OLG Frankfurt vom 19.04.2013 (6 WF 55/13)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe; Erfolgsaussicht für Verteidigung; Abänderung; Betreuungsunterhalt; Verpflichtung zu Erwerbstätigkeit; Lastenverteilung; Hinweispflicht; Kindergeld;
Normenkette: ZPO 114; ZPO 115; ZPO 139; BGB 1570;
Orientierungssatz:
  • Auch nach der restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist noch Raum für Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 Abs. 1 und 2 BGB, wenn die erziehungsberechtigte Person vorträgt, dass sie neben einer Teilzeittätigkeit noch erhebliche Betreuungsleistungen für mehrere Kinder zu erbringen hat, weil deren Fremdbetreuung nicht ganztägig gewährleistet ist, und ihr auch eine ungleiche Lastenverteilung droht.
  • Für die Beurteilung der Erfolgsaussicht des Verteidigungsvorbringens zur Erlangung von Verfahrenskostenhilfe gegen die Abänderung eines Betreuungsunterhaltstitels kann kein noch strengerer Maßstab angelegt werden, zumal das Gericht in einem folgenden Hauptverfahren noch Hinweise zur weiteren Substantiierung zu erteilen hätte.
  • Zwar wäre es seit der Reform des Unterhaltsrechts wohl korrekter, das nunmehr gemäß § 1612b Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich den Bedarf der minderjährigen Kinder hälftig deckende Kindergeld nur noch zur Hälfte als Einkommen des Elternteils anzusetzen und dafür den Wohnanteil als teilweise Bedarfsdeckung der Kinder herauszurechnen. Jedenfalls darf aber nicht sowohl das volle Kindergeld beim Einkommen des Elternteils berücksichtigt als auch der Wohnanteil des Kindes bei den Abzügen gekürzt werden (vgl. BGH FamRZ 2005, 605, 606).
  • 4 F 87/12 UE
    AG Fürth/Odw.

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt durch den Einzelrichter am 19. April 2013beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts vom 11.02.2013 wird abgeändert.

    Der Antragsgegnerin wird über die Bewilligung für den geschlossenen Vergleich hinaus rückwirkend ab Verfahrensbeginn auch zur Verteidigung gegen den Abänderungsantrag des Antragstellers Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... bewilligt.

    Die angeordnete Ratenzahlung entfällt.

    Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird nicht erhoben, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

    Gründe:

    Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat auch in der Sache Erfolg.

    Die Antragsgegnerin hat sich gegen einen Antrag des Antragstellers auf Abänderung eines Vergleichs vom 14.01.2009 gewendet, aus dem ihr ein monatlicher Ehegattenunterhalt von 512,- Euro zustand. Der Antragsteller hat dazu selbst vorgetragen, dass er sich damals zu diesen Zahlungen "in Anbetracht des noch jungen Kindesalters der beiden Kinder und vorrangig zu deren Wohle" verpflichtet hatte; die zwei Kinder der beiden Beteiligten sind am 25.02.2000 und 14.12.2005 geboren. Der Abänderungsantrag wird im Wesentlichen auf die nach dem seinerzeitigen Vergleichsabschluss seit 18.03.2009 geänderte Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2009, 770 und fortlaufend) zum sog. Betreuungsunterhalt gestützt. Dagegen hat sich die Antragsgegnerin im vorgeschalteten VKH-Prüfungsverfahren und später unter Bezugnahme darauf in der Antragserwiderung mit dem Vortrag gewendet, sie arbeite dreimal wöchentlich von 5.00 Uhr bis 13.00 Uhr an einer Tankstelle, wobei sie jeweils um 4.00 Uhr morgens das Haus verlassen müsse und um 14.00 Uhr zurückkehre. M.' Kindergartenzeiten endeten mittwochs und freitags bereits um 12.45 Uhr. D. sei zwar bis Sommer 2012 noch bis 15.00 Uhr im Schulmodell gewesen. Danach ende jedoch seine Schulzeit bereits um 13.00 Uhr; ob noch eine Hausaufgabenbetreuung bis 15.00 Uhr eingerichtet werde, war damals noch offen. Montags müsse sie ihn außerdem noch zum Fußball-Auswahltraining nach A. bringen. Gleichwohl habe sie sich um eine Bürotätigkeit von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr bemüht; einen Bewerbungsordner könne sie vorlegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragserwiderung und den Schriftsatz vom 02.04.2012 mit der Stellungnahme zum VKH-Antrag des Antragstellers Bezug genommen. Schließlich haben die Beteiligten am 16.01.2013 einen Vergleich dahingehend geschlossen, dass der Antragsteller sein ursprünglich auf den Wegfall des Ehegattenunterhalts rückwirkend ab 01.06.2011 gerichtetes Abänderungsbegehren nun auf die Zeit ab 01.09.2012 beschränkte und sich ab diesem Zeitpunkt zu Kindesunterhalt über 128 % des Mindestunterhalts verpflichtete.

