OLG Frankfurt vom 17.10.2011 (6 UF 166/10)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe Entscheidungsschuldner Übernahmeschuldner Zweitschuldner
Normenkette: ZPO 122; GKG 31 Abs. 3, 26 Abs. 3 FamGKG;
Orientierungssatz:
  • § 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO gilt auch zugunsten des Übernahmeschuldners dem PKH/VKH bewilligt ist (ebenso OLG Frankfurt a. M., 3. Sen. für FamS, Beschl. v. 20.09.2011, 3 WF 100/11; a. A. OLG Frankfurt a. M., 13., 14. und 18. ZS, Beschl. v. 25.09.2008, 14 W 85/08, v. 01.07.2011, 18 W 149/11, v. 12.07.2011, 13 U 29/10)
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In dem Kostenfestsetzungsverfahren

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt auf die Erinnerung der Antragstellerin gegen den Kostenansatz des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 01.08.2011 am 17.10.2011 beschlossen:

    Der Kostenansatz vom 01.08.2011 wird aufgehoben.

    Gründe:

    Die Antragstellerin hatte in einer Unterhaltssache Beschwerde gegen die Endentscheidung des Amtsgerichts eingelegt. Ihr war für das Beschwerdeverfahren ratenfrei Verfahrenkostenhilfe bewilligt worden. Das Beschwerdeverfahren ist durch einen Vergleich der Beteiligten beendet worden, in dem sich der Antragsgegner verpflichtet hatte einen Teil des mit der Beschwerde geltend gemachten Unterhalts zu zahlen. In dem Vergleich ist weiter vereinbart, dass die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben werden.

    Dem Antragsgegner war keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden.

    Durch den angefochtenen Kostenansatz hat die Urkundsbeamtin die Hälfte der im Beschwerdeverfahren angefallenen Gerichtskosten gegen die Antragstellerin festgesetzt. Hiergegen wendet sich deren Erinnerung.

    Der Einzelrichter hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 57 Abs. 5 S. 2 FamGKG dem Senat übertragen.

    Die Erinnerung ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Kostenansatzes. Der Antragstellerin dürfen keine Gerichtskosten auferlegt werden, weil das Gericht ihr ratenfrei Verfahrenskostenhilfe bewilligt hat (§ 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO i.V.m. § 76 Abs. 1 FamFG). § 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO ist nach seinem eindeutigen Wortlaut unabhängig davon anwendbar, ob die bedürftige Partei Entscheidungsschuldner oder Übernahmeschuldner ist. Allerdings haben in neuer Zeit drei Zivilsenate des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main § 122 Abs. 1 Nr. 1a dahingehend ausgelegt, dass die Kostenbefreiung nur für den Entscheidungsschuldner, nicht aber für den Übernahmeschuldner Geltung habe (14. Zivilsenat, Beschluss vom 25.09.2008 - 14 W 85/08; 18. Zivilsenat, Beschluss vom 01. Juli 2011 - 18 W 149/11; 13. Zivilsenat, Einzelrichterbeschluss vom 12. Juli 2011 - 13 U 29/10). Diese Entscheidungen werden im Wesentlichen wie folgt begründet:

    Haftet neben der armen Partei ein Zweitschuldner als Veranlassungsschuldner, weil er das Verfahren der Instanz eingeleitet hat (§§ 22 GKG, 21 FamGKG) und ist der anderen Partei bzw. im familienrechtlichen Verfahren einem anderen Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden, so darf die Haftung des Zweitschuldners nicht geltend gemacht werden, wenn die Partei, der Prozesskostenhilfe- bzw. Verfahrenskostenhilfe bewilligt ist, als Entscheidungsschuldner haftet (§§ 31 Abs. 3 GKG, 26 Abs. 3 FamGKG). Eine derartige Privilegierung des Zweitschuldners besteht nach dem Gesetzeswortlaut nicht, wenn die arme Partei nicht als Entscheidungsschuldner sondern als Übernahmeschuldner haftet. Dies führt dazu, dass im Fall einer Kostenübernahme durch die arme Partei die Staatskasse dem Zweitschuldner die Gerichtskosten, die die arme Partei übernommen hat in Rechnung stellen kann. Dieser kann im Wege des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs die arme Partei wiederum mit dem Teil der Kosten in Anspruch nehmen, die diese durch Vergleich übernommen hat. Versuchen der Rechtsprechung, im Wege verfassungskonformer Auslegung den damaligen § 58 II GKG (jetzt § 31 Abs. 3 GKG) dahin auszulegen, dass eine Inanspruchnahme des Zweitschuldners auch dann nicht möglich ist, wenn die arme Partei die Kosten durch Vergleich übernommen hat (so OLG Ffm., 12. Zivilsenat, NJW 2000, S. 1120), hat der BGH mit Beschluss vom 23.10.2003 (NJW 2004, S. 366) eine Absage erteilt. Der Bundesgerichtshof führt dabei ausdrücklich aus, dass es den Fachgerichten nicht zustehe, die nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut in § 58 Abs. 2 S. 2 GKG angelegte vom Gesetzgeber auch gesehene bzw. gewollte und vom Bundesverfassungsgericht als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar beurteilte differenzierte Behandlung von Entscheidungs- und Übernahmeschuldner durch vom Wortlaut des Gesetzes abweichende Auslegung auszuhebeln. In neuerer Zeit hat das Oberlandesgericht Rostock (Beschluss vom 06.06.2011 - 10 UF 118/09) die unterschiedliche Behandlung von mittellosen Übernahmeschuldnern und mittellosen Entscheidungsschuldnern als verfassungswidrig angesehen und die Sache dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt.

