OLG Frankfurt vom 07.05.2013 (6 UF 373/11)

Stichworte: Nutzungsentschädigung; Verfahrenswert; Befreiung von Verbindlichkeit; Familienstreitsache;
Normenkette: BGB 745 Abs. 2; 1361b Abs. 3; FamFG 266 Abs. 1; FamGKG 48; FamGKG 42, GKG 48, ZPO 9;
Orientierungssatz:
  • Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung nach freiwilliger Überlassung der Alleinnutzung der gemeinsamen Ehewohnung an den Miteigentümer während der Trennungszeit ergibt sich nicht aus § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB als lex specialis gegenüber § 745 Abs. 2 BGB (Abweichung von OLG Frankfurt FamRZ 2011, 373 und FamRZ 2013, 135), sondern kann in einem einheitlichen Verfahren gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG als Familienstreitsache mit dem sich ebenfalls aus § 745 Abs. 2 BGB ergebenden entsprechenden Anspruch auf Nutzungsentschädigung für die Zeit nach der Scheidung geltend gemacht werden (vgl. BGH FamRZ 2010, 1630, Tz. 15).
  • Der Wert für einen solchen, die Trennungszeit überschreitenden Anspruch auf Nutzungsentschädigung gem. § 745 Abs. 2 ZPO ist über § 42 FamGKG entsprechend §§ 48 GKG, 9 ZPO zu bestimmen, während § 41 GKG nicht entsprechend anwendbar ist, weil er nur für Streitigkeiten über den Bestand oder die Dauer eines Mietverhältnisses, nicht jedoch daraus entspringende Zahlungsverpflichtungen maßgeblich ist (Anschluss an BGH NJW-RR 2005, 938 und OLG Frankfurt, Beschl. v. 31.01.2012, 4 WF 265/11).
  • Im Fall der Befreiung von einer Verbindlichkeit ist nicht der bezifferte Schuldbetrag maßgeblich, sondern in Anwendung von § 42 FamGKG (nur) die zu schätzende wirtschaftliche Bedeutung, wenn eine dauerhafte Inanspruchnahme (z. B. auf Gesamtschuldnerausgleich) in der Zukunft ausgeschlossen erscheint (vgl. BGH NJW-RR 2012, 60 = MDR 2011, 1075).
  • 72 F 6/11 RI
    AG Bensheim

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt am 7. Mai 2013 beschlossen:

    Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 78.756,37 Euro festgesetzt.

    Gründe:

    Die Beteiligten sind inzwischen geschiedene Eheleute. Sie haben, beginnend während der Trennungszeit, ein Familienstreitverfahren über eine von der Antragsgegnerin zu zahlende Entschädigung für die Nutzung des gemeinsamen Hauses, einen von ihr zu leistenden Gesamtschuldnerausgleich sowie die künftige Freistellung des Antragstellers von gemeinsamen Verbindlichkeiten geführt. Das Verfahren ist im Beschwerdeverfahren durch Vergleich vom 17.01.2013 beendet worden.

    Das Amtsgericht hat die vom Antragsteller verlangte Nutzungsentschädigung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt von § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB als Ausfluss der Regelung über das Überlassen der Ehewohnung bei Getrenntleben geprüft. Dem hat sich der Senat zunächst mit der Verfügung vom 24.07.2012 angeschlossen und darauf hingewiesen, dass dann insoweit eine Familiensache nach dem FamFG vorliegt und infolgedessen über den Gesamtschuldnerausgleich als Familienstreitsache gesondert zu verhandeln und zu entscheiden sein dürfte.

    Für die Festsetzung des Verfahrenswertes über die Nutzungsentschädigung hat das Amtsgericht dann gleichwohl nicht auf den Festwert von 3.000 Euro gemäß § 48 Abs. 1 FamGKG abgestellt (so aber OLG Frankfurt, 5 UF 300/10 = FamRZ 2011, 373, und 4 UF 14/12 = FamRZ 2013, 135 [Ls.]; OLG Bamberg FamRZ 2011, 1424), sondern offenbar in entsprechender Anwendung von § 41 GKG auf die Summe aus Rückständen, die allerdings noch um den Monat Januar 2011 (Eingang des Antrags) zu erhöhen wären, und 12 laufenden Monaten Nutzungsentschädigung (so N. Schneider in FamGKG, Handkommentar, § 35 Rdn. 66). Den Wert des Gesamtschuldnerausgleichs und der Freistellung vom weiteren hälftigen Ausgleich der Verbindlichkeiten hat das Amtsgericht ebenfalls mit den Rückständen bis Dezember 2010 und 12 laufenden Monaten zu je 686,75 Euro bemessen.

    Nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage hat der Senat im weiteren Verlauf des Verfahrens jedenfalls für den hier vorliegenden Fall der Geltendmachung einer Nutzungsentschädigung nach freiwilliger Überlassung der Alleinnutzung der gemeinsamen Ehewohnung an den Miteigentümer nicht mehr an der im Hinweis vom 24.07.2012 geäußerten Auffassung festgehalten, dass sich dieser Anspruch nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB als lex specialis gegenüber § 745 Abs. 2 BGB richtet. Zwar stützt sich diese inzwischen herrschende Meinung (OLG Frankfurt, 5 UF 300/10 = FamRZ 2011, 373 m. w. N.; 4 UF 14/12 = FamRZ 2013, 135 [Ls.]) u. a. auf § 1361 b Abs. 4 BGB, aus dem zu entnehmen sei, dass der Gesetzgeber auch die Nutzungsentschädigung nach freiwilliger Überlassung des gemeinsamen Eigentums dieser Vorschrift habe unterwerfen wollen, was vor Einführung des FamFG, insbesondere dessen § 266, auch für die Zuständigkeit des Familiengerichts ausschlaggebend war. Seit Einführung des FamFG stellt sich aber nur noch die Frage, ob der Anspruch in diesen Fällen beim Familiengericht nach dem Amtsermittlungsgrundsatz und dem FamFG oder nach der "Parteimaxime" als Familienstreitsache zu führen ist, während sich die materiellrechtlichen Voraussetzungen nach § 1361 b Abs. 3 Satz 2 BGB oder § 745 Abs. 2 BGB praktisch kaum unterscheiden (vgl. auch Wever, FamRZ 2011, 413, 414 unter II. 1.). Der Bundesgerichtshof hat denn auch in einer Entscheidung vom 04.08.2010 (FamRZ 2010, 1630) im Verhältnis zwischen Alleineigentümer und dinglich mitnutzungsberechtigtem Ehegatten wie selbstverständlich ausgeführt, dass "dem Ehegatten, der nach endgültiger Trennung ... ausgezogen ist", in entsprechender Anwendung von § 745 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung zustehen kann, und insoweit auf seine ständige Rechtsprechung für einen Zahlungsanspruch nach § 745 Abs. 2 BGB "nach endgültiger Trennung" bei Auszug aus der im Eigentum beider Eheleute stehenden Immobilie verwiesen (BGH a. a. O. Tz. 15). Allein Wever (FamRZ 2011, 413, 414 unter II. 1.) weist in der Literatur darauf hin, während diese Entscheidung des BGH in der neueren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte - außer OLG Stuttgart FamRZ 2012, 33 - keine Erwähnung findet. Dabei wird gerade in der vorliegenden Fallkonstellation deutlich, dass für diese Auffassung sehr erhebliche verfahrensökonomische Gründe streiten. Das vorliegende Verfahren hätte ohne jede sachliche Notwendigkeit in drei Verfahren aufgespalten werden müssen, nämlich ein solches nach dem FamFG für den Anspruch nach § 1361 b Abs. 3 S. 2 BGB, eine Familienstreitsache nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG für den Gesamtschuldnerausgleich und für die Zeit ab der inzwischen eingetretenen Rechtskraft der Scheidung ein neues erstinstanzliches Verfahren als Familienstreitsache auf Nutzungsentschädigung gemäß § 745 Abs. 2 BGB (vgl. BGH a. a. O.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.05.2012, 4 UF 14/12 = FamRZ 2013, 135 [Ls.] = FamFR 2012, 478 (Kurzwiedergabe); OLG Stuttgart FamRZ 2012, 33; anders aber auch insoweit OLG Hamm FamRZ 2011, 892; einschränkend OLG Naumburg FamRZ 2012, 1941). Dass dieses Ergebnis dem Sinn der Familienrechtsreform zuwiderliefe, bedarf keiner näheren Erläuterung. Nach der hier im Anschluss an die o. g. Entscheidung des BGH vom 04.08.2010 vertretenen Auffassung können dagegen die genannten Ansprüche, die in gewisser Weise zusammenhängen, in einem einheitlichen Verfahren nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG geführt werden; für § 1361 b Abs. 3 und 4 BGB bleibt dennoch in anderen Fällen ein exklusiver Anwendungsbereich, sofern kein gemeinsames Eigentum bzw. dingliches Mitbenutzungsrecht vorliegt und deswegen Ansprüche aus § 745 Abs. 2 BGB (sowohl vor als auch nach der Scheidung) nicht in Betracht kommen. Auf der Basis dieser Rechtsauffassung ist für die Festsetzung des Verfahrenswertes von einem einheitlichen Anspruch aus § 745 Abs. 2 BGB sowie ferner dem verlangten Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 BGB) auszugehen. Auf die Problematik, ob bei Anwendung des § 1361 b Abs. 3 BGB der Festwert nach § 48 Abs. 1 FamGKG mit 3.000 Euro zugrunde zu legen ist (s. o.) oder, wofür die Öffnungsklausel des § 48 Abs. 3 FamGKG sprechen könnte, in diesen Fällen die Vorschriften über die wiederkehrenden Leistungen heranzuziehen sind, kommt es danach vorliegend zwar nicht mehr an. Zu entscheiden bleibt aber, ob sich der Wert über § 42 FamGKG in entsprechender Anwendung von § 41 GKG nach den Vorschriften über die Benutzung einer Wohnung oder nach §§ 48 GKG, 9 ZPO richtet. Insoweit folgt der Senat der Auffassung, dass § 9 ZPO maßgeblich ist, denn § 41 GKG betrifft nach der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2005, 938 = MDR 2005, 1101) nur Streitigkeiten über den Bestand oder die Dauer eines Mietverhältnisses, ist aber nicht für Zahlungsverpflichtungen daraus maßgeblich (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 31.01.2012, 4 WF 265/11).

