OLG Frankfurt vom 25.05.2022 (5 WF 27/22)

Stichworte: Kostenentscheidung; Einstweilige Anordnung; Beschwerderecht; Unterbringung, Minderjähriger
Normenkette: BGB 1631b; FamFG 57; FamFG 81; FamFG 151 Nr. 6; FamGKG 55
Orientierungssatz: Im Verfahren der einstweiligen Anordnung zur Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1631b BGB iVm § 151 Nr. 6 FamFG ist eine isolierte Kostenentscheidung, die nach Rücknahme des Antrags ergangen ist, mit der Beschwerde anfechtbar.

319 F 1148/21
AG Offenbach am Main

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

betreffend die freiheitsentziehende Unterbringung

hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht – Offenbach am Main vom 10.01.2022 am 25.05.2022 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Gerichtskosten werden für das erstinstanzliche Verfahren nicht erhoben. Seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

Der amtsgerichtliche Wertfestsetzungsbeschluss wird aufgehoben.

Für das Beschwerdeverfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben; seine außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

Gründe:

I.

Die Kindesmutter begehrt die Abänderung einer Kostenentscheidung in einem einstweiligen Anordnungsverfahren auf familiengerichtliche Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung ihrer Tochter.

Die für ihre am … geborene Tochter JJ allein sorgeberechtigte Kindesmutter beantragte unter dem 02.08.2021 bei der Rechtsantragsstelle des Familiengerichts, die Unterbringung ihrer Tochter gemäß § 1631 b BGB zu genehmigen.

Die 14-jährige JJ lebt seit Juli 2021 auf Anraten des Jugendamtes in verschiedenen Einrichtungen, aus denen sie mehrfach abgängig war; wiederholt wurde durch die Kindesmutter bzw. das Jugendamt Vermisstenanzeige gestellt. Im Zeitpunkt der Antragstellung durch die Kindesmutter im August 2021 war der Aufenthaltsort der Tochter erneut unbekannt. In der Folge tauchte JJ zeitweise auf, verließ die Einrichtungen jedoch wieder unerlaubt. Im September 2021 teilte das Jugendamt mit, dass JJ mit Zustimmung der Kindesmutter übergangsweise bei der Großmutter väterlicherseits unterkommen sollte, bis eine dauerhafte Wohngruppe für sie gefunden werden könnte. Das Familiengericht bestellte eine Verfahrensbeiständin für das betroffene Kind und eröffnete von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB. Zum gerichtlichen Anhörungstermin von JJ Ende September erschien die Verfahrensbeiständin, nicht jedoch JJ selbst. Auf Anregung des Familiengerichts nahm die Kindesmutter letztlich ihren Antrag auf Genehmigung der Unterbringung im Januar 2022 zurück.

Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Familiengericht den Wert des Verfahrens auf 2.000 Euro fest und entschied, die Kosten des Verfahrens der Kindesmutter aufzuerlegen.

Hiergegen richtet sich die Kindesmutter mit ihrer Beschwerde. Die Entscheidung, der Kindesmutter die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, entspreche nicht der Billigkeit. Die Kindesmutter sei dem Anraten des Jugendamtes gefolgt, die Unterbringung ihrer Tochter zu beantragen. Damit sei sie in Verantwortung dieser Empfehlung nachgekommen. Vom Jugendamt sei der Antrag im Sorgerechtsverfahren nochmals empfohlen und verteidigt worden, da JJ aufgrund ihres Drogenkonsums und ihres strafrechtlichen Inerscheinungtretens Hilfe benötige. Die Kindesmutter habe auf Drängen des Gerichts ihren Antrag zurückgenommen. Die Unterbringung sei aus Kindeswohlgesichtspunkten zweifelsfrei dringend erforderlich gewesen.

II.

Die Beschwerde der Kindesmutter gegen die Kostenentscheidung ist zulässig, insbesondere auch statthaft und form- und fristgerecht eingelegt; sie ist auch begründet, soweit der Antragstellerin durch die angefochtene Entscheidung Gerichtskosten auferlegt wurden.

Vorliegend hat das Familiengericht in einem einstweiligen Anordnungsverfahren auf Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines minderjährigen Kindes gemäß § 1631b BGB nach Rücknahme des Antrags durch die Kindesmutter eine isolierte Entscheidung über die Kosten des Verfahrens getroffen.

Isolierte Kostenentscheidungen sind im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit generell als Endentscheidungen mit der befristeten Beschwerde gemäß § 58 FamFG anfechtbar (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2021, 538; FamRZ 2014, 593; OLG Koblenz 2018, 1766; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, § 58 Rn 97).

