OLG Frankfurt vom 19.12.2022 (6 UF 208/22)

Stichworte: Sorgerecht; Aufenthaltsbestimmungsrecht; Umgangsrecht; Wechselmodell; Einstweilige Anordnung
Normenkette: GG 6 Abs. 2 S. 1; BGB 1671 Abs. 1 S. 2; BGB 1684 Abs. 3 S. 1; FamFG 57 Abs. 2 Nr. 1
Orientierungssatz:
  • Streiten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern um die Aufteilung der Betreuungszeiten des Kindes – wie hier im Kontext eines ursprünglich einvernehmlich praktizierten Wechselmodells – besteht im Hinblick auf das von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte elterliche Sorgerecht kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil. (Amtlicher Leitsatz)
  • Insoweit gebührt einer umgangsrechtlichen Entscheidung über den Fortbestand des Wechselmodells oder der künftigen Betreuungsaufteilung nach § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB der Vorrang gegenüber der Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. (Amtlicher Leitsatz)
  • 51 F 303/22 EASO
    AG Dieburg

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge …

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Beschwerde des Beteiligten zu 3. vom 31.10.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Dieburg vom 13.10.2022 am 19. Dezember 2022 beschlossen:

    Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

    Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

    Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 Euro festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    Der Beschwerdeführer (im Folgenden Kindesvater) und die Beschwerdegegnerin (im Folgenden Kindesmutter) streiten im Eilverfahren um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter X, geb. am ….2012. Die Kindeseltern üben die elterliche Sorge gemeinsam aus.

    Die Kindeseltern waren verheiratet. Sie wurden zwischenzeitlich mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Aschaffenburg vom 24.10.2022 rechtkräftig geschieden. Die Eltern leben seit Oktober 2020 getrennt voneinander. Im Rahmen des vor dem Amtsgericht Aschaffenburg unter Az. 3 F 428/21 bezüglich des Sorgerechts geführten Verfahrens einigten sich die Kindeseltern auf einen gewöhnlichen Aufenthalt von X. „derzeit“ im Haushalt des Kindesvaters in G. X. lebte folglich seit der Trennung im Haushalt des Kindesvaters, zunächst in G. und seit April 2022 in S.

    Bis Februar 2022 hatte X. wenig Kontakt zur Kindesmutter. Nach einem Umgangsverfahren beim Amtsgericht Aschaffenburg (Az. 3 F 1145/21) wurden eine Umgangspflegschaft und begleiteter Umgang zwischen X. und der Kindesmutter installiert. Im Rahmen der Umgangspflegschaft und begleitender Elterngespräche einigten die Kindeseltern sich auf unbegleitete Umgänge. Der Umgang stabilisierte sich.

    Der Kindesvater war zunächst nicht berufstätig. Der Kindesvater arbeitet seit Juli 2022 wieder.

    Im Mai 2022 war X. wegen eines Krankenhausaufenthaltes des Kindesvaters längere Zeit bei der Kindesmutter. Nach Rückkehr des Vaters aus dem Krankenhaus verweigerte die Kindesmutter die Rückkehr von X in den Haushalt des Kindesvaters. Der Kindesvater hat daraufhin mit Schriftsatz vom 20.05.2022 das vorliegende Verfahren eingeleitet.

    Der Kindesvater hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Kindesmutter könne sich aufgrund ihres Studiums und ihrer Arbeit nicht ausreichend um X. kümmern. Sie sei auf die Unterstützung ihrer Mutter angewiesen.

    Der Kindesvater hat erstinstanzlich beantragt,

    ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für X, geboren am …2012 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu übertragen.

    Die Kindesmutter hat erstinstanzlich beantragt,

    den Antrag zurückzuweisen.

    Die Kindesmutter war erstinstanzlich der Meinung, der Kindesvater sei unzuverlässig. Es gehe X. nicht gut und X. solle bei ihr leben. Der Kindesvater könne wegen seiner neuen Arbeitsstelle die Betreuung oft nicht übernehmen.