    Für den Gesamtschuldnerausgleich ist der Senat zwar grundsätzlich der Auffassung, dass sich dessen Wert nach § 35 FamGKG richtet, wenn es tatsächlich um den (hälftigen) Ausgleich der gesamten Restschuld geht (vgl. N. Schneider in FamGKG, Handkommentar, § 35 Rdn. 60). Vorliegend ging es allerdings absehbar eher um eine vorübergehende Beteiligung an den Kreditraten und die Feststellung einer grundsätzlichen Verpflichtung zur Mittragung der Gesamtschuld bis zu einer letztlich beiderseits gewollten Auseinandersetzung des gemeinsamen Eigentums als um eine vollständig bezifferte hälftige Befreiung von der gesamten Restschuld, die sich immerhin noch auf ca. 180.000 Euro belief. Auch der BGH (NJW-RR 2012, 60 = MDR 2011, 1075) hat für den Fall der Befreiung von einer Verbindlichkeit entschieden, dass nicht der bezifferte Schuldbetrag maßgeblich ist, sondern die zu schätzende wirtschaftliche Bedeutung, wenn eine Inanspruchnahme in der Zukunft als ausgeschlossen erscheint. Für die Bewertung einer solchen Feststellung erscheint in Anwendung von § 42 FamGKG (Thiel in N. Schneider/Wolf/Volpert, FamGKG, Handkommentar, § 42 Rdn. 98) vorliegend der Ansatz eines Drittels der Hälfte der Restschuld angemessen.

    Daraus ergibt sich die folgende Wertberechnung für das Beschwerdeverfahren (alle Werte in Euro): Rückstand Nutzungsentschädigung (§ 745 Abs. 2 BGB) bis Januar 2011: 18 x 600,- = 10.800,- Laufende Nutzungsentschädigung (§ 745 Abs. 2 BGB) ab Feb. 2011: 42 x 600,- = 25.200,- Rückstand Gesamtschuldausgleich (§ 426 BGB) 11965,36 + 686,75 (Jan. 2011) = 12.652,11 Feststellung der Freistellung von anteiliger Gesamtschuld 1/3 von 90.000,- = 30.000,- Versicherungsbeitrag = 104,26 Summe: 78.756,37

    In gleicher Weise ist nun auch der Wert für die erste Instanz gemäß § 55 Abs. 3 FamGKG noch nachträglich festzusetzen. ... (wird ausgeführt).

    Schwamb Schuschke Gottschalk