OLG Frankfurt vom 30.11.2021 (8 UF 59/21)

Stichworte: Gehörsrüge; Anhörungsrüge; Hinweispflicht
Normenkette: FamFG 44
Orientierungssatz: Eine unzureichend begründete Gehörsrüge nach § 44 FamFG kann unmittelbar als unzulässig verworfen werden. Eine vorherige Hinweispflicht besteht nicht (a. A.:Ulrici, Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018); sie würde dem Ausnahmecharakter des § 44 FamFG zuwiderlaufen.

61 F 1902/20
AG Hanau

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Römer, Richterin am Oberlandesgericht Dr. von Pückler sowie Richterin am Amtsgericht (abg.) Dr. Brümmer–Pauly am 30. November 2021 beschlossen:

Die Gehörsrügen der Eltern vom 19. und 20. Juli 2021 gegen den Beschluss des Senats vom 25. Juni 2021 werden als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rügeverfahrens werden den Eltern auferlegt.

Gründe:

I.

Die Eltern der … 2004 geborenen T wenden sich mit ihren Anhörungsrügen gegen den Beschluss des Senats vom 25. Juni 2021, mit dem ihre Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Hanau vom 2. März 2021 zurückgewiesen wurde.

T befindet sich seit dem 26. Mai 2020 wegen einer anhaltenden schweren depressiven Episode und einer emotionalen Störung des Jugendalters in stationärer Behandlung. Nachdem zwischen Klinik und Eltern über Monate hinweg kein Einvernehmen über eine medikamentöse Behandlung sowie eine anschließende rehabilitative Maßnahme erzielt werden konnte, entzog das Amtsgericht den Eltern im Rahmen der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitssorge und Antragstellung nach dem Jugendhilferecht und ordnete insoweit Ergänzungspflegschaft an.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens begehrten die Eltern die Aufhebung des Beschlusses. Ihre Tochter leide seit Einnahme der Medikamente unter schweren depressiven Schüben und Herzrhythmusstörungen. Die Anwendbarkeit der verabreichten Medikamente Quetiapin und Fluotexin bei der Jugendlichen könne nur durch ein Sachverständigengutachten, welches beantragt werde, geklärt werden.

Der Senat hat die Beschwerde – nach vorherigem Hinweis auf ihre mangelnde Erfolgsaussicht – mit Beschluss vom 25. Juni 2021 zurückgewiesen. Die Eltern seien aktuell nicht in der Lage, der aufgrund der psychischen Erkrankung bereits eingetretenen Gefährdung des Kindeswohls wirksam zu begegnen. In ihrer großen Sorge vor schädlichen Nebenwirkungen der Medikamentierung zeigten sie sich geradezu gelähmt darin, überhaupt eine Entscheidung über die weitere Behandlung zu treffen, sich um eine wirksame Behandlungsalternative zu kümmern, oder auch nur eine Zweitmeinung einzuholen. Die auch im Beschwerdeverfahren fortdauernde Entscheidungshemmung habe zu einer Chronifizierung der Symptomatik geführt.

Der Senatsbeschluss wurde den Eltern am 6. Juli 2021 zugestellt. Mit am 19. Juli 2021 eingegangenem Schreiben haben die Eltern persönlich hiergegen die Anhörungsrüge erhoben.

Die Eltern tragen zur Begründung der Gehörsrüge im Wesentlichen erneut ihre erheblichen Bedenken gegen die Behandlung mit Quetiapin vor. Es gehe ihnen nicht darum, irgendwelche Behandlungen abzubrechen, sondern sie zu überdenken. Gegebenenfalls seien Behandlungsalternativen sinnvoller oder man könnte die Medikamente absetzen oder niedriger dosieren.

Mit am 20. Juli 2021 per Fax vorab eingegangenem Schriftsatz hat der Bevollmächtigte der Eltern ebenfalls Gehörsrüge erhoben und beantragt, den Eltern die elterliche Sorge für T in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitssorge unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Hanau vom 2. März 2021 zu übertragen. Den Eltern werde erstmals im Senatsbeschluss vorgeworfen, sich nicht um eine alternative Behandlungsmethode gekümmert zu haben. Sowohl in den Stellungnahmen des Jugendamts als auch der Verfahrensbeiständin hätten sie keinen Hinweis auf die Notwendigkeit der Benennung einer solchen alternativen Behandlungsmethode erhalten. In dieser besonderen emotionalen Situation seien die Eltern hierzu auch gar nicht in der Lage gewesen. Der Vorwurf einer „Entscheidungshemmung“ ergebe sich auch nicht aus dem mit Verfügung vom 7. Mai 2021 erteilten Hinweis.

