OLG Frankfurt vom 12.06.2020 (8 UF 278/19)

Stichworte: Scheidung; Lebensgemeinschaft, eheliche; Lebensmittelpunkt; Getrenntleben; Trennungsjahr; Versöhnungsversuch; Trennungswille; Verbundverfahren, Versorgungsausgleich
Normenkette: BGB 1567 Abs. 1 Satz 1; FamFG 137 Abs. 2; FamFG 146 Abs. 1 Satz 1
Orientierungssatz:
  • § 1567 Abs. 1 S. 1 BGB ist auch auf Ehen anwendbar, die entweder von vornherein oder ab einem späteren Zeitpunkt ohne gemeinsamen räumlichen Lebensmittelpunkt geführt werden. Ein Getrenntleben im Sinne des § 1567 Abs. 1 BGB tritt in diesen Fällen erst dann ein, wenn ein Ehegatte das Motiv der Ablehnung der ehelichen Lebensgemeinschaft erkennbar macht (Anschluss an:BGH, Urteil vom 25.01.1989 - IVb ZR 34/88, NJW 1989, S. 1988).
  • Wenn eine Versorgungsausgleichssache im Scheidungsverbund von Amts wegen durchzuführen ist und bisher keine Auskünfte dazu eingeholt wurden, steht die Folgesache Versorgungsausgleich noch zur Entscheidung an i. S. d. § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG.
  • 536 F 217/18 S
    AG Wiesbaden

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Römer, Richterin am Oberlandesgericht Dr. von Pückler sowie Richter am Oberlandesgericht Köhler nach vorherigem Hinweis ohne weitere Verfahrensschritte gemäß §§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 S. 2 FamFG mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 22.05.2020 am 12.06.2020 beschlossen:

    Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 03.12.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wiesbaden vom 17.10.2019 und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht – Familiengericht – Wiesbaden zurückverwiesen.

    Der Beschwerdewert wird auf 15.975,- Euro festgesetzt.

    GRÜNDE:

    I.

    Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Scheidungsverfahrens um den Ablauf des Trennungsjahres.

    Sie schlossen am 28.05.1983 miteinander die Ehe, aus der keine Kinder hervorgegangen sind. Die 1951 geborene Antragstellerin ist Rentnerin. Der 1953 geborene Antragsgegner ist noch als Arzt selbständig tätig mit zwei allgemeinmedizinischen Praxen in … . Dort hat der Antragsgegner auch eine eigene Wohnung. Die Beziehung der Beteiligten kriselt schon längere Zeit. Zum Az. 536 F 54/16 S begehrte die Antragstellerin bereits im Jahr 2016 die Scheidung und trug dort vor, dass eine Trennung zum 01.01.2015 erfolgt sei. Im dortigen Verfahren ging der Antragsgegner davon aus, dass die damalige Trennung im April 2016 erfolgt sei. Im dortigen Verfahren einigten sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht im April 2017 auf einen erneuten Versöhnungsversuch, woraufhin das damalige Verfahren beendet wurde. Die Beteiligten schlossen einen Mietvertrag bezüglich der aktuellen Wohnung der Antragstellerin mit Wirkung vom 01.07.2017, in dem beide Beteiligte als Mieter benannt sind. Der Antragsgegner zahlt die Miete dieser Wohnung. Die Antragstellerin wohnt dort überwiegend allein. Der Antragsgegner nutzte diese Wohnung zunächst mittwochs und hin und wieder am späten Freitagabend, um dort zu übernachten, wobei dies auf dem Schlafzimmersofa bzw. in einem eigenen Zimmer erfolgte. Jedenfalls seit Februar 2019 ist es auch nach Angaben des Antragsgegners nur zu einer Übernachtung in der Wohnung gekommen. Wie häufig der Antragsgegner sich im Einzelnen vor Februar 2019 und auch nach Februar 2019 in der Wohnung aufgehalten hat, ist im Einzelnen streitig zwischen den Beteiligten.

    Die Antragstellerin behauptet unter Beweisantritt, dass sich der Antragsgegner einer anderen Frau zugewandt habe.

    Die Antragstellerin beantragt, die Ehe der Beteiligten zu scheiden.

    Der VKH-Antrag zum Scheidungsantrag wurde dem Antragsgegner Ende September 2018 übermittelt und der Scheidungsantrag wurde dem Antragsgegner am 02.11.2018 zugestellt.

