OLG Frankfurt vom 09.07.2013 (6 UF 140/13)

Stichworte: Umgangspflicht; Verfahrensführungsbefugnis;
Normenkette: BGB 1684
Orientierungssatz:
  • Der betreuende Elternteil kann im eigenen Namen gegen den anderen Elternteil ein Verfahren auf Verpflichtung zum Umgang mit gemeinsamen Kindern anstrengen (Abweichung zu BGH, Beschluss vom 14.05.2008, Az.: XII ZB 225/06, FamRZ 2008, 1334).
  • 51 F 2263/12 UG
    AG Darmstadt

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schwamb, die Richterin am Oberlandesgericht Gottschalk und die Richterin am Amtsgericht Dr._Strube am 9. Juli 2013 beschlossen:

    Die Beschwerde vom 07.05.2013 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt vom 04.04.2013 wird zurückgewiesen.

    Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung des Beschlusses vom 04.04.2013 wird zurückgewiesen.

    Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000,00 Euro.

    Gründe:

    Die gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthafte, insbesondere gem. §§ 59 ff. FamFG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unbegründet.

    Zur Darstellung des Sachverhalts wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Ziff. I der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.

    Der erstinstanzlichen Entscheidung steht nicht entgegen, dass das Verfahren auf einen von der allein sorgeberechtigten Kindesmutter im eigenen Namen formulierten Antrag auf Regelung des Umgangs für die Kinder der beteiligten Ehegatten zurückgeht (so aber für den Fall der Einleitung eines auf Umgangsverpflichtung gerichteten Verfahrens durch die Kindesmutter BGH, Beschluss vom 14.05.2008, Az.: XII ZB 225/06, FamRZ 2008, 1334, Rn 12 zitiert nach juris). Dieses Ergebnis ist jedenfalls zwingend, wenn man davon ausgeht, dass der betreuende Elternteil auch in Verfahren, in denen zwischen den Beteiligten Streit über eine Umgangsverpflichtung besteht, aus eigenem Recht eine Umgangsverpflichtung geltend machen kann (so Veit in: Beck'scher Online-Kommentar BGB, Hrsg.: Bamberger/Roth, Stand 01.11.2011, § 1684 Rn 50; Zempel FF 2010, 238, 243; VerfGH Berlin, Beschluss vom 29.01.2004, Az.: 152/03, FamRZ 2004, 970, Rn 6 zitiert nach juris; so wohl auch Borth, FamRZ 2009, 157, 160, Heistermann FF 2009, 281, 283 und Socha, FamRZ 2010, 947, 948, die ohne Differenzierung zwischen einzelnen Fallkonstellationen davon ausgehen, dass jedem Elternteil aus § 1684 BGB ein materiell-rechtlicher Anspruch erwächst). Dafür spricht, dass das Sorgerecht auch die Befugnis und Pflicht umfasst, im Kindeswohl die Bestimmung des Umgangsrechts zu treffen, was die Entscheidung umfasst, diese Pflicht einzufordern (Zempel, FF 2010, 238, 243). Zu dem Ergebnis, dass hier die Voraussetzungen für die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens vorlagen, kommt man ebenfalls, wenn man davon ausgeht, dass das Umgangsverfahren ein Amtsverfahren ist oder jedenfalls auch von Amts wegen eingeleitet werden kann, denn dann ist der im eigenen Namen erfolgte Antrag der Kindesmutter als Anregung einzuordnen, die das Amtsgericht hier zu einer Aufnahme des Umgangsverfahrens von Amts wegen veranlasst hat (zur Zulässigkeit der Einleitung eines Umgangsverfahrens von Amts wegen OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.06.2011, Az.: 4 WF 144/11; implizierend OLG Köln, Beschluss vom 21.02.2012, Az.: 4 UF 258/11, Rn 15 zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 04.04.2011, Az.: 8 UF 161/10, Rn 64 zitiert nach juris; Stößer in: Prütting/Helms, FamFG, 2. Aufl., 2011, § 51 Rn 2, § 151 Rn 15; Ahn-Roth in: Prütting/Helms, FamFG, 2. Aufl., Vor §§ 23, 24 Rn 3; Feskorn in: Zöller, ZPO, 29. Aufl., 2012, § 23 FamFG Rn 1; Sternal in: Keidel, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 23 Rn 6; differenzierend danach, ob ein Antrag tatsächlich gestellt ist oder nicht Giers in: Keidel, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 51 Rn 4; vgl. auch Völker/Clausius, Sorge- und Umgangsrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2012, Rn 161; Büte in: Handbuch des Fachanwalts, Familienrecht, 8. Aufl. 2011, 4. Kap. Rn 631; Schael in: Eckebercht/Große-Boymann/Gutjahr/Paul/ Schael von Swieykowski-Trzaska/Weidemann, Verfahrenshandbuch Familiensachen, 2. Aufl. 2010, § 2 Rn 83; Rauscher in: Staudinger, BGB - Neubearbeitung 2006, § 1684 Rn 373; mit Einschränkung Götz in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, Rn 9; zum alten materiellen Recht, d.h. zu § 1634 BGB in der bis 1998 geltenden Fassung siehe OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.10.1992, Az.: 5 UF 237/91, Rn 5 zitiert nach juris mit weiteren Nachweisen; zur Zulässigkeit der Einleitung eines Abänderungsverfahrens von Amts wegen siehe BGH, Beschluss vom 01.02.2012, Az.: XII ZB 188/11, FamRZ 2012, 533, Rn 21 zitiert nach juris).

