OLG Frankfurt vom 21.05.2013 (6 UF 32/13)

Stichworte: Aufenthaltsbestimmungsrecht; gemeinsame elterliche Sorge; triftige Gründe; Abänderung; Kindeswohl; Lebensmittelpunkt; Übergangsrecht;
Normenkette: BGB 1626a, 1671, 1696; BGB 1626a; BGB 1696;
Orientierungssatz:
  • Sofern die nicht miteinander verheirateten Kindeseltern die gemeinsame elterliche Sorge aufgrund eines Beschlusses des Familiengerichts innehaben, der auf der Entscheidung des BVerfG vom 21.07.2010 (BVerfG NJW 2010, 3008) beruht und der von diesem in seiner Übergangsregelung geforderten Feststellung, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl entspricht, ist eine Änderung weiterhin nach § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB vorzunehmen.
  • Da nach dem Wortlaut des seit 19.05.2013 geltenden § 1626 a Abs. 2 BGB die elterliche Sorge oder ein Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam zu übertragen ist, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht, handelt es sich im Hinblick auf den unterschiedlichen Maßstab der Kindeswohlprüfung bei Entscheidungen auf Grund der Übergangsregelung des BVerfG nicht um eine Entscheidung nach § 1626 a Abs. 2 BGB, weshalb eine Anwendung des § 1696 Abs. 1 S. 2 BGB für diese Fälle ausscheidet.
  • Triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe, die gem. § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB eine Abänderung der Sorgerechtsentscheidung erfordern, liegen vor, wenn die Gründe, die für eine Änderung sprechen, die damit verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (OLG Frankfurt FamRZ 2011, 1875). Es widerspricht dem Kindeswohl, wenn sein Lebensmittelpunkt ständig in Frage gestellt wird und der fortdauernde Elternstreit über den Lebensmittelpunkt dem Kind nicht mehr zumutbar ist.
  • 73 F 562/12 SO
    AG Bensheim

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Beschwerde der Kindesmutter und die Anschlussbeschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bensheim vom 21.12.2012 durch die Richterin am Oberlandesgericht Gottschalk als Einzelrichterin am 21.05.2013 beschlossen:

    Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder M und E, hinsichtlich E in Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - Bensheim vom 01.02.2011, zur alleinigen Ausübung übertragen. Im Übrigen bleibt es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge.

    Die Anschlussbeschwerde des Kindesvaters wird zurückgewiesen.

    Den Eltern wird aufgegeben, Elterngespräche bei der Beratungsstelle für Eltern-, Kinder- und Jugendhilfe ... zu führen, wobei es auch möglich ist, zunächst Einzelgespräche zu führen, mit dem Ziel gemeinsamer Gespräche zur Verbesserung der Kommunikation.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden zwischen den Kindeseltern gegeneinander aufgehoben.

    Der Beschwerdewert wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    Die Beteiligten zu 4) und 5) streiten um die Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge für ihre Kinder M und E. Die Kinder leben im Haushalt der Kindesmutter; aufgrund einer Umgangsregelung haben die Kinder alle 14 Tage von Donnerstagnachmittag Kindergarten- bzw. Schulende bis Montagmorgen Umgang mit dem Kindesvater. Der Kindesvater strebt ein Wechselmodell an, welches vom Amtsgericht im Parallelverfahren betreffend den Umgang (73 F 169/12 UG) angeordnet wurde und welches ebenfalls Gegenstand eines beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens ist (6 UF 29/13). Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Antrag der Kindesmutter, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder zur alleinigen Ausübung zu übertragen, zurückgewiesen. Es gäbe keinen Veränderungsbedarf, vielmehr sei es Aufgabe und Verantwortung der Eltern, ihre Kommunikation zu verbessern und zu stärken. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses genommen.

    Hiergegen wendet sich die Kindesmutter mit ihrer Beschwerde, die sie im Wesentlichen darauf stützt, dass die sich immer wiederholenden Versuche des Kindesvaters, den Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Kindesmutter in Frage zu stellen, eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht erforderlich mache. Der Kindesvater begehrt nunmehr im Wege der Anschlussbeschwerde die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge.

    Durch Beschluss vom 17. April 2013 wurde das vorliegende Sorgerechtsverfahren der Einzelrichterin gemäß § 68 Abs. 4 FamFG zur Entscheidung übertragen. Die Einzelrichterin hat die Beteiligten, die beteiligten Kinder gesondert, mündlich angehört.

    II.

    Die gem. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Kindesmutter hat auch in der Sache Erfolg, hingegen ist die zulässige Anschlussbeschwerde des Kindesvaters unbegründet.

    Entgegen der Auffassung des Familiengerichts ist die gemeinsame elterliche Sorge bezüglich des Teilbereichs Aufenthaltsbestimmung für die beiden Kinder M und E aufzuheben und zur alleinigen Ausübung auf die Kindesmutter zu übertragen.