    Nach einem Gespräch mit der Verfahrensbeiständin nach Einleitung des Verfahrens einigten die Kindeseltern sich darauf, X. ab dem 17.06.2022 im wöchentlichen Wechsel zu betreuen und eine sozialpädagogische Familienhilfe zu beantragen. Im August 2022 teilten die Kindeseltern und die Verfahrensbeiständin mit, dass der Wechselmodus gescheitert sei und nicht dem Kindeswohl entspreche. Der Kindesvater war nach Mitteilung der Verfahrensbeiständin aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründe:n nicht in der Lage, zuverlässig die Betreuung von X. sicherzustellen. Es sei immer wieder nötig gewesen, dass die Kindesmutter die Betreuung von X. haben übernehmen müssen.

    Im September 2022 einigten sich die Kindeseltern daraufhin im Rahmen eines weiteren Gesprächs mit der Verfahrensbeiständin auf weitere Modalitäten hinsichtlich der Betreuung von X. für den Fall, dass ein Elternteil zum Beispiel wegen Krankheit an der Betreuung verhindert ist. Ansonsten sollte das Wechselmodell weitergeführt werden.

    Die Verfahrensbeiständin hat sich erstinstanzlich zuletzt dafür ausgesprochen, dass vorläufig keine Regelung zum Sorgerecht getroffen wird. Es sei kritisch, X. aktuell in einen Haushalt zu verorten, da möglicherweise im Hauptsacheverfahren eine andere Entscheidung ergehen müsse. Im Rahmen des einzuholenden Gutachtens in der Hauptsache müsse auch die Erziehungsfähigkeit der Eltern überprüft werden. Eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung würde X. mehr belasten.

    Die Verfahrensbeiständin war der Auffassung, dass X. zutiefst verunsichert sei und im Haushalt der Eltern keinen Halt und Stabilität erlebe. Die Eltern hätten es nicht geschafft, ihre Tochter aus dem Loyalitätskonflikt herauszuhalten. Vielmehr sei in der Vergangenheit teilweise zu einer Überidealisierung des Vaters und damit einhergehender Ablehnung der Kindesmutter gekommen. X. sei durch die Kindeseltern dazu gebracht worden, sich zu positionieren, um sich selbst zu entlasten.

    Das Wechselmodell funktioniere nicht gut, weil die Kommunikation zwischen den Eltern nicht funktioniere. Sie seien zwar in der Lage, im Notfall etwas zu vereinbaren, aber ihre Vereinbarungen seien nicht tragfähig.

    Die Verfahrensbeiständin ist der Auffassung, die Kindesmutter biete derzeit die stabileren Lebensbedingungen an. Sie könne die Betreuung besser gewährleisten.

    Das Amtsgericht hat die Kindeseltern, X., die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt am 05.10.2022 persönlich angehört. Auf das Protokoll vom 05.10.2022 wird Bezug genommen.

    Das Amtsgericht hat nach mündlicher Erörterung und Anhörung aller Beteiligter den Antrag des Kindesvaters auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht im Wege der einstweiligen Anordnung zurückgewiesen, die Gerichtskosten den Kindeseltern jeweils zur Hälfte auferlegt und angeordnet, dass jeder Beteiligte die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Aufwendungen selbst trägt.

    Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass ein Anordnungsgrund nicht vorliege. Es könne im Wege der einstweiligen Anordnung nicht entschieden werden, in welchem Haushalt X. letztlich besser versorgt sei und gefördert werde. Ohne Begutachtung lasse sich im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht entscheiden, welcher Haushalt dem Wohle X.s besser diene. Es sei nicht ersichtlich, dass ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar wäre.

