OLG Frankfurt vom 24.02.2010 (6 UF 220/09)

Stichworte: Übergangsvorschriften, Versorgungsausgleich, Abtrennung; BagatellKlausel, Versorgungsausgleich Versorgungsausgleich, Bagatellklausel;
Normenkette: ZPO 628 a.F., VersAusglG 48, 18; VersAusglG 48, 18; ZPO 628 a.F., VersAusglG 48, 18; VersAusglG 48, 18;
Orientierungssatz:
  • Verfahren zum Versorgungsausgleich, die nach § 628 S. 1 Nr. 1-4 ZPO a.F. vom Entscheidungsverbund abgetrennt wurden, sind ab 01.09.2009 nach neuem Recht zu behandeln (§ 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG, Art. 111 Abs. 4 FGG-RefG)
  • Zur Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG bei beiderseitigen Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt vom 06.10.2009 am 24. Februar 2010 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

    Vom Versicherungskonto Nr.: 12 070881 Z 031 des Antragstellers werden 1,4771 Entgeltpunkte auf das Versicherungskonto Nr.: 04 030180 F 505 der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland übertragen.

    Von dem Versicherungskonto Nr.: 04 030180 F 505 der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland werden 0,3415 Entgeltpunkte sowie 0,2697 Entgeltpunkte Ost auf das Versicherungskonto Nr.: 12 070881 Z 031 des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen übertragen.

    Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

    Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs verbleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Beschluss.

    Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

    Gründe:

    Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 29.04.2009 die Ehe der Parteien geschieden und dabei ausgesprochen, dass die Folgesache Versorgungsausgleich, die bereits eingeleitet war, abgetrennt werde.

    Es hat sodann das Versorgungsausgleichsverfahren weiterbetrieben und mit dem angefochtenen Beschluss den Versorgungsausgleich nach Maßgabe der bis 31.08.2009 geltenden Bestimmungen (§§ 1587 ff. BGB) durchgeführt, in dem es die hälftige Wertdifferenz zwischen den beiderseits in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften der Parteien ausgeglichen hat, wobei es die von der Antragsgegnerin erworbenen Rentenanwartschaften Ost außer Acht gelassen hat.

    Gegen diesen ihr am 20.10.2009 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 1) mit einem an das Oberlandesgericht gerichteten Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde ist beim Oberlandesgericht am 04. November 2009 eingegangen. Durch Weiterleitung seitens des Oberlandesgerichts ist sie spätestens am 12. November 2009 beim Amtsgericht Darmstadt eingegangen.

    Mit der Beschwerde rügt die Beteilige zu 1) die Nichtberücksichtigung der Rentenanwartschaften Ost der Antragsgegnerin.

    Die Beteiligten zu 1) und 2) vertreten die Auffassung, dass noch das bis zum 31.08.2009 geltende Recht Anwendung finde.

    Die Beschwerde ist zulässig. Insoweit kommt es auf die Frage, ob altes oder neues Recht anzuwenden ist, nicht an, da der fristgemäße Eingang der Beschwerde sowohl beim Oberlandesgericht (bei Anwendung alten Rechts) als auch beim Amtsgericht (bei Anwendung neuen Rechts) gewahrt ist.

    Die Beschwerde ist begründet. Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin, dass das Amtsgericht beim Ausgleich die Anwartschaften Ost der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Rentenversicherung außer Acht gelassen hat.