    Soweit das Amtsgericht der Antragsgegnerin jegliche Erfolgsaussicht für ihr Verteidigungsvorbringen abgesprochen hat, obwohl sogar der letztlich geschlossene Vergleich ihr einen nicht unwesentlichen Erfolg gebracht hat, kann ihm nicht beigetreten werden. Selbst vor dem Hintergrund der sehr restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit der o. g. Entscheidung vom 18.03.2009 (vgl. die nach wie vor erheblichen - teils sogar weiterhin verfassungsrechtlichen - Bedenken dagegen in der Literatur: Löhnig/Preisner FamRZ 2011, 1537; Erbarth FamRZ 2012, 340; Hütter FamRZ 2011, 1772 und FPR 2012, 134; Norpoth FamRZ 2011, 874; Maurer NJW 2011, 1586; Götz FPR 2011, 149; Schwamb FamRB 2010, 358, 359 f. und FamRB 2011, 165; Niepmann/Schwamb NJW 2011, 2404 ff., 2407; Schlünder FF 2013, 92 ff., der anhand der Materialien überzeugend begründet, dass der Gesetzgeber nur eine Modifikation des Altersphasenmodells intendierte; ausführlich mit vermittelnden Vorschlägen im Sinne eines Anscheinsbeweises für die Verlängerung des Anspruchs in standardisierten Fallgruppen : Heiderhoff FamRZ 2012, 1604 ff., 1610) ist jedenfalls dann noch Raum für Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 Abs. 1 und 2 BGB, wenn die erziehungsberechtigte Person - wie hier - vorträgt, dass sie neben einer Teilzeittätigkeit noch erhebliche Betreuungsleistungen für mehrere Kinder zu erbringen hat, weil die Fremdbetreuung der Kinder nicht ganztägig gewährleistet ist, und ihr auch eine ungleiche Lastenverteilung droht. Wenn der BGH auf die Kritik an seiner Entscheidung vom 15.06.2011 (BGH FamRZ 2011, 1375) inzwischen mit Urteil vom 18.04.2012 (BGH FamRZ 2012, 1040 m. Anm. Borth) dahingehend reagiert hat, dass er nunmehr ausführt, die Anforderungen an den Vortrag zu den kindbezogenen Gründen dürften auch nicht überspannt werden, und bei den elternbezogenen Gründen die Vermeidung der ungleichen Lastenverteilung anmahnt, kann jedenfalls für die Beurteilung der Erfolgsaussicht des Verteidigungsvorbringens zur Erlangung von Verfahrenskostenhilfe in einem Abänderungsverfahren kein noch strengerer Maßstab angelegt werden, zumal das Gericht - wäre es nicht sogleich zum Vergleichsabschluss gekommen - auf der Grundlage des bisherigen Vortrags der Antragsgegnerin nach Gewährung von Verfahrenskostenhilfe im sodann fortzusetzenden Hauptsacheverfahren noch Hinweise zur weiteren Substantiierung hätte erteilen müssen, sofern es die Anforderungen an den Vortrag der Antragsgegnerin noch nicht als erfüllt angesehen hätte. Bei der Entscheidung über monatliche Ratenzahlungen im Rahmen der (für den Vergleich) bewilligten Verfahrenskostenhilfe hat das Amtsgericht einerseits das Kindergeld in voller Höhe als Einkommen der Antragsgegnerin berücksichtigt, andererseits aber bei den Wohnkosten der Antragsgegnerin einen Betrag von jeweils 20 % des Unterhaltsbedarfs der Kinder nicht als Belastung der Antragsgegnerin anerkannt. Der BGH (FamRZ 2005, 605 f.) hat allerdings die Berücksichtigung des vollen Kindergeldes als Einkommen des beziehenden Elternteils in dem von ihm entschiedenen Fall u. a. damit gerechtfertigt, dass dieses auch nicht anteilig für den Kindesunterhalt benötigt wird, weil der betreuende Elternteil mit den "Kosten der Unterkunft und Heizung, die ohnehin vom Einkommen abzusetzen sind" (BGH FamRZ 2005, 605, 606) auch den Wohnbedarf der Kinder deckt. Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass nicht sowohl das volle Kindergeld beim Einkommen berücksichtigt als auch der Wohnanteil bei den Abzügen gekürzt werden darf, weil dann den Kindern zustehende Mittel zur Auffüllung des elterlichen Einkommens verwendet würden. Zwar wäre es seit der Reform des Unterhaltsrechts wohl korrekter, das nunmehr gemäß § 1612b Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich den Bedarf der minderjährigen Kinder hälftig deckende Kindergeld nur noch zur Hälfte als Einkommen des Elternteils anzusetzen und dafür den Wohnanteil wie in der amtsgerichtlichen Entscheidung als teilweise Bedarfsdeckung der Kinder herauszurechnen. Beide Berechnungsweisen führen aber jedenfalls vorliegend zu dem Ergebnis, dass kein einzusetzendes Einkommen im Sinne von § 115 ZPO mehr verbleibt und die Verfahrenskostenhilfe ratenfrei zu gewähren ist. Es kann danach auch dahingestellt bleiben, ob der Argumentation des Amtsgerichts im Nichtabhilfebeschluss, wonach die Mieterhöhung nicht zu berücksichtigen sei, gefolgt werden könnte; allerdings erscheint es fragwürdig, insoweit zu verlangen, dass sich der bedürftige Mieter bei einem berechtigten Mieterhöhungsverlangen bzw. höheren Betriebskosten einem Rechtsstreit seines Vermieters aussetzen muss.

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 1 Satz 2 FamGKG, 127 Abs. 4 ZPO.

    Schwamb