    Das Aufenthaltsbestimmungsrecht könne im einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 1671 BGB nur bei akuten und unmittelbar bestehenden bzw. unmittelbar bevorstehenden erheblichen Gefährdungen des Kindeswohls übertragen werden, bei denen eine Hauptsache nicht abgewartet werden könne. Die gegenwärtige Situation gebiete es nicht, Änderungen am Sorgerecht vorzunehmen, insbesondere den Aufenthalt X.s zu ändern. Es sei ihr nicht zumutbar, auf eine einstweilige Anordnung hin den Aufenthalt zu wechseln, um nach Abschluss des Hauptsachverfahrens gegebenenfalls wieder zu wechseln. Auch wenn den Eltern das derzeitige Wechselmodell nicht gefalle, sei X. so an beide Haushalte gewöhnt und ein Wechsel sei dann für sie einfacher. Das Hauptproblem beim Wechselmodell sei gewesen, dass der Kindesvater sich als unzuverlässig erwiesen und seine Zeiten nicht eingehalten habe. Das sei ihm jedoch nochmal vergegenwärtigt worden und es sei zu erwarten, dass der Kindesvater X. und die Kindesmutter damit nicht mehr belaste. X. fände die Wechsel auch gut, auch wenn sie mehr an ihrem Vater hänge. Sie sei zwar belastet, aber ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache sei dennoch zumutbar.

    Gegen den am 17.10.2022 zugestellten Beschluss hat der Kindesvater am 31.10.2022 - am selben Tag beim Amtsgericht eingegangen – Beschwerde eingelegt und beantragt, ihm im Wege einstweiliger Anordnung das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für X. zu übertragen.

    Er ist der Auffassung, er habe sich auf das Wechselmodell ohne die Möglichkeit anwaltlicher Beratung nur als Übergangslösung bis zu einem vermeintlich kurz bevorstehenden Gerichtstermin eingelassen. Das Wechselmodell funktioniere nach Auffassung beider Eltern und auch der Verfahrensbeiständin gerade nicht. Dies könne daher nicht dem Kindeswohl dienen. Wenn das Amtsgericht darauf abstelle, dass ein mehrfacher Wechsel X.s letztlich mehr belasten würde als eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache, verkenne es, dass X. bis zu dem Antrag im vorliegenden Verfahren ihren Lebensmittelpunkt beim Kindesvater gehabt habe. Die Kindesmutter sei nicht in der Lage, X. ein stabiles und verlässliches Umfeld zu gewährleisten. Sie verfüge nicht über die nötige Bindungstoleranz. Sie verweigere X. zum Beispiel Telefonate mit ihm.

    X. brauche Stabilität und Zuverlässigkeit. Ein ständiger Wechsel zerreibe X. und sei dem Kindeswohl nicht zuträglich. Eilbedürftigkeit sei gegeben, da ein Gutachten erst in einigen Monaten zu erwarten sei.

    Die Kindesmutter verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss. Sie ist der Ansicht, das Wechselmodell werde seit dem Termin beim Amtsgericht am 05.10.2022 ohne größere Probleme durchgeführt. Die Durchführung des Wechselmodells gewährleiste im Moment für X. eine größtmögliche Sicherheit.

    Die Verfahrensbeiständin regt im Rahmen der Beschwerde weiter an, das Wechselmodell bis zum Abschluss des Gutachtens beizubehalten, um X. nicht weiter zu belasten. Die Kindeseltern seien nun an das Jugendamt angebunden, notwendige Hilfen würden installiert.

    Die Kindesmutter stelle derzeit ein verlässliches, stabiles Umfeld für X. dar. In Zeiten, in denen sie die Betreuung nicht selbst übernehmen könne, werde sie durch bekannte Bezugspersonen wie die Oma unterstützt. In den vergangenen Wochen sei es vielmehr der Kindesvater gewesen, welcher nicht ausreichend zuverlässig gewesen sei.

    Das Jugendamt hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

    II.

    Die gemäß § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

    Das Amtsgericht hat zu Recht den Antrag des Kindesvaters zurückgewiesen.