    Die in der ersten Instanz getroffene Regelung entspricht auch den Vorgaben des § 1684 Abs. 3 BGB. Das Familiengericht kann eine Umgangspflicht des nicht betreuenden Elternteils anordnen (BVerfG, Urteil vom 01.4.2008, Az. 1 BVR 1620/04, NJW 2008, 1287, FamRZ 2008, 845, Rn 62 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.08.2008, Az.: 16 WF 194/08, FamRZ 2009, 354, Rn 10 zitiert nach juris). Die in § 1684 Abs.1 BGB statuierte Pflicht eines Elternteils zum Umgang mit seinem Kind ist eine zulässige Konkretisierung der den Eltern grundrechtlich zugewiesenen Verantwortung für ihr Kind. Der Umgang dient dazu, die zwischen dem Kind und dem nicht betreuenden Elternteil bestehenden Bindungen zu pflegen und dem gegenseitigen Liebesbedürfnis Rechnung zu tragen (BGH, NJW 1969, 422). Sofern sich die Kindeseltern über die Ausgestaltung des Umgangsrechts nicht einigen können, wird eine Regelung des Gerichts nach §1684 Abs. 3 Satz 1 BGB notwendig. Die inhaltliche Ausgestaltung des Umgangsrechts ist in erster Linie danach auszurichten, welche Regelung dem Kindeswohl in seiner konkreten Situation am besten gerecht wird (§ 1697a BGB). Die Gerichte haben eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt (st. Rspr. BVerfG, zuletzt Beschluss vom 13.12.2012, Az.: 1 BvR 1766/12, FamRZ 2013, 433, Rn 20 zitiert nach juris). Das Amtsgericht ist hier der Stellungnahme des Verfahrensbeistands folgend zutreffend davon ausgegangen, dass es einer konkreten Regelung bedarf und eine konkrete Festlegung des Umgangs dem Kindeswohl entspricht. Die Kinder haben in der Anhörung zum Ausdruck gebracht, dass sie ihren Vater gerne sehen. Altersgemäß zeigen sie sich zwar mit einer starren Regelung der Umgangskontakte nicht einverstanden, eine solche nicht zu treffen widerspricht hier jedoch dem Kindeswohl. Ohne eine Regelung wird den Kindern die Verantwortung auferlegt, gegenüber ihren zerstrittenen Eltern ihren Umgangswunsch um- und durchzusetzen. Die Kinder sind zwar bereits 13 Jahre alt, dennoch kann ihnen gegenüber derartig zerstrittenen Eltern nicht die volle Verantwortung für die Regelung und Durchsetzung eines Umgangs auferlegt werden. Die Kinder möchten ihren Vater sehen, zeigen in der Anhörung aber gleichzeitig Verständnis für seine wirtschaftliche Situation. Ohne eine Umgangsregelung wird den Kindern eine Abwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen ihres Vaters und ihren eigenen Umgangswünschen auferlegt, was den Kindern nicht zumutbar ist. Ohne Umgangsregelung müssten die Kinder sich gegenüber ihrem Vater dafür rechtfertigen, dass sie mit ihm Wochenend- und Ferienzeiten verbringen möchten und gegenüber ihrer Mutter, wenn sie sich dagegen entscheiden. Ein solcher Rechtfertigungszwang für die Kinder gegenüber ihren nicht zur Einigung fähigen Eltern ist den Kindern nicht zumutbar. Hinzu kommt, dass mittlerweile ihre große Schwester beim