OLG Frankfurt vom 10.08.2000 (6 WF 133/00)

Stichworte: Barunterhalt, Unterhaltsbestimmung, Abänderungsantrag Inzidententscheidung des Familienrichters.
Normenkette: BGB 1612 Abs. 2 S. 1 RechtspflG 6
Orientierungssatz: Der Senat der Meinung von Palandt/Diederichsen an (59. Aufl., Rz. 21 zu § 1612 BGB),wonach der Richter im Rahmen eines von ihm geführten Rechtsstreites über einen Abänderungsantrag nach § 1612 II 2 BGB inzidenter mitzuentscheiden hat, jedenfalls für die Fälle, in denen ein enger Zusammenhang evident ist (ebenso wohl Hamburg NJW-RR 00, 599, 600); Zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Unterhaltsbestimmung.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 19.06.2000 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Bensheim vom 31.05.2000 i.V.m. dem Nichtabhilfebeschluß vom 23.06.2000 am 10.08.2000 beschlossen:

Der angefochtene Beschluß wird abgeändert. Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. XXX. die Prozeßkostenhilfe ratenfrei bewilligt.

G R Ü N D E

Die Antragstellerin ist die volljährige Tochter der Antragsgegner. Sie besucht die Schule und lebt seit Februar 1998 im Haushalt ihrer Großmutter mütterlicherseits. Über die Umstände ihres Auszugs besteht unter den Parteien Uneinigkeit. Während die Antragstellerin behauptet, sie sei damals von den Antragsgegnern im Zuge eines Streits aus dem Haus geworfen worden, behaupten diese, die Antragstellerin sei gegen ihren Willen zur Großmutter übergesiedelt.

In diesem Verfahren begehrt die Antragstellerin die Prozeßkostenhilfe für eine gegen die Antragsgegner gerichtete Stufenklage, in deren Rahmen sie zunächst Auskunft über deren Einkommen und danach Barunterhalt verlangt. Die Antragsgegner haben im Rahmen des Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahrens erklärt, die Antragstellerin möge in den elterlichen Haushalt zurückkehren. Insoweit böten sie ihr "Unterkunft, Verköstigung und sonstige schülergerechte Betreuung und Unterkunft" an.

Das Amtsgericht hat das PKH-Gesuch der Antragstellerin wegen mangelnder Erfolgsaussicht zurückgewiesen, weil sie angesichts der von den Eltern erklärten Unterhaltsbestimmung (§ 1612 II 1 BGB) derzeit keinen Barunterhalt verlangen könne. Eine nach § 1612 II 2 BGB mögliche Abänderung der Bestimmung könne die Antragstellerin nicht innerhalb des Unterhaltsverfahrens, sondern nur gesondert vor dem Rechtspfleger des Familiengerichts verfolgen.

Die gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe gerichtete, gemäß § 127 II 2 ZPO zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg und führt zur PKH-Bewilligung.

1. Zwar trifft es zu, daß eine Naturalunterhaltsbestimmung i.S.d. § 1612 II 1 BGB das Recht des unverheirateten Kindes, von seinen Eltern Barunterhalt zu verlangen, zunächst ausschließt. Sie entfaltet diese Wirkung jedoch nur, wenn sie wirksam ist. Die Wirksamkeit der elterlichen Erklärung könnte hier aus zwei Gründen zweifelhaft sein:

a) Zunächst ist es erforderlich, daß die Erklärung der Eltern inhaltlich hinreichend bestimmt ist. Dazu gehört, daß im Rahmen eines Gesamtkonzepts alle erforderlichen unterschiedlichen Leistungen wie Wohnung, Verpflegung, Taschengeld und sonstige Geldleistungen für zweckgebundene Ausgaben angeboten werden. Ein allgemeines Angebot von Kost und Logis reicht insoweit nicht aus (Palandt/Diederichsen, 59. Aufl., Rz. 13 zu § 1612 BGB m.w.N.). Ob nach dieser Maßgabe die Erklärung der Eltern, die Antragstellerin erhalte bei Rückkehr "Unterkunft, Verköstigung und sonstige schülergerechte Betreuung und Unterkunft" hinreichend bestimmt ist, hat das Amtsgericht zunächst zu beurteilen.