    Eine Entscheidung über die Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist nicht zu treffen, weil die vom Beschwerdeführer erstrebte Aufteilung der überwiegenden Kindesbetreuungszeiten zu seinen Gunsten und Aufhebung des zuletzt einvernehmlich praktizierten Wechselmodells einer umgangsrechtlichen Regelung nach § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB vorbehalten ist und insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts besteht.

    Der Senat ist unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (zuletzt FamRZ 2021, 1120) zur Ansicht gelangt, dass bei einem Elternstreit um die Aufteilung der Kindesbetreuungszeiten – auch außerhalb eines im Raum stehenden Wechselmodells – der umgangsrechtlichen Lösung dieser Frage gegenüber einer Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Vorrang gebührt.

    Nachdem der BGH durch seine Entscheidung vom 1.2.2017 (FamRZ 2017, 532) die umgangsrechtliche Begründung eines Wechselmodells für zulässig erachtet hatte, ist bis heute die Frage nicht geklärt, ob dies auch auf der sorgerechtlichen Ebene möglich ist. Diese Unsicherheit geht sogar so weit, dass Anwälten heute z. T. empfohlen wird, in Wechselmodellfällen Sorge- und Umgangsverfahren parallel einzuleiten (vgl. Lack NJW 2021, 837, 838; Hammer FamRZ 2021, 37, 39).

    Soweit die in Kassel ansässigen Familiensenate (OLG Frankfurt 29.1.2020 – 2 UF 301/19, NJW 2020, 3730 und 24.3.2021 – 7 UF 111/20, juris) der Ansicht sind, über die Begründung oder Aufhebung könne nur sorgerechtlich nach § 1671 BGB entschieden werden, ist dem nicht zu folgen, da dies der ständigen Rechtsprechung des BGH widerspricht und auch offen bleibt, in welcher konkreten Form das Aufenthaltsbestimmungsrecht so aufgeteilt werden kann, dass die elterlichen Betreuungsanteile in vollstreckbarer Weise geregelt werden können.

    Der BGH hat die Frage der Abgrenzung in Wechselmodellen in Bezug auf eine sorgerechtliche Lösung zunächst ausdrücklich offengelassen (BGH FamRZ 2017, 532 Rn. 15). In seiner zweiten Entscheidung zum Wechselmodell vom 27.11.2019 (BGH FamRZ 2020, 255 Rn. 14 ff.) hat er auch im Hinblick auf die Anwendung von § 1696 Abs. 1 BGB bei vorheriger Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht und dort erfolgter Prüfung des Wechselmodells an der strikten Trennung von Sorge- und Umgangsrecht festgehalten und betont, dass mit der Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht notwendiger Weise eine Entscheidung für ein Residenzmodell verbunden sei. Desweiteren hat er ausgeführt, dass es im Hinblick auf das Wechselmodell denkbar sei, einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht dann zu übertragen, wenn dieser eine zuverlässige Durchführung eines Wechselmodells eher gewährleiste als der andere Elternteil (dieser Argumentation folgend Senat 9.2.2021 – 6 UF 172/20, FamRZ 2021, 1120; OLG Brandenburg 24.3.2020 – 15 UF 68/17, FamRZ 2020, 1655).

    Soweit ein Wechselmodell in einem Umgangsverfahren gerichtlich vereinbart (§ 156 Abs. 2 BGB) oder angeordnet worden ist, ist nach Ansicht des BGH (NJW 2022, 1533) eine Entscheidung über seine Aufhebung (§ 1696 Abs. 1 BGB) ausschließlich in einem Umgangsverfahren und nicht in einem Sorgerechtsverfahren nach § 1671 BGB zu treffen.

    Ist das Wechselmodell einvernehmlich ohne gerichtliche Regelung praktiziert worden, wird in der Rechtsprechung vertreten, dass über seine Aufhebung auch sorgerechtlich über eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht entschieden werden könne (OLG Frankfurt 26.4.2022 – 1 UF 219/21, juris; OLG Karlsruhe 16.12.2020 – 20 UF 56/20, juris; für eine allein sorgerechtliche Lösung noch OLG Frankfurt 29.1.2020 – 2 UF 301/19, NJW 2020, 3730 und 24.3.2021 – 7 UF 111/20, juris).

