OLG Frankfurt vom 19.06.2001 (5 WF 242/00)

Stichworte: Beschwerde, außergewöhnliche einstweilige Anordnung, Regelungsbedürfnis
Normenkette: ZPO 620, 620c, 620b
Orientierungssatz: Greifbar gesetzeswidrig ist eine Entscheidung nur dann, wenn sie jeder Grundlage entbehrt und dem Gesetz fremd ist. Die Eröffnung einer neuen Instanz muß auf wirkliche Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen es darum geht, eine Entscheidung zu beseitigen, die mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Urteil vom 17.10.2000 am 19.06.2001 beschlossen:

Die Beschwerde wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.800,00 DM festgesetzt.

GRÜNDE:

Im Rahmen des Scheidungsverfahrens der Parteien, die beide die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, hat die Antragsgegnerin im Termin vom 17.10.2000 einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung eingereicht. Danach sollte dem Antragsteller aufgegeben werden, an sie ab 01.11.2000 einen monatlichen Getrenntlebendenunterhalt zu zahlen. Nach Zustellung und Antragstellung hat das Amtsgericht in dem am Ende der Sitzung verkündeten Urteil, die Ehe der Parteien geschieden und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Zur Begründung der Zurückweisung hat es ausgeführt, es fehle das Rechtsschutzbedürfnis auf Regelung des Ehegattenunterhalts für die Dauer des Getrenntlebens, da der Antragsteller bisher nicht zur Zahlung aufgefordert worden sei, darüber hinaus sei Eilbedürftigkeit für den bis zur Rechtskraft der Scheidung begrenzten Aufstockungsunterhalt nicht ersichtlich.

Mit Schriftsatz vom 06.11.2000 hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde erhoben. Sie wendet sich gegen die Zurückweisung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung und begehrt, die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, ihr sei in grob gesetzwidriger Weise der Rechtsweg abgeschnitten worden.

Das Rechtsmittel ist nicht erfolgreich. Gegen die durch Beschluß zu treffende Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wäre zwar nach der Entscheidungsart das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Dieses ist jedoch durch § 620 c ZPO ausgeschlossen, da die einstweilige Anordnung keinen der dort aufgeführten Verfahrensgegenstände betrifft.

Der Beschwerde ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der greifbaren Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung stattzugeben. Greifbar gesetzwidrig ist eine Entscheidung nur dann, wenn sie mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jede Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist. Es genügt nicht bereits jeder eindeutige Verstoß des Gerichts gegen die bei seiner Entscheidung anzuwendenden Rechtsvorschriften, um eine an sich unanfechtbare Entscheidung gleichwohl mit einem Rechtsmittel angreifen zu können. Die Eröffnung einer neuen Instanz muß auf wirkliche Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen es darum geht, eine Entscheidung zu beseitigen, die mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist (vgl. dazu BGH NJW RR 1986, 738; NJW 1998, 1715; 1997, 3318).

In Rechtsprechung und im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, bei der Entscheidung über eine einstweilige Anordnung sei zu prüfen, ob ein Regelungsbedürfnis gegeben sei, dieses könne entfallen, wen nicht dargetan sei, daß der Schuldner vergeblich zur Zahlung aufgefordert worden sei (vgl. dazu Zöller, ZPO, 22. Aufl., § 620 Rn. 5; Gießler, vorläufiger Rechtsschutz in Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen, 3. Aufl., Rn. 122, 576; OLG Koblenz FamRZ 1990, 768). Die amtsgerichtliche Begründung geht zwar vom Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses aus, läßt sich aber zu dieser Fallgestaltung einordnen, wenn ausgeführt wird, daß der Antragsteller bisher nicht zur Zahlung von Ehegattenunterhalt aufgefordert worden sei. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Entscheidung mit der geltenden Rechtsordnung unvereinbar sei. Dabei erscheint auch von Bedeutung, daß nach dem Wortlaut des Antrags ausdrücklich Getrenntlebendenunterhalt gefordert worden ist, das Amtsgericht annehmen konnte, daß eine Entscheidung auf dies Zeit beschränkt werden sollte, und das Scheidungsverfahren entscheidungsreif war, so daß nur von einer kurzen Zeitspanne der Geltung auszugehen gewesen wäre. Daß das Amtsgericht dem abweisenden Antrag des Antragstellers, aufgrund dessen eine andere Bewertung hätte in Betracht kommen können, keine Bedeutung zugemessen hat, führt noch nicht zu dem Ergebnis, daß die Entscheidung jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist.

Das Treffen der Entscheidung durch Urteil führt gleichfalls nicht zur greifbaren Gesetzwidrigkeit. Vorliegend ist keine inhaltliche Entscheidung getroffen worden. Es wird daher nicht der Anschein erweckt, das Familiengericht habe abschließend über den materiell-rechtlichen Anspruch entschieden. Angesichts des klaren Wortlauts des Tenors - der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen - besteht nach Ansicht des Senats auch nicht die Gefahr, daß die Antragsgegnerin mit etwaigen prozessualen Möglichkeiten nach § 620 b ZPO ausgeschlossen ist (vgl. zum Vorstehenden OLG Brandenburg FamRZ 2000, 1421). Die Beweislast würde sich im Falle einer negativen Feststellungsklage nicht umkehren.

Im übrigen muß die Antragsgegnerin keine zwei separaten Hauptverfahren einleiten, es ist eine Klageverbindung möglich.

Über das Prozeßkostenhilfegesuch muß das Amtsgericht noch entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Dr. Hartleib Meinecke Held