OLG Frankfurt vom 13.01.2000 (6 WF 287/99)

Stichworte: Zugewinnausgleich, Bewertung, Gaststätte, Ertragswert, Substanzwert, innerer Unternehmenswert
Normenkette: BGB 1376
Orientierungssatz: Zu den Grundsätzen der Unternehmensbewertung.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 16.12.1999 gegen den Beschluß des Amtsgerichts -Familiengericht- Lampertheim vom 29.11.1999 am 13. Jan. 2000 beschlossen:

Der angefochtene Beschluß wird teilweise abgeändert:

Der Antragstellerin wird die Prozeßkostenhilfe ratenfrei bewilligt, soweit sie mit ihrer Klage Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 DM erstrebt.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts bleibt dem Amtsgericht vorbehalten.

Zugleich wird angeordnet, daß die Antragstellerin die verauslagten Kosten an die Gerichtskasse zurückzuzahlen hat, wenn sie innerhalb von vier Jahren aus der güterrechtlichen Auseinandersetzung der Parteien einen das sozialhilferechtliche Schonvermögen übersteigenden Betrag erhalten hat.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben (Anlage 1 zum GKG Nr. 1952).

G R Ü N D E

Die gemäß § 127 II 2 ZPO zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache teilweise Erfolg. Unter Beachtung des durch die Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG FamRZ 1993,664) vorgegebenen Prüfungsmaßstabes erscheint dem Senat die beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls insoweit nicht als von vornherein aussichtslos, als die Antragstellerin einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 10.000,00 DM begehrt.

Der Streit der Parteien betrifft ausschließlich die Frage, ob die ehemals vom Beklagten betriebene Gaststätte "XXX." in V. zum Stichtag 20.05.1995 einen ausgleichsfähigen Verkehrswert (= Preis, den ein potentieller Erwerber für die Übernahme der Gaststätte zu zahlen bereit ist) hatte oder nicht. Nach der vorläufigen Einschätzung des Senats, die auch die Belastung der Staatskasse mit den vorauszuzahlenden Prozeßkosten im Auge hat, ist die Feststellung eines solchen Wertes zum Stichtag zwar nicht, wie das Amtsgericht meint, von vornherein ausgeschlossen. Bei realistischer Betrachtungsweise kann jedoch insoweit nicht mit einem Betrag gerechnet werden, der 20.000,00 DM übersteigt.

Zwar ist die Bewertung eines Vermögensgegenstandes grundsätzlich nicht eine Rechtsfrage, die das Familiengericht unabhängig von fachlichen Äußerungen eines regelmäßig zuzuziehenden Sachverständigen von sich aus vorentscheiden kann. Eine allgemein anerkannte oder rechtlich vorgeschriebene Bewertungsmethode gibt es nicht. Vielmehr unterliegt es dem pflichtgemäßen Beurteilung der mit der Bewertung befaßten Fachleute, unter den in der Betriebswirtschaftslehre und der betriebswirtschaftlichen Praxis vertretenen Verfahren das im Einzelfall geeignet erscheinende auszuwählen. Das so gefundene Ergebnis hat dann das Familiengericht frei zu würdigen (etwa BGH NJW 78, 1316, 1319, BGH FamRZ 89, 954, 956). Aufgrund der Erfahrung, die der Senat mit derartigen Bewertungen hat, läßt sich jedoch bereits vorab so viel sagen:

Daß bei Unternehmen jeglicher Art nach heute herrschender Auffassung der mit der Unternehmensbewertung befaßten Fachkreise und der Betriebswirtschaftslehre ausschließlich auf die am Ertrag (Gewinn) orientierten Bewertungsverfahren abzustellen sei, trifft so nicht zu (BGH FamRZ 1991, 43, 44). Etwa bei der Bewertung freiberuflicher Praxen hat der Bundesgerichtshof die reine Ertragswertmethode ausdrücklich als ungeeignet bezeichnet, weil sich eine Ertragsprognose kaum von der Person des jeweiligen Praxisinhabers trennen läßt und andererseits die Erwartung des Einkommens, die der individuellen Arbeitskraft der Inhabers zuzurechnen ist, nicht maßgebend sein kann, weil es beim Zugewinnausgleich nur auf das am Stichtag vorhandene Vermögen ankommt (BGH aaO). Die von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 05.11.1999 bezeichneten Berechnungsmethoden sind daher für die Bewertung einer kleinen Gaststätte nicht geeignet.

