OLG Frankfurt vom 17.07.2000 (6 UF 68/00)

Stichworte: Jugendamtsurkunde, Herabsetzung, Abänderung
Normenkette: SGB VIII 59, 60, ZPO 323
Orientierungssatz: Eine vom Jugendamt nach §§ 49, 50 JWG, jetzt §§ 59, 60 SGB VIII errichtete vollstreckbare Urkunde unterliegt, wie die vollstreckbare notarielle Urkunde, der Abänderungsklage nach § 323 ZPO (BGH FamRZ 1984, 997). Der Klageweg kann nicht dadurch umgangen werden, daß vor der Urkundsperson einseitig eine abweichende Verpflichtungserklärung abgegeben wird. Dies gilt jedenfalls für eine Herabsetzung. Das Jugendamt ist insoweit nicht zu einer Abänderung mit Wirkung gegenüber dem Unterhaltsberechtigten legitimiert.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt am 17. Juli 2000 beschlossen:

Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Urkunde des Jugendamtes der Stadt Darmstadt vom 16.11.1995 (Urkundenregister-Nr. 592/1995) wird zurückgewiesen.

G R Ü N D E

Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO ist nicht begründet. Die mit der Berufung weiter verfolgte Vollstreckungsgegenklage verspricht keinen Erfolg.

Die Klage wird darauf gestützt, daß der Titel vom 16.11.1995 durch die Urkunde vom 08.02.1999 abgeändert worden sei. Davon kann nicht ausgegangen werden.

Eine vom Jugendamt nach §§ 49, 50 JWG, jetzt §§ 59, 60 SGB VIII errichtete vollstreckbare Urkunde unterliegt, wie die vollstreckbare notarielle Urkunde, der Abänderungsklage nach § 323 ZPO (BGH FamRZ 1984, 997). Der Klageweg kann nicht dadurch umgangen werden, daß vor der Urkundsperson einseitig eine abweichende Verpflichtungserklärung abgegeben wird. Dies gilt jedenfalls für eine Herabsetzung. Das Jugendamt ist insoweit nicht zu einer Abänderung mit Wirkung gegenüber dem Unterhaltsberechtigten legitimiert. Mit der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung an den Berechtigten, hier zu Händen der Amtspflegschaft, entfiel spätestens jede Dispositionsbefugnis der Urkundsperson des Jugendamtes.

Eine abweichende Beurteilung könnte greifen, wenn es sich nicht um einen einseitigen Vorgang gehandelt hätte. Ein unmittelbares Mitwirken der Mutter als gesetzliche Vertreterin ist nicht behauptet. Bei der Titulierung vom 16.11.1995 war das Jugendamt Amtspfleger. Am 08.02.1999 war es nach dem Vorbringen Beistand. Durch die Beistandschaft wird die elterliche Sorge nicht eingeschränkt (§ 1716 Satz 1 BGB); anders lediglich bei der Vertretung in einem Rechtsstreit (§ 53a ZO). Der Beistand ist allerdings ebenfalls Vertreter gem. §§ 1716 Satz 2, 1615 I, 1793 I 1 BGB (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 59. Aufl., § 1716 Rdnr. 8). Es fehlt jedoch insoweit jeder Vortrag im einzelnen, daß der Amtfrau Schuchmann, die die Beurkundung vorgenommen hat, die Ausübung der Aufgaben des Beistandes übertragen worden ist beziehungsweise daß sie oder der Zuständige in dieser Funktion rechtsgeschäftliche Erklärungen hinsichtlich der Fortgeltung des alten Titels abgegeben hat. Das kann im Zweifel nicht angenommen werden, insbesondere ohne Mitwirkung der sorgeberechtigten Mutter.

Die Zwangsvollstreckung kann weiterhin auch nicht in entsprechender Anwendung des § 769 ZPO auf den hilfsweise gestellten Abänderungsantrag nach § 323 ZPO einstweilen eingestellt werden. Der Beklagte hat die tatsächlichen Behauptungen, die den Abänderungsantrag begründen, nicht im einzelnen dargetan und glaubhaft gemacht.

