OLG Frankfurt vom 20.03.2000 (5 WF 301/99)

Stichworte: Abtrennung, Ermessen Sorgerecht, Trennung, Scheidung, Weitergeltung
Normenkette: ZPO 623 Abs. 2 S. 2 BGB 1672, 1669
Orientierungssatz: Kein Ermessen des Familiengerichts bei der Entscheidung nach § 623 Abs. 2 S. 2 ZPO; Weitergeltung einer Altentscheidung nach § 1672 a.F. BGB über die Scheidung hinaus;

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt/Main vom 02.12.1999 am 20.03.2000 beschlossen:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die Sache wird an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen, die "Folgesache Sorgerecht" gemäß § 623 Abs. 2 ZPO aus dem Scheidungsverbund abzutrennen. Es hat die Auffassung vertreten, zur Abtrennung bestehe kein Anlaß, weil in dem Verfahren 35 F 6232/97 des AG Ffm bereits eine Sorgerechtsentscheidung (für die Trennungszeit) ergangen sei.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie vertritt die Auffassung, dem Amtsgericht stehe kein Ermessen zu. Sei ein Sorgerechtsantrag nach § 1671 Abs. 1 BGB gemäß § 623 Abs. 1, 2 ZPO durch zeitgleiche Antragstellung der Eltern in den Scheidungsverbund gelangt, so müsse das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils das Sorgerechtsverfahren nach § 623 Abs. 2 S. 2 ZPO in jedem Fall abtrennen.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach Meinung des Senats gemäß § 567 Abs. 1 ZPO zulässig (Zöller/Philippi, ZPO, 21. Auflage, § 623 Rn 32 d). Anders als im Falle der Abtrennung nach § 628 ZPO handelt es sich hier um eine Form der Prozeßtrennung, ähnlich § 145 ZPO und nicht um eine Vorabentscheidung, einem Teilurteil ähnlich (vergl. Senat, Beschluß vom 16.09.98, 5 WF 176/96 - Entscheidungssammlung der Familiensenate, Version 2-98). Demnach wird durch die Verweigerung der Abtrennung ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen, was die Beschwerde nach § 567 Abs. 1 ZPO eröffnet.

Die Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Der Senat teilt angesichts des Wortlauts der Bestimmung die Auffassung der Antragstellerin, nach welcher dem Amtsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 623 Abs. 2 S. 2 ZPO kein Ermessen zusteht und das Gericht dem Abtrennungsantrag entsprechen muß (Zöller/Philippi, a.a.O., Rn 32c; Baumbach-Lauterbach ZPO 58. Aufl. § 623 Rn. 4, AG Rastatt FamRZ 1999, 519; siehe auch Büttner FamRZ 1998, 592). Da der Antrag des Antragsgegners hinsichtlich der Regelung der elterlichen Sorge als ein Abänderungsantrag zu bewerten ist (vgl. hierzu die späteren Ausführungen), kann der Antrag auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es sei schon eine Regelung erfolgt.
BR Der Senat hat jedoch davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden, weil bei Zugrundelegung der nachfolgend dargestellten Rechtsansicht des Senats eine Abtrennung entbehrlich scheint, wenn nur noch dem Antrag des Antragsgegners Bedeutung zukommt und das Amtsgericht dieser Rechtsansicht folgt.

Aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung entnimmt der Senat, daß das Amtsgericht sich für verpflichtet hält, über die Sorgerechtsanträge beider Eltern eine Erstentscheidung (im Verbund) zu treffen. Offensichtlich sieht es die bereits in dem Verfahren 35 F 6232/97 des AG Ffm ergangene Sorgerechtsentscheidung für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung für nicht mehr wirksam an. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß die in dem vorgenannten Sorgerechtsverfahren getroffene Regelung über die Zeit der Scheidung hinaus weiter Geltung hat. Er teilt insoweit die Rechtsansicht des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (1 UF 107/99 vom 04.11.1999). Der 1. Familiensenat hat zur Begründung dieser Rechtsauffassung folgendes ausgeführt:

