OLG Frankfurt vom 04.03.1999 (6 UF 278/98)

Stichworte: Abtrennung, VA, unzumutbare Härte, Scheidung, elterliche Sorge, Kooperationsbereitschaft
Normenkette: ZPO 628, BGB 1671 Abs. 2 Nr. 2, 1565 Abs. 2
Orientierungssatz: Zur Abtrennung des Versorgungsausgleichsverfahrens aus dem Scheidungsverbund; zu den Vorausssetzungen der gemeinsamen elterlichen Sorge nach neuem Recht; zu den Scheidungsvoraussetzungen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weychardt und die Richter am Oberlandesgericht Kleinle und Schmidt aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 04. März 1999 für Recht erkannt:

Die Berufung des Antragsgegners vom 19.11.1998 gegen das Scheidungsverbundurteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Michelstadt vom 07.10.1998 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

T A T B E S T A N D

Das Amtsgericht hat nach Abtrennung des Versorungsausgleichsverfahrens die am 16.08.19996 geschlossene Ehe der Parteien nach § 1565 Abs. 2 BGB geschieden und die Alleinsorge für die gemeinschaftliche Tochter R., geboren am 09.02.1996, der Antragstellerin übertragen.

Der Antragsgegner beantragt, das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Michelstadt vom 07.10.1998 abzuändern und den Scheidungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen,

hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen,

hilfsweise die elterliche Sorge für das gemeinschaftliche Kind beiden Parteien zur gemeinsamen Ausübung mit der Maßgabe zu übertragen, daß der gewöhnliche Aufenthalt von R. bei der Antragstellerin ist.

Die Antragstellerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Antragstellerin gemäß § 613 ZPO gehört. Er hat die Akte F 327/98 AG Michelstadt beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Von der weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E

Die Berufung des Antragsgegners ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

I. Der Antrag der Antragstellerin auf Scheidung der am 16.08.1996 geschlossenen Ehe der Parteien ist begründet.

Auf das Scheidungsbegehren ist deutsches Recht anwendbar, da die Antragstellerin die deutsche und der Antragsgegner die russische oder kasachische Staatsangehörigkeit besitzen und beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (Art. 17 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB).

Nach § 1565 Abs. 1 BGB kann die Ehe geschieden werden, weil sie gescheitert ist. Nach dem Ergebnis der Anhörung beider Parteien in erster Instanz und der erneuten Anhörung der Antragstellerin durch den Senat ist davon auszugehen, daß die Lebensgemeinschaft der Parteien nicht mehr besteht und nicht mehr erwartet werden kann, daß die Parteien sie wiederherstellen. Für die Annahme des Scheiterns reicht es aus, daß die endgültige Abwendung von der Ehe nur auf seiten eines Ehegatten feststellbar vorhanden ist (BGH FamRZ 1979, 1003). Insoweit hat die Antragstellerin wiederholt und glaubhaft ihren Scheidungswunsch geäußert. Sie hat ihn vor allem damit begründet, daß es zu Gewalttätigkeiten gekommen sei, insbesondere unter Alkoholeinfluß des Antragsgegners. Dieser hat immerhin eingeräumt, daß es wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen Mitte Februar und Anfang Mai 1998 gekommen ist. Die Antragstellerin hat ihre Bekundungen durch Vorlage einer Strafanzeige vom 31.03.1997 und die ärztlichen Atteste des Herrn Dr. K. vom 01.04.1997, 09.06.1997 sowie insbesondere das des Herrn Dr. F. vom 05.05.1998 untermauert. Zwar hat die Antragstellerin am 28.10.1998 eine vorgeschriebene Erklärung unterschrieben, daß sie keine Scheidung wolle. Sie hat jedoch diese Erklärung alsbald wieder zurückgenommen und ihr Verhalten überzeugend dadurch gerechtfertigt, daß sie das Schriftstück aus Angst unterschrieben habe. Der Antragsgegner hat zwar Tätlichkeiten bestritten und behauptet, daß die Ehe nicht zerrüttet sei. Er ist jedoch trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne Entschuldigung nicht zum Senatstermin erschienen und hat damit zu erkennen gegeben, daß die Angaben der Antragstellerin jedenfalls im wesentlichen Kern zutreffend sind. Unter diesen Umständen sieht der Senat auch keine Veranlassung, die zwangsweise Vorführung des rechtsmittelführenden Antragsgegners zur weiteren Aufklärung anzuordnen. Ob es erneut am 28.02.1999 zu einer Tätlichkeit gekommen ist, mag dahinstehen. Auf das neue Vorbringen im Schriftsatz vom 01.03.1999 stellt der Senat nicht ab, so daß es auch keines Schriftsatznachlasses bedurfte.

