OLG Frankfurt vom 17.10.2016 (6 UF 242/16)

Stichworte: Obhut; Vertretung im Unterhaltsverfahren; Entscheidungsbefugnis; Wechselmodell; Interessengegensatz
Normenkette: BGB 1606 Abs. 3; BGB 1628; BGB 1629 Abs. 2 Satz 2, BGB 1629 Abs. 3; BGB 1795; BGB 1796
Orientierungssatz:
  • Im Fall des Wechselmodells ist die Übertragung der Entscheidungsbefugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt auf einen Elternteil gemäß § 1628 BGB vorzugswürdig gegenüber der Einsetzung eines Ergänzungspflegers, weil damit auch die Entscheidungsbefugnis über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens geklärt wird.
  • Der Einsatz eines Ergänzungspflegers ist im Regelfall auch nicht erforderlich, um einen konkreten Interessenkonflikt zu vermeiden (§ 1796 BGB); regelmäßig liegt nur ein abstrakter Interessengegensatz vor wie auch in allen anderen Fällen, in denen ein Haftungsanteil der Elternteile zu bilden ist (z. B. beim Mehrbedarf eines Kindes), oder wenn gleichzeitig Trennungsunterhalt begehrt wird.
  • 4 F 461/15 EASO
    AG Fürth

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge …

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schwamb, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. von Pückler und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Ostermann auf die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Fürth vom 27. 7. 2016 am 17. Oktober 2016 beschlossen:

    Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

    Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

    Der Beschwerdewert wird auf 1.500,- € festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    Die minderjährigen Beteiligten zu 1) und 2) sind aus der geschiedenen Ehe der Beteiligten zu 3) und 4) hervorgegangen. Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern betreuen die Kinder zu gleichen Teilen. Zwischen ihnen besteht Dissens, ob die bisherigen Unterhaltszahlungen des Beteiligten zu 3) ausreichend sind. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht der Beteiligten zu 4) auf ihren Antrag im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidung über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für die beiden Kinder allein übertragen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 3) mit der Beschwerde. Da auch die Mutter zum Barunterhalt herangezogen werden könne, liege eine Interessenkollision vor, die die Einsetzung eines Ergänzungspflegers gebiete.

    II.

    Die gemäß § 57 S. 2 Nr. 1 i.V.m. § 58 ff FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nicht begründet.

    1. Wenn Eltern wie im vorliegenden Fall die Sorge für ihre Kinder gemeinsam zusteht, sind sie gemäß § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB auch gemeinsam zur Vertretung der Kinder bei der Geltendmachung von Ansprüchen befugt (§ 1629 Abs. 1 S. 1 BGB). Daher liegt im Fall der Geltendmachung von Kindesunterhalt den gesetzlichen Regelungen über die Vertretung des Kindes in Unterhaltsverfahren die Vorstellung der alleinigen Betreuung des Kindes durch einen Elternteil und die in § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB vorgesehene Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils zugrunde. Dem entspricht § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB, der vorsieht, dass der Obhutselternteil auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge befugt ist, das Kind bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den anderen allein zu vertreten. Wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, ist bei gemeinsamer elterlicher Sorge in Fällen des paritätischen Wechselmodells aber kein Elternteil befugt, in alleiniger Vertretung des Kindes dessen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil geltend zu machen, denn in diesen Fällen betreuen beide das Kind und eine alleinige Ohhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB besteht nicht (BGH, FamRZ 2006, S. 1015, Rn. 9; BGH FamRZ 2014, S. 917, Rn. 16). Im Grundsatz müsste dann das Kind vertreten durch beide Elternteile auf der einen Seite seinen Unterhaltsanspruch gegen einen der vertretenden Elternteile auf der anderen Seite geltend machen. Praktisch würde das regelmäßig am Widerstand des Elternteils scheitern, von dem Unterhalt beansprucht werden soll. Es ergeben sich aber auch rechtliche Hindernisse. Bei (noch) verheirateten Eltern besteht grundsätzlich ein Vertretungsverbot, weil es Eltern ebenso wie Vormündern gemäß § 1629 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB untersagt ist, als Vertreter des Kindes gerichtliche Verfahren gegen ihren Ehegatten zu führen (OLG Hamburg, FamRZ 2015, S. 859, Rn. 3 juris; Beschluss des Senats vom 12. 7. 2016, 6 UF 60/16). Wenn die Eltern wie vorliegend geschieden sind, können sie das Kind wegen des sich aus § 1629 Abs. 2 S. 1, § 1795 Abs. 2 und § 181 BGB ergebenden Verbots der In-Sich-Vertretung im Rechtstreit nicht gemeinsam bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen einen von ihnen vertreten.

