OLG Frankfurt vom 29.09.2000 (6 WF 86/00)

Stichworte: Anhörung, Scheidungsverfahren, Beweisgebühr, Prozeßgebühr
Normenkette: ZPO 613, BRAGO 31 Abs. 1
Orientierungssatz: Dem Rechtsanwalt steht wegen seiner Mitwirkung bei der Elternanhörung nach § 613 Abs. 1 S. 2 ZPO weder eine hierauf bezüglich Beweisgebühr noch eine Prozeßgebühr zu.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der familienrechtlichen Kostensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Beschwerde des Rechtsanwalts vom 07.04.2000 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Dieburg vom 05.04.2000 am 29.09.2000 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Das Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

GRÜNDE

Die gemäß § 128 Abs. 4 BRAGO an sich statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Kostenfestsetzungsbeschluß, der dem angefochtenen, die Erinnerung gegen ihn zurückweisenden Beschluß des Amtsgerichts - Familienrichter - zugrunde liegt, ist nicht zu beanstanden.

Der im Weg der Prozeßkostenhilfe der Antragsgegnerin für den Scheidungsrechtsstreit einschließlich der anhängigen Folgesachen beigeordnete beschwerdeführende Rechtsanwalt erstrebt, soweit ihm nicht schon in teilweiser Stattgabe seines Kostenfestsetzungsantrags eine Vergütung aus der Landeskasse zugebilligt worden ist, weiterhin die Auszahlung einer 10/1 0-Beweisgebühr nach dem um 1.500,00 DM für das Sorgerecht erhöhten Wert der Scheidung. Er verlangt ferner die Auszahlung einer 10/1 0-Prozeßgebühr nach dem von ihm für das Sorgerecht um 1.500,00 DM erhöhten Wert, den das Amtsgericht auf insgesamt 6.298,00 DM festgesetzt hat, wovon 4.000,00 DM auf die Scheidung und der Rest auf den Versorgungsausgleich entfallen.

Das Sorgerecht war als Scheidungsfolgesache nicht anhängig.

Der noch offene Auszahlungsantrag, der auch vom Vertreter der Landeskasse bekämpft wird, hat keinen Erfolg.

Die Frage, ob die im Scheidungsverfahren im Fall des Vorhandenseins minderjähriger Kinder nunmehr nach § 613 Abs. 1 S. 2 ZPO (eingefügt durch das KindRG vom 16.12.1997) vorgeschriebene Anhörung der Ehegatten zur elterlichen Sorge zusätzliche Gebühren des Rechtsanwalts auslöst oder nicht, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (bejahend: z.B.:OLG Koblenz,Beschl. v. 08.06.1999, FamRZ 2000, 626 = NJW-RR 00, 887 sowie Beschl. v. 17.03.2000, Rpfl. 00, 426; KG,Beschl. v. 01 .07.1999, NJW-RR 00, 886; AG Rendsburg,Beschl. v. 08.01.1999, FamRZ 99, 1359; AG Euskirchen,Beschl. v. 23.04.1999, FamRZ 99, 1683 sowie Hansens,ZAP 99, Fach 24, S. 485. Verneinend: z.B.: OLG Karlsruhe,Beschl. v. 18.03.1999, MDR 00, 87; OLG Schleswig,Beschl. v. 27.07.1999, FamRZ 00, 625 Rpfl. 99, 508; OLG Stuttgart,Beschl. v. 24.02.1999, FamRZ 99, 1359; OLG Nürnberg,Beschl. v. 04.11.1999, MDR 00, 86, allerdings verneinend nur zur Frage der Erhöhung des Gegenstandswerts um den Wert der (nicht anhängigen) elterlichen Sorge sowie Müller-Rabe,Rechtsanwaltsgebühren bei Anhörung der Eltern zum Sorgerecht nach § 613 1 5. 2 ZPO, FamRZ 00, 137).

Zum Teil wird auch unterschieden, ob die elterliche Sorge als Folgesache anhängig gemacht worden ist oder nicht (z.B. OLG Stuttgart,a.a.O., wonach bei sonst ablehnender Haltung bei Anhängigkeit der elterlichen Sorge als Folgesacheeine Beweisgebühr infolge der Anhörung der Eltern entstehen soll; so auch jüngst der Senat,Beschl. v. 24.08.2000 - 6 WF 156/00, nicht veröffentlicht, dessen Gründe er jedoch im Hinblick auf die folgenden Ausführungen bei gegebenem Anlaß überprüfen will).