    Der Antragsgegner beantragt, den Scheidungsantrag zurückzuweisen.

    Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Scheidungsantrag zurückgewiesen. Es ging davon aus, dass der Vortrag der Antragstellerin zum Trennungszeitpunkt widersprüchlich sei, dass nach dem Versöhnungsversuch in 2017 kein eindeutiger, nach außen sichtbarer Zeitpunkt einer Trennung in der besonderen Konstellation dieser Ehe erkennbar sei und dass die Ehegatten noch wirtschaftlich verflochten seien. Den Beweisangeboten der Antragstellerin sei nicht nachzugehen, da diese nicht zu einem konkreten Beweisthema benannt seien. Wegen des weiteren Inhalts wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

    Der Beschluss wurde der Antragstellerin am 08.11.2019 zugestellt.

    Mit der am 05.12.2019 beim Amtsgericht eingegangenen und am 06.01.2020 gegenüber dem Oberlandesgericht begründeten Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, dass der im Vorverfahren angedachte Versöhnungsversuch schon kurze Zeit nach dem Umzug der Antragstellerin in ihre bisherige Wohnung im Juli 2017 gescheitert gewesen sei und die gelegentlichen Aufenthalte des Antragsgegners in ihrer Wohnung kein Fortbestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft darstellten. Seit diesem Zeitpunkt hätten keine gemeinsamen Reisen, Ausflüge oder eine Pflege des gemeinsamen Freundes- oder Bekanntenkreises mehr stattgefunden. In ihrer Wohnung befänden sich keinerlei persönliche Gegenstände des Antragsgegners. Aufgrund ihrer Einkommenssituation habe die Antragstellerin nicht die Möglichkeit, eine (andere) eigene Wohnung anzumieten. Die finanziellen Leistungen des Antragsgegners seien bezüglich der Frage der Trennung nicht relevant. Im Übrigen habe der Antragsgegner selbst im Trennungsunterhaltsverfahren der Beteiligten vor dem Amtsgericht Wiesbaden zu Az. 536 F 31/19 UE mit Schriftsatz vom 23.10.2018 eingeräumt, dass es in der Tat richtig sei, dass die Parteien seit Monaten voneinander getrennt lebten.

    Sie beantragt,

    die Sache unter Aufhebung des Beschlusses vom 07.11.2019 zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG – Familiengericht Wiesbaden zurückzuverweisen.

    Der Antragsgegner beantragt,

    die Beschwerde zurückzuweisen.

    Er verteidigt den angefochtenen Beschluss. Es lägen keine objektiven Kriterien vor, wonach sich deutlich die Trennung ergäbe. Die Angaben zum Trennungszeitpunkt im Unterhaltsverfahren beruhten auf einem Missverständnis der anwaltlichen Vertretung des Antragsgegners.

    Mit Beschluss vom 01.04.2020 hat der Senat darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, auf die Beschwerde den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

    In der gesetzten Frist erfolgte keine Stellungnahme der Beteiligten.

    II.

    Auf die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, §§ 117, 58 ff. FamFG, waren gemäß § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG die Entscheidung des Amtsgerichts sowie das zugrundeliegende Verfahren aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, weil entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ein Getrenntleben der Ehegatten im Sinne des § 1567 Abs. 1 S. 1 BGB als Voraussetzung für das Scheitern der Ehe nach § 1565 Abs. 1 BGB vorliegt.

    Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten hatten diese in den letzten Jahren keinen gemeinsamen Lebensmittelpunkt mehr. Der Antragsgegner wohnt überwiegend in … , die Antragstellerin in … .

    § 1567 Abs. 1 S. 1 BGB ist aber auch auf Ehen anwendbar, die entweder von vornherein oder ab einem späteren Zeitpunkt ohne gemeinsamen räumlichen Lebensmittelpunkt geführt werden (Jaeger/Hamm in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, 6. Auflage 2015, § 1567 BGB Rn. 29). Es gibt weder einfachgesetzlich noch verfassungsrechtlich Gründe:, solchen Modellen von ehelicher Lebensgemeinschaft die Darlegung der Scheidungsvoraussetzungen im Vergleich zu Ehemodellen mit häuslicher Lebensgemeinschaft zu erschweren. Wenn Ehegatten nach ihrem Lebensplan nicht in häuslicher Gemeinschaft leben, ergeben sich aber besondere Anforderungen an die Erkennbarkeit des Trennungswillens (Rauscher in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 1567 Rn. 109). Ein Getrenntleben im Sinne des § 1567 Abs. 1 BGB tritt in diesen Fällen erst dann ein, wenn ein Ehegatte das Motiv der Ablehnung der ehelichen Lebensgemeinschaft erkennbar macht (Rauscher in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 1567 Rn. 110).