    Aus der nach dem Gesetzeswortlaut differenzierten Behandlung des mittellosen Übernahmeschuldners einerseits und des mittellosen Entscheidungsschuldners andererseits haben nun der 13., 14. und 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in den zitierten Entscheidungen den Schluss gezogen, dass sich hieraus ein allgemeiner Grundsatz ergebe, dass die Partei, welcher Prozesskostenhilfe bewilligt ist, gleichwohl von der Staatskasse auf Gerichtskosten in Anspruch genommen werden könne, wenn sie diese durch Vergleich übernommen hat. In der gesamten Kommentarliteratur zu § 122 ZPO findet sich keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine derartige einschränkende Auslegung des § 122 ZPO möglich ist. Soweit ersichtlich, ist auch noch kein anderes Oberlandesgericht auf eine solche Idee gekommen. Sämtliche vom 13., 14. und 18. Zivilsenat zitierten Entscheidungen befassen sich mit der Frage der Zweitschuldnerhaftung im Fall der Kostenübernahme durch die arme Partei und der sich hieraus ergebenden Rückgriffsmöglichkeit des Zweitschuldners gegen die arme Partei. Lediglich das Oberlandesgericht Rostock (a.a.O.) erwähnt die Konstellation, dass die arme Partei Übernahmeschuldner ist, ohne dass ein Zweitschuldner vorhanden ist. Es geht dabei davon aus, dass in Fällen, in denen der Gegner nicht Zweitschuldner ist, Gerichtskosten von der armen Partei nicht eingezogen werden können (Rdnr. 19).

    Der Senat kann sich ebenfalls der Auffassung nicht anschließen, dass § 122 ZPO entgegen seinem Wortlaut so auszulegen wäre, dass die Staatskasse unmittelbar Gerichtskosten von der Partei, die die Kosten übernommen hat, einziehen könne, auch wenn dieser Prozesskostenhilfe bewilligt ist. Die Regelung des § 31 Abs. 3 GKG gibt für die Annahme eines Grundsatzes, dass die arme Partei als Übernahmeschuldner von der Gerichtskostenzahlung nicht befreit wäre, nichts her. Die differenzierte Regelung in § 31 GKG nimmt den Parteien lediglich die Möglichkeit, der Staatskasse durch Übernahmeerklärung der armen Partei die Haftung der bemittelten Partei als Zweitschuldner zu entziehen. Darin erschöpft sich der Regelungsgehalt der Vorschrift. Dass dies zur Folge hat, dass auf dem Umweg über den Kostenerstattungsanspruch des Gegners die arme Partei dann auf Gerichtskosten in Anspruch genommen werden kann, ist kein Selbstzweck der Regelung. Auch der Hinweis des 14. Zivilsenats, dass eine Haftung der bedürftigen Partei auch dann anerkannt wäre, wenn sie sich an der Vereinbarung über eine Sachverständigenentschädigung beteiligt hat, die über die gesetzliche hinausgeht, verfängt nicht. Beide Fälle sind auch nicht im Ansatz vergleichbar. Übernimmt die arme Partei durch Vereinbarung Sachverständigenkosten, die über die gesetzlichen Kosten hinausgehen, so verursacht sie zusätzliche gerichtliche Auslagen. Dass sie diese Kosten tragen muss, rechtfertigt es nicht ihr auch die ohnehin anfallenden gesetzlichen Kosten aufzuerlegen. Was nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs für die Auslegung von § 58 Abs. 2 GKG (jetzt § 31 Abs. 3 GKG) gilt, muss auch bei Auslegung des § 122 ZPO gelten. Es steht den Fachgerichten nicht zu, die nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 122 Abs. 1 angelegte nicht differenzierte Behandlung von Entscheidungs- und Übernahmeschuldner hinsichtlich der Befreiung von der Gerichtskosten im Fall der Prozesskostenhilfebewilligung durch eine Auslegung auszuhebeln, die durch den Gesetzeswortlaut und die Gesetzessystematik nicht gerechtfertigt ist.

    Trotz der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ist dem Senat die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 57 Abs. 7 FamGKG ebenso verwehrt wie den Zivilsenaten im Anwendungsbereich des GKG aufgrund der Vorschrift des § 66 Abs. 3 S. 3 GKG.

    Noll Treviranus Schuschke