OLG Frankfurt vom 04.09.2013 (5 WF 205/13)

Stichworte: Ergänzungspflegschaft; Ergänzungspflegschaft, Aufhebung; Rechtspfleger; Richtervorbehalt;
Normenkette: BGB 1919; RPflG 14 Nr. 10; RPflG 8 Abs. 4; RPflG 3 Nr. 2a;
Orientierungssatz:
  • Die Entscheidung über die Anordnung einer Pflegschaft über ein Kind, das Angehöriger eines fremden Staates ist, liegt aufgrund des Vorbehalts des § 14 Nr. 10 RpflG in der Zuständigkeit des Richters. Dieser ist jedenfalls dann auch für die Aufhebung der Pflegschaft nach § 1919 BGB zuständig, wenn der Aufhebungsgrund allein in einer von der Anordnungsentscheidung abweichenden Rechtsauffassung (hier im Anschluss an BGH FamRZ 2013, 1206; dazu abl. Anm. Hocks, JAmt 2013, 429) gesehen wird.
  • In diesen Fällen kann die Aufhebung der Pflegschaft nicht gemäß § 3 Nr. 2a RpflG dem Rechtspfleger zugewiesen sein, weil andernfalls dem Rechtspfleger, der die Rechtsauffassung des Richters nicht teilt, die Stellung einer dem Richter übergeordneten Instanz zukommen würde.
  • Eine Aufhebungsentscheidung des Rechtspflegers ist in einem solchen Fall gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 RpflG unwirksam.
  • 243 F 25/13
    AG Gießen

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Ergänzungspflegers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gießen vom 14.8.2013 am 4.9.2013 beschlossen:

    Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gießen vom 14.8.2013 wird aufgehoben.

    Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

    Gründe:

    I.

    Mit Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 4.1.2013 ordnete die Richterin des Familiengerichts die Vormundschaft für den unbegleitet eingereisten betroffenen Minderjährigen an und bestellte das Jugendamt der Stadt Gießen zum Amtsvormund. Gleichzeitig ordnete sie die Ergänzungspflegschaft mit dem Aufgabenkreis der Vertretung des Minderjährigen in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten an und bestimmte Rechtsanwalt ... zum Ergänzungspfleger. Mit Beschluss vom 14.8.2013 hob der Rechtpfleger des Amtsgerichts Gießen die Ergänzungspflegschaft zur Vertretung in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten auf, weil der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 29.5.2013 (XII ZB 530/11) entschieden habe, dass die Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Ergänzungspfleger in diesen Fällen auch dann unzulässig sei, wenn es dem Vormund an juristischer Sachkunde fehle. Gegen den ihm am 19.8.2013 zugestellten Beschluss legte der Ergänzungspfleger Beschwerde ein, die am 22.8.2013 bei dem Amtsgericht einging. Er macht geltend, dass die Entscheidung des BGH nicht im Einklang mit zwingendem Europäischem Recht stehe.

    II.

    Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Ergänzungspflegers führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

    Es fehlt im vorliegenden Fall schon an der funktionellen Zuständigkeit des Rechtspflegers zur Aufhebung der Ergänzungspflegschaft.