    Bei der zu treffenden Beschwerdeentscheidung war sowohl das seit 01.09.2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden als auch das materielle Recht gemäß dem am 01.09.2009 in Kraft getretenen Versorgungsausgleichsgesetz. Dies folgt daraus, das das Versorgungsausgleichsverfahren am 01. September 2009 vom Verbund abgetrennt war (Art. 111 Abs. 3 FamRefG, § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG). Der Wortlaut der Bestimmung ist eindeutig. Am 01.09.2009 abgetrennte Versorgungsausgleichsverfahren unterliegen dem neuen Recht. Die Abtrennung des Versorgungsausgleichsverfahrens ist nach dem bis 31.08.2009 geltenden Recht erfolgt. Einziger denkbarer Rechtsgrund für die Abtrennung war die Vorschrift des § 628 Nr. 4 ZPO in der damaligen Fassung. Dieser Vorschrift entspricht inhaltlich die etwas anders formulierte Bestimmung des § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG. Für eine Auslegung, dass bei einer Abtrennung nach § 628 Nr. 4 ZPO altes Recht gelte, gibt die Formulierung des § 48 Abs. 2 indessen nichts her. Die Vorschrift stellt allein auf die Tatsache der Abtrennung ab, ohne zwischen den einzelnen denkbaren Abtrennungsgründen zu differenzieren. An der Anwendung des § 48 Abs. 2 VersAusglG ändert sich auch nichts dadurch, das die Abtrennung schon vor dem 01. September 2009 erfolgt ist. Abgesehen von dem seltenen Aufnahmefall, dass eine erfolgte Abtrennung durch Berufungseinlegung gegen das Scheidungsurteil und Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht zur Wiederherstellung des Verbundes wieder gegenstandslos wird, verbleibt die einmal erfolgte Abtrennung als Dauerzustand. Das Verfahren war hier also am 01. September 2009 immer noch abgetrennt. Die Beteiligte zu 2) führt schließlich für ihre Auffassung, dass § 48 Abs. 2 VersAusglG keine Anwendung finde, die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs an. Diese Begründung bestätigt indessen die Unrichtigkeit der Auffassung der Beteiligten zu 1) und 2). Die Beteiligte zu 2) zitiert zutreffend, das es sich neben den ausgesetzten Verfahren nach § 2 Abs. 1 S. 1 VAÜG um Verfahren handele, in denen der Versorgungsausgleich deswegen nicht gleichzeitig mit der Scheidung durchgeführt ist, weil eine Entscheidung vor Auflösung der Ehe nicht möglich war, ein Rechtsstreit über Bestand oder Höhe eines Anrechts anhängig war oder weil die gleichzeitige Entscheidung zu einer unzumutbaren Verzögerung geführt hätte. Letztere Alternative betrifft gerade den vorliegenden Fall des § 628 Nr. 4 bzw. des § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG. Die Gesetzesbegründung zeigt also, dass auch derartige Fälle in den Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 VersAusglG fallen (ebenso OLG Karlsruhe, FamRZ 2010, 325).

    Für die Durchführung des Versorgungsausgleichs nach neuem Recht gilt folgendes: Die Parteien haben ausschließlich Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Diese Anwartschaften werden nach § 10 VersAusglG durch interne Teilung ausgeglichen (§§ 10 VersAusglG, 120 f SGB VI). Der Ausgleichswert der Anrechte entspricht dem hälftigen Ehezeitanteil der erworbenen Entgeltpunkte (§§ 1, 5 VersAusglG). Der Ehezeitanteil der erworbenen Entgeltpunkte ergibt sich aus den in erster Instanz eingeholten Auskünften. Danach haben erworben:

    Ehemann Entgeltpunkte West 2,9542 Ehefrau Entgeltpunkte West 0,6830 Entgeltpunkte Ost 0,5394

    Zu übertragen war jeweils der hälftige Wert, also in der genannten Reihenfolge der Anwartschaften 1,4771 Entgeltpunkte, 0,3415 Entgeltpunkte und 0,2697 Entgeltpunkte Ost.