In Verfahren der einstweiligen Anordnung richtet sich die Anfechtbarkeit von Entscheidungen nach § 57 FamFG als lex specialis (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2014, 593; Dürbeck in: Prütting/Helms, FamFG, § 57 Rn 18). Dabei schließt § 57 S. 1 FamFG eine Beschwerde gegen Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen grundsätzlich aus. Nach § 57 S. 2 FamFG gilt diese Einschränkung jedoch nicht in Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG und (weiter) auch nicht, wenn das Gericht in den in § 57 S. 2 Nr. 1 – 5 FamFG normierten Fällen aufgrund mündlicher Erörterung entschieden hat.

Soweit überwiegend die Auffassung vertreten wird, dass im Rahmen von den in § 57 S. 2 FamFG aufgezählten Verfahren, in denen nach Rücknahme oder anderweitiger Erledigung nicht eine Entscheidung in der Sache, sondern lediglich über die Kosten des Verfahrens getroffen worden ist, ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2021, 538; FamRZ 2014, 593; OLG Koblenz FamRZ 2016, 1287; KG AGS 2015, 146; Dürbeck in: Prütting/Helms, FamFG, § 57 Rn 22 mwN), ist dies in Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG anders zu beurteilen.

Durch die zum 01.01.2013 eingeführte Ergänzung des § 57 S. 2 FamFG im ersten Halbsatz durch die Worte „nicht in Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 und auch“ wurde die bis dahin umstrittene Frage der Anfechtbarkeit von in diesen Verfahren ergangenen einstweiligen Anordnungen dahingehend geklärt, dass einstweilige Anordnungen über die Genehmigung bzw. Anordnung der freiheitsentziehenden Unterbringung Minderjähriger wie bei Volljährigen mit der Beschwerde gemäß den § 58 ff. FamFG anfechtbar sind. Mit der Verortung der Rechtsänderung in S. 2 vor Beginn der im Übrigen beibehaltenen enumerativ aufgezählten Bereiche in Nr. 1-5 stellt der Gesetzgeber weiter klar, dass die Beschwerde in Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG – anders als bei den anderen in § 57 S. 2 FamFG genannten Familiensachen – statthaft ist, auch wenn eine mündliche Verhandlung in erster Instanz nicht stattgefunden hat (vgl. BT-Drs. 17/10490, S. 18; BeckOK FamFG/Schlünder, FamFG, § 57 Rn.10c; Keidel/Giers FamFG § 57 Rn 6c).

Da demnach in einstweiligen Anordnungsverfahren, die die Genehmigung von freiheitsentziehenden Maßnahmen (§ 151 Nr. 6 FamFG) zum Gegenstand haben, die Statthaftigkeit einer Beschwerde nicht von einer durchgeführten mündlichen Verhandlung abhängig ist, steht der generellen Anfechtbarkeit auch nicht der allgemeine Grundsatz entgegen, wonach nicht über den Umweg der Nebenentscheidung das Rechtsmittelgericht mit der Frage der Erfolgsaussicht in der Hauptsache befasst sein soll, wenn diese nicht zu ihm gelangen kann (vgl. BGH FamRZ 2005, 790 mwN; NJW-RR 2003, 1075).

Soweit § 57 S. 2 FamFG in seinem 2. Halbsatz bestimmt, dass Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung anfechtbar sind, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs auf Grund mündlicher Verhandlung über die dann nachfolgend aufgeführten Bereiche der Nr. 1 – 5 entschieden hat, wird gefolgert, dass nur Entscheidungen in den normierten Bereichen anfechtbar sein sollen, was aber gerade nicht erfüllt sei, wenn aufgrund Erledigung, Rücknahme oder Vergleich nicht eine Entscheidung in der Sache, sondern isoliert ohne gleichzeitige Hauptsacheentscheidung eine Entscheidung über die Kosten ergangen ist (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2021, 538; FamRZ 2014, 593; FamRZ 2013, 569; Keidel/Giers, FamFG § 57 Rn 3; Dürbeck in: Prütting/Helms, FamFG, § 57 Rn 22 mwN, Musielak/Borth/Borth/Grandel, FamFG, § 57 Rn 14). Dies gilt jedoch nicht in Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG. Während nach dem Wortlaut des § 57 S. 2 FamFG in den dort unter Nr. 1 – 5 genannten Verfahren eine Anfechtung nur in Betracht kommt, wenn das Familiengericht über die jeweiligen Verfahrensgegenstände entschieden hat, enthält § 57 S. 2 FamFG hinsichtlich Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG eine solche Einschränkung nicht. Nach dem Wortlaut sind Entscheidungen in Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG anfechtbar. Entscheidungen in Verfahren sind auch isolierte Kostenentscheidungen.

