OLG Frankfurt vom 18.01.2022 (6 UF 238/17B)

Stichworte: Beschwerdegegenstand; Bagatellklausel; Geringfügigkeit; Gleichartigkeit; Finanzierungsart; Besteuerung; Umlageverfahren; Kapitaldeckungsverfahren; Teilhabe, gleichwertig
Normenkette: VersAusglG 11; VersAusglG 18
Orientierungssatz:
  • Im Umlageverfahren und im Kapitaldeckungsverfahren geführte Anrechte aus Pflichtversicherung bei Zusatzversorgungskassen des öffentlichen und kirchlichen Dienstes (hier:kommunale Zusatzversorgungskasse Abrechnungsverband I und Evangelische Zusatzversorgungskasse) sind nicht gleichartig im Sinne des § 18 Abs. 1 VersAusglG, weil in der Anwartschaftsphase die Beiträge und in der Leistungsphase die Rente unterschiedlich besteuert werden (Anschluss an OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.5.2019 - 8 UF 104/17, juris; entgegen KG, Beschluss vom 27.11.2014 - 18 UF 63/14 = FamRZ 2015, 929). – amtlicher Leitsatz –
  • Ein nicht bei dem beschwerdeführenden Versorgungsträger bestehendes Anrecht bildet schon dann den Beschwerdegegenstand, wenn seine Gleichartigkeit mit dem bei ihm bestehenden Anrecht auch nur zu prüfen ist (Anschluss an BGH, Beschluss vom 3. 2. 2016, XII ZB 629/13, Rn. 7) – nichtamtlicher Leitsatz –
  • 52 F 122/17 S
    AG Dieburg

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt … beschlossen:

    Die angefochtene Entscheidung wird unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen im zweiten Absatz der Ziffer II der Beschlussformel wie folgt abgeändert:

    Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragstellers bei der Evangelischen Zusatzversorgungskasse, …, zugunsten der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 24,71 Versorgungspunkten, bezogen auf den 28.2.2017, übertragen. Für das Anrecht der Antragsgegnerin gelten die Regelungen über das Anrecht des Antragstellers entsprechend.

    Gerichtskosten werden für das Beschwerde- und das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

    Der Beschwerdewert wird auf 2.610,- € festgesetzt.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    Gründe:

    I.

    Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: ZVK Stadt1) ist eine Zusatzversorgungskasse des öffentlichen Dienstes. Sie wendet sich gegen einen Scheidungsverbundbeschluss, in dem von dem Ausgleich eines bei ihr bestehenden Anrechts abgesehen wurde. Aus ihrer Sicht ist es von gleicher Art wie das Anrecht des anderen Ehegatten bei der weiteren Beteiligten zu 4. (im Folgenden: EZVK), einer Trägerin der Zusatzversorgung des kirchlichen Dienstes, weshalb beide Anrechte auszugleichen seien.

    Das Familiengericht hat die am XX.XX.1998 geschlossene Ehe des Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) und der Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) auf den am 9. März 2017 zugestellten Antrag geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. In der gesetzlichen Ehezeit (1. August 1998 bis 28. Februar 2017) hat der Ehemann u. a. ein Anrecht in der kirchlichen Zusatzversorgung bei der EZVK und die Ehefrau u. a. ein Anrecht bei der ZVK Stadt1 erworben. Den jeweiligen Ausgleichswert des bei ihnen bestehenden Anrechts haben die ZVK Stadt1 mit 5,27 Versorgungspunkten (korrespondierender Kapitalwert: 2.399,38 €) und die EZVK mit 18,10 Versorgungspunkten (korrespondierender Kapitalwert: 9.239,34 €) angegeben. Beide Anrechte wurden in der jeweiligen Pflichtversicherung erworben. Die EZVK hat die interne Teilung des bei ihr bestehenden Anrechts in den Tarif ihrer freiwilligen Versicherung verlangt. Sie hat sich hierbei auf § 44 Abs. 3 ihrer Satzung in der damaligen Fassung berufen, die Folgendes regelt:

    „Wird vom Familiengericht für die ausgleichsberechtigte Person ein Anrecht übertragen, erwirbt die ausgleichsberechtigte Person bezogen auf das Ende der Ehezeit ein von einer eigenen Pflicht- oder freiwilligen Versicherung unabhängiges Anrecht in der freiwilligen Versicherung nach Maßgabe der jeweils geltenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen und gilt als beitragsfrei versichert. …“

    Das Amtsgericht hat das Anrecht der Ehefrau bei der ZVK wegen Geringfügigkeit nicht ausgeglichen. Das Anrecht des Ehemanns bei der EZVK hat es mit einem Ausgleichswert von 18,10 Versorgungspunkten zugunsten der Ehefrau intern geteilt und angeordnet, dass die Teilung „nach Maßgabe der Versorgungsregelung § 44 der Satzung der EZVK“ erfolgt.

    Die Beschwerde der ZVK Stadt1 gegen den ihr am 20.11.2017 zugestellten Scheidungsverbundbeschluss ist am 5.12.2017 bei dem Familiengericht eingegangen. Sie führt aus, dass die Anrechte der Ehegatten aus Zusatzversorgung des öffentlichen bzw. kirchlichen Dienstes gleichartig seien. Wegen des Vorrangs des § 18 Abs. 1 VersAusglG habe auch das bei der Beschwerdeführerin bestehende Anrecht ausgeglichen werden müssen, denn die Differenz der korrespondierenden Kapitalwerte übersteige die Geringfügigkeitsgrenze nach § 18 Abs. 3 VersAusglG.

    Der Senat hat die angefochtene Entscheidung mit Beschluss vom 2.7.2019 (FamRZ 2019, 1781) abgeändert. Er hat das Anrecht der Ehefrau bei der ZVK Stadt1 mit einem Ausgleichswert von 5,27 Versorgungspunkten zugunsten des Ehemanns intern geteilt. Außerdem hat der Senat den Ausspruch hinsichtlich des Anrechts des Ehemanns bei der EZVK dahingehend abgeändert, dass zugunsten der Ehefrau 24,71 Versorgungspunkte übertragen werden und dass für ihr Anrecht die Regelungen über das Anrecht des Ehemanns entsprechend gelten. § 44 Abs. 3 der Satzung der EZVK hat der Senat wegen Verstoßes gegen das Gebot der gleichwertigen Teilhabe (§ 11 VersAusglG) als unwirksam angesehen. Der Senat ist im Übrigen davon ausgegangen, dass beide Anrechte gleichartig i. S. d. § 18 Abs. 1 VersAusglG sind. Wegen der die Geringfügigkeitsschwelle nach § 18 Abs. 3 VersAusglG überschreitenden Differenz ihrer Kapitalwerte und des Vorrangs des § 18 Abs. 1 VersAusglG komme ein Geringfügigkeitsausschluss hinsichtlich des Anrechts bei der ZVK Stadt1 nicht in Betracht.

    Die Entscheidung des Senats wurde auf die Rechtsbeschwerde der EZVK durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18.8.2021 (FamRZ 2021, 1955 [= NZFam 2021, 1013 mAnm Schwamb]) aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsauffassung des Senats zur Unwirksamkeit der in der Satzung der EZVK vorgesehenen Teilung in den Tarif der freiwilligen Versicherung bestätigt. Er hat allerdings darauf hingewiesen, dass der Senat zur Gleichartigkeit der beiden Anrechte in der irrigen Annahme gelangt ist, beide seien umlagefinanziert. Tatsächlich erfolgt die Finanzierung des Anrechts des Ehemanns bei der EZVK nach § 53 Abs. 2 ihrer Satzung im Kapitaldeckungsverfahren. Das im Abrechnungsverband I geführte Anrecht der Ehefrau bei der ZVK Stadt1 ist gemäß § 55 Abs. 1a S. 1 ihrer Satzung umlagefinanziert.

    II.

    Auf die zulässige Beschwerde war der Ausspruch der ersten Instanz über die interne Teilung des Anrechts des Ehemanns bei der EZVK abzuändern. Im eigentlichen Anliegen hat die Beschwerde der ZVK Stadt1 dagegen keinen Erfolg, weil sich bei nochmaliger Prüfung ergeben hat, dass die Anrechte der Ehegatten aus Zusatzversorgung des kirchlichen und des öffentlichen Dienstes nicht gleichartig i. S. d. § 18 Abs. 1 VersAusglG sind.