    2. Der Bundesgerichtshof hat in zwei Entscheidungen in Fällen geschiedener Eltern in nicht tragenden Teilen der Gründe:ohne nähere Erläuterung ausgeführt, bei gleichmäßiger Betreuung eines Kindes gemeinsam sorgeberechtigter Eltern müsse der Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält, entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind herbeiführen, der dieses bei der Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs vertritt, oder der Elternteil müsse beim Familiengericht beantragen, ihm gemäß § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen (BGH, FamRZ 2014, S. 917, Rn. 16; BGH, FamRZ 2006, S. 1015, Rn. 9). Diese Ausführungen sind in der Literatur weitgehend unhinterfragt übernommen worden (Erman-Döll, 14. Aufl., Rn. 19a zu § 1629 BGB; Hamdan in juris-PK, Rn. 70 zu § 1629 BGB; Staudinger/Peschel-Gutzeit (2015), Rn. 336 zu § 1629 BGB; MK-Huber, 6. Aufl., Rn. 77 zu § 1629 BGB; Johannsen/Henrich/Jaeger, 6. Aufl., Rn. 6 zu § 1629 BGB). Der Senat hält den Lösungsweg über § 1628 BGB für vorzugswürdig, weil der Bundesgerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung die der Führung eines Unterhaltsverfahrens vorausgehende Entscheidung über das Ob seiner Einleitung als von der Vertretung des Kindes im Verfahren getrennt zu beUrteilenden Teil der Ausübung der elterlichen Sorge angesehen hat (BGH, NJW 1975, S. 345, Rn. 12 – 16; BGH, FamRZ 2009, S. 861, Rn. 30). Die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen den mitsorgeberechtigten Elternteil führt gemäß § 1629 Abs. 1 S. 3 BGB unmittelbar zur Alleinvertretungsbefugnis des anderen Elternteils. Die Einsetzung eines Ergänzungspflegers - so ihre noch anzusprechenden Voraussetzungen nach § 1629 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 1796 BGB überhaupt erfüllt sind – würde die Frage über das Ob der Einleitung eines Unterhaltsverfahrens noch ungeklärt lassen.