    Die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs wegen Geringfügigkeit nach § 18 Abs. 1 VersAusglG liegen nicht vor. Bei der Anwendung dieser Vorschrift waren nur die Entgeltpunkte West einander gegenüber zu stellen, da Entgeltpunkte West und Entgeltpunkte Ost keine Anrechte gleicher Art sind (Ruhland, Versorgungsausgleich, 2. Aufl., Rdz. 488). Ausweislich der eingeholten Auskünfte der Beteiligten zu 1) und 2) beträgt die ehezeitbezogene Rentenanwartschaft West auf Seiten des Ehemannes 77,61 EUR, auf Seiten der Ehefrau 17,94 EUR. Dies entspricht Ausgleichswerten von 38,81 bzw. 8,97 EUR (jeweils hälftiger Betrag). Dies ergibt einen Wertunterschied der Ausgleichswerte von 29,84 EUR. Dieser Wert überschreitet den Grenzwert von 1 % der maßgeblichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 3 VersAusglG, welche zum Ende der Ehezeit 2.450,00 EUR betrug. In der gesetzlichen Rentenversicherung ist für die Bewertung der Geringfügigkeitsgrenze auf 1 % der Bezugsgröße abzustellen, da dem Ausgleich ein Rentenbetrag unterliegt (Ruhland, a.a.O., Rdnr. 481). Soweit in einem verbreiteten Berechnungsprogramm für den Versorgungsausgleich stattdessen auch für Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf 120 % der Bezugsgröße abgestellt wird, kommt es in diesem Zusammenhang hierauf nicht an, da der Grenzwert nach dieser Methode noch niedriger liegen würde.

    Beide Anwartschaften der Ehefrau unterschreiten allerdings jeweils isoliert betrachtet den Grenzbetrag von 1 % der monatlichen Bezugsgröße. Der Senat hatte daher zu prüfen, ob ein Ausgleich der Anrechte der Ehefrau oder eines ihrer beiden Anrechte gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG zu unterbleiben hatte. Der Senat hält es für geboten in diesem Fall von der Sollvorschrift des § 18 Abs. 2 VersAusglG, von welcher grundsätzlich aus Billigkeitsgründen abgewichen werden kann, keinen Gebrauch zu machen. Dass überhaupt zugunsten der Ehefrau ein Versorgungsausgleich stattfindet liegt daran, das der Grenzwert nach § 18 Abs. 1, bezogen auf die beiderseitigen Westanwartschaften geringfügig überschritten ist. Würde man nun einen oder beide Anwartschaften der Ehefrau isoliert vom Ausgleich ausschließen, würde der Ausgleichsanspruch der Ehefrau, der ohnehin nur knapp die Hürde des § 18 Abs. 1 überwunden hat, noch erhöht. Ein rechtfertigender Grund hierfür ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die Geringfügigkeitsgrenze des § 18 VersAusglG dient dazu Kleinstrenten zu verhindern, die dem Berechtigten wenig bringen, aber mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden ist. Ein übermäßiger Verwaltungsaufwand besteht hier indessen nicht. Werden bei der internen Teilung Anrechte gleicher Art bei demselben Versorgungsträger ausgeglichen, vollzieht sich der Ausgleich nur in Höhe des Wertunterschieds nach Verrechnung durch den Versorgungsträger (§ 10 Abs. 2 VersAusglG). Dies gilt in der gesetzlichen Rentenversicherung auch dann, wenn die Konten bei verschiedenen Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung geführt werden (§ 120f Abs. 1 SGB VI). In dieser Verrechnung kann ein übermäßiger Verwaltungsaufwand nicht gesehen werden. Allerdings können die Anwartschaften Ost der Ehefrau nicht mit Anwartschaften des Ehemannes verrechnet werden. Hierauf kommt es bei der gegebenen Fallkonstellation aber nicht entscheidend an. Beide Ehepartner werden ohnehin Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, die Ehefrau bei der Beteiligten zu 1), der Ehemann bei der Beteiligten zu 2). Wirtschaftlich unbedeutende Kleinrenten werden nicht begründet. Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände wäre es grob ungerecht zu Lasten des Ehemannes die Anwartschaften der Ehefrau beim Ausgleich nicht zu berücksichtigen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 150 Abs. 1 FamFG, 20 FamGKG. Der Wert war mit 30 % des dreimonatigen Einkommens der Parteien festzusetzen, da drei Anrechte auszugleichen waren (§ 50 Abs. 1 FamGKG). Da das Amtsgericht den Wert für die Scheidung nach Anhörung der Parteien und von diesen unbeanstandet auf 6.375,00 EUR festgesetzt hat, hat der Senat den Wert für das Beschwerdeverfahren auf rund 30 % dieses Werts festgesetzt.

    Noll Schuschke Kleinle