Dem Betrieb des Antragsgegners vergleichbar ist etwa ein kleiner Handwerksbetrieb, dessen Wert sich in der Regel aus der Summe von Substanzwert und innerem Unternehmenswert (Geschäftswert, good will) zusammensetzt. Substanzwert ist dabei die Summe der zum Unternehmen gehörenden Gegenstände; der Geschäftswert äußert sich darin, daß der Erwerber eines solchen Unternehmens bereit ist, einen höheren Kaufpreis zu zahlen, als es dem reinen Sachwert der zum Unternehmen gehörenden Gegenstände entspricht. Daß ein solcher den Substanzwert übersteigender Geschäftswert bei einem Handwerksbetrieb notwendig vorhanden ist, ist nicht selbstverständlich, sondern ist in jedem Einzelfall festzustellen (etwa BGH FamRZ 1978, 332, 333).

Nach dieser Maßgabe ist für die ehemalige Gaststätte des Antragsgegners voraussichtlich mit folgenden Werten zu rechnen:

a) Einen positiven Substanzwert hatte das Unternehmen zum Stichtag voraussichtlich nicht. In der letzten Bilanz (31.07.1995) ist zwar ein Anlage- und Umlaufvermögen mit einem Gesamt(Buch)wert von 2.434,00 DM ausgewiesen. Dem stehen jedoch bilanzierte Verbindlichkeiten in Höhe von 12.145,00 DM gegenüber. Selbst wenn man unterstellt, daß in den ausgewiesenen Sachanlagen (1.101,00 DM) möglicherweise eine stille Reserve versteckt ist, bleibt der Saldo voraussichtlich negativ.

b) Ob generell für griechische Gaststätten im Raum V. zum Stichtag ein Markt bestand und ob für deren Übernahme besondere, den Substanzwert übersteigende Preise gezahlt werden, vermag der Senat aus eigener Kenntnis nicht zu beurteilen; daher schließt er dies jedenfalls nicht aus.

Bei der Frage, mit welchen Ablösebeträgen gegebenenfalls gerechnet werden kann, fällt in jedem Fall folgendes ins Gewicht: Der in den letzten fünf Jahren vor dem Stichtag vom Antragsgegner erzielte Gewinn (durchschnittlich rund 40.000,00 DM vor Steuern und Vorsorgeaufwendungen) entspricht nicht einmal dem statistischen Durchschnittsbruttoeinkommen eines in der Bundesrepublik abhängig beschäftigten Arbeitnehmers. Daher ist aus objektiver Perspektive der Anreiz für einen Dritten, allein für die Übernahme einer solchen Gaststätte einen Kaufpreis zu bezahlen, gering. Andererseits ist nicht auszuschließen, daß etwa ein mit der Branche vertrauter Interessent in der Hoffnung, durch seine persönlichen Fähigkeiten den Umsatz und den Ertrag zukünftig zu steigern, für diese Chance gleichwohl einen Ablösebetrag zu zahlen bereit sein kann. Da eine solche Chance aber ungewiß ist und zum Großteil auch von den Fähigkeiten und dem Einsatz des potentiellen Erwerbers abhängt, wird das dafür zu erwartende Entgelt vernünftigerweise eher gering sein. Der Senat schätzt insoweit vorläufig einen erzielbaren Preis, der einen Betrag von 20.000,00 DM nicht übersteigt, d.h., der Antragstellerin könnten 10.000,00 DM zustehen.

Dr. Weychardt Dr. Bauermann Kleinle