OLG Frankfurt vom 11.03.1999 (6 UF 101/98)

Stichworte: Rechtshängigkeit, Einwand, Türkei
Normenkette: ZPO 261 Abs. 3
Orientierungssatz: Vorrangige Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens in der Türkei

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 6. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weychardt und die Richter am Oberlandesgericht Kleinle und Dr. Bauermann aufgrund der bis zum 01.03.1999 eingereichten Schriftsätze für Recht erkannt:

Die Berufung der Antragstellerin (Ehefrau) vom 06.05.1998 gegen das Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Darmstadt vom 11.03.1998 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

T A T B E S T A N D

Die türkischen Parteien haben am 13.05.1988 die Ehe geschlossen, aus der ein Kind hervorgegangen ist. Da ihre Ehe gescheitert ist, wollen die beiden Ehegatten geschieden werden. Die Ehefrau (Antragstellerin) hat mit Schriftsatz vom 26.06.1997 beim Amtsgericht Darmstadt einen Antrag auf Ehescheidung, verbunden mit einem Antrag auf Prozeßkostenhilfe, eingereicht, der dem Ehemann (Antragsgegner) am 07.08.1997 förmlich zugestellt wurde, wodurch die Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens begründet wurde. Der Ehemann betreibt in der Türkei ebenfalls ein Scheidungsverfahren. Er hat hierzu ein Schreiben des türkischen Gerichts (nach deutschem Verständnis "Amtsgericht") Mersin vorgelegt, in dem es heißt:

Bei unserem Gericht wurde vom Kläger xxx eine Scheidungsklage mit der Aktennummer 1997/630 gegen die Beklagte xxxx eingereicht. Diese Bescheinigung wurde auf den Wunsch des Rechtsanwalts des Klägers hin demselben ausgehändigt. 24.07.1997.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Darmstadt hat mit Urteil vom 11.03.1998 den Scheidungsantrag der Ehefrau als unzulässig abgewiesen, da die Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens in der Türkei als Prozeßhindernis gemäß § 261 Abs. 3 ZPO zu beachten sei.

Hiergegen hat die Antragstellerin Berufung mit dem Antrag eingelegt,

unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Darmstadt vom 11. März 1998 die am 13.05.1988 vor dem Generalkonsulat der Türkischen Republik in Frankfurt/Main zu Eheregister 203/1988 geschlossene Ehe zu scheiden.

Der Antragsgegner beantragt Zurückweisung des Rechtsmittels.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen der in erster und zweiter Instanz vorgelegten Urkunden, wird auf den gesamten Akteninhalt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E

Die Berufung der Antragstellerin gegen das abweisende Urteil des Amtsgerichts Darmstadt ist zwar zulässig (§ 511 ZPO), in der Sache selbst ist das Rechtsmittel jedoch nicht begründet.

Die deutsche Familiengerichtsbarkeit ist international zuständig, da beide Parteien im hiesigen Gerichtsbezirk ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 606a Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Dem Scheidungsbegehren der Antragstellerin steht jedoch die Rechtshängigkeit des in der Türkei eingeleiteten Scheidungsverfahrens entgegen (§ 261 Abs. 3 ZPO). Dieses Prozeßhindernis ist von Amts wegen deswegen zu beachten, weil ein türkisches Scheidungsurteil hier anerkennungsfähig ist, denn die Türkei ist für das Scheidungsbegehren des Antragsgegners, also für das Scheidungsverfahren türkischer Staatsangehöriger, international zuständig, wie sich aus den Artt. 27 und 28 des türkischen Gesetzes Nr. 2675 über das Internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht ergibt. Dementsprechend kommt es darauf an, bei welchem erstinstanzlichen Familiengericht zuerst Rechtshängigkeit eingetreten ist. Der Eintritt der deutschen Rechtshängigkeit beurteilt sich nach der deutschen Zivilprozeßordnung als der lex fori; das der deutschen Rechtshängigkeit vergleichbare Rechtsinstitut bezüglich des türkischen Scheidungsverfahrens beurteilt sich nach der türkischen Verfahrensordnung als der dortigen lex fori: Artt. 178, 185 Türkische Zivilprozeßordnung (vgl. zu allem BGH FamRZ 1992, 1058 Nr. 575; Henrich "Internationales Scheidungsrecht", FamRZ-Buch Nr. 10, RNr. 13 ff.). Wie sich aus der Bescheinigung des Amtsgerichts Mersin ergibt, ist der Scheidungsantrag des hiesigen Antragsgegners dort spätestens am 24.07.1997 eingereicht worden, also vor dem Eintritt der deutschen Rechtshängigkeit am 07.08.1997. Die Registrierung des Scheidungsantrags, nach deutschem Verständnis also die Anhängigkeit desselben, löst dieselben Wirkungen aus wie die deutsche Rechtshängigkeit (vgl. Finger "Türkisches Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht vor deutschen Gerichten" in FuR 1998, 398 ff.; ebenso Heiderhoff "Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit in Ehescheidungsverfahren", 1998, S. 15). Aufgrund der unterschiedlichen Regelung über den Eintritt der Rechtshängigkeit und der damit verbundenen Sperre für ein weiteres Verfahren ist es dem Antragsgegner gelungen, die Frage der Priorität des Scheidungsverfahrens zu seinen Gunsten zu entscheiden. Der "Wettlauf" um die Rechtshängigkeit wird vielfach als mißlich empfunden, wie es in der Dissertation von Heiderhoff eindrucksvoll dargestellt ist. Gleichwohl gibt der erkennende Senat mit dem BGH a.a.O. dem internationalen Entscheidungsgleichklang, insbesondere einem einfach und klar zu handhabbaren Verfahrensablauf den Vorzug. Zu welchen von hier aus schwer zu durchschauenden Komplikationen eine einzelfallorientierte Betrachtungsweise führen kann, zeigt der weitere Verlauf des türkischen Scheidungsverfahrens. Das zunächst angerufene Amtsgericht Mersin hat nämlich am 17.09.1998 ein "Urteil" erlassen, in dem es unter anderem heißt:

Daher ist man zur Überzeugung gelangt, daß die Klage wegen Unzuständigkeit abzuweisen ist.

