OLG Frankfurt vom 07.01.2009 (5 WF 196/08)

Stichworte: Erfolgsaussicht, PKH; fiktives Einkommen, Alkoholerkrankung; Alkoholerkrankung, fiktives Einkommen;
Normenkette: ZPO 114, BGB 1603 Abs. 2
Orientierungssatz:
  • Im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Rechtsverfolgung sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG NJW-RR 2005, 500, 501; BGH NJW 1994, 1160,1161).
  • Die Anrechnung eines fiktiven Einkommens im Falle von Arbeitslosigkeit erfordert indes regelmäßig, dass das Fehlen von Einkünften auf ein unterhaltsrechtliches Fehlverhalten des Pflichtigen zurückzuführen ist.
  • Im Falle einer Alkoholerkrankung ist dem Unterhaltspflichtigen ein unterhaltsbezogenes verantwortungsloses Verhalten etwa dann vorzuwerfen, wenn er die Notwendigkeit einer Therapie zwar erkennt, diese aber ablehnt.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richterin am Amtsgericht Dr. Vollmer als Einzelrichterin auf die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 9.9.2008, Az. 53 F 587/08 - Nichtabhilfebeschluss vom 18.9.2008 - am 7.1.2009 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

    Dem Kläger wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt.Zur Wahrnehmung der Rechte wird Frau Rechtsanwältin XYZ.beigeordnet.

    Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe:

    Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Aus der Ehe ist das Kind X. , geb. am 6.10.1996 hervorgegangen. Der Kläger ist Alkoholiker. Unter dem 2.1.2006 begab er sich zu einer Entgiftung und hieran anschließend für die Zeit vom 23.3.2006 bis 29.6.2006 in eine Therapie, welche nicht zu einem dauerhaften Erfolg führte. Im Zeitraum vom 7.5.2007 bis 19.5.2007, 26.9.2007 bis 19.10.2007 sowie vom 4.11.2007 bis 12.11.2007 unterzog sich der Kläger weiteren stationären Behandlungen. Eine im Januar 2008 begonnene Therapie wurde von dem Kläger abgebrochen. Im Mai 2008 wurde der Kläger erneut rückfällig und begab sich für die Zeit vom 17.6.2008 bis 22.6.2008 in eine Privatklinik. Im August 2008 begab er sich zur erneuten stationären Entgiftung und wurde am 29.8.2008 entlassen. Seit dem 26.5.2008 bezieht er Leistungen nach SGB II. Der Kläger beabsichtigt eine Langzeittherapie, welche im Jahr 2009 genehmigt wird.

    Der Kläger behauptet, aufgrund einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und seiner Abhängigkeit nicht in der Lage zu sein, seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind X. zu erfüllen. Im Januar 2008 sei seine alkoholbedingte Persönlichkeitsstörung so weit fortgeschritten gewesen, dass er die Chance der begonnenen Therapie nicht habe erkennen können. Er sei nicht in der Lage gewesen, sein Handeln zu steuern.

    Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Abänderung einer Jugendamtsurkunde vom 10.4.2008 ab dem 1.6.2008 dahingehend, dass er nicht mehr zur Zahlung laufenden Kindesunterhalts verpflichtet sei. Zugleich begehrt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung.

    Das Amtsgericht hat dem Kläger mit am 15.9.2008 zugestellten Beschluss vom 9.9.2008 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung versagt. Zur Begründunge hat es ausgeführt, der Kläger habe Einsicht in seine Erkrankung und habe daher die Therapie im Januar 2008 nicht abbrechen dürfen. Hiergegen richtet sich der Kläger mit der Beschwerde vom 16.9.2008, bei Gericht eingegangen am 18.9.2008. Das Amtsgericht half der Beschwerde aufgrund Beschlusses vom 18.9.2008 nicht ab. Wegen des Inhalts des Beschlusses wird auf Bl. 49 d.A. verwiesen.

    II.

    Die Beschwerde ist gem. §§ 127 Abs.2 S.2, 3, 567 ff., 569 Abs.1 S.1, S.2 ZPO zulässig.

    Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

    Soweit das ursprüngliche gegen das Kind X. selbst gerichtete Begehren gem. § 1629 Abs.3 BGB unzulässig war, hat der Kläger dieses Zulässigkeitshindernis zwischenzeitlich behoben und die Klage gegen die Kindesmutter selbst gerichtet.

    Die Voraussetzungen, unter denen einer Partei gem. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, liegen auch im übrigen vor.

