OLG Frankfurt vom 28.11.2016 (6 WF 200/16)

Stichworte: Ablehnung Sachverständiger; Befangenheit; Gutachtenauftrag; Freibeweis; Strengbeweis
Normenkette: FamFG 29, 30; FamFG 163; ZPO 42; ZPO 404a; ZPO 406
Orientierungssatz:
  • Ein im Kindschaftsverfahren tätiger Sachverständiger ist auch ohne Anweisung durch das Familiengericht befugt, durch Befragung von Auskunftspersonen Anknüpfungstatsachen zu ermitteln, die er für die Erstellung des Gutachtens für bedeutsam hält.
  • Der Sachverständige ist verpflichtet, die so gewonnenen Informationen und ihre Quelle in seinem Gutachten anzugeben.
  • 50 F 661/15 SO
    AG Dieburg

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge

    pp.

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 3) gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Dieburg vom 8. 11. 2016, Nichhtabhilfeentscheidung vom 16. 11. 2016, durch den Einzelrichter am 28. November 2016 beschlossen:

    Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

    Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

    Der Beschwerdewert wird auf 2.000,- € festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    Das betroffene Kind entstammt der geschiedene Ehe der Beteiligten zu 3) (im Folgenden: Mutter) und des Beteiligten zu 4). Das Amtsgericht prüft auf Betreiben des Jugendamts, ob das Wohl des Kindes bei einem weiteren Verbleib in der mütterlichen Obhut gefährdet wäre. Ein kinderpsychiatrischer Sachverständiger hatte in einem vorangegangenen Umgangsverfahren die Besorgnis geäußert, dass sich zwischen der Mutter und dem Kind eine symbiotische Beziehung entwickelt. Mit Beschluss vom 18. 7. 2016 hat das Amtsgericht die Sachverständige … mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Diese hat am 24. 8. 2016 die Mutter per Textnachricht gefragt, ob der Vater über die bevorstehende Einschulung des Kindes informiert und zur Einschulungsfeier eingeladen war, und sich von der Mutter eine Schweigepflichtentbindungserklärung geben lassen, um Informationen von einem behandelnden Arzt und einer Beratungsstelle einzuholen.

    Mit Schreiben vom 16. 9. 2016 hat die Mutter die Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die SMS-Anfrage habe keinen erkennbaren Zusammenhang zum Gutachtenauftrag und könne nur als versteckter Vorwurf verstanden werden. Zur Einholung von Informationen von Dritten sei die Sachverständige nicht befugt, solange keine richterliche Ermächtigung nach § 404a Abs. 4 ZPO vorliege. Bei einem Gespräch am 8. 9. 2016 habe die Sachverständige herabsetzende Äußerungen über die Mutter gemacht und erklärt, der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, den die Mutter gegen den Vater erhebt, sei in 95% solcher Fälle nur auf den Elternstreit zurückzuführen.

    Die Sachverständige erklärt, wegen der offenen Frage sexueller Übergriffe habe sie eine von ihr herbeigeführte Konfrontation des möglicherweise traumatisierten Kindes mit dem Vater zunächst zurückstellen, aber eine sich eventuell bietende Gelegenheit zur Beobachtung der Interaktion des Kindes und des Vaters bei der Einschulungsfeier wahrnehmen wollen. Zur Nachfrage bei dem Arzt und der Beratungsstelle habe sie sich aufgrund der Schweigepflichtentbindung durch die Mutter berechtigt gesehen. Abschätzige Bemerkungen habe sie nicht gemacht. Dass 95% aller Strafanzeigen wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs ergebnislos blieben, und von nichts anderen hätten sie gesprochen, sei eine Tatsache, die der Mutter bereits vor dem Gespräch mit der Sachverständigen bekannt gewesen sei.

