OLG Frankfurt vom 24.06.1999 (6 WF 96/99)

Stichworte: Verfahrenspfleger, Bestellung, Erforderlichkeit, Begründung der Entscheidung, Interessengegensätze
Normenkette: FGG 50 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1
Orientierungssatz: Zur Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers und zur Notwendigkeit der Begründung eines Beschlusses, mit dem Verfahrenspflegschaft eingeleitet wird; Befugnisse des Verfahrenspflegers

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

betreffend das Umgangsrecht mit den gemeinsamen ehelichen Kindern

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Beschwerde des Vaters vom 23.04.1999 gegen den Beschluß des Amtsgerichts -Familiengericht- Bensheim vom 08.04.1999 (Vorlageverfügung vom 28.05.1999) am 24.06.1999 beschlossen:

Der Beschluß vom 08.04.1999, der Herrn Dipl.-Sozialpädagogen S. zum Verfahrenspfleger bestellt hat, wird aufgehoben.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 1 S. 2 KostO).

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 13a FGG).

Wert: 2.000,00 DM (§ 30 II KostO).

G R Ü N D E

Die Eltern der drei 1992, 1993 und 1996 geborenen Kinder leben getrennt und streiten wegen des Umgangsrechts des antragstellenden Vaters. Das Amtsgericht hat eine Stellungnahme des zuständigen Jugendamtes eingeholt und hat in der Sitzung vom 08.04.1999 nur die Eltern persönlich angehört. Anschließend hat das Familiengericht beschlossen:

Den Kindern ... wird gemäß § 50 FGG Diplom-Sozialpädagoge ... als Verfahrenspfleger bestellt.

Weiter heißt es am Ende des Protokolls vom 08.04.1999:

Beide Eltern bestätigen, daß derzeit der Umgang wie im Schriftsatz vom 24.03.1999 vom Jugendamt beschrieben, stattfindet. Das Gericht sieht vor Stellungnahme des Verfahrenspflegers in dieser Sache keinen Anlaß, eine einstweilige Anordnung zu treffen...

Neuer Termin von Amts wegen nach Stellungnahme des Verfahrenspflegers.

Gegen die Beiordnung eines Verfahrenspflegers hat der Vater mit Schriftsatz vom 23.04.1999 Beschwerde mit dem Ziel der Rückgangigmachung der Bestellung eingelegt. Der Familienrichter hat das Rechtsmittel dem Senat kommentarlos vorgelegt.

In einem Schreiben des Verfahrenspflegers an das Gericht vom 21.04.1999 heißt es unter anderem:

Ich habe die Parteien um ein Erstgespräch gebeten. Die Rechtsbeistände habe ich aufgefordert, während des Umgangsrechtsprozesses zwischen dem Verfahrenspfleger und den Eltern nicht streitverschärfend zu korrespondieren. Zu gegebener Zeit erhalten Sie von mir einen Bericht.

Die Beschwerde des antragstellenden Vaters ist zulässig, weil sein Recht durch die amtsgerichtliche Bestellung eines Verfahrenspflegers beeinträchtigt ist (§ 621a I ZPO, §§ 19, 20 FGG). Seine Beschwer liegt darin, daß während des familiengerichtlichen Verfahrens der Verfahrenspfleger an die Stelle der gesetzlichen Vertreter des Kindes tritt, also das Recht und die Pflicht zur elterlichen Verantwortung eingeschränkt wird.

Die Beschwerde des Vaters ist auch in der Sache selbst begründet, weswegen die Pflegerbestellung wieder aufzuheben war, und zwar aus zwei Gründen:

Zunächst enthalten weder der die Bestellung anordnende Beschluß noch die (Nichtabhilfe-)Verfügung des Familienrichters eine Begründung. Dies ist bereits ein schwerwiegender Verfahrensfehler. Spätestens aufgrund eines Rechtsmittels ist auch eine mit der einfachen Beschwerde anfechtbare Entscheidung zu begründen, also der Nichtabhilfebeschluß, damit der Rechtsmittelführer entsprechend argumentieren kann und damit das Obergericht seiner Überprüfungsaufgabe überhaupt gerecht werden kann. Dies entspricht auch der sonstigen Senatsrechtsprechung, etwa bei Streitwertbeschwerden - es sei denn, die dem angefochtenen Beschluß zugrundeliegenden Voraussetzungen seien ohne weiteres aus dem Akteninhalt erschließbar. Letzteres ist vorliegend aber nicht der Fall, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zum zweiten Aufhebungsgrund ergeben wird.

Das Amtsgericht hat die in § 50 FGG normierten Voraussetzungen für eine Pflegerbestellung beim jetzigen Verfahrensstand verkannt, weswegen der angefochtene Beschluß auch aus diesem Grunde aufzuheben war. Zwar steht dem Familienrichter bei der Prüfung der Frage, ob die Bestellung eines Verfahrenspflegers erforderlich ist, ein Beurteilungsspielraum ("erforderlich", "erheblich") zu, der Senat vermag aus den Akten jedoch nicht zu erkennen, daß die Bestallung eines Verfahrenspflegers i.S. des § 50 I i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 FGG erforderlich ist.

