OLG Frankfurt vom 16.09.1999 (6 UF 232/98)

Stichworte: Unterhaltsbemessung, Steuervorteile, Freibetrag, Zuflussprinzip, Abänderungsklage
Normenkette: ZPO 323 Abs. 4, 794 Abs. 1 Nr. 1, BGB 1578
Orientierungssatz: Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind Steuern zwar grundsätzlich in der gegenwärtig entrichteten Höhe zu berücksichtigen. Eine Anhebung der Leistungsfähigkeit durch Steuererstattung aufgrund der steuerlichen Geltendmachung von Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben kann im allgemeinen erst ab dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem es tatsächlich zu einer Steuererstattung gekommen ist. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos....

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weychardtund die Richter am Oberlandesgericht Schmidtund Dr. Bauermann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.08.1999 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 20.08.1998 verkündete Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Darmstadt teilweise abgeändert.

Der vor dem Amtsgericht -Familiengericht- Stuttgart-Bad Cannstatt (Aktenzeichen: 1 F 48/92) abgeschlossene Vergleich wird dahingehend abgeändert, daß der Beklagte verpflichtet ist, ab April 1998 einen monatlichen Unterhalt von insgesamt 200,00 DM, ab Juli 1999 einen solchen von 100,00 DM zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

T A T B E S T A N D

Im Scheidungsfolgenvergleich vom 28.09.1993 - 1 F 48/92 AG Stuttgart-Bad Cannstatt - verpflichtete sich der Beklagte zur Zahlung nachehelichen Unterhalts von monatlich 915,00 DM zuzüglich eines Vorsorgeunterhalts von 227,50 DM. Im Wege der Stufenklage hat die Klägerin weitere 316,00 DM zuzüglich weitere 100,00 DM Vorsorgeunterhalt ab November 1997 sowie einen Rückstand von 6.320,00 DM zuzüglich 2.010,00 DM für die Zeit von März 1996 bis Oktober 1997 nebst Zinsen begehrt. Der Beklagte hat Widerklage erhoben und Herabsetzung des Elementarunterhalts auf 565,00 DM für März 1996 bis März 1998 und insgesamt auf 110,00 DM ab April 1998 sowie Zahlung von 7.700,00 DM nebst Zinsen wegen überzahlten Unterhalts für März 1996 bis Dezember 1997 verlangt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und unter Abweisung der weitergehenden Widerklage den Vergleich ab Januar 1998 abgeändert auf Zahlung von monatlich 626,00 DM Elementarunterhalt und 156,50 DM Vorsorgeunterhalt. Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Die Klägerin hat zunächst ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt während der Beklagte Zahlung von 7.920,00 DM wegen überzahlten Unterhalts für März 1996 bis Dezember 1997 nebst Zinsen und Abänderung der Unterhaltsverpflichtung auf insgesamt 200,00 DM ab April 1998 begehrt hat. In der Einzelrichtersitzung vom 08.03.1999 haben die Klägerin ihre Berufung vollständig und der Beklagte seine Berufung teilweise zurückgenommen, die er in der Senatssitzung vom 26.08.1999 wieder teilweise erweitert hat.

Der Beklagte beantragt nunmehr,

in Abänderung des angefochtenen Urteils den Scheidungsfolgenvergleich vom 28.09.1993 (1 F 48/92 Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt) dahingehend abzuändern, daß er verpflichtet ist, ab 01.04.1998 nur noch monatlich insgesamt 200,00 DM nachehelichen Unterhalt an die Klägerin zu zahlen und ab 01.07.1999 monatlich nur noch 100,00 DM.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Von der weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E

Die Berufung des Beklagten, über die nach Rücknahme der Rechtsmittel im übrigen nur noch für den Unterhaltszeitraum ab April 1998 zu entscheiden ist, ist zulässig und insoweit begründet.