Einem Schuldner, der eine Herabsetzung der einseitig versprochenen Leistungen begehrt, steht gemäß § 323 Abs. 4 ZPO die Abänderungsklage zur Verfügung, ohne daß er an die Beschränkungen des § 323 Abs. 2 und 3 gebunden ist (vgl. BGH FamRZ 1989, 172 und 1990, 989 zur notariellen Urkunde; FamRZ 1984, 997 zur Jungendamtsurkunde). Es bedarf insbesondere auch keines Herabsetzungsverlangens, denn dem Vertrauensschutz ist hinreichend durch § 818 Abs. 3 BGB Rechnung getragen (BGH FamRZ 1990, 989). Das Abänderungsbegehren kann auch auf Umstände aus der Zeit vor der Errichtung der Urkunde und mithin auch darauf gestützt werden, daß die zugrunde liegenden Verhältnisse schon damals nicht den Tatsachen entsprochen haben (BGH FamRZ 1984, 997). In der in FamRZ 1984, 997 veröffentlichten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, daß es zweifelhaft sein mag, ob bei einer vollstreckbaren Urkunde im Wege der Abänderungsklage zulässigerweise nur - wie sonst bei Abänderungsklagen - eine Anpassung unter Wahrung der Grundlagen des abzuändernden Titels oder gegebenenfalls - mangels Verbindlichkeit der zugrunde liegenden Einschätzung - im Gewande der Abänderungsklage eine von dem abzuändernden Titel unabhängige Neufestsetzung des Unterhalts (vgl. OLG Ffm FamRZ 1983, 755) verlangt werden kann oder ob eine Bindung an die Grundlagen des Titels jedenfalls unter bestimmten Umständen besteht, etwa dann, wenn sich der Schuldner zur Zahlung einer verhältnismäßig großzügigen Unterhaltsrente verpflichtet hat. Der Berechtigte jedenfalls kann eine Neufestsetzung des Unterhalts nach den gesetzlichen Vorschriften verlangen, wenn sich weder der Urkunde selbst noch dem Parteivortrag für beide Seiten verbindliche Vereinbarungen über die Grundlagen der Unterhaltsbemessung entnehmen lassen (BGH FamRZ 1989, 172). Vorliegend sind Anhaltspunkte für eine Bindung nicht ersichtlich, so daß auch hier die Rechtsfrage nicht abschließend entschieden werden muß.

Danach kommt es nicht darauf an, ob sich bei der neuerlichen Überprüfung durch das Jugendamt herausgestellt hat, daß die Unterhaltsleistungen in der Urkunde vom 16.11.1995 zu hoch gewesen seien. Nach Aktenlage ist von folgendem auszugehen:

1998 (Lohnsteuerbescheinigung 1998)
BR 91.624,00 DM steuerpflichtiges Brutto
BR 24.316,96 DM Lohnsteuer (I/0,5)
BR 1.337,35 DM Solidaritätszuschlag
BR 12.277,64 DM Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag
BR 3.544,20 DM Kranken- und Pflegeversicherung entspr. Arbeitgeber-Zuschuß, den der Kläger unberücksichtigt läßt
BR 50.147,85 DM : 12 = 4.178,99 DM
BR 52,00 DM vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers
BR 4.126,99 DM.

1999 (Lohnsteuerbescheinigung 1999)
BR 91.624,00 DM
BR 24.274,00 DM Lohnsteuer (I/0,5)
BR 1.255,21 DM Solidaritätszuschlag
BR 11.995,75 DM Sozialversicherung
BR 3.652,92 DM Kranken- und Pflegeversicherung
BR 50.446,12 DM : 12 = 4.203,84 DM
BR 52,00 DM
BR 4.151,84 DM.

Soweit der Kläger Schulden geltend macht, fehlt es an ausreichenden Vortrag. Ob Verbindlichkeiten berücksichtigt werden können, kann nur unter umfassender Interessenabwägung beurteilt werden, wobei es insbesondere auf den Zweck der Verbindlichkeiten, den Zeitpunkt und die Art der Entstehung, die Kenntnis des Unterhaltsverpflichteten von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und auf andere Umstände ankommt (vgl. BGH FamRZ 1996, 160). Wegen des Darlehens nach dem BAföG sollte insbesondere der Feststellungsbescheid mit Ratenfestsetzung vorgelegt werden, ohne daß es nach dem derzeitigen Stand auf diese Belastung wegen der Einteilung in Einkommensgruppen in der Düsseldorfer Tabelle, an deren Richtsätzen sich der Senat regelmäßig orientiert, ankommt. Berufsbedingte Kosten werden nach der ständigen Praxis des Senats nur auf konkreten Nachweis berücksichtigt.

Danach kommt zwar eine geringfügige Herabsetzung der titulierten Unterhaltsverpflichtung auch dann in Betracht, wenn vorliegend bei Anwendung der Düsseldorfer Tabelle eine Höherstufung um zwei Einkommensgruppen wegen unterdurchschnittlicher Unterhaltslast vorgenommen und das zwischenzeitlich erhöhte Kindergeld berücksichtigt wird. Dennoch sieht der Senat die Einstellungsvorausetzungen nicht als gegeben an, solange der Kläger nicht seiner im angefochtenen Urteil titulierten Auskunftspflichtung nachgekommen ist.

Dr. Weychardt Kleinle Schmidt