OLG Frankfurt vom 05.11.2019 (8 UF 152/19)

Stichworte: Zuständigkeit, international; Aufenthalt, gewöhnlicher; Umgang; Aufenthaltswechsel; perpetuatio fori
Normenkette: FamFG 65 Abs. 4; KSÜ 5 Abs. 2; KSÜ 7; EuEheVO 8 Abs. 1; EuEheVO 61 lit. a
Orientierungssatz:
  • Ungeachtet des § 65 Abs. 4 FamFG ist das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens und damit auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen.
  • Für den gewöhnlichen Aufenthalt kommt es auf Dauer, Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat sowie die Gründe:für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat an, wobei die Intention der Eltern, sich dauerhaft dort niederzulassen, zu berücksichtigen sein kann.
  • Ein Vorrang der EuEheVO gegenüber dem KSÜ besteht nur, wenn das betreffende Kind im Zeitpunkt der Sachentscheidung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, so dass nach einem Aufenthaltswechsel aus einem Mitgliedstaat der EuEheVO in einen Nichtmitgliedstaat, der aber Mitglied im KSÜ ist, keine Fortwirkung der Zuständigkeit (perpetuatio fori) in Betracht kommt.
  • 94 F 363/19
    AG Bad Homburg v.d.H

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend den Umgang

    hat der 8. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Römer, Richter am Amtsgericht (abg.) Dr. Fricke sowie Richter am Oberlandesgericht Köhler am 05.11.2019 beschlossen:

    Auf die Beschwerde vom 08.07.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bad Homburg vom 31.05.2019 aufgehoben und das Umgangsverfahren wird aufgrund fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte eingestellt.

    Gerichtskosten für das Verfahren der ersten und zweiten Instanz werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe:

    I.

    Die Kindesmutter und der Kindesvater haben am 17.01.2019 eine Vereinbarung dahingehend geschlossen, dass die Kindesmutter mit dem Kind in die Schweiz umziehen kann. Der Umzug ist dann auch tatsächlich erfolgt und ihr Kind besucht seit dem 01.03.2019 eine Schule in Genf.

    Das vorliegende Umgangsverfahren wurde am 01.04.2019 vom Kindesvater angeregt und in der Folge hat das Amtsgericht ein Umgangsverfahren eingeleitet.

    Das Amtsgericht hat nach Erörterung mit dem angefochtenen Beschluss seine internationale Zuständigkeit bejaht mit der Erwägung, dass der Aufenthalt des Kindes in der Schweiz noch nicht hinreichend gefestigt sei und dann eine ausführliche Umgangsregelung getroffen, auf die Bezug genommen wird.

    Mit ihrer Beschwerde macht die Kindesmutter (unter anderem) weiter die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte geltend.

    Der Senat hat mit Hinweisbeschluss vom 14.10.2019 darauf hingewiesen, dass die örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte vorliegend nicht gegeben und daher der angefochtene Beschluss aufzuheben sei.

    II.

    Auf die statthafte Beschwerde, §§ 58 ff. FamFG, war der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Umgangsverfahren einzustellen, weil die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht (mehr) gegeben ist.

    Im Einzelnen:

    Auch wenn nach § 65 Abs. 4 FamFG eine Beschwerde nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine (örtliche) Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, ist das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens und damit auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH FamRZ 2015, 2147; BGHZ 184, 269 = NJW 2010, 1351).

    Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung = EuEheVO) sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung einschließlich des Umgangsrechts, Art. 1 Abs. 2 lit. a EUEheVO, betreffen, an sich die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

    Für den autonom auszulegenden Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts kommt es zum einen auf Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat sowie die Gründe:für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat an (EuGH FamRZ 2009, 843; EuGH, Urteil vom 22.12.2010, C-497/10 PPU, juris). Dabei kann die Intention der Eltern, sich dauerhaft in einem Staat niederzulassen, auch zu berücksichtigen sein (EuGH FamRZ 2009, 843, Rn. 40).

    Hier haben die Kindeseltern mit der Vereinbarung am 17.01.2019, dass die Kindesmutter mit dem Kind in die Schweiz umziehen darf, die Intention bekundet, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes ändern soll. Mit der Umsetzung dieser Vereinbarung und dem Besuch der Schule in G ab dem 01.03.2019 wurde diese Intention auch praktisch umgesetzt, so dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes bei Einleitung des vorliegenden Verfahrens am 01.04.2019 bereits in der Schweiz war und damit deutsche Gerichte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr international zuständig waren.

    Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgte, hat das Kind mittlerweile nach über achtmonatigem Wohnen mit seiner Mutter in der Schweiz seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz begründet.

    Gegenüber Staaten, die nicht Mitgliedsstaaten der EU, aber Vertragsstaaten des KSÜ sind, gilt nicht die Fortwirkung einer einmal begründeten internationalen Zuständigkeit, sondern die internationale Zuständigkeit muss auch noch zum Zeitpunkt der Sachentscheidung gegeben sein, was vorliegend nicht der Fall ist. Die Schweiz ist kein Mitgliedsstaat der EU, aber Vertragsstaat des KSÜ. Gemäß Art. 61 lit. a EuEheVO besteht ein Vorrang der EuEheVO gegenüber dem KSÜ nur dann, wenn das betreffende Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. Dabei kommt es auf den Aufenthalt im Zeitpunkt der Sachentscheidung an, so dass nach einem Aufenthaltswechsel aus einem Mitgliedstaat der EuEheVO in einen Nichtmitgliedstaat, der aber Mitglied im KSÜ ist, eine Fortwirkung der Zuständigkeit (perpetuatio fori) nicht in Betracht kommt (KG NZFam 2015, 474; OLG Karlsruhe FamRZ 2014, 1565). Dies entspricht auch dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 KSÜ, wo formuliert ist: „Vorbehaltlich des Artikels 7 sind bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen Vertragsstaat die Behörden des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig.“

    Eine Ausnahme nach Art. 7 KSÜ liegt hier nicht vor, weil das Kind mit seiner Mutter im Einverständnis mit dem Vater in die Schweiz umgezogen ist.

    Die Kostenentscheidung für das Verfahren der ersten und zweiten Instanz beruht auf §§ 80, 81 FamFG.

    Mangels Anfalls wertabhängiger Gerichtsgebühren war ein Beschwerdewert nicht von Amts wegen festzusetzen, § 55 Abs. 2 FamGKG.

    Dr. Römer Dr. Fricke Köhler