OLG Frankfurt vom 16.12.1999 (6 UF 101/99)

Stichworte: Trennungsunterhalt, Wohnwert, Marktmiete, Erwerbspflicht, Kindesbetreuung
Normenkette: BGB 1361
Orientierungssatz: 1) Nach der Praxis der Familiensenate des Oberlandesgerichts Frankfurt (Unterhaltsgrundsätze, FamRZ 99,1045, Ziff. II.12)(kann) auch bereits vor rechtskräftiger Scheidung der Ansatz der vollen Marktmiete in Betracht kommen kann. Dies ist jedoch nur ausnahmsweise der Fall und setzt nicht nur einen längeren Zeitablauf seit der Trennung voraus, sondern eine Situation, in der dem Wohnungsnutzer bereits vor der Scheidung die Verwertung (Fremdvermietung oder Verkauf) der Wohnung zuzumuten ist. 2) Zur Pflicht zur Teilerwerbsfähigkeit bei Betreuung eines 11-jährigen Kindes

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt durch den Richter am Oberlandesgericht Kleinle als Vorsitzender und die Richter am Oberlandesgericht Schmidt und Dr. Bauermann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Nov. 1999 für Recht erkannt:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 18.02.1999 verkündete Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Groß-Gerau wird auf seine Kosten (§ 97 I ZPO) zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar (§§ 708 Ziff. 10, 711, 713 ZPO)

TATBESTAND

Die Parteien streiten um Ehegattentrennungsunterhalt. Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin ab August 1998 monatlich insgesamt 1.792,00 DM Unterhalt (1.400,00 DM Elementar- / 392,00 DM Altersvorsorgeunterhalt) zu zahlen. Mit seiner Berufung erstrebt der Beklagte Klageabweisung. Die Klägerin verteidigt das amtsgerichtliche Urteil.

Im übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen (§ 543 I ZPO).

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Das zulässige Rechtsmittel des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die vom Amtsgericht ab September 1998 festgesetzten Unterhaltsbeträge sind zutreffend. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

1. Gemäß § 1361 I BGB hat die Klägerin gegen den Beklagten Anspruch auf Trennungsunterhalt, weil sie ihren eheangemessenen Unterhaltsbedarf wegen der Betreuung des gemeinsamen Sohnes Lars nicht durch die Erträgnisse einer eigenen Erwerbstätigkeit abdecken kann.

2. Zu Recht hat das Amtsgericht den eheangemessenen Bedarf der Klägerin mit monatlich 3.600,00 DM bemessen. Wie der Beklagte im Senatstermin eingeräumt hat, hat er in den letzten Jahren vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes bei der Fa. Mitsubishi ein Jahresbruttoeinkommen in einer Größenordnung von knapp unter 300.000,00 DM erzielt. Dies rechtfertigt den Ansatz eines eheangemessenen Bedarfs der Klägerin in Höhe der relativen Sättigungsgrenze (3.600,00 DM monatlich), ohne daß es auf die genaue Berechnung dieses Betrages ankäme.

Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Beklagte, wie er behauptet, seit dem Verlust seines Arbeitsplatzes bei Mitsubishi als selbständiger Unternehmensberater nur noch ein Monatsnettoeinkommen von rund 2.300,00 DM erwirtschaftet. Er hat bei seinem Ausscheiden aus der letzten Arbeitsstelle eine Abfindung erhalten, die er selbst mit 250.000,00 DM beziffert. Es ist ihm zuzumuten, diese Abfindung während eines vorübergehenden Zeitraums auch zur Aufrechterhaltung des ehelichen Lebensstandards der Klägerin einzusetzen.

Ohne Erfolg beruft er sich darauf, daß er den Betrag überwiegend für Investitionen in seine neue berufliche Tätigkeit eingesetzt habe. Er kann diese der Klägerin deswegen nicht entgegenhalten, weil sie überwiegend der Vermögensbildung dienen (Anschaffung eines Hausgrundstücks zusammen mit der neuen Partnerin). Im übrigen ist es ist ihm unterhaltsrechtlich zuzumuten, notwendige Investitionen zu finanzieren, zumal er - wie im Senatstermin offenbar geworden ist - aus der Auseinandersetzung des gemeinsamen Vermögens erhebliche Beträge erwartet.