Vater lebt, mit der sie ehemals zusammengelebt haben. Ohne Umgang beim Vater wäre auch der Kontakt zur Schwester über das erforderliche Maß hinaus eingeschränkt. Darüber hinaus können auch die Eltern bei dieser Zerstrittenheit ihre Fürsorgepflichten, die zwar in erster Linie bei der sorgeberechtigten Antragstellerin liegen, die aber auch den Vater treffen, wenn sich die Kinder bei ihm aufhalten, ohne eine feste Umgangsregelung nicht erfüllen. Solange die beteiligten Eltern nicht in angemessener Weise über die Belange der Kinder kommunizieren können, ist mit einer flexiblen Umgangsregelung die Gefahr verbunden, dass die Aktivitäten der Kinder sich in einem trotz ihres Alters nicht mehr hinzunehmenden Ausmaß der Kontrolle der Eltern entziehen. Der Senat geht auch nicht davon aus, dass der Antragsgegner bei einer Umgangsverpflichtung gegenüber den Kindern ein kindeswohlschädliches Verhalten an den Tag legen wird. Der Antragsgegner betont zwar, dass seine Kooperationsbereitschaft gegenüber der Antragstellerin nachlassen wird, betont aber ebenfalls, dass die Kinder zu ihm Vertrauen haben und bei ihm Sicherheit erfahren. Anhaltspunkte hieran zu zweifeln bestehen nach der Stellungnahme des Verfahrensbeistands und dem Ergebnis der übrigen Ermittlungen durch das erstinstanzliche Gericht nicht. Zuletzt ist der Antragsgegner im Hinblick auf Kosten des Umgangs darauf zu verweisen, dass diese nicht zu einer Verweigerung des Umgangs berechtigen. Gegebenenfalls ist bei wirtschaftlich beengten Verhältnissen zu prüfen, ob sie bei der Berechnung des geschuldeten Kindesunterhalts Berücksichtigung finden müssen.

    Aus den genannten Gründen war auch der Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung des erstinstanzlichen Beschlusses zurückzuweisen.

    Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 84 FamFG.

    Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zugelassen, weil der Senat von dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14.05.2008, Az.: XII ZB 225/06, abweicht.

    Rechtsbehelfsbelehrung:

    Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof statthaft. Gemäß § 71 FamFG ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht - Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe - einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten: 1. die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, 2. die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde. 3. Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden. Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 der ZPO gilt entsprechend. ________________

    Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt (§ 114 Abs. 2 FamFG) oder unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 3 FamFG durch eine zur Vertretung berechtigte Person, die die Befähigung zum Richteramt hat, vertreten lassen.

    Schwamb Gottschalk Dr. Strube