    In einer Entscheidung über die Beschwerde der Mutter gegen eine Umgangsregelung vom 7. 9. 2016 (6 UF 172/16) hat der Senat ausgeführt, ein Missbrauch des Kindes durch den Vater sei so unwahrscheinlich, dass keine Veranlassung bestehe, sein Umgangsrecht zu beschränken. Seit Ende September sind die Mutter und das Kind unbekannten Aufenthalts.

    Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt. Die Nachfrage hinsichtlich der Einschulung sei plausibel erklärt worden. Informationsbeschaffung bei Dritten begründeten keine Zweifel an der Unparteilichkeit. Die weiteren Ablehnungsgründe seien nicht glaubhaft gemacht.

    In der form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde lässt die Mutter erneut ausführen, die Textnachricht enthalte einen versteckten Vorwurf. Wäre die Sachverständige neutral, hätte sie bei beiden Eltern angefragt. Die Sachverständige habe eigenmächtig ihren Auftrag erweitert. Ihr sei es beweisrechtlich untersagt, für die Erstattung des Gutachtens anderweitige Beweismittel heranzuziehen.

    II.

    Die Beschwerde ist zulässig. § 29 FamFG sieht für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und damit auch für Kindschaftssachen vor, dass tatsächliche Entscheidungsgrundlagen im Wege des Freibeweises ermittelt werden. Allerdings eröffnet § 30 Abs. 1 FamFG dem Gericht auch die Möglichkeit, nach pflichtgemäßem Ermessen eine förmliche Beweisaufnahme durchzuführen. Die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens ist in der Regel als solche Beweisaufnahme zu verstehen (Heilmann/Heilmann, Rn. 3 zu § 163 FamFG; Zöller-Lorenz, 31. Aufl., Rn. 1 zu § 163 FamFG; Schlemm in Bahrenfuss, 2. Aufl., Rn. 2 zu § 163 FamFG). Daher finden - mit noch darzulegenden Einschränkungen - die Vorschriften der Zivilprozessordnung über den Sachverständigenbeweis und insbesondere über die Ablehnung eines Sachverständigen Anwendung, welche die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eröffnen, durch den ein Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird (§ 406 Abs. 5 ZPO).

    Die Beschwerde ist jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht begründet. Ein Sachverständiger kann gemäß § 30 Abs. 1 FamFG und § 406 Abs. 1 ZPO aus denselben Gründen abgelehnt werden wie ein Richter. Für Sachverständige kommt deshalb der Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit nach §§ 42 Abs. 2 ZPO in Betracht. Gerechtfertigt ist eine Ablehnung danach, wenn objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung eines ruhig und vernünftig denkenden Beteiligten Anlass geben, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu hegen (BGH, NJW 1975, S. 1363). Solche Gründe:sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

    Der Senat vermag wie das Amtsgericht nicht zu erkennen, welcher Vorwurf in der Anfrage bezüglich der Einschulung versteckt sein sollte. Dass die Sachverständige nur bei der Mutter nachgefragt hat, rechtfertigt bei verständiger Betrachtung kein Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit. Die Schlüsse, die die Beschwerde aus diesem Vorgang zieht, sind nicht nachvollziehbar.

    Soweit das Ablehnungsgesuch auf den Inhalt eines Gesprächs der Sachverständigen mit der Mutter am 8. 9. 2016 gestützt wird, das die Sachverständige anders darstellt, fehlt es an der nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 Abs. 3 ZPO notwendigen Glaubhaftmachung.