    Anrechte gleicher Art im Sinne des Absatzes 2 sind Anrechte, die sich in Struktur und Wertentwicklung entsprechen, so dass ein Saldenausgleich nach Verrechnung im Wesentlichen zu demselben wirtschaftlichen Ergebnis führt wie ein Hin-und-her-Ausgleich. Eine Wertidentität ist nicht erforderlich, ausreichend ist eine strukturelle Übereinstimmungin den wesentlichen Fragen wie Leistungsspektrum, Finanzierungsart, Anpassung von Anwartschaften und laufenden Versorgungen (BT-Drucks. 16/10144, S. 55 und BGH, Beschluss vom 30.11.2011, XII ZB 344/10, Rn. 20). Der Gesetzgeber wollte den wirtschaftlich sinnlosen Hin-und-her-Ausgleich von beiderseitigen Anrechten der Ehegatten vermeiden.

    Anrechte aus der Pflichtversicherung der Zusatzversorgungskassen des öffentlichen und des kirchlichen Dienstes wurden in der Vergangenheit durchweg als gleichartig angesehen, und zwar in der Regel ohne nähere Betrachtung der Finanzierungsart, obwohl sie sich bei vielen Zusatzversorgungskassen unterschiedlich darstellen, je nachdem ob die Versicherten vor bzw. nach dem 24.9.2003 Mitglieder der Kassen geworden sind (OLG Köln, Beschluss vom 3. 2. 2012, 4 UF 263/12, Rn. 5 - juris; OLG Schleswig, Beschluss vom 26.9.2013, 15 UF 80/13, Rn. 26 - juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.8.2014, 5 UF 156/14, Rn. 7 - juris; OLG Hamm, Beschluss vom 9.3.2016, 2 UF 226/15, Rn. 13 - juris; OLG Hamm, Beschluss vom 9.3.2016, 2 UF 226/15, Rn. 13 - juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 6.4.2017, 7 UF 127/17, Rn. 23 - juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 20.8.2019, 2 UF 140/9, Rn. 13 - juris; JHA-Holzwarth, 7. Aufl., Rn. 5 zu § 18 VersAusglG; Götsche/Rehbein/ Breuers, 3. Aufl., Rn. 31 zu § 10 VersAusglG; Wick, Versorgungausgleich, 4. Aufl., Rn. 420). Nur das Kammergericht hat in seinem Beschluss vom 27.11.2014 (FamRZ 2015, 929) herausgearbeitet, dass die beiden dort in Rede stehenden Anrechte aus verschiedenen Tarifen der VBL umlage- bzw. kapitaldeckungsfinanziert waren. Es hat sie dennoch als gleichartig angesehen, weil die Anrechte beide in Versorgungspunkten bemessen waren und unabhängig von der Finanzierungsart zu gleich hohen Leistungen bei identischer Dynamik führten (a.a.O., Rn. 11 - juris). Das Kammergericht berief sich dabei auf die o. g. Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der es als entscheidend für die Gleichartigkeit bezeichnet hatte, dass den beiderseitigen Anrechten annähernd vergleichbare kapitalisierte Stichtagswerte zuzuordnen sind und dass diese Werte auch zu einer vergleichbaren Absicherung und zu ähnlich hohen Versorgungsleistungen führen (BGH, Beschluss vom 30.11.2011, XII ZB 344/10, Rn. 20).

