OLG Frankfurt vom 11.03.2022 (5 WF 11/22)

Stichworte: Beschwerdeeinlegung, freiwillige Gerichtsbarkeit; Beschwerdeeinlegung, sofortige Beschwerde; Niederschrift der Geschäftsstelle; Schriftformerfordernis; elektronisches Dokument; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normenkette: FamFG 6 Abs. 2; FamFG 14b Abs. 1; FamFG 14b Abs. 2; FamFG 17 Abs. 2; ZPO 130d; ZPO 569
Orientierungssatz: Eine sofortige Beschwerde, die durch einen Rechtsanwalt nach dem 01.01.2022 eingelegt wird, muss auch in Familiensachen, die keine Familienstreitsachen sind, elektronisch übermittelt werden, um die Beschwerdefrist zu wahren.

240 F 111/19 SO
AG Gießen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

betreffend die elterliche Sorge

hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Gießen vom 17.12.2021 – Nichtabhilfebeschluss vom 13.01.2022 – durch Vorsitzenden Richter am OLG Grün und die Richterinnen am OLG Moelle und Horn am 11.03.2022 beschlossen:

Der Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers vom 01.03.2022 wird zurückgewiesen.

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Gießen vom 17.12.2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch des Antragstellers.

In dem im Januar 2019 eingeleiteten Sorgerechtsverfahren erließ das Amtsgericht – Familiengericht - nach Anhörung der Kinder und der Beteiligten am 26.2.2019 einen Beweisbeschluss, wonach ein Sachverständigengutachten eingeholt werden solle. Zum Sachverständigen wurde Herr Dipl. Psych. … bestellt.

Dieser fertigte am 21.5.2019 im Laufe der Begutachtung eine gutachterliche Stellungnahme, mit welcher er aufgrund der bisherigen Ergebnisse der familienpsychologischen Untersuchungen wegen akuter Kindeswohlgefährdung eine Fremdunterbringung der Kinder anregte. Es kam zum Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung. Die Beschwerden der Kindeseltern hiergegen wurden im Termin vom 7.11.2019 vor dem Beschwerdegericht zurückgenommen.

Das Familiengericht weitete unterdessen die Begutachtung aus und der Sachverständige erstattete im Dezember 2019 sein schriftliches Gutachten.

Wegen Erkrankung der Kindesmutter, dann wegen Erkrankung des Kindesvaters und schließlich wegen Verhinderung des Sachverständigen mussten die anberaumten Erörterungstermine immer wieder verlegt werden. Ein schließlich für den 6. 8. 2020 vorgesehener Erörterungstermin musste aufgehoben werden, da der damals zuständige Richter vom Kindesvater wegen Befangenheit abgelehnt wurde.

Ferner wurde mit Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten des Kindesvaters vom 11.08.2020 ein Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen angebracht. Das Ablehnungsgesuch wird damit begründet, dass … (wird ausgeführt)

Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht - Gießen vom 24. 11. 2020 wurden die Ablehnungsgesuche des Kindesvaters gegen den damals zuständigen Richter als unbegründet zurückgewiesen. Eine hiergegen vom Kindesvater eingelegte sofortige Beschwerde wurde im April 2021 zurückgenommen, nachdem durch eine Änderung der Geschäftsverteilung der abgelehnte Richter nicht mehr zuständig war.

Die inzwischen zuständig gewordene Richterin am Amtsgericht ... hat mit Beschluss vom 2.9.2021 die Ablehnung des Sachverständigen durch den Kindesvater zurückgewiesen. Es lägen keine objektiven Gründe:vor, die bei vernünftiger Betrachtung Anlass geben könnten, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu hegen … (wird ausgeführt).

Der Beschluss wurde der Verfahrensbevollmächtigten des Kindesvaters am 20.09.2021 zugestellt.

Gegen diesen Beschluss hat der Kindesvater durch seine Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 4.10.2021 sofortige Beschwerde eingelegt. Ferner hat er mit weiterem Schriftsatz vom 4.10.2021 die Richterin am Amtsgericht … wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dieses Ablehnungsgesuch wird damit begründet, dass … (wird ausgeführt).