Der Beklagte kann gemäß §§ 323 Abs. 4, 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nach den aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsätzen über die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage Abänderung verlangen. Sein für die Unterhaltsbemessung maßgebliches Einkommen hat sich vermindert. Der Beklagte hat seinen Arbeitsplatz verloren und erhält Arbeitslosengeld in Höhe von (466,97 DM x 52/12 =) 2.023,54 DM monatlich ab April 1998 und von (466,90 DM x 52/12 =) 2.023,23 DM seit Januar 1999. Nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweiserhebung und den erläuternden Angaben des Beklagten ist diesem nicht nach Treu und Glauben die Berufung auf den Einkommensrückgang als Folge der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den früheren Arbeitgeber versagt. Der Beklagte hat nunmehr auch umfangreich zu seinen Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz in selbständiger oder abhängiger Stellung vorgetragen und Belege vorgelegt. Angesichts der schwachen Konjunktur, des Arbeitsgebietes und des vorgerückten Alters des am 01.02.1941 geborenen Beklagten ist davon auszugehen, daß es diesem trotz hinreichender Bemühungen nicht gelungen ist, eine Arbeit zu finden, die seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit gegenüber dem Bezug von Arbeitslosengeld verbessert.

Aufgrund des Steuerbescheides für 1997 vom 14.05.1998 hat der seit 12.11.1997 wieder verheiratete Beklagte eine Erstattung von 9.231,08 DM erhalten. Dieser Betrag beruht wesentlich auf der gemeinsamen Veranlagung, den hohen Werbungskosten und der Inanspruchnahme des Realsplittings gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Ausgehend von den Jahreszahlen in der Verdienstbescheinigung für Dezember 1997 ist bei Berücksichtigung der Werbungskosten und des Realsplittings dem Beklagten eine Steuerersparnis von 6.841,30 DM zuzurechnen. Aufgrund des Abänderungsbescheides für 1996 vom 30.03.1999 wegen der nachträglichen Inanspruchnahme des Realsplittings ergab sich eine Erstattung von 5.320,18 DM. Schließlich gab es aufgrund des Bescheides für 1998 vom 06.04.1999 eine Erstattung von 5.613,81 DM bei gemeinsamer Veranlagung und Durchführung des begrenzten Realsplittings. Da der Beklagte ausweislich der Jahressummen in der Verdienstbescheinigung für März 1998 insgesamt 4.702,23 DM Lohnsteuer und 258,60 DM Solidaritätszuschlag gezahlt hatte, können ihm höchstens diese Beträge von insgesamt 4.960,83 DM zugerechnet werden. Weil der Beklagte im laufenden Jahr keine steuerpflichtigen Einkünfte mehr hat, kann im folgenden Jahr nicht mehr von einer entsprechenden Belastung ausgegangen werden.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind Steuern zwar grundsätzlich in der gegenwärtig entrichteten Höhe zu berücksichtigen. Eine Anhebung der Leistungsfähigkeit durch Steuererstattung aufgrund der steuerlichen Geltendmachung von Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben kann im allgemeinen erst ab dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem es tatsächlich zu einer Steuererstattung gekommen ist. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. So besteht unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, in zumutbarem Rahmen Steuervorteile wahrzunehmen, so daß zum Beispiel der Unterhaltspflichtige gehalten sein kann, einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen (vgl. BGH FamRZ 1999, 372). Vorliegend ist es nicht gerechtfertigt, die Steuererstattungen für die Jahre 1996 und 1997 erst in den Jahren 1998 und 1999 leistungserhöhend zu berücksichtigen. In den Jahren 1996 und 1997 hat der Beklagte noch den titulierten Unterhalt gezahlt. nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil und den Erörterungen im Einzelrichtertermin lagen diese Beträge erheblich über den Beträgen, wie sie sich im Fall einer Abänderung, die entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Rechtsansicht nicht erst ab Rechtshängigkeit der Widerklage möglich gewesen wäre, ergeben hätten. Dies und die Erörterungen zur Frage des Wegfalles der Bereicherung haben im Einzelrichtertermin zur Rücknahme der Rechtsmittel hinsichtlich des Unterhaltszeitraums bis März 1998 geführt. Auch die Zuordnung der Steuererstattungen zu den jeweiligen Veranlagungsjahren hätte noch immer zu einer Überzahlung geführt. Der Senat hält es bei dieser Sachlage nicht für tragbar, die Klägerin nunmehr an den Steuererstattungen teilhaben zu lassen, ihr aber für die Vergangenheit die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung zu gestatten. Sie wird letztlich so gestellt, als hätte der Beklagte bereits in den Jahren 1996 und 1997 entsprechende Freibeträge in die Steuerkarte eintragen lassen, wozu er an sich gehalten war und was ihm die Klägerin auch entgegengehalten hat. Im Ergebnis stellt sie sich hierdurch nicht schlechter.

Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Steuererstattung für 1998. Diese geht allein auf den Lohnsteuerabzug für das erste Quartal zurück, für das noch der nunmehr durch das angefochtene Urteil titulierte Unterhalt geschuldet ist, obwohl sich im Falle der - möglichen - Abänderung auch für diese Zeit ein erheblicher niedrigerer Betrag ergäbe. Diese Überzahlung wiegt angesichts des gestellten Abänderungsantrags die Vorteile auf, die sich im Falle der Aufteilung der Steuererstattung auf die Jahre 1998 und 1999 oder der Berücksichtigung allein im Jahr 1999 ergäben. Insoweit ist nämlich zusätzlich zu berücksichtigen, daß dem Beklagten durch die umfangreichen Arbeitsplatzbemühungen, die auch von der Klägerin angemahnt worden sind, erhebliche Kosten erwachsen sind. Insoweit kann letztlich dahinstehen, ob dem durch die Beibehaltung des in dem abzuändernden Vergleich zugrunde gelegten "Verdienervoraus" von 15 % Rechnung getragen wird oder durch eine entsprechende Schätzung der Kosten. Zudem muß der angemessene Selbstbehalt des Beklagten gesichert sein, den der Senat regelmäßig mit 1.800,00 DM, seit Juli 1999 mit 1.900,00 DM annimmt (vgl. FamRZ 1999, 1045, 1049). Dies macht die Beispielsrechnung für 1999 bei hälftiger Berücksichtigung der Steuererstattung deutlich:

2.023,23 DM Arbeitslosengeld des Beklagten
BR + 206,70 DM Steuererstattung
BR 2.229,93 DM
BR - 334,49 DM Verdienervoraus
BR 1.895,44 DM
BR 1.643,01 DM durchschnittliche Renteneinkünfte der Klägerin
BR 252,43 DM eheangemessener Unterhalt.

Bei Berücksichtigung des anerkannten Unterhalts von 200,00 DM beziehungsweise 100,00 DM und des Selbstbehalts von 1.800,00 DM beziehungsweise 1.900,00 DM besteht aber lediglich Raum für den Ansatz von rund 230,00 DM monatlich für die Werbungskosten. Nur soweit die Werbungskosten unter diesem Betrag liegen, wäre Leistungsfähigkeit über die zugestandenen Unterhaltsbeträge hinaus gegeben.

Bei der vorliegenden Konstellation kann es im Ergebnis nicht zu Lasten des Beklagten gehen, wenn die nachträgliche Steuererstattung allein dem Jahr des Zuflusses zugeordnet wird und er infolge seiner Rechtsmittelanträge daher für das vorangegangene Jahr höher als rechnerisch zutreffend belastet wird. Für den gesamten Zeitraum ab 1998 und 1999 ergibt sich für die Klägerin jedenfalls kein Nachteil.

Danach ist der Vergleich vom 28.09.1993 antragsgemäß abzuändern.

Die Kostenentscheidung entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen unter Berücksichtigung der durch die jeweiligen Rechtsmittelrücknahmen bedingten Kostentragungspflicht (§§ 92 Abs. 1, 515 Abs. 3 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Dr. Weychardt Dr. Bauermann Schmidt