OLG Frankfurt vom 24.06.2003 (5 WF 128/00)

Stichworte: Kostenerstattung, fristwahrende Berufungseinlegung, Anwaltskosten
Normenkette: ZPO 515 Abs. 3 aF, 104, 91 Abs. 2 BRAGO 32 Abs. 2, 13 Abs. 3
Orientierungssatz: Kostenerstattung bei Berufungsrücknahme, wenn zunächst die Berufung nur fristwahrend eingelegt wurde, aber nach Verlängerung der Begründungsfrist der Rechtsmittelgegner einen Anwalt beauftragt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Offenbach am Main vom 10.04.2000 am 24.06.2003 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert : 1.471,46 DM.

Gründe:

Die Antragsgegnerin hat gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main vom 11.03.1999 Berufung eingelegt mit dem Zusatz, dass diese zunächst nur fristwahrend eingelegt werde. Die Gegenseite werde darum gebeten, sich vorerst nicht bei Gericht zu melden.

Dies hat die Antragsgegnerin auch mit außergerichtlichem Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29.04.1999 der gegnerischen Bevollmächtigten mit der Bitte mitgeteilt, sich zunächst nicht bei Gericht zu melden, um keine weitere Kosten zu verursachen. Mit außergerichtlichem Schreiben vom 03.05.1999 hat diese mitgeteilt, dass sie sich, befristet bis zum 31.05.1999 nicht bei Gericht melden werde.

Wegen des Versuchs einer außergerichtlichen Einigung wurde die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag der Antragsgegnerin vom 27.05.1999 durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 31.05.1999 -Abverfügung der Geschäftsstelle: 01.06.1999- zunächst um einen Monat und dann in der Folge mit Einverständnis der Bevollmächtigten des Antragstellers noch zwei weitere Mal bis letztlich 30.09.1999 verlängert. Mit Schriftsatz vom 28.09.1999 -eingegangen am 29.09.1999- wurde die Berufung zurückgenommen.

Mit Schriftsatz vom 07.10.1999 hat der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten beantragt, der Berufungsklägerin die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Mit Beschluss vom 16.12.1999 hat der Senat der Antragsgegnerin gemäß § 515 Abs. 3 ZPO a.F. die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt und mit Beschluss vom 31.01.2000 den Berufungswert auf 19.483,20 DM festgesetzt.

Mit Antrag vom 04.02.2000 hat der Antragsteller Festsetzung von der Antragsgegnerin an ihn zu erstattender Kosten des Berufungsverfahrens von 1.471,46 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 09.02.2000 und zwar eine 13/10 Prozessgebühr gemäß § 31, Abs.1, Ziff 1. BRAGO von 1.288,50 DM aus dem o.a. Wert, Pauschale gemäß § 26 BRAGO von 40,00 DM und 16 % Mehrwertsteuer von 202,96 DM begehrt.

Die Antragsgegnerin hat bestritten, dass der Antragsteller einen Anwalt mit seiner Vertretung im Berufungsverfahren beauftragt habe.

Der Antragssteller hat eine auf den 01.06.1999 datierte Prozessvollmacht für das Berufungsverfahren vorgelegt (Bl. 275 d.A.).

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 10.04.2000 dem Kostenfestsetzungsantrag in vollem Umfang stattgegeben.

Mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde begehrt die Antragsgegnerin Zurückweisung der Kostenfestsetzung. Der Antragsteller sei im Berufungsverfahren nicht anwaltlich vertreten gewesen, so dass keine Gebühren festzusetzen seien.

Die zulässige Beschwerde (§ 11 RechtspflegerG, § 104 ZPO) ist in der Sache nur teilweise begründet. Dem Antragsteller stehen gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO erstattungsfähige Kosten als obsiegende Partei zu. Daran ändert auch nichts die außergerichtliche Zusage des Antragstellers mit Schreiben vom 03.05.1999. Denn diese war bis zum 31.05.1999 befristet. Die vorgelegte Vollmacht datiert erst vom 01.06.1999. Dass eine weitergehende Absprache getroffen worden sei, ist nicht dargelegt. So ist im ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine Stellungnahme der Gegenseite erwähnt. Der Antragsteller hat auch erst nach Ablauf der Frist und der Vollmachtserteilung von dem Verlängerungsantrag und der Verlängerung erfahren. Dass die Einlegung der Berufung zunächst nur fristwahrend erfolgte und die Gegenseite gebeten wurde, sich vorerst nicht bei Gericht zu melden, steht der Geltendmachung der Rechtsanwaltskosten ebenfalls nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2002 Aktenz. X ZB 9/02 (FamRZ 03, 522 = MDR 03,530) ausgeführt:

Daraus ist zu entnehmen (gemeint ist § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO ), dass eine Partei im Prozess einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes für die Fälle, in denen ein Rechtsmittel nur vorsorglich ( wie vorliegend nur fristwahrend und mit der Bitte noch keinen Anwalt zu bestellen) eingelegt wird, ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Eine derartige Einschränkung lässt sich auch aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht entnehmen. Dabei kann dahinstehen, ob die Notwendigkeit der Einschaltung eines Rechtsanwalts überhaupt der Nachprüfung unterliegt. Denn jedenfalls ist sie aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei zu beurteilen. Maßgebend ist dabei nicht, ob die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten im konkreten Fall objektiv nützlich oder gar notwendig war, sondern ob eine verständige Prozesspartei in der gleichen Situation ebenfalls einen Anwalt beauftragen würde. Dies kann im Regelfall, solange die Berufung nicht wieder zurückgenommen ist, nicht verneint werden. Die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei kann regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Rechtsverteidigung sachgerecht zu veranlassen ist. Ihr kann daher nicht zugemutet werden, zunächst die weiteren Entschließungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abzuwarten. Dies gilt umso mehr, als ein erstinstanzlicher Prozessbevollmächtigter - sofern ein solcher überhaupt bestellt war- insoweit keine Beratung leisten wird. Die Beratung in Angelegenheiten der Berufungsinstanz gehört nämlich nicht zu den Tätigkeiten, die von der Gebühr des im vorangegangenen Rechtszug tätigen Rechtsanwalts abgedeckt sind (vgl. § 37 Nr. 7 BRAGO). Ob in der aktuellen Situation tatsächlich etwas zu veranlassen ist, kann in diesem Zusammenhang nicht den Ausschlag geben. ...

Die Beauftragung eines Rechtsanwalts braucht nicht erforderlich zu sein, damit Vorbereitungen für eine Berufungserwiderung rechtzeitig getroffen werden können und dadurch ein Fristendruck vermieden wird. Es muss genügen, dass der Rechtsmittelgegner anwaltlichen Rat in einer als risikobehaftet empfundenen Situation für erforderlich halten darf. Daher kann ihm im Normalfall auch nicht zugemutet werden, mit der Bestellung eines Anwalts so lange zu warten, bis der Berufungskläger einen Antrag ( oder gar mehrere Anträge ) auf Verlängerung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels gestellt hat."

Dieser Entscheidung folgend (vgl. im Übrigen bereits Senat Beschluss vom 20.03.1997 - 5 WF 117/96) war es aus der Sicht des Antragstellers nach Ablauf der Frist sachgerecht, einen Anwalt zu beauftragen, um Rat einholen zu können.

Im Hinblick auf § 32 Abs. 1 BRAGO steht dem Bevollmächtigten allerdings nicht die festgesetzte 13/10, sondern nur eine 13/20 Prozessgebühr zu. Danach allerdings noch eine volle Prozessgebühr für den Antrag nach § 515 Abs. 3 ZPO aus dem Kostenwert (den bis zur Antragstellung angefallene Gerichtsgebühren und außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens) unter Beachtung von § 13 Abs. 3

BRAGO (vgl. zum Vorstehenden BGH a.a.O.; Senat a.a.O.; BGH Entscheidung vom 17.12.02 Aktenz. X ZB 27/02; FamRZ 03, 523 = MDR 03, 414; im Volltext unter II.3; BGHZ 15, 394, Gerold/Schmidt BRAGO, 15. Aufl. § 31 Rn. 51).

Das Amtsgericht hat im Übrigen auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.

Dr. Hartleib Schaffrinna Meinecke