Mit Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 17.12.2021 wurde das Ablehnungsgesuch des Kindesvaters gegen Richterin am Amtsgericht … als unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen sei weder falsch noch lasse sie eine willkürliche Benachteiligung des Kindesvaters erkennen … (wird ausgeführt).

Dieser Beschluss wurde der Verfahrensbevollmächtigten des Kindesvaters am 28.12.2021 zugestellt.

Am 11.01.2022 hat der Kindesvater durch seine Verfahrensbevollmächtigte gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Die Einlegung erfolgte per Telefax und mit normalem Brief. Er macht mit der Beschwerde geltend, nicht die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch betreffend den Sachverständigen, sondern das hierdurch zutage tretende mangelnde Interesse der Richterin an der Wahrheitsfindung sei der Befangenheitsgrund.

Nachdem die Verfahrensbevollmächtigte des Kindesvaters mit Verfügung des Vorsitzenden vom 16.02.2022 darauf hingewiesen wurde, dass die sofortige Beschwerde unzulässig sein dürfte, da sie nicht elektronisch übermittelt wurde, hat diese am 17.02.2022 die sofortige Beschwerde elektronisch übermittelt. Mit Schriftsatz vom 01.03.2022 hat sie beantragt, dem Kindesvater wegen Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Rechtsbehelfsbelehrung zu dem Beschluss vom 17.12.2021 habe nicht darauf hingewiesen, dass ab 01.01.2022 ein Rechtsmittel als elektronisches Dokument einzulegen sei. Auf diese Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung könne sich der Kindesvater trotz seiner anwaltlichen Vertretung berufen, zumal die Verfahrensbevollmächtigte nie zuvor als Rechtsanwältin in Familiensachen oder Zivilsachen tätig gewesen sei. Die Verfahrensbevollmächtigte verfüge seit längerem über beA und korrespondiere etwa mit Verwaltungsgerichten elektronisch.

II.

Die sofortige Beschwerde ist verfristet. Die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde lief gem. § 6 Abs. 2 FamFG i. V. m. § 569 Abs. 1 ZPO am 11.01.2022 ab. Die per Telefax und einfachen Brief eingelegte sofortige Beschwerde konnte diese Frist nicht wahren. Denn die sofortige Beschwerde hätte gem. § 14b Abs. 1 FamFG als elektronisches Dokument übermittelt werden müssen. Erklärungen, die von einem Rechtsanwalt entgegen § 14b Abs. 1 FamFG per Telefax oder einfacher Post eingereicht werden, sind unwirksam (Siegmund, NJW 2021, 3617, 3618; MüKoFamFG/Pabst, § 14b FamFG Rn. 5) und können Rechtsmittelfristen nicht wahren (Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 14b Rn. 3).

Die sofortige Beschwerde unterliegt dem Anwendungsbereich des § 14b Abs. 1 FamFG und nicht der Regelung des § 14b Abs. 2 FamFG. Die mit dem Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl. I, 4607) eingeführte Sonderregelung des § 14b Abs. 2 FamFG soll Rechnung tragen, dass in familiengerichtlichen Verfahren, soweit sie sich nach dem FamFG richten, oftmals kein Schriftformerfordernis gilt, weshalb für diese Fälle – etwa zur Erleichterung im richterlichen Bereitschaftsdienst – die Regelung des § 14b Abs. 1 FamFG, die § 130d ZPO entspricht, nicht gelten soll, wenn es keiner schriftlichen Erklärung bedarf (vgl. BT-Drucks. 19/28399 S. 39).

Diese Regelung des § 14b Abs. 2 FamFG gilt für die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO schon deshalb nicht, weil sich durch die Verweisung in § 6 Abs. 2 FamFG das Rechtsmittelverfahren nach den Bestimmungen der ZPO und nicht nach dem FamFG richtet.

Zwar hätte die Beschwerde auch vom Kindesvater selbst eingelegt werden können, da für das Verfahren kein Anwaltszwang besteht. Dieser hätte sie auch durch Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegen können (§ 569 Abs. 3 ZPO). Dies ändert aber nichts daran, dass für das Einlegen der sofortigen Beschwerde durch einen Rechtsanwalt das Schriftformerfordernis des § 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO gilt. Auch deshalb ist hier nicht der Regelungsbereich des § 14b Abs. 2 FamFG betroffen.