Die weiteren Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

II.

Die Anhörungsrügen sind statthaft und fristgerecht eingelegt, § 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, S. 3 FamFG. Gleichwohl waren sie als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht in der gesetzlichen Form erhoben worden sind. Eine Fortsetzung des Verfahrens (§ 44 Abs. 5 FamFG) und eine erneute Entscheidung über die Beschwerde kommen daher nicht in Betracht.

Gemäß § 44 Abs. 2 S. 4, Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FamFG muss die Rügeschrift darlegen, dass das Gericht den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Dies setzt voraus, dass der Rügeführer Tatsachen darlegt, aus denen sich die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs ergibt, und den Sachvortrag nachholt, der bei ordnungsgemäßer Gewähr rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre. Aus diesem muss sich ergeben, dass das Gericht bei Berücksichtigung dieses Vortrags und einer auf Grund dessen möglicherweise gebotenen weiteren Sachaufklärung zu einer für den Rügeführer günstigeren Entscheidung hätte kommen können (BVerfG, Beschluss vom 25.01.2018 – 2 BvR 1362/16, juris, Rn. 16 = NJW 2018, 1077; BGH, Beschluss vom 21.11.2007 – IV ZR 321/05, juris, Rn. 3 = NJW 2008, 378; OLG München, Beschluss vom 24. Februar 2016 – 34 Wx 394/15, juris, Rn. 6 - 7; Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 44 FamFG, Rn. 4).

Diesen Voraussetzungen werden die Rügeschriften nicht gerecht. Aus dem Vortrag der Eltern ergibt sich schon nicht, welches Vorbringen der Senat vor Erlass des Beschlusses vom 25. Juni 2021 überhaupt übergangen haben soll. Das Schreiben vom 19. Juli 2021 erschöpft sich in einer ausführlichen Wiederholung der im Verlauf des Verfahrens durchweg geäußerten Bedenken, welche die Eltern an der bisherigen Behandlung ihrer Tochter, insbesondere an der Anwendung des Medikaments Quetiapin, hegen. Soweit die Eltern mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 20. Juli 2021 die Auffassung vertreten, dass der Senat zu dem Aspekt der Klärung einer Alternativbehandlung einen vorherigen Hinweis hätte erteilen müssen, fehlt jeglicher Vortrag dazu, welche konkrete Reaktion ihrerseits – mit Ausnahme der schon vielfach erwähnten Absetzung der Medikamente – hierauf erfolgt wäre. Vielmehr wird selbst bekräftigt, dass die Eltern hierzu gar nicht in der Lage gewesen seien. Auch aktuell können die Eltern nicht benennen, welche Behandlung für ihre psychisch schwer erkrankte Tochter sie eigentlich für richtig und zielführend halten.

Eines vorherigen Hinweises auf die Unzulässigkeit der erhobenen Anhörungsrüge bedurfte es nicht. Soweit das Erfordernis einer generellen Hinweispflicht vertreten wird (Ulrici, Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 44, Rn. 22; einschränkend „nur ausnahmsweise“: Oberheim, in: Schulte-Bunert, Weinreich, Kommentar des FamFG, 6. Aufl. 2020, § 44, Rn. 49), folgt der Senat dem nicht.

Bei der Rüge nach § 44 FamFG handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtbehelf eigener Art (vgl. Ulrici, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 44, Rn. 9). Sie ist kein Rechtsmittel, sondern ein „Annex“ zum Hauptsacheverfahren und dient der Umsetzung des mit Art. 103 Abs. 1 GG gewährten Rechts auf Beseitigung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Fachgerichte (BVerfG, Beschluss vom 4. April 2007 – 1 BvR 66/07, juris, Rn. 10 f. = NJW 2007, 2242). Zwar hemmt ihre Erhebung weder die Rechtskraft, noch steht die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung der Rüge entgegen (zu § 321a ZPO: Vollkommer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 321a, Rn. 2). Stellt sich jedoch heraus, dass die Rüge begründet ist, wird – ähnlich einer Wiedereinsetzung oder Wiederaufnahme des Verfahrens – die Rechtskraft durchbrochen und das Verfahren nach § 44 Abs. 5 FamFG fortgesetzt (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2005 – III ZR 263/04, juris, Rn. 9 = NJW 2005, 1432).