3. Der eheangemessene Bedarf der Klägerin ist im Unterhaltszeitraum teilweise dadurch gedeckt, daß sie lastenfrei das Erdgeschoß des gemeinsamen Wohnhauses nutzt. Dieser Wohnvorteil mag zu Gunsten des Beklagten entsprechend der vom Amtsgericht vorgenommenen Bewertung im Hinblick auf den Gesamtbedarf der Klägerin mit monatlich 1.200,00 DM angesetzt werden. Einen höheren Betrag oder die tatsächlich auf dem Markt erzielbare Miete muß sich die Klägerin aber nicht entgegenhalten lassen.

Zwar kann nach der Praxis der Familiensenate des Oberlandesgerichts Frankfurt (Unterhaltsgrundsätze, FamRZ 99,1045, Ziff. II.12) auch bereits vor rechtskräftiger Scheidung der Ansatz der vollen Marktmiete in Betracht kommen kann. Dies ist jedoch nur ausnahmsweise der Fall und setzt nicht nur einen längeren Zeitablauf seit der Trennung voraus, sondern eine Situation, in der dem Wohnungsnutzer bereits vor der Scheidung die Verwertung (Fremdvermietung oder Verkauf) der Wohnung zuzumuten ist. Dies kann ausnahmsweise etwa dann gegeben sein, wenn die Fortdauer der Trennung absehbar ist, aber eine Scheidung von beiden Ehegatten nicht in Betracht gezogen wird oder bei schweren finanziellen Engpässen des anderen Ehegatten (vgl. etwa Hahne, FF 1999, 99, 100). Der Senat setzt den vollen Mietwert vor rechtskräftiger Scheidung auch in den Fällen an, in denen der im Hause verbliebene Ehegatte dort einen neuen Partner aufgenommen hat und es ihm zuzumuten ist, von diesem ein Entgelt für die Wohnungsgewährung einzuziehen. Die bezeichneten Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

4. Bedarfsmindernd zurechnen lassen muß sich die Klägerin weiter diejenigen Einnahmen, die sie in der Zeit von Mai bis Oktober 1999 durch die Fremdvermietung des 1. Obergeschosses tatsächlich erzielt hat. Es sind dies insgesamt 8.100,00 DM (6 x 1.350,00). Legt man diesen Betrag auf die Monate September 1998 (Beginn des Unterhaltszeitraums) bis Oktober 1999 (Auszug der Mieter) um, entfällt auf den Monat ein Teilbetrag von rund 600,00 DM.

Weitergehende Mieteinnahmen hat die Klägerin im Unterhaltszeitraum nicht erzielt. Eine fiktive Mieteinnahme bis zur Höhe von monatlich 1.300,00 DM muß sich die Klägerin jedenfalls vorläufig nicht bedarfsdeckend entgegenhalten lassen. Zwar ist es ihr, auch wenn die Einliegerwohnung während intakter Ehe nicht vermietet war, grundsätzlich zuzumuten, zur Deckung des eigenen Bedarfs einer entsprechenden Vermietung zuzustimmen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Suche nach einem geeigneten Mieter mitzuwirken. Da aber beide Ehegatten Miteigentümer des Hauses sind, obliegt die Suche nach einem Mieter nicht nur der Klägerin allein, sondern beiden Parteien. Es erscheint daher nicht angemessen, das entsprechende Risiko alleine der Klägerin aufzubürden.

Hinzu kommt, daß es zwischen den Parteien völlig offen ist, ob das gemeinschaftliche Haus gehalten werden kann oder im Zuge der Vermögensauseinandersetzung veräußert werden muß. In dieser Situation ist es zumindest zweifelhaft, ob eine Teilvermietung den Interessen beider Parteien - auch des Beklagten - am besten dient.

5. Der offene Unterhaltsbedarf der Klägerin ist nicht dadurch teilweise gedeckt, daß sie im August 1998 aus der Auflösung eines auf ihren Namen lautendes Bausparkonto 9.000,00 DM und im September 1998 wegen eines Wasserschadens im Keller des gemeinschaftlichen Hauses eine Versicherungsleistung von 11.000,00 DM vereinnahmt hat. Das Bausparguthaben und die vereinnahmte Versicherungssumme betreffen den Vermögensbereich der Parteien und nicht ihr Unterhaltsschuldverhältnis. Sie mögen sich im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung (Zugewinnausgleich) darüber auseinandersetzen.