    Auf der anderen Seite werden in der Rechtsprechung in einer solchen Konstellation keine Einwände dagegen erhoben, über die Aufhebung des Wechselmodells auch in einem Umgangsverfahren zu entscheiden und dort bei Aufhebung der paritätischen Betreuung die künftigen Kindesbetreuungszeiten gemäß § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB festzulegen, ohne dass es einer vorherigen sorgerechtlichen Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht und Klärung des Lebensmittelpunkts des Kindes bedürfte (OLG Frankfurt 16.12.2021 – 1 UF 113/21, ZKJ 2022, 308; OLG Frankfurt 23.2.2021 – 8 UF 188/20, FamRZ 2021, 948; OLG Saarbrücken NJW-RR 2021, 130).

    Der 3. und 4. Familiensenat vertreten darüber hinaus die Ansicht, dass die erstmalige Anordnung eines Wechselmodells nur umgangsrechtlich begründet werden könne (OLG Frankfurt 15.2.2022 – 3 UF 81/21, NZFam 2022, 359; OLG Frankfurt 5.12.2018 – 4 UF 167/18, NZFam 2019, 355).

    Auch ermöglicht es § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB bei einem elterlichen Streit um die Verteilung der Kinderbetreuungszeiten den Schwerpunkt des Kindesaufenthalts vom einen auf den anderen Elternteil zu verlagern, wenn ein Wechselmodell nicht in Betracht kommt (KG 18.5.2018 – 3 UF 4/18, NZFam 2018, 637).

    Der Senat schließt sich den zuletzt genannten Ansichten mit der Maßgabe an, dass ein elterlicher Streit um die Aufteilung der Kinderbetreuungszeiten ausschließlich umgangsrechtlich vom Familiengericht entschieden werden kann.

    Hierfür sprechen schon verfassungsrechtliche Erwägungen im Hinblick auf das von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte elterliche Sorgerecht. Es ist unzweifelhaft, dass auch ein auf § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB gestützter Eingriff in das Sorgerecht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss (BVerfG 23.1.2019 – 1 BvR 1461/18, FamRZ 2019, 802 Rn. 2). Kann ein Elternstreit auf der Sorgerechtsausübungsebene gelöst werden, wie zB betreffend einer einzelnen Angelegenheit nach § 1628 BGB, so bedarf es keiner Aufhebung der gemeinsamen Sorge. Gleiches hat aber nach der hier vertretenen Ansicht für die Frage der Zuweisung der elterlichen Betreuungszeiten zu gelten. Da es § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB ermöglicht, auch bei gemeinsamem Aufenthaltsbestimmungsrecht die Betreuungsanteile auf der Ebene der Sorgerechtsausübung aufgrund der Geltung der zu § 1671 BGB entwickelten Kindeswohlkriterien der Kontinuität, der Erziehungsfähigkeit und Förderungsgrundsatzes, der Bindungen und des Kindeswillens im Umgangsrecht (BGH FamRZ 2017, 532 Rn. 25) im Rahmen eines Umgangsverfahrens – ohne Unterschiede zu § 1671 Abs. 1 BGB - zu verteilen, würde bei einer alternativ zulässigen Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB in das Sorgerecht des anderen Elternteils eingegriffen.

    Gleichzeitig würde der obsiegende Elternteil, der das Wechselmodell begründen oder beenden möchte, mit der Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mehr Rechtsmacht als erforderlich erhalten. Er könnte aufgrund der Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit dem Kind etwa ohne Zustimmung des anderen Elternteils umziehen (BGH FamRZ 2010, 1060) oder sein Einverständnis für eine Fremdunterbringung des Kindes gegen den Willen des anderen Elternteils erteilen (vgl. zu diesem Aspekt BGH FamRZ 2020, 255 Rn. 15).