Auf die Frage, ob die Fortsetzung der Ehe für die Antragstellerin aus Gründen, die in der Person des Antragsgegners liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde (§ 1565 Abs. 2 BGB), kommt es nicht mehr an, da die Parteien seit länger als einem Jahr getrennt leben. Die Antragstellerin hat am 23.02.1998 nach einer heftigen Auseinandersetzung die eheliche Wohnung verlassen und ist in ein Frauenhaus geflohen. Sie ist zwar für die Zeit vom 10.04.1998 bis zur weiteren Auseinandersetzung am 04.05 1998 wieder in die Ehewohnung zurückgekehrt. Ein Zusammenleben über eine kürzere Zeit, das der Versöhnung dienen soll, unterbricht oder hemmt jedoch nicht die Trennungsfrist (§ 1567 Abs. 2 BGB). Daß die Parteien in der Folgezeit zusammengelebt und sich nicht nur gelegentlich getroffen haben, hat die Antragstellerin in Abrede gestellt. Jedenfalls ist es nicht ersichtlich, daß hierdurch die Trennung unterbrochen oder gar eine Versöhnung herbeigeführt worden wäre. Auch in diesem Zusammenhang würdigt der Senat das unentschuldigte Fernbleiben des Antragsgegners zu seinen Lasten. Auf die Vernehmung der von diesem benannten Zeugen kommt es nicht an, da nicht im einzelnen behauptet ist, daß diese bezeugen können, daß nicht nur ein kürzeres Zusammenleben vorgelegen hat oder daß gar eine endgültige Versöhnung eingetreten ist.

II. Das angefochtene Urteil leidet nicht an einem mit der Berufung rügbaren Verfahrensfehler, weil das Amtsgericht nach § 628 Satz 1 Nr. 4 ZPO dem Scheidungsantrag vor der Entscheidung über den Versorgungsausgleich stattgegeben hat. Der Versorgungsausgleich ist noch immer nicht entscheidungsreif. Für den Antragsgegner liegt noch keine Rentenauskunft vor, weil dieser nach dem Schreiben der Landesversicherungsanstalt Hessen vom 12.02.1999 bei der Klärung des Versicherungskontos nicht mitwirkt. Da, wenn überhaupt, nur ein geringfügiger Ausgleichsbetrag in Betracht kommt, und eine Förderung des Verfahrens durch den Antragsgegner nicht zu erwarten ist, ist es angesichts auch des gespannten Verhältnisses der Parteien der Antragstellerin nicht zuzumuten, mit der Scheidung der Ehe zu warten und sich weiteren Pressionen auszusetzen.

III. Zu Recht hat das Familiengericht die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind R., geboren am 09.02.1996, auf Antrag allein der Antragstellerin übertragen, da die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf sie dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge auch nach Trennung und Scheidung setzt ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft voraus. Davon kann hier nicht ausgegangen werden. War das Verhältnis der Eltern bereits vor der Trennung durch Gewaltanwendung des einen Elternteils gegenüber dem anderen Elternteil belastet, so entspricht im allgemeinen - vor allem, wenn dies gerade der Anlaß für die Trennung war - die Fortsetzung der gemeinsamen Sorge nicht dem Wohl des Kindes. In diesen Fällen ist vielmehr regelmäßig davon auszugehen sein, daß die bestehenden Gewaltstrukturen sich fortsetzen und die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge für den Elternteil, der Opfer der Gewaltanwendung war, eine Kooperation mit dem anderen Elternteil unmöglich macht und so zu weiteren Belastungen führt, die nachteilige Auswirkungen auf das Kindeswohl erwarten lassen. (vgl. Reg.-E, BT-Drucks. 13/4899 S.99). Daß die ehelichen Zerwürfnisse überwunden sind und eine Normalisierung der Beziehungen eingetreten ist oder doch zumindest in absehbarer Zeit erwartet werden kann, kann aufgrund der Ermittlungen nicht angenommen werden. Auch in diesem Zusammenhang kann wegen des Fernbleibens des Antragsgegners im Senatstermin keine günstige Prognose getroffen werden.

Von der persönlichen Anhörung des mittlerweile dreijährigen Kindes konnte abgesehen werden, da es hier auch allein auf die Kooperationsbereitschaft der Eltern ankommt und das Kind unstreitig in der Obhut der erziehungsgeeigneten Mutter aufwachsen soll.

Die ebenfalls am 07.10.1998 vom Familiengericht Michelstadt unter dem Aktenzeichen F 327/98 getroffene bestandkräftige Sorgerechtsregelung steht der Sorgerechtsregelung im Verbund nicht entgegen, da die isolierte Sorgerechtsregelung in jenem Verfahren erkennbar befristet werden sollte bis zur Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung.

IV. Danach ist die Berufung unbegründet und war mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Dr. Weychardt Kleinle Schmidt