b) Auch wenn die Bestimmung als hinreichend konkret anzusehen ist, könnte sie gleichwohl dann unwirksam sein, wenn sie sich als mißbräuchlich (§ 242 BGB) erweisen sollte. Die Antragstellerin hat unter Beweisantritt und unter Bezugnahme auf ein Sorgerechtsverfahren behauptet, von den Eltern aus dem Haus geworfen worden zu sein. Dem sind zwar die Antragsgegner entgegengetreten. In dieser Situation ist es jedoch offen, ob es Gründe gibt, die für die Antragstellerin gegenwärtig eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt unzumutbar machen. Hinzu kommt, daß sich die Antragstellerin bereits seit Februar 1998 im Haushalt der Großmutter befindet und die Eltern diesen Zustand über einen Zeitraum von zwei Jahren hingenommen haben. Das bedeutet zwar nicht, daß die Eltern dadurch ihr Bestimmungsrecht nach § 1612 II 1 BGB für die Zukunft verloren hätten. Die lange Zeitdauer bietet jedoch Anlaß für die Frage, warum die Antragsgegner erst jetzt die Rückkehr der Tochter verlangen. Sollte der Grund etwa darin liegen, daß sie sich dadurch ihrer Barunterhaltspflicht entledigen wollen, könnte eine Berufung auf ihr Bestimmungsrecht mißbräuchlich sein.

Nach dieser Maßgabe ist es derzeit offen, ob die Unterhaltsbestimmung der Eltern die vom Amtsgericht bezeichnete Rechtsfolge bewirkt hat. Sie nimmt daher die Stufenklage der Antragstellerin nicht jede Erfolgsaussicht.

2. Für das Hauptsacheverfahren und den Fall, daß das Amtsgericht die Unterhaltsbestimmung der Eltern auch in Ansehung vorstehender Kriterien als wirksam ansehen sollten, weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Für den gemäß § 1612 II 2 BGB zulässigen Antrag des Kindes, aus besonderen Gründen eine Unterhaltsbestimmung der Eltern abzuändern, ist zwar grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig. Daran hat sich durch das KindRG vom 16.12.1997 nur insoweit etwas geändert, als nicht mehr der Rechtspfleger des Vormundschaftsgerichts, sondern derjenige des Familiengerichts funktionell zuständig ist (insoweit zutreffend KG FamRZ 00, 256).

Durch die nunmehrige (Gesamt-)Zuständigkeit des Familiengerichts gewinnt jedoch die Möglichkeit des Richters, nach § 6 RPflG ein dem Rechtspfleger übertragenes Geschäft mitzubearbeiten, wenn die Angelegenheit mit einem vom Richter zu bearbeitenden Geschäft in so engem Zusammenhang steht, daß eine getrennte Bearbeitung nicht sachdienlich wäre, besonderes Gewicht. Dies ist nach der Rechtsauffassung des Senats immer dann der Fall, wenn vor dem Familienrichter bereits ein Rechtsstreit über Grund und Höhe des vom Kinde verlangten Barunterhalts anhängig ist oder ein darauf gerichtetes PKH-Gesuch vorliegt. Wenn die Parteien bereits vor dem Familiengericht über den Unterhalt streiten, ist es unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie nicht vertretbar, das Kind zunächst darauf zu verweisen, vorab beim Rechtspfleger ein gesondertes Abänderungsverfahren nach § 1612 II 2 BGB anzubringen, wenn zugleich der Richter nach § 6 RPflG die Möglichkeit hat, dies als Vorfrage im Rahmen des von ihm geführten Unterhaltsprozesses mitzuentscheiden. Indieser Situation besteht zwischen dem dem Rechtspfleger übertragenen Geschäft und dem Unterhaltsprozeß vor dem Richter ein so enger Zusammenhang, daß sich eine einheitliche Bearbeitung durch den Richter geradezu aufdrängt. Es mag sein, daß ein solch enger Zusammenhang in den Fällen nicht vorliegt, in denen es lediglich um die Verbindlichkeit der elterlichen Unterhaltsbestimmung geht, die Höhe des bei Unwirksamkeit derselben zu zahlenden Unterhalts aber unstreitig ist (so etwa Hamburg NJW-RR 2000, 599, 600). Hier ist jedoch die Höhe des möglicherweise von den Eltern zu leistenden Betrages völlig offen, da die Antragstellerin zunächst Auskunft über das Einkommen der Eltern verlangt, was von diesen verweigert wird.