    Das Aufenthaltsbestimmungsrecht könnte insoweit auch nicht einschränkend mit der Maßgabe bzw. Einschränkung der Begründung oder Beendigung des Wechselmodells erteilt werden, da § 1671 Abs. 1 BGB keinen Durchgriff auf die Ebene der Ausübung des Sorgerechts eröffnet (Staudinger/Coester § 1671 BGB Rn. 51a) und das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch nicht die Befugnis umfasst, den Umgang des anderen Elternteils zu bestimmen (vgl. § 1632 Abs. 2 BGB).

    Auch die periodische Aufteilung des Aufenthaltsbestimmungsrechts verbunden mit wechselseitigen Kindesherausgabepflichten (OLG Schleswig 19.12.2013 – 15 UF 55/13, juris Rn. 29 ff., SchlHA 2014, 456; Hammer FamRZ 2015, 1433, 1436 ff.) wird heute zu Recht als unzulässig angesehen (OLG Karlsruhe 16.12.2020 – 20 UF 56/20, juris Rn. 20, NJW-RR 2021, 324; OLG Frankfurt 5.12.2018 – 4 UF 167/18, juris Rn. 22, ZKJ 2019, 267; Johannsen/Henrich/Althammer/Lack § 1671 BGB Rn. 19, 19a).

    Schließlich ist auch zu bedenken, dass nach Ansicht des BGH (FamRZ 2022, 255 Rn. 15) mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht zugleich notwendigerweise die gerichtliche Entscheidung für ein Residenzmodell verbunden sein soll. Es wäre im vorliegenden Fall der Kindesmutter also auch bei einem Erfolg der Beschwerde unbenommen, in einem anschließenden Umgangsverfahren die Begründung bzw. Fortführung des Wechselmodells geltend zu machen.

    Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Beschwerdeführer würde sich daher nach Ansicht des Senats als verfassungswidriger Eingriff in das von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Sorgerecht der Kindesmutter darstellen.

    Außer verfassungsrechtlichen Erwägungen sprechen schließlich auch verfahrensökonomische Aspekte für einen umgangsrechtlichen Vorrang bei der Verteilung der elterlichen Betreuungszeiten. Mit einer (vorläufigen) Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Beschwerdeführer bliebe die künftige Regelung des Kindesumgangs unbeantwortet und es wäre auch im vorliegenden Fall die amtswegige Einleitung eines Umgangsverfahrens unvermeidlich, was auch in Ansehung der Anwalts- und Gerichtskosten für die Eltern in solchen Konstellationen zu erheblichen Nachteilen führt. Auch ermöglicht diese Lösung eine für die Praxis handhabbare Abgrenzung zwischen Sorge- und Umgangsrecht und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen für ein Wechselmodell nicht vorliegen.

    Der Beschwerdeführer ist damit auf die Einleitung eines Umgangsverfahren zu verweisen, welches vom Familiengericht angesichts des Elternstreits um die Kinderbetreuungszeiten unabhängig davon von Amts wegen einzuleiten sein wird.

    Über die Beschwerde war ohne neuerliche Anhörung zu entscheiden, weil hiervon im Hinblick auf die erst im Oktober erfolgte mündliche Erörterung und Anhörung aller Beteiligten keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten sind und darüber hinaus der Antrag des Kindesvaters schon aus Rechtsgründen zurückzuweisen war (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).

    Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 84 FamFG. Es besteht kein Anlass, den Kindesvater von den ihm regelmäßig aufzuerlegenden Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels zu entlasten.

    Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 40, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

    Auch wenn die Frage der Abgrenzung von Sorge- und Umgangsrecht dringend der Klärung durch den Bundesgerichtshof bedarf und der Senat von der Entscheidung anderer Oberlandesgerichte abweicht, ist er im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 70 Abs. 4 FamFG daran gehindert, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.