OLG Frankfurt vom 17.02.2000 (6 WF 30/00)

Stichworte: Kindergeldausgleich, Volljährigenunterhalt
Normenkette: BGB 1612b
Orientierungssatz: Ob gem. § 1612b Abs. 1 das kindbezogene Kindergeld hälftig auf den Kindesunterhalt anzurechnen ist, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil aus Gründen der vorrangigen Berechtigung eines Anderen das Kindergeld nicht ausgezahlt erhält, bleibt im Falle des Volljährigenunterhalts offen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Beschwerde des Antragstellers vom 24.01.2000 gegen den prozesskostenhilfeversagenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Dieburg vom 30.12.1999 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 27.01.2000 am 17. Feb. 2000 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Dem Antragsteller wird ratenfrei Prozesskostenhilfe insoweit bewilligt, als er vom Antragsgegner über den durch vollstreckbare Urkunde des Stadtjugendamts Frankfurt am Main vom 28.04.1997 (Reg.Nr.: 818/97) titulierten Unterhalt von monatlich 625,00 DM hinaus folgenden weiteren Unterhalt begehrt:

a) für die Zeit vom 01.09. bis zum 31.12.1999 monatlich 87,00 DM,
BR b) ab 01.01.2000 monatlich fortlaufend 77,00 DM.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Antragsteller bleibt dem Amtsgericht vorbehalten.

G r ü n d e

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde, die sich abweichend von dem PKH-Ausgangsgesuch vom 20.10.1999 unter Berücksichtigung der jugendamtlich bereits titulierten Beträge auf die aus dem Beschlussausspruch ersichtlichen weiteren Unterhaltsbeträge beschränkt, ist begründet.

Geht man von dem vom Amtsgericht in seinem Beschluss vom 30.12.1999 unbeanstandet mit monatlich ca. 4.352,00 DM errechneten bereinigten Nettoeinkommen des Antragsgegners aus, so liegt der Unterhalt des Antragstellers nach der ebenfalls von der Beschwerde unbeanstandet gebliebenen Einordnung in die Düsseldorfer Unterhaltstabelle nach dem Stand vom 01.07.1999 (Einkommensgruppe VII/Altersstufe 4) bei monatlich 837,00 DM. Ob das auf den volljährigen Antragsteller entfallende Kindergeld, das offenbar seine Mutter bezieht, hierauf voll oder nur hälftig anzurechnen ist, ist eine in der Rechtsprechung nicht geklärte Frage. Nach der Regelung des § 1612b BGB, eingefügt durch das Kindesunterhaltsgesetz vom 06.04.1998 und in Kraft seit dem 01.07.1998, dessen Absatz 1 das OLG Celle als Grundregel für die Kindergeldanrechnung auffasst (FamRZ 1999, 1455), ist das kindbezogene Kindergeld hälftig auf den Kindesunterhalt anzurechnen, wenn - wie vorliegend - der barunterhaltspflichtige Elternteil aus Gründen der vorrangigen Berechtigung eines Anderen das Kindergeld nicht ausgezahlt erhält.

Ob dieser Grundsatz für den Volljährigenunterhalt und auch dann gilt, wenn der kindergeldbeziehende Elternteil mangels Leistungsfähigkeit zum Barunterhalt des Kindes nicht beizutragen vermag, kann unterschiedlich beantwortet werden. Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens besteht für den Senat noch kein zwingender Anlaß, sich schon jetzt abschließend festzulegen.

Das OLG Düsseldorf will in einem solchen Fall das Kindergeld auf den Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes voll anrechnen, ohne allerdings eine nähere Begründung hierfür zu geben (FamRZ 1999, 1452).

Das OLG Braunschweig meint, insoweit auf § 1612b Abs. 3 BGB verweisen zu können (FamRZ 1999, 1453, 1455). Diese Vorschrift enthält aber eine Sonderregelung für den Fall, dass an den allein kindergeldberechtigten barunterhaltspflichtigen Elternteil das Kindergeld nicht ausgezahlt wird (vgl. hierzu die Beispiele bei Palandt-Diederichsen, BGB, 59. Aufl., § 1612b, Rn. 8) und ist nicht verallgemeinerungsfähig. Vorliegend ist der Antragsgegner, der allein zum Barunterhalt des Antragstellers herangezogen werden soll, gerade nicht kindergeldbezugsberechtigt.

Die mit Einführung des § 1612b BGB verfolgte Absicht des Gesetzgebers, der eine Vereinfachung der Kindesunterhaltsberechnung und einen Gleichlauf mit der steuerrechtlichen Behandlung des Kinderfreibetrags erreichen wollte (vgl. zur Entstehungsgeschichte des § 1612b: OLG Celle, a.a.O., unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien) lässt indessen ebensogut die Deutung zu, dass der Grundsatz der kopfbezogenen hälftigen Kindergeldanrechnung auch dann gelten soll, wenn - wie hier - der gegenüber einem volljährigen Kind unterhaltspflichtige, aber nicht kindergeldberechtigte Elternteil den gesamten Barunterhalt aufbringt.

Bei diesem Stand der unterschiedlichen Möglichkeiten des Verständnisses des § 1612b BGB kann dem Antragsteller der Zugang zum Hauptverfahren in der Frage der Kindergeldanrechnung nicht versagt werden, zumal die Durchführung des Hauptverfahrens erst die Möglichkeit eröffnet, daß der Senat die Revision zum Bundesgerichtshof zuläßt (falls die Parteien den Senat erneut anrufen).

Danach gilt für das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren folgendes: Das Kindergeld betrug bis zum 31.12.1999 monatlich 250,00 DM. Ab 01.01.2000 beläuft es sich auf monatlich 270,00 DM. Damit ergibt sich für die Zeit vom 01.09. bis zum 31.12.1999 ein Gesamtunterhaltsanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner in Höhe von monatlich 712,00 DM (837,00 DM - 125,00 DM) und ab 01.02.2000 in Höhe von monatlich 702,00 DM (837,00 DM - 135,00 DM). Hiervon sind jugendamtlich bereits monatlich 625,00 DM tituliert, so dass die nachgesuchte Prozesskostenhilfe nur für die hierüber hinausgehenden Beträge zu bewilligen war.

Entgegen der im Nichtabhilfebeschluss vom 30.12.1999 dargelegten Auffassung ist § 1612b Abs. 5 BGB vorliegend nicht einschlägig, da nach Einschätzung des Amtsgerichts der Antragsgegner für den nach der Einkommensgruppe I und der 4. Altersstufe als Regelbetrag zugrunde gelegten Bedarf (monatlich 589,00 DM) voll leistungsfähig ist. Der nach § 1612b Abs. 5 BGB vorausgesetzte Fall, dass der Unterhaltspflichtige mit seinem Haftungsanteil bzw. dass die Eltern mit den auf sie entfallenden Haftungsanteilen den Regelbetrag nicht erbringen kann/können, liegt - unabhängig von der Frage, ob der Mutter des Antragstellers eine Erwerbstätigkeit anzusinnen ist oder nicht - gerade nicht vor.

Im Hinblick darauf, dass der Bevollmächtigte des Antragstellers seinen Kanzleisitz weder am Gerichtsort noch am Wohnort des Antragstellers hat, wird die Entscheidung über die Beiordnung eines Rechtsanwalts dem Amtsgericht übertragen (§ 575 ZPO).

Dr. Weychardt Kleinle Dr. Bauermann