    Wie der BGH in der in der vorliegenden Sache ergangenen Entscheidung vom 16.8.2021 aber betont hat, bedarf es doch genauerer Betrachtung der Finanzierungsart. Er verweist auf eine dem Senat im Zeitpunkt seines Beschlusses vom 2.7.2019 noch nicht bekannte Entscheidung des 8. Familiensenats des OLG Frankfurt (Beschluss vom 29.5.2019, 8 UF 104/17, Rn. 32 f. - juris), in der überzeugend herausgearbeitet wurde, dass die unterschiedlichen Finanzierungsformen der Zusatzversorgungen zu einer unterschiedlichen Besteuerung und damit zu einem unterschiedlichen Leistungsniveau führen. Die Beiträge des Arbeitgebers zur Kapitalstockbildung, wie sie für die Versicherung des Ehemanns bei der EZVK erbracht wurden, wurden ihm nach § 3 Nr. 63 EStG in höherem Umfang nicht als steuerpflichtiges Einkommen angerechnet, als der Ehefrau die Beiträge, die ihr Arbeitgeber der Ehefrau an die umlagefinanzierte ZVK Stadt1 gezahlt hat (§ 3 Nr. 56 EStG). Die unterschiedliche Besteuerung des Einkommens, das die Versicherten in Form von Arbeitgeberbeiträgen zu Zusatzversorgungskassen beziehen, führt im späteren Leistungsfall zu einer unterschiedlichen Besteuerung der Rente. Die Rente aus der ZVK Stadt1 unterfällt nur der Ertragsanteilbesteuerung nach § 22 Nr. 5 S. 2 EStG, während die aus einem Kapitalstock zu zahlende Rente der EZVK nach § 22 Nr. 5 S. 1 EStG in voller Höhe einkommensteuerpflichtig ist.

    Mangels Gleichartigkeit ist über den Ausgleich des Anrechts der Ehefrau bei der ZVK Stadt1, dessen Ausgleichswert die Geringfügigkeitsgrenze des § 18 Abs. 3 VersAusglG unterschreitet, nach § 18 Abs. 2 VersAusglG zu befinden. Anhaltspunkte dafür, dass der Ausgleich des Anrechts geboten wäre, sind weder ersichtlich noch dargetan. Es ist insbesondere nicht dargetan, dass der Ehemann auf die Erlangung eines geringfügigen Anrechts angewiesen wäre. Für den der gesetzlichen Regel entsprechenden Geringfügigkeitsausschluss spricht der hohe Verwaltungsaufwand, der dem geringen Rentenanrecht, das dem Ehemann im Fall der Teilung erwachsen würde, nicht angemessen ist.

    Ungeachtet der fehlenden Gleichartigkeit sieht sich der Senat befugt, neuerlich den Ausspruch der ersten Instanz über die Teilung des Anrechts des Ehemanns bei der EZVK abzuändern. Das Anrecht ist von der Beschwerde der ZVK Stadt1 erfasst. Sie hat ihr Rechtsmittel ausdrücklich auf das bei der EZVK bestehende Anrecht erstreckt, weil sie die Prüfung der Gleichartigkeit i. S. d. § 18 Abs. 1 VersAusglG verlangt hat. Auch wenn die Prüfung zu einem dem Beschwerdeanliegen nicht entsprechenden Ergebnis führt, ergibt sich daraus nicht nachträglich eine Beschränkung des Rechtsmittels. Vielmehr bildet ein nicht bei dem beschwerdeführenden Versorgungsträger bestehendes Anrecht schon dann den Beschwerdegegenstand, wenn seine Gleichartigkeit mit dem bei ihm bestehenden Anrecht auch nur zu prüfen ist (BGH, Beschluss vom 3. 2. 2016, XII ZB 629/13, Rn. 7). Den Beschwerdegegenstand hat das Beschwerdegericht dann nicht nur auf die Stichhaltigkeit des Beschwerdeangriffs zu überprüfen. Vielmehr ist auch hinsichtlich des nicht bei dem Beschwerdeführer bestehenden Anrechts die Entscheidung zu treffen, die der Sach- und Rechtslage entspricht (BGH, Beschluss vom 19.7.2017, XII ZB 201/17, Rn. 8). Wegen der Gründe:, die den Senat bewogen haben, die systemgleiche Teilung des Anrechts des Ehemanns bei der EZVK anzuordnen, wird auf den Beschluss vom 2.7.2019 und die insoweit zustimmende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.8.2021 verwiesen.

    Wegen der Entscheidung über die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der Festsetzung des Beschwerdewerts wird auf den Beschluss des Senats vom 2.7.2019 verwiesen.

    Gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG war die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die vorliegende Entscheidung hinsichtlich der Bedeutung unterschiedlicher Finanzierungsarten im Rahmen der Prüfung der Gleichartigkeit von Anrechten aus Zusatzversorgungen von der Entscheidung des Kammergerichts vom 27.11.2014, Aktenzeichen 18 UF 63/14, abweicht.