Nachdem der Wortlaut des § 57 S. 2 Hs. 1 FamFG hinsichtlich der Verfahren zu § 151 Nr. 6 und 7 FamFG keine Einschränkungen enthält und weder eine analoge Anwendung der in den Fällen des § 57 S. 2 Hs. 2 FamFG geltenden eingeschränkten Anfechtbarkeit von Nebenentscheidungen in Betracht kommt noch systematische Gründe:erfordern, den Rechtszug insoweit einzuschränken, gilt, dass in Verfahren zu § 151 Nr. 6 und 7 FamFG getroffene Entscheidungen sämtlich mit der Beschwerde nach § 57 FamFG anfechtbar sind.

Die Beschwerde ist auch begründet, soweit der Antragstellerin durch die angefochtene Entscheidung Gerichtskosten auferlegt wurden.

Wird ein Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung zurückgenommen, richtet sich die stets in Familiensachen zu treffende Kostenentscheidung (§ 81 Abs. 3 FamFG) nach § 83 Abs. 2 FamFG in entsprechender Anwendung des § 81 FamFG. Da alle Verfahren betreffend eine Unterbringung eines Minderjährigen oder eine freiheitsentziehende Maßnahme bei einem Minderjährigen nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG gerichtsgebühren- und auslagenfrei sind (Vorb. 1.3.1 Abs. 1 Nr. 2 vor Nr. 1310 KV FamGKG), was für alle Rechtszüge und sowohl für das Hauptsache- als auch in einstweiligen Anordnungsverfahren gilt (Vorb. 2 Abs. 3 S. 2 vor Nr. 2000 KV FamGKG) mit Ausnahme der Auslagen für den Verfahrensbeistand (Vorb. 2 Abs. 3 S. 2, S. 3 vor Nr. 2000 KV FamGKG), hat die Kostenentscheidung im Wesentlichen nur die Auslagen des Verfahrensbeistands zum Gegenstand (vgl. Schneider/Dürbeck, Gebühren Familiensachen, § 15 Rn 956a).

Gemäß § 81 Abs. 1 FamFG kann das Gericht die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen; es kann auch anordnen, von der Erhebung von Kosten abzusehen. In den in § 81 Abs. 2 FamFG geregelten Fällen sind die Kosten des Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise aufzuerlegen.

Nachdem die Kindesmutter den Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung der Unterbringung ihrer Tochter auf Anraten des sie im Umgang mit ihrer Tochter betreuenden und beratenden Jugendamts gestellt und zum Ausdruck gebracht hat, dass dies auch aus Verzweiflung darüber geschah, dass bislang gewährte Hilfen und Angebote keinen Erfolg brachten, erscheint es unbillig, sie mit den Gerichtskosten, d.h. mit den Kosten des Verfahrensbeistands, zu belasten. In Verfahren, in denen Kindeseltern keine eigenen Interessen verfolgen und die Antragstellung, die der Bestellung des Verfahrensbeistands voranging, im wohlverstandenen Interesse des Kindes erfolgte, ist es nicht gerechtfertigt, die Kosten den Eltern aufzuerlegen (vgl. OLG Brandenburg NJOZ 2021, 487; FamRZ 2020, 1922; OLG Hamm FamRZ 2012, 810; Zöller/Feskorn, § 81 FamFG, Rn 6; BeckOKG/Kerscher BGB § 1631b Rn 93). Ein Fall des § 81 Abs. 2 FamFG liegt ersichtlich nicht vor.

Da Gerichtskosten nicht erhoben werden, bedarf es auch der hier erfolgten Wertfestsetzung nach § 55 Abs. 2 FamGKG nicht. Im Übrigen wäre auch eine Festsetzung in Bezug auf die Anwaltsgebühren nicht erforderlich, da der Rechtsanwalt nach VV 6300 ff. RVG Betragsrahmen- bzw. Festgebühren erhält (vgl. Schneider/Dürbeck, Gebühren Familiensachen, § 15 Rn 957). Die amtsgerichtliche Wertfestsetzung ist daher aufzuheben (§ 55 Abs. 3 FamGKG).

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 81 FamFG.

Die Festsetzung eines Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren ist nicht veranlasst, da für das Beschwerdeverfahren keine wertabhängigen Gerichtsgebühren erhoben werden (vgl. Nr. 1912 KV FamGKG).

Grün Dr. Kriewald Horn