OLG Frankfurt vom 14.06.2000 (6 UF 66/00)

Stichworte: Kindesanhörung, Verfahrensfehler, Amtsermittlung
Normenkette: ZPO 621a Abs. 1, FGG 12, 50b
Orientierungssatz: Dadurch, dass das Amtsgericht das Sorgerecht für die beiden Kinder geregelt hat, ohne die nach § 50b Abs. 1 ZPO vorgeschriebene persönliche Anhörung der zum Entscheidungszeitpunkt 13 Jahre bzw. 10 Jahre alten Kinder vorzunehmen, hat es die sich aus § 621a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 12 FGG ergebende Verpflichtung zur umfassenden Sachaufklärung verletzt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt am 14.06.2000 beschlossen:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Ausspruch zum Sorgerecht des am 24.02.2000 verkündeten Scheidungsverbundurteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt aufgehoben. Die Sache wird insoweit an das Amtsgericht - Familiengericht - Darmstadt, das die Auffassung des Senats zu beachten und auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden hat, zu weiteren Ermittlungen und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 1.500,00 DM (§ 12 Abs. 2 GKG).

Der Antragsgegnerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfrei Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin X., Darmstadt, beigeordnet.

G r ü n d e

Das Amtsgericht hat durch Verbundurteil vom 24.02.2000 die am 22.06.1984 geschlossene Ehe der Parteien geschieden und angeordnet, dass die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder der Parteien R., geb. am 07.09.1986 und F., geb. am 03.05.1989 bei beiden Eltern verbleibt. Zugleich hat das Amtsgericht den auf Erhalt des alleinigen Sorgerechts für beide Kinder gerichteten Antrag der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Von der persönlichen Anhörung der Kinder hat das Amtsgericht ausdrücklich abgesehen.

Gegen den sorgerechtlichen Ausspruch dieses Urteils richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie weiterhin das alleinige Sorgerecht für die beiden Kinder erstrebt.

Der Antragsteller und das beteiligte Jugendamt hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie haben sich nicht geäußert.

Die Beschwerde ist als befristetes Rechtsmittel gemäß § 629a Abs. 2 i.V.m. § 621e Abs. 1 und 3 ZPO statthaft und auch sonst zulässig. In der Sache führt sie zur Aufhebung des sorgerechtlichen Teils des angefochtenen Verbundurteils und zur Zurückverweisung dieser Folgesache an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung. Dabei ist das Amtsgericht an die nachfolgend dargelegte Rechtsauffassung des Senats gebunden.

Dadurch, dass das Amtsgericht das Sorgerecht für die beiden Kinder geregelt hat, ohne die nach § 50b Abs. 1 ZPO vorgeschriebene persönliche Anhörung der zum Entscheidungszeitpunkt 13 Jahre bzw. 10 Jahre alten Kinder vorzunehmen, hat es die sich aus § 621a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 12 FGG ergebende Verpflichtung zur umfassenden Sachaufklärung verletzt.

Nach § 50b Abs. 1 FGG hat das Familiengericht in einem Verfahren, das die Personensorge oder Vermögenssorge betrifft, das Kind persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn es zur Feststellung des Sachverhalts angezeigt erscheint, dass sich das Gericht von dem Kind einen unmittelbaren Eindruck verschafft. Nur aus schwerwiegenden Gründen darf das Gericht von der Anhörung absehen (Abs. 3 Satz 1).

Dieser Ausnahmetatbestand ist vorliegend offensichtlich nicht gegeben. Gerade weil nach den Gründen des angefochtenen Urteils davon ausgegangen werden muss, dass die Eltern "vollkommen uneinig sind" und "es immer wieder zu Mißverständnissen" zwischen ihnen kommt, dass sie also "ganz offensichtlich nicht in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren", ist es unerläßlich, die in der vorgeschriebenen Kindesanhörung liegende Erkenntnisquelle voll auszuschöpfen. Das gilt insbesondere im Lichte der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.1999 - XII ZB 3/99, veröffentlicht in FamRZ 99, 1646; MDR 00, 31 mit Anmerkung von Oelkers; FF 1999, 184). Danach kommt nämlich in Fällen, in denen wegen Uneinigkeit der Eltern die gemeinschaftliche elterliche Sorge praktisch nicht "funktioniert" die Alleinsorge eines Elternteils in Betracht. Es kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass das Ergebnis der nunmehr nachzuholenden Anhörung der Kinder die zu fällende Sorgerechtsentscheidung in die eine oder andere Richtung beeinflusst.

Die Anhörung der beiden Kinder ist daher als unverzichtbare Grundlage einer sachgerechten Entscheidung anzusehen. Ihr Unterlassen stellt, wie der Senat wiederholt entschieden hat (z.B. Beschluss vom 08.01.1997 - 6 UF 262/96, nicht veröffentlicht), einen schweren Verfahrensmangel dar, der die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht rechtfertigt.

Dr. Weychardt Schmidt Dr. Bauermann