Der Wortlaut der Vorschriften des § 31 Abs. 1 Nr. 3 bzw. seines Absatzes 3 BRAGO und des § 613 Abs. 1 5. 2 ZPO scheint den Befürwortern der Entstehung einer Beweisgebühr Recht zu geben. Indessen ist dem Gesetzgebungsverfahren das Gegenteil zu entnehmen. Regelungszweck und Sinnzusammenhang der genannten Bestimmungen deuten nämlich eher auf ein noch aufzuzeigendes gesetzgeberisches Versehen hin.

Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Kindschaftsrechts vom 13.06.1996 (BT-DS 13/4899) war eine Änderung des § 613 Abs. 1 ZPO und damit die Einfügung des jetzigen Satzes 2 nicht vorgesehen. Lediglich in Konsequenz der Neuregelung der Scheidungsfolgesachen durch den neuen § 623 ZPO war eine später auch Gesetz gewordene - Anpassung des § 31 Abs. 3 BRAGO an die neue Rechtslage beabsichtigt (BT-DS, a.a.O., S. 23). Eine auf die Gebührentatbestände des § 31 Abs. 1 und 2 BRAGO in ihrer bisherigen Handhabung einflußnehmende Änderung ergab sich damit aber nicht. Aus der Sicht des genannten Entwurfs sollte es hinsichtlich der sorgerechtlichen Folgesachebei der bisherigen gebührenrechtlichen Regelung und Praxis bleiben.

Erst die Stellungnahme des Bundesratszum Regierungsentwurf enthielt zu § 613 Abs. 1 ZPO den Änderungsvorschlag, der schließlich zur Einfügung des Satzes 2 in seiner heutigen Wortfassung geführt hat (BT-DS, a.a.O., 5. 160).

Die Beschlußempfehlung und der Bericht des Rechtsausschussesvom 12.09.1997 haben diesen Vorschlag änderungslos übernommen (BT-DS 13/8511, 5. 30). In der Begründung des Bundesratsheißt es hierzu u.a. (S. 161):

'Die Erweiterung der richterlichen Anhörung um die elterliche Sorge begründet über die Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO hinaus keine weiteren anwaltlichen Gebührenansprüche und erhöht auch den Streitwert des Verfahrens nicht.'

Dies kann beim damaligen Stand des Gesetzgebungsverfahrens nach Auffassung des Senats sinnvollerweise nur so verstanden werden, daß die Anhörung der Eltern zur elterlichen Sorge über den bisherigenGebührenumfang des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO hinaus keine weitere Gebühr begründen und auf den Streitwert des Verfahrens keinen Einfluß haben soll. Denn wenn die Anhörung den Streitwert unverändert lassen soll, fehlt es an einer gegenstandswertmäßigen Orientierung einer auf das Sorgerecht bezogenen Beweisgebühr (so schon zutreffend Müller-Rabe,a.a.O., S. 139).

Der zur zitierten Passage vom OLG Koblenzvorgenommenen Auslegung, wonach die Bezugnahme auf § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO mit seiner Verweisung auf die zu ändernde Bestimmung des § 613 ZPO einen Hinweis auf das Entstehen (auch) einer sorgerechtlichen Beweisgebühr enthalte (a.a.O.), vermag der Senat nicht zu folgen, denn sie trägt nicht den einzelnen Phasen des Gesetzgebungsprozesses Rechnung.

Die Verweisung auf die Gesetzesmaterialien durch einen Teil von Rechtsprechung und Literatur, der sich fürdie anhörungsbedingt entstehende Beweisgebühr ausspricht, stützt diese Ansicht gerade nicht. Damit entfällt das wesentliche, hierfür angeführte Argument.

Die Neuregelung des Sorgerechts (Fortdauer des gemeinsamen Sorgerechts bei fehlendem Antrag über Trennung und Scheidung hinaus bzw. Wegfall amtswegiger Entscheidung über das Sorgerecht bei Scheidung) sollte im Fall der Scheidung der Eltern nicht ohne verfahrensmäßige Auswirkungen bleiben. Dem entsprechend sollte durch Ausgestaltungen des Verfahrensrechts sichergestellt werden ... daß die Eltern sich bewußt für die gemeinsame Sorge entschieden haben. Dieses Ziel glaubt der Gesetzgeber unter anderem dadurch zu erreichen, daß die Eltern im Scheidungsverfahren zu der Frage der elterlichen Sorge angehört werden (BT-DS 13/8511, S. 66 u. auch S. 78).

