OLG Frankfurt vom 30.06.2000 (6 UF 98/00)

Stichworte: Unterhaltsfestsetzung, Kindschaftsprozeß, Leistungsfähigkeit
Normenkette: ZPO 643 Abs. 1 Satz 1, 653, 654
Orientierungssatz: § 653 ZPO in der Fassung des KindUG behält die bisherige Möglichkeit (§ 643 ZPO a.F.) bei, den Kindschaftsprozeß mit einer Unterhaltsklage zu verbinden. Abweichend vom bisherigen Recht soll das Urteil allerdings den Regelunterhalt (Regelbetrag) nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach zuerkennen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt am 30.06.2000 beschlossen:

Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für die Berufung gegen das am 29.03.2000 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt wird zurückgewiesen.

Berufungswert: 5.337,04 DM

G r ü n d e

Dem Beklagten kann Prozeßkostenhilfe nicht bewilligt werden, da seine Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 114, 119 ZPO).

Das Amtsgericht hat gemäß § 653 ZPO festgestellt, daß der Beklagte der Vater der Klägerin ist und hat ihn zugleich auf Antrag verurteilt, an diese Unterhalt in Höhe der Regelbeträge und gemäß den Altersstufen der Regelbetragverordnung, vermindert um das nach § 1612b BGB anzurechnende Kindergeld, zu zahlen.

Der Beklagte kann mit der Berufung nicht geltend machen, er sei nicht leistungsfähig. Das klagende Kind kann zwar einen geringeren Unterhalt als den Regelbetrag verlangen (§ 653 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Im übrigen kann in diesem Verfahren gemäß § 653 Abs. 1 Satz 3 ZPO eine Herabsetzung oder Erhöhung des Unterhalts nicht verlangt werden. § 653 ZPO in der Fassung des KindUG behält die bisherige Möglichkeit (§ 643 ZPO a.F.) bei, den Kindschaftsprozeß mit einer Unterhaltsklage zu verbinden. Abweichend vom bisherigen Recht soll das Urteil allerdings den Regelunterhalt (Regelbetrag) nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach zuerkennen. Der Verfahrensgegenstand bleibt auch nach der Rechtsänderung beschränkt, da eine gerichtliche Auseinandersetzung über den individuellen Unterhalt wenig sinnvoll erscheint, solange die Vaterschaft nicht rechtskräftig festgestellt ist (RegE BT-Drucks. 13/7338 S. 43). Den Parteien bleibt wie bisher vorbehalten, in einem gesonderten Klageverfahren nach § 654 ZPO eine andere Entscheidung zu verlangen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung in §§ 643 Abs. 1, 643a ZPO a.F. war es, dem nichtehelichen Kind mit Hilfe dieses Verfahrens möglichst schnell und auf einem einfachen Weg zu einem Titel für den ihm nach §§ 1615a, 1601, 1605f BGB a.F. zustehenden Unterhalt - in der pauschalierten Form des Regelunterhalts - zu verhelfen. Die nähere Prüfung zur Konkretisierung des Unterhaltsanspruchs im Einzelfall sollte aus dem Vaterschaftsfeststellungsprozeß ausgeschaltet und in das Anpassungsverfahren nach § 643a ZPO verwiesen werden. Zur Konkretisierung des Unterhaltsanspruchs gehörte die vom Regelfall abweichende Anpassung des einem nichtehelichen Kind geschuldeten Unterhalts an die besonderen individuellen Verhältnisse entweder auf seiten des Vaters oder auf seiten des Kindes. Dabei handelt es sich um Fragen der Bemessung und Tilgung des zu zahlenden Unterhalts, also um die endgültige Höhe des Unterhaltsanspruchs (vgl. BGH FamRZ 1981, 32). An dieser Zielrichtung hat sich durch die Neuregelung des Unterhaltsrechts durch das KindUG im Grundsatz nichts geändert.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH a.a.O.) war der gesetzliche Forderungsübergang nach § 1615b BGB a.F. in dem Verfahren wegen Leistung des Regelunterhalts nach § 643 ZPO a.F. zu beachten und nicht dem Anpassungsverfahren nach § 643a ZPO a.F. vorzubehalten, da zunächst Klarheit über den Grund des geltend gemachten Anspruchs bestehen müsse. Ob auch der Einwand der Leistungsunfähigkeit im Annexverfahren des § 643 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu prüfen ist, war in Rechtsprechung und Schrifttum bestritten (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 1995, 621 mit Nachweisen).