    Für die Tochter M, für die ein gemeinsames Sorgerecht aufgrund einer Sorgeerklärung gem. § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB besteht, beruht diese Entscheidung auf § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. Bezüglich E, für den die Kindeseltern die gemeinsame elterliche Sorge aufgrund des Beschlusses des Familiengerichts vom 01.02.2011 (73 F 1/10 SO) innehaben, folgt dies aus § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Entscheidung beruhte auf der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.07.2010 (BVerfG NJW 2010, 3008) und der von diesem in seiner Übergangsregelung geforderten Feststellung, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl entspricht. Demgegenüber ist nach dem Wortlaut des seit dem 19.05.2013 geltenden § 1626 a Abs. 2 BGB die elterliche Sorge oder ein Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam zu übertragen, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Bereits im Hinblick auf den unterschiedlichen Maßstab der Kindeswohlprüfung handelt es sich bei der Ausgangsentscheidung vom 01.02.2011 nicht um eine Entscheidung nach § 1626 a Abs. 2 BGB, weshalb eine Anwendung des § 1696 Abs. 1 S. 2 BGB im vorliegenden Fall ausscheidet.

    Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge bzw. eines Teilbereichs von dieser und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Maßstab für die Entscheidung nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist (allein) das Kindeswohl. Es ist also zunächst zu fragen, ob die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Wohl der Kinder entspricht. Dies ist für den Teilbereich der elterlichen Sorge Aufenthaltsbestimmung zu bejahen, da die Kindeseltern vehement und auch schon seit vielen Jahren über den Lebensmittelpunkt ihrer Kinder streiten.

    Es besteht keine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist (BGH NJW 2005, 2080). Ihr ist deshalb kein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils einzuräumen (BVerfG FamRZ 2004, 354). Die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt in aller Regel eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern voraus und erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung, die sich am Kindeswohl auszurichten hat (BVerfG FF 2009, 416). Das durch Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht wird von den Eltern nur dann verfassungsgemäß wahrgenommen, wenn sie die Rechte der Kinder hinreichend berücksichtigen (Röchling, Elternrecht/Elternpflichten, S. 133). Das setzt voraus, dass die Kinder nicht dem fortwährenden Streit ihrer Eltern ausgesetzt werden, zumal diese schon durch den Umstand der Elterntrennung und dem damit entstehenden Leben zwischen zwei unterschiedlichen elterlichen Welten verbunden mit zwei auseinanderstrebenden Werte- und Anschauungssystemen schweren Belastungen und Herausforderungen ausgesetzt sind (OLG Frankfurt, 5. Senat für Familiensachen, Beschluss 24.08.2010, 5 UF 30/10). Kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Eltern auch in absehbarer Zukunft keine gemeinsame Kommunikationsbasis für die die Kinder betreffenden Fragen finden können, darf es davon ausgehen, dass eine Beibehaltung der gemeinsamen Sorge mehr Nachteile als Vorteile für die Kinder mit sich bringen würde (OLG Frankfurt a.a.O.). Die Beeinträchtigung, die die Kinder durch den andauernden Streit ihrer Eltern erfahren, steht regelmäßig der Feststellung der Kindeswohldienlichkeit als Voraussetzung der Beibehaltung der gemeinsamen Sorge entgegen. In solchen Fällen ist der Alleinsorge gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge der Vorzug zu geben (BGH FamRZ 2008, 251). In dieser Situation kann sich das Gericht nicht mehr darauf zurückziehen, dass es Aufgabe und Verantwortung der Eltern sei, ihre Kommunikation zu verbessern und zu stärken. Vielmehr ist für die Zukunft sicherzustellen, dass die aus der nicht funktionierenden gemeinsamen Sorge entstehenden nachteiligen Folgen ein Ende finden. Denn erst die tatsächliche Pflichterfüllung, die sich in der Realität aber nicht durch gerichtliche Entscheidung verordnen lässt, dient dem Kindeswohl, nicht schon das Bestehen der Pflicht alleine (BGH FamRZ 2008, 592, 593 m. w. N.).

    Während die Kindesmutter einen Verbleib der Kinder in ihrem Haushalt, wo sie seit der Trennung der Eltern im Jahre 2008 leben, befürwortet, möchte der Kindesvater ein Wechselmodell installieren und für den Fall, dass dies nicht angeordnet wird, die überwiegende Betreuung der Kinder übernehmen. Wie sich aus der von der Verfahrensbeiständin im vorliegenden Verfahren als Anlage zu ihrer Stellungnahme vom 20. Dezember 2012 beigefügten "Chronik der Eltern ..." und aus einer eben solchen des Jugendamtes (Stellungnahme vom 06.03.2013) ergibt, streiten die Kindeseltern mindestens seit April 2009 über das Umgangs- und Sorgerecht, was zur Einleitung von mindestens zwölf gerichtlichen Verfahren führte. Das Wechselmodell war und ist das fortwährende Thema zwischen den Eltern, die sich diesbezüglich auch bei der mündlichen Anhörung vor der Einzelrichterin unversöhnlich zeigten. Es steht auch nicht zu erwarten, dass das fehlende Einvernehmen zeitnah hergestellt werden kann. Trotz wiederholter Mediation, Beratung, Aussetzung der Verfahren zwecks Führung von Vergleichsverhandlungen etc. ist es den Eltern bislang nicht nachhaltig gelungen, zu einem kooperativen Verhalten hinsichtlich des Lebensmittelpunktes der Kinder und dem Umfang der Betreuung zu finden. Auch wenn es den Kindeseltern in den überwiegenden Bereichen der elterlichen Sorge gelingt, ein Mindestmaß an Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit aufzubringen, die es ihnen ermöglicht, beispielsweise die Schule, den Kindergarten und Sportvereine auszusuchen, gelingt ihnen das seit Jahren hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht. Beide Eltern räumen auch ein, dass die Wahrnehmung der Vielzahl der Beratungsangebote in den vergangenen Jahren zu keiner nachhaltigen positiven Veränderung geführt hat. So hat die Kindesmutter im Rahmen der mündlichen Anhörung durch die Einzelrichterin erklärt, dass die Beratungsstelle bezüglich der Kindeseltern mit ihren Ideen am Ende sei; der Vater hat ausgeführt, dass die Eltern schon bei fünf bis sechs Beratungsstellen gewesen seien; in dem Moment, wo sich Einer habe bewegen müssen, sei die Beratung abgebrochen worden, er wisse auch nicht, was er noch machen solle.