    Die Beschwerde hat schließlich auch keinen Erfolg, soweit der Sachverständigen vorgeworfen wird, sie habe in beweisrechtlich unzulässiger Weise eigene Ermittlungen angestellt. Es ist einem Sachverständigen in Kindschaftsverfahren nicht untersagt, mit Gestattung der Eltern z.B. durch Befragung von Auskunftspersonen Anknüpfungstatsachen für die Begutachtung zu ermitteln (vgl. die in Kooperation juristischer und psychologischer Berufsverbände formulierten Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht, FamRZ 2015, S. 2025, S. 2027). Die Beschwerde stützt sich auf eine Literaturstimme, die aus § 404a Abs. 4 ZPO herleiten will, der Sachverständige dürfe Anknüpfungstatsachen nur nach Beauftragung durch das Gericht ermitteln (Korn-Bergmann/ Purschke, FamRB 2014, S. 25, S. 29). Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Das Verbot der Befragung von Zeugen durch Sachverständige folgt aus dem in § 355 ZPO festgelegten Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (Stein/ Jonas/Leipold, 22. Aufl., Rn. 13 zu § 404a ZPO; MK-Zimmermann, 5. Aufl., Rn. 7 zu § 404a ZPO; Musielak/Voit/Huber, 13. Aufl., Rn. 5 zu § 404a ZPO). Er entstammt dem Zivilprozessrecht, das für die Feststellung streitiger und entscheidungserheblicher Tatsachen nur das Strengbeweisverfahren vorsieht. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz findet jedoch in dem nach § 29 FamFG durch den Freibeweis geprägten Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine Anwendung (Zöller-Feskorn, 31. Aufl., Rn. 4 zu § 29 ZPO; MK-Ulrici, 2. Aufl., Rn. 10 zu § 29 ZPO; OLG München, FamRZ 2008, S. 2047, Rn. 21 – juris). Den Strengbeweis kennt das den Regeln der freiwilligen Gerichtsbarkeit folgende Kindschaftsverfahren nur als Ausnahme (§ 30 FamFG). Die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Frage nach dem, was das Kindeswohl an Entscheidungen erfordert, erfolgt - wie oben angesprochen - im Strengbeweis. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass das Familiengericht auch die Anknüpfungstatsachen, die er seinem Gutachten zugrunde legt, im Strengbeweis festgestellt wissen will. Es entspricht vielmehr der Regel im Kindschaftsverfahren, dass das Gericht dem Sachverständigen die Entscheidung überlässt, in welchem Umfang er für sein Gutachten Anknüpfungstatsachen ermitteln möchte, inwieweit also der Sachverhalt aus seiner Sicht aufzuklären ist (OLG Stuttgart, FamRZ 2003, S. 172, Rn. 7 - juris). Auch wenn dadurch das Gericht nicht von der sich aus § 26 FamFG ergebenden eigenen Pflicht zur vollständigen Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen befreit wird, entspricht es verbreiteter, verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Übung, dass der Sachverständige zur Vorbereitung seines Gutachtens, soweit er es als erhellend ansieht, mit Bezugspersonen des Kindes spricht oder anderweitig Auskünfte einholt (OLG Celle, FamRZ 2015, S. 438, Rn. 30 - juris; Heilmann, Rn. 39 zu § 163 FamFG). Ihm obliegt es allerdings, die gewonnenen Informationen und ihre Quelle im Gutachten offenzulegen. Soweit die Beteiligten nach Vorlage des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit der von dem Sachverständigen ermittelten Tatsachen geltend machen, hat das Familiengericht zu befinden, ob es sie für entscheidungserheblich hält, um ggf. eine Klärung durch weitere Beweisaufnahme herbeizuführen. Die Besorgnis der Befangenheit kann daher nicht schon durch eigene Ermittlungshandlungen des Sachverständigen, sondern erst dann gerechtfertigt sein, wenn er nicht spätestens im Gutachten offenlegt, dass und wie er sich die verwerteten Anknüpfungstatsachen beschafft hat (OLG Saarbrücken MDR 2005, S. 233, Rn. 14 - juris; OLG Nürnberg, Beschluss v. 13. 3. 2006, 5 U 3543/04 - Rn. 14 - juris).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Für eine von der gesetzlichen Regel bei erfolglosen Rechtsmitteln abweichende Kostenentscheidung bestand keine Veranlassung.

    Die Wertfestsetzung beruht auf § 40 sowie § 45 Abs. 1 und 3 FamGKG. Es war wertmindernd zu berücksichtigen, dass nur eine Zwischenentscheidung zu treffen war.

    Dr. Ostermann