahr, dass Vorname2 in der Schule erfährt, wer sein wirklicher Vater ist. Gleiches gilt, sollte die Lehrerschaft sich an die Wünsche der Kindesmutter nicht gebunden fühlen.

    Zuletzt besteht die Möglichkeit, dass Vorname2 von anderer Seite - zufällig oder absichtlich - Kenntnis über seine Abstammung erlangt.

    Es ist zu besorgen, dass eine unvorbereitete Kenntniserlangung von dritter Seite Vorname2 in seinem (Grund-) Vertrauen in seine Mutter und insbesondere in seinen sozialen Vater massiv verletzen würde. Die aus dieser Verletzung möglicherweise entstehenden psychischen Folgen für das Kind sind nicht absehbar. Allerdings steht zu befürchten, dass Vorname2 in ihrer Folge auf psychologische Unterstützung angewiesen sein könnte, eine Folge, welche die Kindesmutter nach ihren eigenen Worten in der Anhörung am 11. Dezember 2020 zum Wohl ihres Kindes unbedingt vermeiden möchte.

    Eine weitere, eigenständige Kindeswohlgefährdung folgt zuletzt daraus, dass dem von Vorname2s Vater seit 2017 erstrebten Umgang mit seinem Sohn gegenwärtig die fehlende Kenntnis über seine Abstammung entgegensteht. Nicht nur der Antragsgegner ist als leiblicher und rechtlicher Vater berechtigt und verpflichtet, Umgang mit seinem Sohn auszuüben (sogenanntes Pflichtrecht). Umgekehrt hat auch sein Sohn ein Recht auf Umgang mit seinem Vater, § 1684 BGB. Dies fußt auf der Annahme, dass der Umgang mit seinen Eltern regelmäßig dem Wohl des Kindes und dessen gedeihlicher Entwicklung dient, § 1626 Abs. 3 S. 1 BGB. In diesem Recht droht Vorname2 infolge der fehlenden Aufklärung über seine Abstammung nachhaltig verletzt zu werden. Gegenwärtig ist nicht ersichtlich, dass dem Umgang andere Umstände als die fehlende Kenntnis des Kindes von seiner Abstammung entgegenstehen. Insbesondere erstrebt der Kindesvater mittlerweile nur noch einen begleiteten Umgang, so dass die von der Kindesmutter mit seiner Persönlichkeit und seiner allgemeinen Lebenssituation begründeten Bedenken gegen einen Umgang des Kindes mit seinem Vater der Grundlage entbehren.

    Die festgestellten Gefährdungen des Kindeswohls von Vorname2 gebieten es, der dringenden Empfehlung der Vertreterin des Jugendamts sowie der Verfahrensbeiständin zu folgen und der Kindesmutter aufzugeben, ihren Sohn umgehend über seine wahre Abstammung und die Person seines Vaters zu unterrichten. Sie ist mit ihrem Sohn am engsten verbunden und kann daher - gegebenenfalls mit Hilfe sachverständiger (psychologischer) Unterstützung - am besten einschätzen, wie sie ihren Sohn so schonend wie möglich über seine wahre Abstammung unterrichtet.

    Mildere Mittel, beispielsweise eine bloße Anregung oder Ermahnung, kommen nicht in Betracht. Die Kindesmutter ist der von ihr in der Anhörung am 16. Februar 2017 selbst übernommenen Verpflichtung zur Aufklärung ihres Sohnes seit mehr als drei Jahren nicht nachgekommen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sie die Aufklärung ohne entsprechende Auflage umgehend durchführen wird. Im Anhörungstermin am 11. Dezember 2020 hat die Kindesmutter vielmehr erklärt, ihren Sohn erst im Alter zwischen zehn und zwölf, also in zwei bis vier Jahren, über seine wahre Abstammung unterrichten zu wollen.

    Ein Abwarten bis zu diesem Zeitpunkt scheidet allerdings aus. Zwar hat die Kindesmutter darauf hingewiesen, dass unter Berücksichtigung der kindlichen Entwicklung derzeit nicht der ideale Zeitpunkt für eine Aufklärung sei. Es ist allerdings dringend geboten, ihn umgehend aufzuklären und ihn auf diese Weise vor unvorbereiteten Informationen zu bewahren. Mit der Aufklärung von Vorname2 durch seine Mutter geht daher gerade keine Kindeswohlgefährdung einher, vielmehr stellt sie das Mittel dar, der - auch von der Kindesmutter letztlich befürchteten - Gefährdung seines Wohls zu begegnen.

    Vorname2 verfügt über die vom Bundesgerichtshof vorausgesetzte Verstandesreife für eine Aufklärung (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - XII ZB 280/15, juris Rn. 55 = FamRZ 2016, 2082 = BGHZ 212, 155). Er ist acht Jahre alt und bei kindgemäßer Erklärung in der Lage zu begreifen, dass sein sozialer und sein rechtlicher und leiblicher Vater personenverschieden sind. Aus seinem persönlichen Umfeld, beispielsweise von Klassenkameraden und Freunden, sind ihm bereits Konstellationen vertraut, in denen Kinder mehrere „Mütter“ oder „Väter“ haben, etwa wenn sich die Eltern getrennt und neuen Partnern zugewandt haben. Gegenwärtig versteht er zwar noch die Menschen als seine „Eltern“, die ihm Mutter und (sozialer) Vater sind. Da er den Elternbegriff kindgerecht einordnen kann, kann er bei entsprechender Erklärung auch verstehen, dass er zusätzlich zu diesen Eltern einen weiteren Elternteil hat, nämlich einen Vater, von dem er tatsächlich abstammt und dem die rechtliche Elternschaft zusteht. Eben hierin liegt ja auch die Gefahr begründet, wenn Vorname2 versehentlich und ohne entsprechende behutsame Begleitung durch seine Mutter durch Dritte über seine Abstammung informiert werden würde. Er würde eine unbedachte Äußerung, dass nicht der von ihm als Vater erlebte Ehemann der Kindesmutter, sondern ein anderer Mann sein Vater ist, ohne weiteres begreifen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben, zumal keine der in § 81 Abs. 2 FamFG genannten Konstellationen vorliegt. Die Kostenentscheidung umfasst neben den Kosten der ersten und zweiten Instanz auch die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, da der Bundesgerichtshof die Sache auch zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Oberlandesgericht zurückverwiesen hat. Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 40, § 45 Abs. 1 Ziff. 1 FamGKG.