OLG Frankfurt vom 10.11.1999 (6 UF 236/99)

Stichworte: Unterbringung, Genehmigung, Diagnose, Prüfungsmaßstab, Befristung
Normenkette: FGG 70m Abs. 1, 70g Abs. 3 S. 1, BGB 1631b
Orientierungssatz: Die Genehmigung der Unterbringung eines Kindes durch den Vormund kommt auch zur Ermöglichung einer (genauen) Diagnose in Betracht

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

betreffend das minderjährige Kind

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt am 10.11.1999 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Vormundes wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt vom 27.07.1999 abgeändert.

Die Unterbringung des Kindes in einer geschlossenen Abteilung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in B.. wird genehmigt. Die Unterbringungsmaßnahme endet, wenn sie nicht vorher verlängert wird, am 12.01.2000.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei.

G R Ü N D E

K. ist nichtehelich geboren. Durch Beschluß vom 27.05.1988 hat das Vormundschaftsgericht Darmstadt der Mutter die elterliche Sorge entzogen und den Vater zum Vormund bestellt. Er lebt bei seine Großeltern väterlicherseits.

Der Vormund will den Jungen wegen erheblicher Verhaltensauffälligkeiten in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in B. stationär untersuchen lassen und hat Antrag nach § 1631b BGB gestellt. Das Jugendamt unterstützt diesen Antrag. Dr. S., Kinder- und Jugendpsychiater und Oberarzt in dieser Klinik, hat nach einem Hausbesuch am 25.05.1999 ein Kurzgutachten erstellt. Er hält eine kinder- und jugendpsychiatrische Diagnose sowohl im Leistungs- als auch im emotionalen Bereich für dringend erforderlich, da ansonsten eine dissoziale Entwicklung des Jugendlichen sehr wahrscheinlich werde. Den vereinbarten Ambulanztermin vom 01.06.1999 hat K. nicht wahrgenommen. Das Amtsgericht hat Termin zur Anhörung des Kindes in der Wohnung des Vormundes bestimmt, hat aber K., der selbst keine Terminsnachricht oder Ladung erhalten hat, nicht angetroffen. Der Familienrichter hat die beantragte Maßnahme mit dem Vater und der Großmutter erörtert.

Mit Beschluß vom 27.07.1999 hat das Amtsgericht den Genehmigungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, eine Unterbringung des Kindes allein zu diagnostischen Zwecken sei durch das Recht nicht gestattet; eine ambulante Diagnostik sei vorliegend möglich und durchführbar.

Gegen den dem Vormund am 04.08.1999 zugestellten Beschluß hat dieser am 11.08.1999 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Beschwerde eingelegt. Der Senat hat den Minderjährigen persönlich angehört und die Angelegenheit mit ihm, seiner Verfahrenspflegerin, dem Vormund und einem Vertreter des Jugendamtes des Kreises Darmstadt-Dieburg erörtert.

Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 70m I, 70g III 1 FGG statthaft und auch im übrigen zulässig. Sie ist auch begründet.

Die Unterbringung eines Kindes durch dessen Vormund ist nach §§ 1631b Satz 1, 1800 BGB nur mit Genehmigung des Familiengerichts zulässig. Durch die gerichtliche Kontrolle soll vermieden werden, daß sorgeberechtigte Eltern oder an deren Stelle der Vormund ein Kind in eine geschlossene Einrichtung verbringen, wenn bei sinnvoller Wahrnehmung des Erziehungsrechts eine Problemlösung auf weniger schwerwiegende Weise erreicht werden kann (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 58. Aufl., § 1631b Rdnr. 1 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Der vom Amtsgericht angelegte Prüfungsmaßstab ist zu eng. Danach kommt durchaus die Unterbringung zur Diagnostik in Betracht und diese ist hier auch dringend veranlaßt.

In der Entwicklung K.s ist Anfang 1998 ein erheblicher Bruch eingetreten, der sich durch Erziehungsschwierigkeiten und einen gestörten Realitätsbezug äußerte. Die innerfamiliären Spannungen erhöhten sich und wurden durch das oppositionelle Verhalten K.s verstärkt. In der Schule kam es zu Auffälligkeiten und seit Monaten besucht er diese überhaupt nicht mehr. K. hat sich zurückgezogen und lebt ohne Zukunftsperspektive. Der Senat schließt sich der sachverständigen Empfehlung des Gutachters und des Jugendamtes an, daß eine kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik sowohl im Leistungs- als auch im emotionalen Bereich dringend erforderlich ist, um auf dieser Grundlage weitere Maßnahmen ergreifen und einer dissozialen Entwicklung entgegenwirken zu können. Eine ambulante Diagnostik ist weder möglich noch durchführbar, da sich K. bislang allen Versuchen einer Abklärung entzogen hat. Seine bei der Anhörung bloß angedeutete Bereitschaft zu einem stationären Aufenthalt reicht nicht. K. muß wissen, daß diejenigen, die für ihn Verantwortung tragen, diese in seinem wohlverstandenen Interesse gegebenenfalls auch durchzusetzen bereit sind. Immerhin hat K., auch durch sein Erscheinen vor dem Senat, eine gewisse Einsicht in die Notwendigkeit einer stationären Untersuchung gezeigt. Es liegt nunmehr in erster Linie an ihm, bei dieser mitzuwirken. Davon werden nicht nur die näheren Umstände und die Dauer des Krankenhausaufenthaltes abhängen, sondern auch die Möglichkeiten für anschließende gezielte Hilfen. Ohne die Ursachen für die Verhaltensauffälligkeiten zu kennen, ist insbesondere die Frage einer anderweitigen Unterbringung im Jugendhilfebereich oder der von ihm gewünschte Wechsel des Sorgerechts nicht hinreichend sicher zu beurteilen. Soweit sich K. dagegen gewehrt hat, vom Vater in die Klinik gebracht zu werden, kann dem durch die Mithilfe des Jugendamtes mühelos Rechnung getragen werden.

Da mit einer Aufenthaltsdauer von vier bis sechs Wochen für eine Untersuchung und Beobachtung gerechnet werden muß, befristet der Senat die Genehmigung auf zwei Monate. Sollte sich insbesondere die Aufnahme verzögern, kann die Maßnahme auch verlängert werden.

Kleinle Dr. Bauermann Schmidt