OLG Frankfurt vom 11.05.2000 (6 WF 92/00)

Stichworte: Rechtshängigkeit, anderweitige Rücknahme, Scheidungsantrag Ehezeit
Normenkette: ZPO 269, 608, 261 BGB 1587 Abs. 2
Orientierungssatz: Zur Rücknahme eines früheren Scheidungsantrags durch schlüssiges Verhalten. Zur Bestimmung des Ehezeitendes für den Versorgungsausgleich.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt am 11.05.00 beschlossen:

I. (6 UF 4/00) Der Antrag der Berufungsführerin auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für die Berufung gegen das am 02.12.1999 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Groß-Gerau wird zurückgewiesen.

II. (6 WF 92/00) Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Groß-Gerau vom 02.12.1999 wird zurückgewiesen.

G r ü n d e

I. Der Antragsgegnerin kann Prozeßkostenhilfe nicht bewilligt werden, da ihre Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 114, 119 ZPO).

Das angefochtene Urteil läßt keinen Verfahrensfehler erkennen, der zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Amtsgericht führen müßte.

Der Scheidung, deren materiellrechtliche Voraussetzungen von der Antragsgegnerin nicht angegriffen werden, aufgrund des Scheidungsantrags vom 08.07.1999 steht das Prozeßhindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) nicht entgegen. Durch diesen Antrag wurde ein neues, verfahrensrechtlich selbständiges Scheidungsverfahren eingeleitet. Er konnte angesichts der ausdrücklichen Erklärung insbesondere nicht als Wiederaufnahme des Scheidungsverfahrens 72 F 593/94 AG Groß-Gerau angesehen werden. Den in jenem Verfahren rechtshängig gewordenen Scheidungsantrag vom 29.08.1994 hatte der Antragsteller bereits zurückgenommen. Die Erklärung mußte nicht ausdrücklich abgegeben werden. Eine entsprechende Erklärung ist vielmehr auslegbar und kann sogar durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden. Der Wille zur Rücknahme muß allerdings eindeutig und unzweifelhaft sein (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl., § 269 Rdnr. 22). Davon ist hier auszugehen. Die Erklärung des Antragstellers vom 16.01.1995 im Vorverfahren ist eindeutig. Der Familienrichter hat diese zunächst auch entsprechend dem objektiven Erklärungsinhalt als Antragsrücknahme gewertet. Erst auf von der Antragsgegnerin geäußerte Zweifel hat es das Verfahren fortgesetzt. In dem - außergerichtlichen - Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers an den Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 06.02.1995 finden die Zweifel zwar Nahrung, es kommt jedoch auf den objektiven Inhalt der gegenüber dem Gericht abzugebenden Erklärung der Antragsrücknahme an. Auch im Schriftsatz vom 07.08.1995 brachte der Verfahrensbevollmächtigte hinreichend klar zum Ausdruck, daß das Verfahren abgeschlossen sein sollte, was, wie dem Rechtsanwalt bewußt sein mußte, rechtlich durch Antragsrücknahme zu bewerkstelligen war. Schließlich hat der Antragsteller in der Antragsschrift vom 08.07.1999, mit der das vorliegende Verfahren eingeleitet worden ist, im Bewußtsein der rechtlichen Problematik zweier Scheidungsverfahren erklärt, daß seine Erklärungen im Verfahren 72 F 593/94 als Antragsrücknahme zu behandeln sind. Nunmehr nochmals - vorsorglich - eine (erneute) ausdrückliche Rücknahmeerklärung zu verlangen, wäre bloße Förmelei. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob der vorsorglich im Termin vom 02.12.1999 abgegebenen Rücknahmeerklärung für den Fall, daß die Rechtshängigkeit des früher gestellten Scheidungsantrags nicht bereits geendet hat, entgegenstand, daß die Antragsgegnerin am 21.10.1999 zu dem Verfahren 72 F 593/94 einen Scheidungsantrag eingereicht hatte, der dem Antragsteller formlos zur Stellungnahme übersandt worden war.

Der Antragsteller konnte den Scheidungsantrag vom 29.08.1994 ohne Zustimmung der Antragsgegnerin zurücknehmen, da diese insoweit noch nicht mündlich verhandelt hatte (§§ 608, 269 Abs. 1 ZPO). Ob allgemein in der Erhebung einer Widerklage eine Verhandlung zur Hauptsache liegt, wie die Antragsgegnerin unter Hinweis auf Baumbach, a.a.O. Rdnr. 16, geltend macht, ist zweifelhaft, kann hier aber ohnehin dahinstehen, da der Scheidungsantrag bereits zurückgenommen war.