    Im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Rechtsverfolgung sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG NJW-RR 2005, 500, 501; BGH NJW 1994, 1160,1161). Vielmehr ist eine summarische Prüfung des Vorbringens der um PKH nachsuchenden Partei dahingehend vorzunehmen, ob sie mit ihrem Begehren Erfolg haben kann. (Zöller- Philippi, 26.Aufl., § 114, Rn. 19 m.w.N.; Baumbach- Hartmann, 64.Aufl., § 114, Rn. 80; Kalthoener/Büttner, 4.Aufl., Rn. 409) Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Prozesserfolg ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich. (Kalthoener/ Büttner, a.a.O.; Baumbach- Hartmann, § 114, Rn. 80 m.w.N.) Insbesondere ist im Rahmen der Erfolgsprüfung keine vorweggenommene Entscheidung der Hauptsache vorzunehmen. (BVerfG, FamRZ 2004, 1013, 1013; BGH NJW-RR 2003, 1438)

    Unter Würdigung dieser Grundsätze bietet der Vortrag des Klägers eine hinreichende, wenngleich nicht abschließend gewisse Aussicht auf Erfolg gem. § 114 ZPO.

    Grundsätzlich trifft den Kläger als Unterhaltsschuldner gegenüber dem minderjährigen Kind X. die Verpflichtung, alle ihm zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um eine hinreichend entlohnte Anstellung zu finden, welche ihm das Begleichen seiner Unterhaltsschuld erlaubt. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, ist ihm ein fiktives Erwerbseinkommen in einem Rahmen zuzurechnen, welcher seiner Ausbildung und Qualifikationen sowie seinen persönlichen Voraussetzungen entspricht.

    Die Anrechnung eines fiktiven Einkommens im Falle von Arbeitslosigkeit erfordert indes regelmäßig, dass das Fehlen von Einkünften auf ein unterhaltsrechtliches Fehlverhalten des Pflichtigen zurückzuführen ist (vgl. Palandt- Diederichsen. 68. Aufl., § 1603, Rn. 37 f. m.w.N.) und hat zu unterbleiben, wenn die Arbeitslosigkeit des Unterhaltsschuldners nicht verschuldet ist.

    Im Falle einer Alkoholerkrankung ist dem Unterhaltspflichtigen ein unterhaltsbezogenes verantwortungsloses Verhalten etwa dann vorzuwerfen, wenn er die Notwendigkeit einer Therapie zwar erkennt, diese aber ablehnt (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 13.5.1985, Az. 5 UF 128/83; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 25.1.2001, Az. 13 UF 113/00) oder wenn er zu wenig zur Überwindung der Krankheit unternommen hat. (OLG Düsseldorf, FamRZ 1985, 310 (311)). Wenn und soweit trotz Einsicht in die Erkrankung sowie deren Behandlungsbedürftigkeit verschiedene durchgeführte Therapiemaßnahmen nicht zur vollständigen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Unterhaltsschuldners geführt haben, ist dies für sich betrachtet nicht vorwerfbar. (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht a.a.O.) Im Zusammenhang mit der Beurteilung der Frage, ob der alkoholkranke Unterhaltsschuldner schuldhaft leistungsunfähig ist, kommt es auf die jeweiligen individuellen Besonderheiten an. Entscheidend ist, ob die ärztlicherseits angeratenen Therapien nachhaltig angenommen und durchgeführt wurden und gleichwohl kein Therapieerfolg eingetreten ist. (OLG Düsseldorf a.a.O.)

    Der Kläger hat im Rahmen des PKH-Prüfungsverfahrens ausreichend dargelegt, dass er in Anbetracht seiner bestehenden Alkoholerkrankung kein ausreichendes Einkommen erzielen kann und mithin zur Zahlung laufenden Kindesunterhalts gem. §§ 1601 ff. BGB nicht imstande ist.

    Nach dem Gesagten kann dem Kläger aus dem Umstand allein, dass er bislang mehrere Therapieversuche unternommen hat, kein Vorwurf gemacht werden. Es bleibt es der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob und aus welchem Grund die verschiedenen Therapieversuche des Klägers bislang ohne Erfolg geblieben sind und ob dem Kläger insoweit ein unterhaltsrechtlicher Vorwurf gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang wird es auch darauf ankommen, ob die bislang eingeleiteten Therapiemaßnahmen geeignet waren, die Alkoholerkrankung des Klägers zu überwinden. Aus den dargelegten Zeiten stationären Aufenthalts ergibt sich, dass eine erforderliche Langzeittherapie bislang jedenfalls nicht durchgeführt wurde.

    Es bedarf in diesem Zusammenhang auch und insbesondere der Klärung im Hauptsacheverfahren, ob dem Kläger der Abbruch der Therapie im Januar 2008 zum Vorwurf gemacht werden kann, oder ob - wie der Kläger behauptet - zu diesem Zeitpunkt eine Persönlichkeitsstörung mit einhergehendem Kontrollverlust vorgelegen hat. Insoweit entlastet nur eine durch die Alkholerkrankung verursachte Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit und Willenskraft von der unterhaltsrechtlichen Vorwerfbarkeit. (KG Berlin, Urteil vom 16.2.2001, Az. 18 UF 4043/00 m.w.N.)

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs.4 ZPO, Nr. 1812 des Kostenverzeichnisses, (Anlage 1) zum GKG.

    Dr. Vollmer