"Der Senat teilt nicht die Auffassung des Amtsgerichts, daß diese Entscheidung mit Rechtskraft des Scheidungsausspruchs auslaufen würde. Allerdings war dies bis zum 30. Juni 1998 bei Entscheidungen nach § 1672 BGB der Fall. Im Fall der Scheidung hatte das Familiengericht nach der damals geltenden Rechtslage nach § 1671 BGB eine neue Entscheidung über die elterliche Sorge von Amts wegen zu treffen, auch wenn bereits eine Entscheidung nach § 1672 BGB ergangen war. Mit Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes ist die Aufspaltung der Sorgerechtsregelung in eine Entscheidung für die Dauer des Getrenntlebens und für die Zeit nach der Scheidung aufgehoben. Nach Trennung der Eheleute erfolgt jetzt auf Antrag eine Regelung der elterlichen Sorge nach § 1671 BGB neuer Fassung. Eine erneute Entscheidung im Fall der Scheidung von Amts wegen ergeht nicht. Welche Konsequenzen dies für Entscheidungen hat, die noch nach altem Recht nach § 1672 BGB ergangen sind, ist in der Rechtsprechung umstritten. Die Auffassung des Amtsgerichts Weilburg, wonach eine solche Entscheidung mit der Scheidung ausläuft, wird unter anderem geteilt vom Oberlandesgericht Köln (FamRZ 1999, S. 613), OLG Nürnberg (FamRZ 1999, S. 614) und OLG Hamm (FamRZ 1999, S. 803). Die Gegenmeinung, daß die nach § 1672 BGB alter Fassung getroffene Entscheidung aufgrund der seit 1.7.1998 geltenden Rechtslage über eine Scheidung hinaus fortwirkt, wird unter anderem vertreten vom OLG Stuttgart (FamRZ 1999, S. 804) und vom 6. Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (FamRZ 1999, S. 612). Der Senat schließt sich der letztgenannten Entscheidung an. Bei der Beurteilung dieser Frage kann es nicht im einzelnen darauf ankommen, welchen genauen Wortlaut der Tenor der nach § 1672 BGB alter Fassung getroffenen Entscheidung hat. Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht Weilburg im Beschluß vom 9.5.1997 die elterliche Sorge für die beiden Kinder ausdrücklich für die Dauer des Getrenntlebens der Mutter übertragen. Dies entsprach einer vielfach geübten Praxis. Zum Teil hat die Praxis bei Beschlüssen nach § 1672 BGB alter Fassung demgegenüber nur so tenoriert, daß die elterliche Sorge übertragen wird. Inhaltlich macht dies keinen Unterschied aus. Da eine Übergangsregelung zu dieser Frage im Kindschaftsrechtsreformgesetz nicht enthalten ist, muß der zeitliche Geltungsbereich einer nach Trennung der Eltern getroffenen Entscheidung nach § 1672 BGB alter Fassung am jetzt geltenden Recht gemessen werden. Bedenken dagegen, daß damit eine im Grunde vorläufige und unter dem Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung stehenden Regelung zu einer Regelung aufgewertet würde, die nur noch unter den besonderen Voraussetzungen des § 1696 BGB geändert werden könnte (so OLG Nürnberg, a.a.O.), kann dadurch Rechnung getragen werden, daß die Schwelle für eine Abänderung nach § 1696 BGB niedrig angesetzt wird. Dabei kann dem Gesichtspunkt, daß nach damaligem Recht in der Regel eine Überprüfung der Entscheidung im Scheidungsverfahren zu erwarten war, Rechnung getragen werden."

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsansicht des 1. Familiensenats des Gerichts an. Er ist der Auffassung, daß auch dann, wenn die Sorgerechtsentscheidung in dem vorausgegangenen isolierten Sorgeverfahren ausdrücklich "für die Zeit der Trennung" ergangen sein sollte, mit der Auslegung zur Weitergeltung keine Vertrauenstatbestände betroffen sind. Indem der Gesetzgeber eine Sorgerechtsentscheidung nur noch für den Fall der Trennung vorsieht, kann keine (weitere) Erstentscheidung mehr ergehen. Die Korrektur des zeitlichen Geltungsbereichs ist damit durch den Gesetzgeber schon vorgenommen und wird durch die Auslegung nicht erst begründet.

Dies alles hat für das vorliegende Verfahren nach Meinung des Senats folgende Auswirkungen:

Der Antrag der Mutter, der im vorausgegangenen isolierten Sorgerechtsverfahren das alleinige Sorgerecht übertragen wurde, ist unzulässig. Wegen der Weitergeltung der früheren Sorgerechtsentscheidung fehlt ihr für einen erneuten Antrag nach § 1671 Abs. 1 BGB das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dieser Antrag kann als unzulässig abgewiesen werden, wobei der Senat hier dahinstehen läßt, ob eine solche Entscheidung erst nach Aufhebung des Verbunds durch vorausgegangene Abtrennung ergehen kann bzw. ob ein unzulässiger Antrag nach § 1671 Abs. 1 BGB überhaupt nach § 623 Abs. 1 ZPO in den Verbund gelangt.

Der entgegengesetzte Sorgerechtsantrag des Antragsgegners ist - was das Rechtsschutzziel betrifft - ein Antrag auf Abänderung der bereits getroffenen Sorgerechtsentscheidung nach § 1696 BGB. Er nimmt kraft Gesetzes nicht an dem Verbund teil (§§ 623 Abs. 1, 2 i. V. m. 621 Abs. 1 Nr. 1). Nach § 623 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1 ZPO ist Folgesache nach § 621 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO nur das Verfahren im Falle eines Antrags nach § 1671 Abs. 1 BGB (vgl. dazu Johannsen/Henrich EheR 3. Aufl. § 623 ZPO Rn. 8). Das Verfahren nach § 1696 BGB wird hiervon nicht erfaßt. Für dieses bedarf es eigentlich keines Antrags. Es sind in den §§ 1671 bzw. 1696 BGB auch unterschiedliche Voraussetzungen für eine zu treffende Regelung der elterlichen Sorge normiert. Demnach muß der Abänderungsantrag auch nicht aus dem Verbund abgetrennt werden, sondern wird als isoliertes Verfahren außerhalb des Verbundes geführt.

Entsprechend der Rechtsansicht des Familiengerichts zur Einbeziehung des Antrags des Vaters in den Verbund wird das Amtsgericht nunmehr dem prozessualen Anliegen der Antragstellerin auf die eine oder andere Art Rechnung tragen müssen.

Dr. Hartleib Meinecke Held