Als Unterhalt zurechnen lassen muß sie sich jedoch die im September 1998 vereinnahmten Einkommensteuerrückzahlungen für die Jahre 1996 und 1997 in Höhe von zusammen 2.142,00 DM, nachdem der Beklagte in diesem Rechtsstreit zumindest konkludent sein Einverständnis damit erklärt hat, daß sie diesen Betrag zu ihrem Unterhalt verwenden darf. Wenn man den Gesamtbetrag (2.142,00 DM) auf die Monate 9/1998 bis 10/1999 umlegt, entfallen auf den Monat rund 150,00 DM.

6. Zu Recht hat bereits das Amtsgericht darauf hingewiesen, daß der Klägerin ab Oktober/November 1999 wegen des fortgeschrittenen Alters des gemeinsamen Sohnes (11 Jahre) grundsätzlich eine eigene Teilerwerbstätigkeit obliegt, denn sie ist durch die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes nicht mehr vollständig an einer solchen gehindert. Da der Sohn aber auch nach Oktober 1999 einer weitgehenden Verfügbarkeit der Klägerin bedarf und sie seit 1987 nicht mehr erwerbstätig war, braucht ihre Tätigkeit jedenfalls vorerst nicht notwendig einen Halbtagsumfang zu erreichen. Es genügt zunächst eine Tätigkeit im Geringverdienerbereich (monatlich 630,00 DM). Der Senat geht davon aus, daß die Klägerin jedenfalls in diesem Bereich auch eine reale Arbeitsmarktchance hat. Sie ist 47 Jahre alt, hat eine abgeschlossene Ausbildung als Hotelfachfrau und hat ohne Bankausbildung bis zu der Aufgabe ihres Berufs im Jahre 1987 als Filialleiterin der Kreissparkasse Groß-Gerau gearbeitet. Wie sie selbst im Senatstermin eingeräumt hat, rechnet sie damit, daß es ihr gelingen wird, über kurz oder lang wieder in ihrem alten Tätigkeitsfeld Fuß zu fassen.

Ob sie - wie sie behauptet - gegenwärtig wegen gesundheitlicher Einschränkungen erwerbsunfähig ist oder ob sie sich ihrer Obliegenheit entsprechend um eine Anstellung bemüht hat, kann jedenfalls für dieses Berufungsverfahren dahinstehen, denn auch bei fiktiver Zurechnung eines Monatseinkommens von 630,00 DM ab November 1999 ergibt sich ein offener Elementarunterhaltsbedarf der Klägerin, der den vom Amtsgericht berechneten Betrag (1.400,00 DM) übersteigt:

9/98 bis 10/99: eheangemessener Bedarf 3.600,00 DM - Wohnwert Erdgeschoß 1.200,00 DM - Mieteinnahmen Obergeschoß 600,00 DM - umgelegte Einkommensteuererstattung 150,00 DM offener Bedarf 1.650,00 DM

ab 11/99: eheangemessener Bedarf 3.600,00 DM - Wohnwert Erdgeschoß 1.200,00 DM - fiktives Eigeneinkommen 630,00 DM offener Bedarf 1.770,00 DM

7. Der vorstehend berechnete Elementarunterhaltsanspruch rechtfertigt im Unterhaltszeitraum nach der Bremer Tabelle (FamRZ 98, 349; 99, 214; 99, 428) jedenfalls auch den vom Amtsgericht mit monatlich 392,00 DM festgesetzten Altersvorsorgebedarf:

9/98 bis 12/98: 1.650,00 x 1,24 x 0,203 = 415,00 DM bis 3/99: 1.650,00 x 1,22 x 0,203 = 408,00 DM bis 10/99: 1.650,00 x 1,21 x 0,195 = 389,00 DM ab 11/99: 1.770,00 x 1,24 x 0,195 = 428,00 DM

8. Obwohl es hier nicht mehr darauf ankommt, hält es der Senat für sachdienlich, die Klägerin für zukünftige Unterhaltsprozesse auf folgendes hinzuweisen:

Der Text der von ihr mit Schriftsatz vom 17.11.1999 vorgelegten Bewerbungsschreiben läßt zumindest Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Arbeitsuche entstehen, denn der Hinweis darauf, daß die Arbeitsuche auch "in Zusammenhang mit meinem geschiedenen Unterhalt steht" ist eher geeignet, einen potentiellen Arbeitgeber abzuschrecken.

Dr. Weychardt Schmidt Dr. Bauermann