Erstens bestand zum gegenwärtigen Verfahrensstand noch keine Veranlassung, einen Verfahrenspfleger zu bestellen, weil noch gar nicht klar ist, ob es vorliegend überhaupt erhebliche Interessengegensätze gibt. Zwar ist es richtig, daß ein Verfahrenspfleger nicht erst dann zu bestellen ist, wenn der Interessengegensatz der Beteiligten bereits definitiv feststeht, wie das OLG München in FamRZ 1999, 667 klarstellt, andererseits bedarf es aber in der Regel in jedem Einzelfall "Anfangsermittlungen, die offensichtlich unnötige Pflegerbestellungen vermeiden helfen. Sobald sich im Laufe des Verfahrens - etwa bei der Anhörung des Kindes oder der Anhörung des Jugendamtes die Erforderlichkeit einer Pflegerbestellung ergibt, soll das Gericht baldmöglichst einen Verfahrenspfleger bestellen, um die Interessenwahrnehmung für das Kind zu gewährleisten" (Bundestagsdrucksache 13/4899, S. 130). Im vorliegenden Verfahren hat der Familienrichter zum Beispiel die Kinder bisher, soweit aus den Akten ersichtlich - das älteste Kind ist etwa 7 Jahre alt - bisher nicht angehört. Erst nach Erfüllung dieser Richteraufgabe (§ 50b FGG) läßt sich im allgemeinen leichter beurteilen, ob und gegebenenfalls wie die Beziehungen und eventuellen Interessengegensätze der Beteiligten geartet sind. Hinzu kommt, daß die Eltern derzeit einen gewissen Umgang des Vaters mit den Kindern handhaben, es also im weiteren Verfahren eigentlich nur um die "Feinarbeit" an einem "einvernehmlichen Konzept" geht, auf das das Gericht selbst "hinzuwirken" hat (§ 52 FGG).

Ferner wird der Familienrichter nach Abschluß seiner "Anfangsermittlungen" zu prüfen haben, ob eine Pflegerbestellung deswegen "erforderlich" ist, weil "das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht" (§ 50 Abs. 1 FGG). Bereits dieser klare Wortlaut des Gesetzes spricht dafür, nicht schon bei jedem Interessengegensatz zur Pflegerbestellung zu greifen. Hätten die Beteiligten keine unterschiedliche Sichtweise des Kindeswohls bzw. ihrer noch nicht aufgearbeiteten Partnerprobleme, hätten sie ja gar nicht erst das Gericht angerufen. Daß sie "kontradiktorische" Anträge stellen, insbesondere bei Beteiligung durch Anwälte, liegt im Verfahrenssystem begründet und sagt für sich noch nicht darüber, ob das Konfliktpotential aus der Sicht des Kindes "erheblich" über dasjenige hinausgeht, das mit den traditionellen Mitteln des § 12 FGG seit eh und je bewältigt wurde und zunächst bewältigt werden kann. Solange also diese "Verfahrensgarantien ... ausreichend sind" (Bundestagsdrucksache a.a.O., S. 132), bedarf es keines zusätzlichen Verfahrensbeteiligten. Die Pflegerbestellung ist also nicht der Regel- sondern der Ausnahmefall. Dies entspricht auch der Ansicht des historischen Gesetzgeber Bundestag (Bundestagsdrucksache 13/8511, S. 69).

Im Hinblick auf das Schreiben des Verfahrenspflegers an die Beteiligten und im Hinblick auf ein anderes Beschwerdeverfahren, in welchem derselbe Verfahrenspfleger in anderer Sache rund 7.200,00 DM an Kosten geltend gemacht hat, weist der Senat vorsorglich noch auf folgendes hin: Der Verfahrenspfleger ist nur "zur Wahrnehmung seiner (i.e. des Kindes) Interessen" (§ 50 Abs. 1 FGG) berufen. Es geht - mit den Worten des historischen Gesetzgebers - um den Ausgleich von "Defiziten bei der Wahrung der Interessen der von diesem Verfahren besonders betroffenen Kinder (Bundestagsdrucksache 13/4899, S. 129/131), das heißt - mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts in FamRZ 1999, 85/87 -, um "eine Interessenwahrnehmung im Sinne einer Parteivertretung". So werden auch in der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses die Ausführungen zum Verfahrenspfleger unter die Überschrift "Anwalt des Kindes" gestellt (Bundestagsdrucksache 13/8511, S. 68). Der gesetzliche Auftrag des Verfahrenspflegers entspricht also in etwa dem der von den Eltern berufenen Rechtsanwälte. Der Verfahrenspfleger hat also nur das eigenständige Interesse des Kindes "zu erkennen" und "zu formulieren" (Bundesverfassungsgericht a.a.O., S. 88) - mehr nicht, insbesondere ist es als reiner "Parteivertreter" nicht seine Aufgabe, darüber hinausgehende Ermittlungen anzustellen und/oder zwischen den Eltern zwecks Abschlusses einer einverständlichen Regelung zu vermitteln und/oder die Durchführung des Umgangsrechts zu begleiten.

Nach allem war also die Bestellung des Verfahrenspflegers ersatzlos aufzuheben.

Dr. Weychardt Kleinle Dr. Bauermann