Diese Frage bedarf im vorliegenden Verfahren keiner abschließenden Beurteilung. Es ist zwar richtig, daß ein unterhaltsrechtliches Grundverhältnis, bei Leistungsunfähigkeit jedoch kein Unterhaltsanspruch besteht. Es handelt sich jedoch bei der Leistungs(un)fähigkeit um individuelle Verhältnisse, die vom Regelfall abweichen und auf die Höhe des zu zahlenden Unterhalts nach §§ 1610, 1603 BGB Einfluß haben und im äußersten Fall eine Unterhaltsverpflichtung nicht entstehen oder wegfallen läßt. Insoweit handelt es sich um Fragen, die nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung typischerweise in das Abänderungsverfahren gehören. Das Oberlandesgericht Stuttgart (a.a.O.), auf das sich der Beklagte beruft, hat den Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit nur dann für zulässig gehalten, wenn diese unstreitig oder so offensichtlich ist, daß es keiner weiteren Feststellungen bedarf, also in keiner Weise ersichtlich ist, daß dem Unterhaltsgläubiger in einem etwaigen Nachverfahren ein herabgesetzter, wenn auch geringer Unterhaltsanspruch verbleiben könnte; nach der Rechtsauffassung dieses Gerichts kann im Annexverfahren der Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit immer dann nicht greifen, wenn sein Erfolg von Wertungen abhängt und zu diesem Einwand unter Berücksichtigung der konkreten Sachlage unterschiedliche Auffassungen vertreten werden können. Eine solche eindeutige Sach- und Rechtslage ist hier nicht gegeben, so daß auch bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart eine Prüfungszuständigkeit im vorliegenden Verfahren nicht gegeben ist (einschränkend zum neuen Recht Zöller/Philippi, ZPO, 21.Aufl., § 653 Rdnr. 4 und OLG Bremen, DA Vorm 2000, 429). Allein der Umstand, daß der Beklagte im Unterhaltszeitraum Arbeitslosengeld in nicht ausreichender Höhe bezogen hat, genügt nicht, seine Leistungsfähigkeit zu begründen. Es kommt vielmehr darauf an, ob er im Rahmen der ihn treffenden erhöhten Unterhaltspflicht mit erweiterter Arbeitspflicht nicht in der Lage war, eine Erwerbstätigkeit mit entsprechenden Einkünften zu finden. Tatsächlich hat er auch ab 14.02.2000 einen Arbeitsplatz gefunden, der bei einem für den Monat März belegten Nettoverdienst von 1.732,20 DM eine teilweise Leistungsfähigkeit begründet. Ob er insoweit vorrangig behauptete Verbindlichkeiten aus der Zeit der Arbeitslosigkeit erfüllen darf, erscheint zweifelhaft und kann nur aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden. Schließlich hängt die Frage, ob der Beklagte ohne Verletzung einer Erwerbsobliegenheit eine Ausbildung mit Einkünften unter dem notwendigen Selbstbehalt aufnehmen darf, von den näheren Umständen ab (vgl. BGH FamRZ 1994, 372).

Nach allem kann der Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht mit dem Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit gehört werden, ist er vielmehr auf das Abänderungsverfahren gemäß § 654 ZPO zu verweisen. Hierin liegt keine reine Förmelei. Es entstehen auch nicht notwendig zusätzliche Kosten, und eine außergerichtliche Einigung ist, wie das Schreiben des Beistands vom 15.06.2000 zeigt, nicht ausgeschlossen. Der hilfsweise erhobenen Rüge, das Amtsgericht hätte gemäß § 1612b Abs. 1 BGB das Kindergeld in Abzug bringen müssen, fehlt die Grundlage. Die getroffene Anrechnung des hälftigen Kindergeldes bezieht sich, wie auch die Streitwertberechnung im Urteil zeigt, auf den gesamten Unterhaltszeitraum.

Dr. Weychardt Dr. Bauermann Schmidt