    Die Kinder sind durch die Streitigkeiten ihrer Eltern in Mitleidenschaft gezogen worden. Bei ihrer Anhörung ist deutlich geworden, dass sie sich kaum noch trauen, ihre Wünsche zu offenbaren. Der Senat sieht hierin den Ausdruck eines starken Loyalitätskonflikts, in dem sich die Kinder befinden. M musste die Erfahrung machen, dass ihre Äußerung, den Vater mehr sehen zu wollen, in erneuten gerichtlichen Verfahren mündete. Ihr jüngerer Bruder E hat durch seine Äußerung, der Freund der Mutter sehe seine Kinder an 3 Tagen, die restlichen 11 Tage seien diese bei der Mutter "und die haben keinen Richter" sein Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass er bereits 2/3 seines Lebens von gerichtlichen Streitigkeiten seiner Eltern begleitet wird.

    Selbst wenn die Auffassung des Kindesvaters zutreffen würde, dass allein die Kindesmutter gegen die Kooperationspflicht verstoße, so kann dies nicht mit aufgezwungener gemeinsamer elterlichen Sorge sanktioniert werden (BGH FamRZ 2008, 592). Maßstab und Ziel einer Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist allein das Kindeswohl (BVerfG FF 2009, 416). Im Rahmen des § 1671 BGB kommt der Übertragung des Sorgerechts auf ein Elternteil weder eine Belohnungs- noch eine Bestrafungsfunktion zu (BGH FamRZ 2008, 592).

    Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge hinsichtlich des Teilbereichs des Aufenthaltsbestimmungsrechts entspricht demnach dem Wohl der Kinder am besten.

    Nach der auf der zweiten Prüfungsebene des § 1671 BGB zu erfolgenden Beurteilung war das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Kindesmutter zur alleinigen Ausübung zu übertragen, da es dem Wohl der Kinder M und E am besten entspricht, wenn sie im Haushalt der Kindesmutter leben. Bei der Annahme gleichwertiger Förderungskompetenzen und einer ebenso guten Bindung der Kinder zum Kindesvater wie zur Kindesmutter, spricht für die dem Antrag der Kindesmutter entsprechende Regelung, dass die Kinder seit der Trennung bei ihr leben und nach dem von ihnen bei der mündlichen Anhörung durch die Einzelrichterin bekundeten Willen auch dort weiterhin leben wollen. Hier haben sie auch ihre Freunde und sonstigen sozialen Bezüge.

    Die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater zur alleinigen Ausübung kommt derzeit nicht in Betracht. Wie bereits oben dargelegt haben es die Eltern bislang vermocht - vom Lebensmittelpunkt abgesehen - die wesentlichen Entscheidungen über die Kinder einvernehmlich zu treffen. Im Übrigen scheidet die Übertragung auf den Kindesvater aus den Gründen des vorstehenden Absatzes aus.

    Die oben dargelegten Umstände stellen triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe dar, die gem. § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB eine Abänderung der Sorgerechtsentscheidung aus dem Jahre 2011 bezüglich E bedingen. Die Änderung muss aus Gründen des Wohls des Kindes geboten sein, dabei müssen die Gründe, die für eine Änderung sprechen, die damit verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (OLG Frankfurt FamRZ 2011, 1875). Entscheidungsmaßstab ist auch hier das Kindeswohl. Es widerspricht dem Kindeswohl, wenn sein Lebensmittelpunkt ständig in Frage gestellt wird. Bereits oben wurde dargelegt, dass der fortdauernde Elternstreit über den Lebensmittelpunkt den Kindern nicht mehr zumutbar ist.

    Da die beteiligten Kindeseltern bereits eine Beratung aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung begonnen haben und im Hinblick auf das in den überwiegenden Teilbereichen fortbestehende gemeinsame Sorgerecht, hat der Senat die Anordnung der Inanspruchnahme einer Beratung beibehalten.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewertes auf den §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

    Gottschalk