Es begegnet weiterhin keinen rechtlichen Bedenken, daß das Amtsgericht bei der Festlegung der Ehezeit gemäß § 1587 Abs. 2 BGB (01.04.1963 bis 30.06.1999) von der Zustellung des Scheidungsantrags vom 08.07.1999 ausgegangen ist. Das Ende der Ehezeit ist grundsätzlich bestimmt durch den Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags, der den zur Scheidung führenden Rechtsstreit ausgelöst hat. An diesem Grundsatz hat der Bundesgerichtshof sogar für den Fall festgehalten, daß zwei Scheidungsverfahren rechtshängig waren (vgl. FamRZ 1991, 1042).

Es besteht kein Grund, das Ende der Ehezeit ausnahmsweise nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit des früher erhobenen Scheidungsantrags zu bestimmen. Der Scheidungsantrag vom 29.08.1994 war spätestens durch den am 13.07.1999 beim Amtsgericht Groß-Gerau eingegangenen Schriftsatz vom 08.07.1999 zurückgenommen worden. Der Bundesgerichtshof (a.a.O.) hat zwar auf sich beruhen lassen, ob nach Treu und Glauben etwas anderes geltend könne, wenn ein Ehegatte trotz Rechtshängigkeit eines Scheidungsantrags bewußt einen neuen Antrag stellt, um das Ende der Ehezeit auf einen ihm günstigeren Zeitpunkt zu verschieben. Ein solcher Sachverhalt liegt jedoch auch hier nicht vor. Der Antragsteller hatte bereits im Vorverfahren klargestellt, daß das alte Scheidungsverfahren erledigt sei. Ein Vertrauenstatbestand konnte für die Antragsgegnerin nicht entstehen. Der Antragsteller steht sogar aufgrund des späteren Ehezeitendes schlechter da, weil nunmehr auch die Versicherungszeiten nach November 1994 in den Versorgungsausgleich einbezogen werden.

Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht weiterhin die in der Ehezeit erworbenen Anrechte des Antragstellers bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) nicht in den Ausgleich einbezogen. Ausgeglichen können nur Versorgungsanwartschaften werden, die bei einem bestimmten Versorgungsträger vorhanden sind. Das auszugleichende Versorgungsanrecht muß nicht nur bei Ehezeitende, sondern auch bei der Entscheidung über den Versorgungsausgleich bestehen (vgl. BGH FamRZ 1986, 894). Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof auch nach Einführung des § 10d VAHRG durch das Gesetz über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Versorgungsausgleichs vom 08.12.1986 wiederholt. Ist ein bei Ende der Ehezeit bestehendes Versorgungsanrecht eines der Ehegatten nachträglich erloschen, kann es nicht ausgeglichen werden, auch nicht in entsprechender Anwendung von § 3b VAHRG (vgl. BGH FamRZ 1992, 45 zur Beitragserstattung bei einer Ärzteversorgung vor der Gesetzesänderung; BGH FamRZ 1995, 31 zur Beitragserstattung einer Landesversicherungsanstalt nach der Gesetzesänderung). In der letzten Entscheidung blieb der Bundesgerichtshof bei seinem Grundsatz auch für den Fall eines Verstoßes des Versorgungsträgers gegen § 10d VAHRG. Von einem solchen Verstoß kann hier aber schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die VBL ausweislich der Beiakten überhaupt keine Kenntnis vom früheren Verfahren hatte.

Das von der Antragsgegnerin ersichtlich mit dem Rechtsmittel erstrebte Ziel der Teilhabe an der Zusatzversorgung des Antragstellers ist danach unabhängig von der Frage der anderweitigen Rechtshängigkeit und der Ehezeit ohnehin nicht mehr erreichbar.

Für die Zulassung der weiteren Beschwerde wird ein Anlaß nicht gesehen.

II. Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe für ihren am 21.10.1999 zu 72 F 593/94 eingereichten Scheidungsantrag ist wegen mangelnder Erfolgsaussicht ($ 114 ZPO) nicht begründet. Wie bereits ausgeführt, hatte der Antragsteller bereits vorher seinen Scheidungsantrag zurückgenommen. Dem Antrag vom 20.10.1999 der Antragsgegnerin stand nunmehr die anderweitige Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags des Antragstellers vom 08.07.1999 entgegen.

Dr. Weychardt Dr. Bauermann Schmidt