Die nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens nunmehr vorgeschriebene Anhörung der Eltern ist daher, soweit Rechtsanwälte hieran mitwirken, als eine zur Scheidung gehörige und nicht als eine selbständige, zusätzliche Gebühren auslösende Angelegenheit anzusehen. Hierfür spricht auch die gesetzliche Einordnung der Anhörungspflicht. Sie ist in die im Abschnitt mit der Überschrift 'Allgemeine Vorschriften für Verfahren in Ehesachen' angesiedelte Bestimmung des § 613 ZPO eingegliedert und befindet sich nicht etwa im folgenden Abschnitt mit der Überschrift 'Allgemeine Vorschriften für Verfahren in anderen Familiensachen'.

Die in der Mitwirkung bei der Anhörung der Eltern zum nicht anhängigen Sorgerecht bestehende Tätigkeit des Rechtsanwalts ist mit den ihm für die Vertretung seiner Partei im Scheidungsverfahren erwachsenden Gebühren abgegolten. Für das Sorgerecht als Scheidungsfolgesache gilt daher gebührenrechtlich § 31 Abs. 3 BRAGO in Verbindung mit seinen beiden vorhergehenden Absätzen.

Für den mit einer Ehesache mandatierten Rechtsanwalt ist es nicht ungewöhnlich, daß er alle mit der Scheidung zusammenhängenden Fragen mit seiner Partei bespricht, auch wenn ihre Klärung nicht ins Verfahren eingeführt wird (vgl. hierzu jüngst Schwolow,Sicherheitsliste für den Rechtsanwalt, FuR 00, 338). Wenn der Gesetzgeber im Fall des Vorhandenseins minderjähriger Kinder die amtswegige Anhörung der Eltern als zum Scheidungsverfahren hinzugehörig vorsieht, so folgt jedenfalls hieraus nicht schon, daß die anwaltliche Mitwirkung eines Rechtsanwalts hierbei gesonderte Gebühren auslösen muß. Wegen der unter dem Gesichtspunkt der Nähe zur Beweisaufnahme vorzunehmenden Unterscheidung zwischen der Anhörung der Ehegatten zur Ehesachen gemäß § 613 Abs. 1 5. 1 ZPO und zu ihrer Anhörung nach Satz 2 dieser Bestimmung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen und Argumente von Müller-Rabe(a.a.O., 5. 138), denen der Senat, ohne sie hier zu wiederholen, beipflichtet.

Das so gewonnene Ergebnis stellt lediglich die vom Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des § 613 Abs. 1 ZPO aus Versehen unterlassene Einschränkung des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO auf den Fall der Anhörung oder Parteivernehmung der Ehegatten zur Scheidung her und behebt damit ein redaktionelles Versäumnis (siehe auch Müller-Rabe,a.a.O., 5. 138). Es vermeidet - jedenfalls die Entstehung einer Beweisgebühr betreffend - eine Differenzierung danach, ob das Sorgerecht anhängig geworden ist oder nicht und ob bei nicht anhängigem Sorgerecht insoweit überhaupt Anwaltsgebühren nach § 31 BRAGO entstehen können.

Dem Beschwerdeführer steht mithin wegen seiner Mitwirkung bei der Elternanhörung nach § 613 Abs. 1 5. 2 ZPO weder eine hierauf bezügliche Beweisgebühr noch eine Prozeßgebühr zu.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die von Hansensaufgeworfene Frage, ob sich nach der Neufassung des § 621 Abs. 2 ZPO die vom Amtsgericht der Antragsgegnerin unter Beiordnung des beschwerdeführenden Rechtsanwalts bewilligte Prozeßkostenhilfe 'für den ersten Rechtszug einschließlich der anhängigen Folgesachen' mangels Anhängigkeit des Sorgerechts überhaupt auf die Mitwirkung des Rechtsanwalts bei der Elternanhörung zum Sorgerecht erstreckt (a.a.O., S. 489 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 Abs. 5 BRAGO.

Der Beschwerdewert entspricht dem Betrag, der hinter der Festsetzungserwartungen des Beschwerdeführers zurück bleibt; er beläuft sich auf 145,00 DM (1.403,60 DM -1.258,60 DM).

Dr. Weychardt Kleinle Dr. Bauermann