    Insoweit gilt nach Ansicht des BGH, der sich der Senat anschließt, für Fallgestaltungen von nicht (mehr) bestehenden häuslichen Lebensgemeinschaften:

    „Maßgebend ist insoweit, ob ein Trennungswille besteht, der in derartigen Fällen nicht die Ablehnung der - ohnehin nicht bestehenden und nicht erreichbaren - häuslichen Gemeinschaft, sondern die Aufgabe der bisher noch rudimentär verwirklichten Lebensgemeinschaft betrifft. Das Gesetz verlangt, dass dieser Trennungswille erkennbar ist. Zum Getrenntleben kommt es daher, wenn der trennungswillige Ehegatte diese Verhaltensabsicht unmissverständlich zu erkennen gibt.“ (BGH, Urteil vom 25.01.1989 - IVb ZR 34/88, NJW 1989, S. 1988 <1989>).

    Auch ohne vorherige Kundgabe des Scheidungswillens gegenüber dem anderen Ehepartner reicht die Einreichung des Scheidungsantrags dabei grundsätzlich als hinreichende Äußerung des Trennungswillens aus (Jaeger/Hamm in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, 6. Auflage 2015, § 1567 BGB Rn. 30; Weber in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 1567 BGB Rn. 43).

    Die Antragstellerin hat vorliegend mit der Stellung ihres Scheidungsantrages ihren Trennungswillen hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Mit der Kenntnis des Antragsgegners vom Scheidungsantrag der Antragstellerin liegt eine eindeutige Kundgabe ihres Trennungswillens und mithin jedenfalls seit Ende September 2018 ein Getrenntleben der Beteiligten im Rechtssinne vor.

    Daher war die Entscheidung des Amtsgerichts, durch die der Scheidungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen wurde, aufzuheben. In diesen Fällen ist gemäß § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG als Sonderregelung zu § 69 Abs. 1 S. 2 und 3 FamFG das Scheidungsverbundverfahren grundsätzlich an das Amtsgericht zurückzuverweisen, wenn dort eine Folgesache zur Entscheidung ansteht. Dies ist vorliegend der Fall, weil gemäß § 137 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 FamFG von Amts wegen der Versorgungsausgleich zwischen den Beteiligten zusammen mit der Scheidung zu regeln ist. Dabei reicht für die Formulierung „zur Entscheidung anstehen“ aus, dass über die Folgesache von Amts wegen nach § 142 Absatz 1 S. 1 FamFG zusammen mit dem Ausspruch der Scheidung zu entscheiden sein wird (OLG Dresden, Urteil vom 17.01.2003 - 10 UF 789/02, FamRZ 2003, S. 1193 <1194>; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.10.1980 - 16 UF 35/80, FamRZ 1981, S. 191 <192>; Weber in: Hahne/Schlögel/Schlünder, BeckOK FamFG, 33. Edition, Stand 01.01.2020, § 146 FamFG Rn. 6). Wenn – wie hier – die Auskünfte zum von Amts wegen durchzuführenden Versorgungsausgleich noch nicht vorliegen, steht die Folgesache noch im Sinne des § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG zur Entscheidung an (Henjes in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage 2018, § 146 FamFG Rn. 10).

    Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens war dem Amtsgericht zu übertragen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.03.2016 – 10 UF 87/15, FamRZ 2016, 1869, Leitsatz; Henjes in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage 2018, § 146 FamFG Rn. 21).

    Die Entscheidung über den Beschwerdewert ergibt sich aus §§ 55 Abs. 2, 40, 43 FamGKG. Ihr liegt der von keinem Beteiligten beanstandete Wertansatz der ersten Instanz zugrunde.

    Dr. Römer Dr. von Pückler Köhler