Eine generelle Hinweispflicht zur Unzulässigkeit einer erhobenen Gehörsrüge nach § 28 FamFG würde dem Ausnahmecharakter der Norm zuwiderlaufen. Sie wäre im Ergebnis unvereinbar mit den engen Fristen des § 44 Abs. 2 S. 1, S. 4 FamFG, die dem Interesse der Beteiligten an zeitnaher Rechtssicherheit dienen.

Gemäß § 44 Abs. 2 S. 1, S. 4 FamFG ist die Gehörsrüge nicht nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der behaupteten Verletzung zu erheben, sondern auch zu begründen. Die vorgeschriebene Begründung kann nach Fristablauf nicht nachgeholt werden, auch nachgeschobene Gründe:sind nicht zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – V ZB 44/15, juris, Rn. 5). Möglich ist allenfalls eine Ergänzung fristgemäß vorgebrachter Gründe:(BGH, Beschluss vom 15. Juli 2010 – I ZR 160/07, juris, Rn. 16, 17; Ulrici, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 44, Rn. 15). Wäre das Gericht bei nicht ausreichender Begründung zu einer entsprechenden Hinweiserteilung verpflichtet, wäre die dann einzuräumende Stellungnahmefrist zwangsläufig durch diese Zwei-Wochen-Frist begrenzt, was in der Regel kaum umsetzbar ist. So verhält es sich hier: Da die Rügeschrift des Verfahrensbevollmächtigten erst am Tag des Fristablaufs eingegangen ist, wäre angesichts der Fristbestimmung des § 44 Abs. 2 S.1, S.4 FamFG ein Hinweis auf die Unzulässigkeit ins Leere gelaufen.

Dass die Anforderungen an die Zulässigkeit einer Rüge damit höher sind als bei der Beschwerde (Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG Kommentar, 5. Aufl. 2020, § 44, Rz. 15), ist angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm hinzunehmen. Hilft das Gericht auf eine ungenügend begründete Anhörungsrüge einer vermeintlichen Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht ab, ist nämlich der mit § 44 FamFG verfolgten Intention des Gesetzgebers Genüge getan und eine Verfassungsbeschwerde zulässig (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2010 – 1 BvR 2157/10, juris, Rn. 26 = FamRZ 2011, 272; Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG Kommentar, 5. Aufl. 2020, § 44, Rz. 15).

Zuletzt kommt dem Gedanken, dass durch einen Hinweis auf eine Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs regelmäßig auch die Möglichkeit einer kostenersparenden Rücknahme eröffnet werden soll (zur Beschwerde: Dürbeck in: Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2. Aufl. 2020, § 68 FamFG, Rn. 4), bei der Gehörsrüge keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts ist hier bereits durch die Verfahrensgebühr abgegolten (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 RVG) und an Gerichtskosten fällt ein Festgebühr von lediglich 60,00 Euro an (Nr. 1800 KV FamGKG).

Soweit vorliegend die Eltern im Übrigen davon ausgehen, ihre Erziehungsfähig-keit wieder soweit hergestellt zu haben, dass sie zu einer verantwortungsvollen Entscheidung über die weitere Behandlung ihrer Tochter in der Lage sind, wäre dies nicht im Rahmen der Gehörsrüge, sondern gegebenenfalls im Rahmen ei-nes Abänderungs- oder Hauptsacheverfahrens geltend zu machen.

Die Kosten des Rügeverfahrens waren entsprechend § 84 FamFG den Eltern aufzuerlegen; ein Verfahrenswert war wegen des Anfalls der Festgebühr nach Nr. 1800 KV FamGKG nicht festzusetzen.

Dr. Römer Dr. von Pückler Dr. Brümmer-Pauly