Als die sofortige Beschwerde am 17.02.2022 als elektronisches Dokument einging, war die am 11.01.2022 abgelaufene Beschwerdefrist verstrichen. Dem Wiedereinsetzungsgesuch kann nicht entsprochen werden. Denn die Unzulässigkeit der Beschwerde ist durch eine fehlerhafte Behandlung durch seine Verfahrensbevollmächtigte begründet. Ein Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten wird dem Kindesvater gem. § 11 Satz 5 FamFG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet.

Als Wiedereinsetzungsgrund kommt hier lediglich § 17 Abs. 2 FamFG in Betracht. Dies würde zum einen voraussetzen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung (§ 39 FamFG) fehlerhaft gewesen wäre. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil bei Erlass des Beschlusses und zum Zeitpunkt seiner Zustellung die Regelung des § 14b FamFG noch keine Geltung hatte. Es kann deshalb im Rahmen dieser Entscheidung dahinstehen, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung überhaupt auf das Erfordernis nach § 14b FamFG hinweisen muss. Dagegen spricht, dass die Rechtsbehelfsbelehrung für den Beteiligten selbst zutreffend war und die ab 01.01.2022 geltende Regelung des § 14b FamFG nur für Anwälte und Behörden gilt. Sie regelt für den Adressatenkreis eine besondere Form der Übermittlungspflicht, nicht jedoch die Form der zu übermittelnden Erklärung selbst.

Selbst wenn man aber eine Unvollständigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung annähme, könnte der anwaltlich vertretene Kindesvater deswegen keinen Wiedereinsetzungsgrund nach § 17 Abs. 2 FamFG herleiten. Es gehört zu dem Basiswissen eines jeden Rechtsanwalts, dass für ihn ab 01.01.2022 die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung besteht. Dabei handelt es sich nicht um eine Besonderheit des Verfahrens nach dem FamFG, sondern inhaltsgleiche Bestimmungen gelten mit § 130d ZPO auch im Zivilprozess, mit § 46g ArbGG im arbeitsgerichtlichen Verfahren, mit § 65d ZPO vor den Sozialgerichten und mit § 55d VwGO auch vor den Verwaltungsgerichten. Die Regelung beinhaltet für den Rechtsanwalt die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Kommunikation. Diese Regelungen stehen seit Jahren im Gesetz und wurden lediglich für das FamFG durch das Gesetz vom 05.10.2021 abgeschwächt. Es gelten daher keine Besonderheiten deshalb, weil die Verfahrensbevollmächtigte des Kindesvaters meint, sie sei in Familiensachen und in Zivilsachen unerfahren. Eine etwaige Unvollständigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung wäre daher nicht kausal dafür, dass die elektronische Übermittlung nicht beachtet wurde, sondern die Unkenntnis der Verfahrensbevollmächtigten oder deren Nichtbeachtung trotz Kenntnis der Regelung. Dieses dem Kindesvater zuzurechnende Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten schließt die Gewährung von Wiedereinsetzung aus.

Die sofortige Beschwerde ist daher als unzulässig zu verwerfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen, weil das Rechtsmittel keinen Erfolg hat. Dabei kann offenbleiben, ob diese Rechtsfolge aus § 84 FamFG oder wegen der Verweisung in § 6 Abs. 2 FamFG aus § 97 Abs. 1 ZPO folgt, da beide Regelungen zum gleichen Ergebnis führen.

Eine Wertfestsetzung ist für die Gerichtsgebühren nicht erforderlich.

Die Frage, ob die sofortige Beschwerde in Familiensachen, die keine Familienstreitsachen sind, der Regelung des § 14b Abs. 1 FamFG unterfällt, ist bislang nicht obergerichtlich entschieden und hat grundsätzliche Bedeutung. Der Einzelrichter hat das Beschwerdeverfahren daher gem. § 568 Satz 2 ZPO dem Senat in der vom GVG vorgeschriebenen Besetzung übertragen. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 14b Abs. 1 FamFG auf die vorliegende sofortige Beschwerde wird daher die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Rechtsmittelbelehrung:

… wird ausgeführt

Grün Horn Moelle