    Dem Rechtspfleger sind zwar nach § 3 Nr. 2a RpflG alle Entscheidungen in Pflegschaftssachen i. S. d. § 151 Nr. 5 FamFG übertragen, soweit sie nicht dem Richter zugewiesen sind. Ist das betroffene Kind aber Angehöriger eines fremden Staates, sieht § 14 Nr. 10 RpflG einen Vorbehalt der Zuständigkeit des Richters für die "Anordnung" der Vormundschaft bzw. Pflegschaft vor. Ob darunter als Annex-Zuständigkeit auch die Aufhebung einer Pflegschaft zu verstehen ist (so OLG München FamRZ 2013, 155 für den Fall einer Aufhebung einer Umgangspflegschaft durch den Rechtspfleger; a. A: Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer, Rechtspflegergesetz, 7. Aufl., 2009, § 14 Rn. 58; Dallmayer/Eickmann, RpflG, § 14 Rn. 99, die generell eine Zuständigkeit des Rechtspflegers für die Aufhebung einer Pflegschaft annehmen), kann letztlich dahin stehen. Die hier für die Frage der Aufhebung der Pflegschaft anzuwendende materiell-rechtliche Vorschrift des § 1919 BGB kommt bei einer auf § 1909 BGB beruhenden Ergänzungspflegschaft (Verhinderung der Eltern) nicht nur dann zur Anwendung, wenn eine ihrer Voraussetzungen durch eine Veränderung der tatsächlichen Umstände weggefallen ist, sondern auch dann, wenn die Voraussetzungen von vorne herein nicht vorlagen (BayObLG Rpfleger 1990, 119; MünchKomm-BGB/Schwab, 6. Aufl., 2012, § 1919 BGB Rn. 7). Der zuletzt genannte Fall kann durchaus auch bei einer geänderten Rechtsauffassung zu den Voraussetzungen der Pflegschaft vorliegen. Gerade in einem solchen Fall der fehlenden Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse ist die Entscheidung über die Aufhebung der Pflegschaft aber nicht gemäß § 3 Nr. 2a RpflG dem Rechtspfleger zugewiesen. Andernfalls würde dem Rechtspfleger, der die Rechtsauffassung des Richters nicht teilt, die Stellung einer dem Richter übergeordneten Instanz zukommen. Die Auffassung des Senates steht insoweit auch nicht im Widerspruch zur vorerwähnten Entscheidung des BayObLG vom 28.11.1989. Dort hat das BayObLG in einem Fall, in dem der Rechtspfleger einen vom Amtsergänzungspfleger selbst gestellten Antrag auf Aufhebung der Pflegschaft zurückgewiesen hatte, in einem obiter dictum ausgeführt, dass eine Pflegschaft auch dann nach § 1919 BGB aufgehoben werden könne, wenn das damals zuständige Vormundschaftsgericht bei ihrer Anordnung einen Grund irrtümlich angenommen hätte (a. a. O.). Das BayObLG hatte dabei aber keine Veranlassung, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob auch in diesem Fall die Aufhebung einer vom Richter rechtsirrtümlich angeordneten Pflegschaft dem Rechtspfleger übertragen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Rechtspflegergesetz ist schon nach seiner Entstehungsgeschichte und seinem Sinn und Zweck (vgl. dazu Roth in Bassenge/Roth, FamFG RpflG, 12. Aufl., 2009, Einleitung RpflG Rn. 2 ff.) darauf ausgerichtet, den Richter von seinen Aufgaben zu entlasten. In diesem Rahmen ist der Rechtspfleger als selbständiges Organ der Rechtspflege in sachlicher Unabhängigkeit tätig. Seine Aufgabe ist es dagegen nicht, vom Richter im Rahmen der diesem vorbehaltenen Aufgaben getroffene Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und sie bei einer vom Rechtspfleger nicht geteilten Rechtsauffassung oder einem sonstigen Irrtum zu korrigieren. Nur eine solche Auslegung von § 14 Nr. 10 RpflG gewährleistet die Abgrenzung der gesetzlichen Aufgabenzuweisung zwischen Richtern und Rechtspflegern. Die Vorschrift ist daher so auszulegen, dass in Fällen, in denen die Aufhebung der Pflegschaft ohne Veränderung der tatsächlichen Umstände erfolgen soll, auch dieses Geschäft dem Richter zugewiesen ist.

    Die Entscheidung des Rechtspflegers ist daher gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 RpflG unwirksam und der angefochtene Beschluss aufzuheben (BGH NJW-RR 2005, 1299). Der Senat hat dabei nicht zu überprüfen, ob die vom Rechtspfleger getroffene Entscheidung sachlich gerechtfertigt war (OLG Dresden ZKJ 2012, 269; Keidel/Sternal, FamFG, 17. Aufl., 2011, Einl. Rn. 92). Eine Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zum Zwecke einer erneuten Entscheidung war nicht veranlasst, da es zumindest derzeit an einem Antrag oder einer Anregung an den für die Entscheidung zuständigen Familienrichter zur Prüfung der Aufhebung seiner Entscheidung fehlt.

    Die Kostentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Es war angemessen, von der Erhebung von Gerichtskosten und von der Anordnung einer Erstattung außergerichtlichen Auslagen abzusehen.

    Ostermöller Albrecht Dr. Dürbeck