U R T E I L Wie aus dem oben genannten Sachverhalt hervorgeht, wird

1. die Klage wegen Unzuständigkeit ABGEWIESEN, weil unser Gericht nicht zuständig ist; nach Rechtskraft des Urteils und auf Antrag wird die Akte an das diensthabende Amtsgericht in Adana zugesandt,

2. Die entstandenen Aufwendungen werden von dem betreffenden Gericht berücksichtigt.

3. Die Vollmachtsgebühren der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin in Höhe von 13.500.000,00 Lira werden von dem Antragsteller an die Antragsgegnerin gezahlt;

4. Die zu entrichtenden Gebühren in Höhe von 774.000,00 Lira werden unter Anrechnung von dem bereits entrichteten Betrag in Höhe von 429.000,00 Lira, also Rest 345.000,00 Lira, werden vom Antragsteller gezahlt;

Das Urteil wurde unter Offenhaltung des Rechtsweges den Bevollmächtigten der Parteien vorgelesen und genehmigt.

Der hiesige Antragsgegner hat sich sodann an das türkische Amtsgericht in Adana gewandt. Das Amtsgericht Adana hat sodann einen Verhandlungstermin anberaumt. In der Ladungsverfügung wird neben dem neuen Aktenzeichen auch das "alte Geschäftszeichen der Akte des Amtsgerichts Mersin" angegeben. Die hiesige Antragstellerin entnimmt nun aus dem abweisenden "Urteil" des Amtsgerichts Mersin, daß quasi für eine juristische Sekunde die türkische Rechtshängigkeit unterbrochen war und somit die deutsche Rechtshängigkeit zum Tragen kommen konnte mit der Folge, daß der Fortsetzung des Verfahrens in Adana nunmehr die deutsche Rechtshängigkeit entgegenstehe. Diesem Gedankengang folgt der erkennende Senat nicht, er faßt vielmehr beide Verfahren (Mersin/Adana) als ein (1) einheitliches Verfahren auf, ähnlich wie es bei einer Verweisung nach § 281 der deutschen ZPO der Fall ist. Während nun § 281 ZPO den Beschlußweg wählt, bedient sich das Amtsgericht Mersin eines "Urteils". Für das deutsche juristische Empfinden hat das Wort "Urteil" etwas abschließendes, endgültiges an sich. Diese Irritation ist aber in erster Linie ein Übersetzungsproblem. Wie der im Senatstermin vom 04.02.1999 zugezogene türkische Dolmetscher klargestellt hat, ist das über dem türkischen Text stehende Wort "KARAR" nicht nur mit Urteil, sondern auch mit Entscheidung oder Beschluß übersetzbar. Die dem Senat vorgelegte Übertragung der Entscheidung des Amtsgerichts Mersin ins Deutsche ist zwar eine Übersetzung aber kein Übersetzen von einer Rechtsordnung zur anderen. Dies und der vorliegende Fall zeigt, wie schwierig es ist, einen "Vergleich der Verfahrensstände" (Heiderhoff) vorzunehmen. Daß es sich in der Türkei um ein einheitliches Scheidungsverfahren handelt, entnimmt der Senat auch daraus, daß die Entscheidung des Amtsgerichts Mersin die Kostentragung mit der für später zu erwartenden Entscheidung des Amtsgerichts Adana verbindet und daß das Amtsgericht Adana auf das Aktenzeichen des Amtsgerichts Mersin Bezug nimmt. Nach allem verbleibt es also dabei, daß das vom hiesigen Antragsgegner in der Türkei eingeleitete, registrierte Scheidungsverfahren Vorrang vor der erst später eingetretenen Rechtshängigkeit des deutschen Scheidungsverfahrens hat, weswegen das Amtsgericht Darmstadt das Scheidungsbegehren der Antragstellerin zu Recht als unzulässig abgewiesen hat.

Soweit die Antragstellerin zur Untermauerung ihres Rechtsstandpunktes meint, sie habe im türkischen Scheidungsverfahren schlechtere Chancen als hier, ist darauf hinzuweisen, daß auch das deutsche Familiengericht das materielle türkische Scheidungsrecht anzuwenden hat, ohne allerdings das entsprechende türkische Vorverständnis für die Gesetzesanwendung zu besitzen. Auch bezüglich des Sorgerechts für das gemeinsame Kind der Parteien braucht die Antragstellerin keine Bedenken zu haben: da die Türkei wie die Bundesrepublik Deutschland Vertragspartner des Haager Minderjährigenschutzabkommens ist, kann ein türkisches Gericht die bereits hier zu Gunsten der Mutter getroffene Sorgerechtsregelung deswegen nicht abändern, weil das Kind allein hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Abkommens hat, was die Zuständigkeit der türkischen Gericht insoweit grundsätzlich ausschließt.

Die Nebenentscheidungen dieses Urteils beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO.

Für die Zulassung der Revision gegen dieses Urteil besteht kein Anlaß.

Dr. Weychardt Dr. Bauermann Kleinle