OLG Frankfurt vom 22.08.2000 (6 WF 146/00)

Stichworte: Sorgerecht, vorläufiger Rechtsschutz, Einstweilige Anordnung, Abänderungsverfahren.
Normenkette: ZPO 620 Nr. 1 BGB 1696, 1671 Abs. 1 BGB n.F
Orientierungssatz: Die wirksame Entscheidung des Familiengerichts N. vom 10.03.1999 (6 F 22/99), durch die die elterliche Sorge für den am 22.06.1992 geborenen Sohn F. auf die Mutter zur alleinigen Ausübung übertragen worden ist, steht einer Entscheidung über die elterliche Sorge im summarischen Anordnungsverfahren nach § 620 Nr. 1 ZPO entgegen (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 1999, 666; Gießler, Vorläufiger Rechtsschutz in Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen, 3. Aufl., Rdnr. 990; Zöller/Philippi, ZPO, 21. Aufl., Rdnr. 19, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Lampertheim vom 30.06.2000 am 22.08.2000 beschlossen:

Der Antrag des Antragsgegners auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

Dem Antragsgegner fallen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Last (§ 97 Abs. 1 und 3 ZPO).

Beschwerdewert: 1.000,00 DM (§ 8 Abs. 2 Satz 3 BRAGO entsprechend)

G R Ü N D E

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin (Mutter) ist gemäß § 620c ZPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die wirksame Entscheidung des Familiengerichts N. vom 10.03.1999 (6 F 22/99), durch die die elterliche Sorge für den am 22.06.1992 geborenen Sohn F. auf die Mutter zur alleinigen Ausübung übertragen worden ist, steht einer Entscheidung über die elterliche Sorge im summarischen Anordnungsverfahren nach § 620 Nr. 1 ZPO entgegen (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 1999, 666; Gießler, Vorläufiger Rechtsschutz in Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen, 3. Aufl., Rdnr. 990; Zöller/Philippi, ZPO, 21. Aufl., Rdnr. 19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dabei mag dahinstehen, ob die Sorgerechtsregelung vom 10.03.1999 wegen des Zusatzes "zunächst für die Zeit des Getrenntlebens" eine Befristung bis zur Rechtskraft der Scheidung enthält und daher als Folgesache eine Erstregelung entsprechend den Anträgen der Parteien zu treffen ist. Der Beschluß enthält hierzu keine näheren Ausführungen, ist nach dem Inkrafttreten des KindRG ergangen und stützt sich auf § 1671 Abs. 1 BGB n.F. Danach wird nur noch darauf abgestellt, daß die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben, unabhängig von der Frage einer etwaigen Scheidung der Ehe.

Wenn allerdings der Fortbestand der Sorgerechtsregelung unterstellt wird und, wovon das Amtsgericht im angefochtenen Beschluß auch ausgegangen ist, über eine Abänderung gemäß § 1696 BGB zu befinden ist, so kann zwar ebenfalls eine vorläufige Anordnung ergehen. Eine solche ist jedoch nur zulässig, wenn ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten besteht, das ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht gestattet, weil diese zu spät kommen und die Kindesinteressen nicht mehr genügend wahren würde. Diese Voraussetzungen sind weder im einzelnen dargetan noch glaubhaft gemacht.

Das Amtsgericht hat seine Entscheidung wesentlich darauf gestützt, daß F. erklärt hat, daß er wieder nach N. zurückkehren wolle. Der Wille eines achtjährigen Kindes ist zwar durchaus beachtlich, aber nur ein Entscheidungskriterium unter vielen. Insbesondere ist bei einem Kind in diesem Alter die Ernsthaftigkeit besonders gründlich zu prüfen. Vorliegend verbrachte der Junge immerhin unmittelbar vor dem Anhörungstermin einen Teil der Ferien beim Vater. Soweit er sich bereits im Februar beim Jugendamt entsprechend geäußert hat, gibt zu Bedenken, daß das Gespräch vertraulich behandelt werden sollte und der Junge erst bei einer Anhörung vor Gericht seine Meinung auf dem Hintergrund kundtun wollte, daß dann sofort eine Beschluß ergeht, wonach er in den Haushalt des Vaters übersiedeln kann. Insoweit handelt es sich um taktische Überlegungen, die auf entsprechende Beratung schließen lassen. Da das Schreiben des Jugendamtes vom 01.03.2000 darauf hindeutet, daß der Vater das Gespräch initiiert hat, bedarf die Frage einer Beeinflussung besonderer Prüfung, die auch angesichts des fortgesetzten Kampfes um das Kind nicht von der Hand zu weisen ist. Tatsächlich sieht das Jugendamt nach seinem Bericht vom 08.08.2000 Klärungsbedarf, da aufgrund der ständigen Loyalitätskonflikte der Wille des Kindes durch punktuelle Gespräche nicht hinreichend klar einschätzbar sei, wodurch sich ein gewisser Widerspruch zur Stellungnahme im Termin vom 30.06.2000 ergibt.

Hinsichtlich des Grundsatzes der Kontinuität ist darauf hinzuweisen, daß das Amtsgericht N. entscheidend auf die persönliche Betreuung des Kindes durch die Mutter in den ersten Lebensjahren abgestellt hat. Soweit durch den Umzug der Mutter nach V. eine Veränderung des Umfeldes bewirkt worden ist, bedarf es der Feststellung im einzelnen, ob diese vom Kind verkraftet werden kann, ob das Kind wirklich aus seiner gewohnten Umgebung "herausgeholt" worden ist. Immerhin hat die Mutter darauf hingewiesen, daß durch die räumliche Nähe mit dem Vater die Erziehung erheblich beeinträchtigt worden ist. Es ist ja gerade das hohe Konfliktpotential der Eltern, in dem das Jugendamt die Grundproblematik sieht. Dieses gilt es abzubauen und Verantwortlichkeiten klarzustellen und einzufordern.

Wegen der Frage der Betreuung fehlen ebenfalls nähere Feststellungen. Immerhin hat die Mutter Berichte der Klassenlehrerin und des Hortes vorgelegt, während die Versorgungssituation beim Vater erst noch überprüft werden soll.

Nach allem ist der Sachverhalt weitgehend unaufgeklärt. Ein dringender Grund, bereits jetzt eine Änderung des Aufenthalts und damit zugleich einen Schulwechsel herbeizuführen, ist nicht ersichtlich. Da es eine endgültige, wenngleich zu überprüfende Regelung gibt, bedarf es keiner zusätzlichen "klare(n) vorläufige(n) Regelung der elterlichen Sorge". Wenn, wie das Jugendamt in der Stellungnahme vom 08.08.2000 ausführt, die elterliche Sorge dem Elternteil übertragen werden soll, bei dem der Junge lebt, so war eine Änderung jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, ein Jahr nach dem Umzug nach V. und nach bereits längerer Kenntnis von dem geäußerten Wunsch des Kindes, in den Haushalt des Vaters zu kommen, nicht geboten.

Kleinle Dr. Bauermann Schmidt