    3. Der Beschwerde liegt die in jüngster Zeit in der Literatur vertretene Auffassung zugrunde, für die Geltendmachung von Unterhalt für durch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern im Wechselmodell betreute Kinder sei zur Vermeidung von Interessenkonflikten immer ein Ergänzungspfleger einzusetzen (vgl. Götz, FF 2015, S. 146, S. 149; Seiler, FamRZ 2015, S. 1845, S. 1850). Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Zwar ist zuzugestehen, dass ein abstrakter Interessengegensatz zwischen dem vertretenden Elternteil und dem Kind nicht von der Hand zu weisen ist. Wenn Kinder von beiden Eltern zu gleichen Teilen betreut werden, sind die zu ihrer Vertretung bei der Geltendmachung von Unterhalt berechtigten Elternteile immer auch in eigenen Interessen berührt. Wenn bei aufgeteilter Betreuung kein Elternteil seine Unterhaltspflicht gemäß § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB allein durch Betreuung erfüllt, steht den Kindern gegen beide ein Barunterhaltsanspruch zu, der sich nach dem gemeinsamen Elterneinkommen bemisst und für den diese gemäß § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB anteilig nach Maßgabe ihres den angemessenen Selbstbehalt übersteigenden Einkommens haften (BGH, FamRZ 2014, S. 917, Rn. 29; BGH, FamRZ 2006, S. 1015, Rn. 16). Erst im Ergebnis der Saldierung der beiderseitigen Anteile ergibt sich eine Zahlungsverpflichtung nur eines Elternteils, weil derjenige, der im höheren Maße für den Bedarf des Kindes einzustehen hat, die Hälfte der Differenz zwischen dem auf ihn und den anderen Elternteil als Ausgleichszahlung zu erbringen hat (vgl. Niepmann/Schwamb, Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 13. Aufl., Rn. 175a; Wendl/Dose/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, 9. Aufl., § 2, Rn. 450). Der vertretende Elternteil mag deshalb geneigt sein, den eigenen Haftungsanteil möglichst gering anzusetzen. Ähnliche Interessengegensätze nimmt die unterhaltsrechtliche Praxis jedoch üblicherweise hin, ohne dass sie in abstrakter Form Anlass zu einem Eingriff in die elterliche Sorge über § 1629 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 1796 BGB gegeben hätten. Anzusprechen sind in diesem Zusammenhang die Fälle, in denen der vertretungsberechtigte Elternteil neben Unterhaltsansprüchen der Kinder auch eigene Unterhaltsansprüche erhebt und deshalb geneigt sein könnte, für sich auf Kosten der Kinder höheren Unterhalt zu erstreiten (vgl. Niepmann/Schwamb, a.a.O.). Vergleichbar sind auch die Fälle, in denen der vertretungsbefugte Elternteil wegen eines erheblichen Einkommensunterschieds (vgl. BGH, FamRZ 2013, S. 1558) oder wegen der Gefährdung des angemessenen Selbstbehalts des in Anspruch genommenen Elternteils (vgl. BGH, FamRZ 2011, S. 1041) mit für den Barunterhalt haftet. Im vorliegenden wie auch in den vergleichbar gelagerten Fällen hat nach Auffassung des Senats zu gelten, dass ein Vertretungsausschluss nach § 1796 BGB als Eingriff in die elterliche Sorge nicht ohne weiteres wegen eines abstrakten Interessengegensatzes erfolgen darf, sondern einen im Einzelfall festzustellenden konkreten Interessengegensatz voraussetzt (BGH, FamRZ 2008, S. 1156, Rn. 16; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, S. 1382, Rn. 5; Palandt-Götz, 75. Aufl., Rn. 2 zu § 1796 BGB; Erman-Saar, 14. Aufl., Rn. 1 zu § 1796 BGB; Staudinger-Veit (2014), Rn. 6 zu § 1796 BGB). In den dargestellten unterhaltsrechtlichen Interessenkollisionen wird dem vertretenden Elternteil in der Regel verantwortungsbewusstes und die Interessen der Kinder vor die eigenen stellendes Handeln zugetraut. Anhaltspunkte für einen erheblichen Interessengegensatz zwischen der Mutter und den Kindern bestehen im vorliegenden Fall schon deshalb nicht, weil das Einkommen der Mutter den angemessenen Selbstbehalt in sehr viel geringerem Maß überschreitet als das des gut verdienenden Vaters.

    4. Die angefochtene Entscheidung ist schließlich auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Anhörung der betroffenen Kinder konnte gemäß § 159 Abs. 1 S. 2 FamFG unterbleiben. Das Amtsgericht hat zu Recht Anlass für eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung gesehen. Da der Unterhalt gemäß § 246 FamFG im Wege der einstweiligen Anordnung geltend gemacht werden könnte, muss auch die Ermächtigung zur Geltendmachung im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgen können (OLG Hamburg, FamRZ 2015, S. 591, Rn. 8). Eine andere Handhabung würde die Geltendmachung des Unterhalts in den hier in Rede stehenden Fällen unangemessen hinauszögern.

    5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Es sind keine Gesichtspunkte zu erkennen, die eine von der gesetzlichen Regel abweichende Kostenverteilung geboten hätten. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 40 Abs. 1, § 41 und § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG. Auch Kindschaftssachen, in de-nen es um eine gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern i.S.d. § 1628 BGB geht, unterfallen der zuletzt genannten Vorschrift (vgl. OLG Brandenburg, Rn. 11 – juris; Türck-Brocker, in: Schneider/Volpert/Fölsch, FamGKG, 2. Aufl., Rn. 6 zu § 45 FamGKG).

    Schwamb Dr. von Pückler Dr. Ostermann