Zwar ist die in § 6 RPflG begründete Pflicht des Richters in die Form einer Soll-Vorschrift gekleidet. Dadurch sollte jedoch lediglich klargestellt werden, daß eine versehentliche Abgabe der Sache durch den Rechtspfleger nicht die Ungültigkeit des Geschäfts zur Folge hat (Meyer-Stolte, RPflG, 5. Aufl., Rz. 3 zu § 6). Bei engem sachlichen Zusammenhang besteht daher eine gesetzliche Pflicht des Richters zur Bearbeitung. Eine solche Verfahrenswiese schließt zugleich die Gefahr aus, daß es wegen möglicher Beurteilungsdivergenzenen zwischen Richter und Rechtspfleger - etwa hinsichtlich der Wirksamkeit der von den Eltern getroffenen Bestimmung - zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens kommt, zumal letztinstanzlich ohnehin derselbe Familiensenat sowohl über das Rechtsmittel gegen den Beschluß des Rechtspflegers als auch gegen das Unterhaltsurteil des Richters zu entscheiden hat.

Nach dieser Maßgabe schließt sich der Senat der Meinung von Palandt/Diederichsen an (59. Aufl., Rz. 21 zu § 1612 BGB),wonach der Richter im Rahmen eines von ihm geführten Rechtsstreites über einen Abänderungsantrag nach § 1612 II 2 BGB inzidenter mitzuentscheiden hat, jedenfalls für die Fälle, in denen ein enger Zusammenhang evident ist (ebenso wohl Hamburg NJW-RR 00, 599, 600).

Der Senat sieht sich in seiner Auffassung bestärkt durch die vergleichbare Zuständigkeitsverteilung in §§ 1382 V BGB: Für einen isolierten Antrag auf Stundung der Forderung auf Zugewinnausgleich ist, sofern die Ausgleichsforderung unbestritten ist, der Rechtspfleger zuständig; ist zwischen den Parteien hingegen auch ein Rechtsstreit über die Höhe anhängig, kann der Schuldner einen Stundungsantrag nur in diesem Prozeßverfahren stellen, was die Zuständigkeit des Familienrichters begründet (§ 14 I Ziff. 2 RPflG; Münchner Kommentar, Gernhuber, 3. Aufl., Rz. 30, 31 zu § 1382 BGB).

Die Erfolgsaussicht der von der Antragstellerin verfolgten Stufenklage ist daher nicht deswegen zu verneinen, weil sie nicht zuvor beim Rechtspfleger des Familiengerichts auf Abänderung der elterlichen Unterhaltsbestimmung angetragen hat.

Obgleich nach dem gegenwärtigen Stand des beiderseitigen Vorbringens nicht auszuschließen ist, daß die Eltern der Klägerin einen Prozeßkostenvorschuß leisten können, hat der Senat die Prozeßkostenhilfe bewilligt, weil angesichts des bisherigen Verhaltens der Eltern nicht davon ausgegangen werden kann, daß ein solcher gegebenenfalls kurzfristig durchgesetzt werden kann.

Dr. Weychardt Schmidt Kleinle