OLG Frankfurt vom 31.05.2021 (6 WF 80/21)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe; Ratenzahlung; Einkommen, Rückzahlungsverpflichtung; Abänderungsverfahren
Normenkette: FamFG 76; ZPO 115 Abs. 1 S. 2; ZPO 120a
Orientierungssatz:
  • Unterhaltszahlungen mit ungewisser Rückzahlungsverpflichtung können nicht ohne weiteres als Einkommen im Sinne von § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO behandelt werden.
  • Unter Rückforderungsvorbehalt gezahlter Unterhalt kann allenfalls dann als Einkommen behandelt werden, wenn er dem Empfänger mit hinreichender Sicherheit verbleibt oder wenigstens unzweifelhaft zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwendet wird.
  • 57 F 2241/20 VKH2
    AG Darmstadt

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt durch den Einzelrichter auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt vom 4. Mai 2021 am 31. Mai 2021 beschlossen:

    Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert. Der Beschwerdeführerin wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin …. bewilligt.

    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe:

    I.

    Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass das Familiengericht ihren Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in einer Kindschaftssache zurückgewiesen hat, weil ihr hohe Raten aufzuerlegen gewesen wären und die Kosten der Verfahrensführung vier Monatsraten nicht überstiegen (§ 115 Abs. 4 ZPO).

    Der Beschwerdeführerin, die den VKH-Antrag im Anhörungstermin am 18. 1. 2021 gestellt hatte, wäre nach ihren damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen ratenfreie Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen gewesen. Mit in einem anderen Verfahren ergangenen Beschluss vom 22. 2. 2021 hat das Amtsgericht ihr monatlichen Unterhalt in Höhe von 1.581,- € zugesprochen. Der Antragsteller bezahlt diesen zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung seit März 2021, hat aber Beschwerde mit dem Ziel des vollständigen Wegfalls seiner Verpflichtung eingelegt. In der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht die Unterhaltszahlung als Einkommen berücksichtigt und ist so zu Raten in Höhe von 753,- € gelangt.

    Die Beschwerdeführerin wendet ein, es sei ihr nicht zuzumuten, aus einer Unterhaltsleistung, die sie möglicherweise vollständig zurückzahlen müsse, Zahlungen für das Kindschaftsverfahren zu leisten, die sie nicht zurückfordern könne.

    II.

    Die gemäß § 76 Abs. 2 FamFG i. V. m. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und erweist sich in der Sache als begründet. Bis zur Klärung, ob und ggf. in welchem Umfang der empfangene Unterhalt zurückzuzahlen sein wird, kann er nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Hierüber ist erst nach Abschluss des Unterhaltsverfahrens in einem Abänderungsverfahren nach § 120a ZPO zu befinden.

    Nach § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert zu dem bei der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe zu berücksichtigenden Einkommen. Wie in diesem Zusammenhang Unterhaltszahlungen mit ungewisser Rückzahlungsverpflichtung zu behandeln sind, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht klar entnehmen. Einkünfte sind im Wortsinn Einnahmen, die der Empfänger behalten und frei für sich verwenden kann. Entgegen missverständlichen Stimmen in der Kommentarliteratur (Vogt-Beheim in Baumbach/Lauterbach, 78. Aufl., Rn. 36 zu § 115 ZPO; Zöller-Schultzky, 33. Aufl., Rn. 16 zu § 115 ZPO) kann nach dem Gesetzeswortlaut deshalb nicht der allgemeine Grundsatz aufgestellt werden, dass Unterhaltszahlungen auch dann immer Einkommen des Empfängers wären, wenn sie unter Rückforderungsvorbehalt erbracht werden. Gewisse Anhaltspunkte für eine differenziertere Betrachtung liefert der Vergleich mit als Darlehen empfangenen Zahlungen. Sie sind in der Regel nicht unter den Begriff des Einkommens i. S. d. § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO oder des wortgleichen § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII zu fassen, weil mit ihrem Erhalt eine Rückzahlungsverpflichtung einhergeht (Dürbeck/ Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 9. Aufl., Rn. 258; Geiger in Bieritz-Harder et al., 12. Aufl., Rn. 17 zu § 82 SGB XII). Eine Ausnahme macht das Sozialrecht in § 11 Abs. 1 SGB II mit der Anrechnung darlehensweise gewährter Sozialleistungen wie beispielsweise BAföG-Leistungen als Einkommen, welche auf das Recht der Verfahrenskostenhilfe übertragen wird (Dürbeck/ Gottschalk, a.a.O., Rn. 255). Die Differenzierung rechtfertigt sich daraus, dass solche Darlehensleistungen bestimmungsgemäß zum Lebensunterhalt verbraucht werden. Bei Übertragung dieser Gedanken auf Unterhaltszahlungen mit ungewisser Rückzahlungsverpflichtung ergibt sich die im Rahmen der Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe gebotene Differenzierung. Unter Rückforderungsvorbehalt gezahlter Unterhalt kann danach allenfalls dann als Einkommen behandelt werden, wenn er dem Empfänger mit hinreichender Sicherheit verbleibt oder wenigstens unzweifelhaft zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwendet wird. Die von den oben genannten Kommentatorinnen ohne weitere Begründung für ihre zu allgemein formulierte Auffassung herangezogene Entscheidung des OLG Karlsruhe hat auch schon ausdrücklich darauf abgehoben, dass der im dort entschiedenen Fall unter Rückforderungsvorbehalt gezahlte Unterhalt einem offensichtlich bestehenden Anspruch entsprach und mangels anderer Einkünfte zum laufenden Lebensunterhalt verbraucht werden musste (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. 9. 2001, 16 UF 61/01, Rn. 4 – juris).

    Die Umstände des vorliegenden Falles liegen anders. Die Beschwerdeführerin war durch eigenes Einkommen und den vergleichsweise hohen Kindesunterhalt vor der Entscheidung im Unterhaltsverfahren schon in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und die beiden Kinder zu bestreiten. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sie den ihr erstinstanzlich zugesprochenen Unterhalt trotz des ungewissen Ausgangs des Beschwerdeverfahrens nicht für eine mögliche Rückzahlung ansparen sondern verbrauchen wird. Dass der Unterhalt im vorliegenden Fall nicht zurückzuzahlen sein wird, lässt sich heute noch nicht feststellen. Im Beschwerdeverfahren werden Fragen der Vereinbarkeit einer vollschichtigen Tätigkeit im angestammten Beruf als Flugbegleiterin mit der Kinderbetreuung bzw. der denkbaren Einkünfte nach fiktiver Aufnahme einer den Betreuungsbedürfnissen der Kinder eher entsprechenden Beschäftigung ohne auswärtige Übernachtungen zu klären sein. Daher verbietet es sich vorläufig, die nur zur Abwendung der Vollstreckung erbrachten Unterhaltszahlungen als Einkommen zu behandeln.

    Die subjektiven Voraussetzungen der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe sind demnach derzeit gegeben. Hinreichende Erfolgsaussicht kann der Rechtsverteidigung der Beschwerdeführerin nicht abgesprochen werden, nachdem der Kindesvater mit dem Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Ergebnis nicht durchgedrungen ist.

    Für eine erfolgreiche Beschwerde gegen die Versagung der Verfahrenskostenhilfe fallen keine Gerichtsgebühren an. Der deklaratorische Ausspruch zu den außergerichtlichen Kosten beruht auf § 76 Abs. 2 FamFG und § 127 Abs. 4 ZPO.

    Dr. Ostermann