OLG Frankfurt vom 17.02.2010 (5 UF 45/09)

Stichworte: Betreuungsunterhalt; Altersphasenmodell; Erwerbspflicht; kindbezogene Gründe; elternbezogene Gründe;
Normenkette: BGB 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3; BGB 1570 Abs. 2 ; BGB 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3; BGB 1570 Abs. 2 ;
Orientierungssatz:
  • Zur Verlängerung der Dauer des Unterhaltsanspruchs wegen Betreuung eines Kindes.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    U R T E I L

    In der Familiensache

    hat der 5. Senat für Familiensachen (Der Einzelrichter) des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Oberlandesgericht Schwamb aufgrund der mündlichen Verhandlungen vom 21.10.2009 und 13.01.2010 für Recht erkannt:

    Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

    Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Gründe:

    (gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 und 2 ZPO)

    Der Kläger begehrt die Abänderung seiner Unterhaltsverpflichtung in Höhe von monatlich 700 EUR gegenüber der Beklagten aus dem vor dem OLG Frankfurt am Main am 22.02.2006 geschlossenen Vergleich (5 UF 226/05) nunmehr noch dahingehend, dass er ab November 2009 nicht mehr zur Zahlung verpflichtet ist. Für den ursprünglichen Klagezeitraum ab 01.05.2008 bis 31.10.2009 haben die Parteien am 21.10.2009 vor dem Einzelrichter einen Teilvergleich geschlossen, dass der gezahlte Unterhalt verbindlich sein soll und insoweit keine Rückforderungsansprüche bestehen. Der Kläger ist aufgrund der bereits in dem angefochtenen Urteil berücksichtigten Aufhebung seines früheren Arbeitsvertrags zunächst am 01.01.2009 arbeitslos geworden und erhielt eine Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld bis März 2009. Im April bezog er 1.815,30 EUR Arbeitslosengeld. Seine Abfindung von insgesamt 30.000 EUR brutto ergab unwidersprochen einen Nettobetrag von ca. 16.230 EUR. Seit 01.05.2009 hat der Kläger jedoch wieder eine Arbeitsstelle mit einem monatlichen Nettoeinkommen von ca. 4.279 EUR, was damit ziemlich genau seinem unstreitigen Einkommen aus dem Jahre 2008 bei seinem vormaligen Arbeitgeber entspricht. Dieses Arbeitsverhältnis ist nun allerdings - zur Vermeidung einer Kündigung in der Probezeit - mit Einverständnis des Klägers bis zum 28.02.2010 befristet worden. Der Kläger bemüht sich deswegen erneut um ein Arbeitsverhältnis und hat zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch bereits zwei offene Stellen kontaktiert. Die Beklagte hat ihre Erwerbstätigkeit ausgeweitet und verdient seit März 2009 durchschnittlich monatlich ca. 1.000 EUR netto, muss allerdings auch teils zugestandene, teils bestrittene Betreuungskosten für K (Kind) aufbringen, um ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Soweit ihr Zinseinnahmen von bisher monatlich 330 EUR aus ihrem bis Ende 2009 als Festgeld angelegten ererbten Vermögen zugerechnet worden sind, verringern sich diese bei einem Anlagevermögen von 90.550 EUR und dem derzeitigen Zinssatz von nur noch 1,5% ... auf monatlich ca. 114 EUR ab 2010. Im Übrigen wird wegen der tatsächlichen Feststellungen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Gießen vom 11.12.2008 Bezug genommen.

    Das Amtsgericht hat die Abänderungsklage abgewiesen, weil jedenfalls nach den seinerzeitigen Einkommensverhältnissen der Parteien sogar noch ein höherer Bedarf der Beklagten von monatlich 1.012 EUR bestanden habe und ihr angesichts der bei K ärztlich bestätigten Defizite - hyperkinetische und soziale Störung nebst Legasthenie - auch unter Berücksichtigung der Fremdbetreuungen K's nicht mehr als eine wöchentliche Arbeitszeit von 23 Stunden zuzumuten sei. Der deswegen fortbestehende Unterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB könne nicht befristet werden, weil das Ende der Betreuungsbedürftigkeit von Kindern grundsätzlich nicht vorherzusehen sei.

    Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, die er - wie ausgeführt - auf den Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung ab November 2009 beschränkt hat. Er räumt ein, dass die Beklagte monatliche Kosten für die Betreuung K's durch eine Kinderfrau und Hortkosten aufbringen muss, bestreitet allerdings den Betrag von weiteren 120 EUR für die Betreuung K's durch den Freund der Beklagten. Aufgrund der sowieso bereits umfänglichen Fremdbetreuung K's, der im Übrigen auch für die Hausaufgaben keine gesonderte häusliche Betreuung mehr benötige, könne die Beklagte vollschichtig arbeiten. Außerdem müsse sein Einkommen entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung um Kosten für den Umgang mit K bereinigt werden. Da er ab Februar 2010 wieder arbeitslos sei, sei er ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr leistungsfähig.

    Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

    Sie verteidigt das angefochtene Urteil, u. a. unter Darlegung ihres Tagesablaufs in einem beispielhaft genannten Zeitraum von zwei Wochen im November 2009. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Erklärungen der Parteien in den mündlichen Verhandlungen am 21.10.2009 und 13.01.2010 Bezug genommen.

    Der Senat hat in der Berufungsverhandlung über die Betreuungsbedürftigkeit des am ... 1999 geborenen gemeinsamen Sohnes K Beweis erhoben durch Vernehmung des Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Y sowie des Schulleiters und Klassenlehrers Z als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird ebenfalls auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 13.01.2010 verwiesen.

    Die Berufung ist unbegründet. Im Wesentlichen kann dazu auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden.

    Die Klägerin hat weiterhin einen verlängerten Anspruch auf Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes gemäß § 1570 BGB, und zwar sowohl aus kind- wie elternbezogenen Gründen (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 BGB). Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen des Unterhalts wegen Betreuung eines Kindes gemäß § 1570 BGB in der seit 01.01.2008 geltenden Fassung kann ein solcher Unterhalt bei der Betreuung von Kindern, die das 3. Lebensjahr vollendet haben, zwar nur noch bei ausdrücklicher Darlegung von Gründen, die kind- oder elternbezogen sein müssen, gewährt werden (BGH FamRZ 2009, 770; FamRZ 2009, 1124; FamRZ 2009, 1391). Der Bundesgerichtshof hat auch für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter den Vorrang der elterlichen Betreuung vor der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen als grundsätzlich nicht mehr mit § 1570 BGB n. F. vereinbar angesehen und ausgeführt, selbst bei einem 6 1/2 Jahre alten Kind bestehe mangels ergänzenden Vortrags eine Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit, die deutlich über eine halbschichtige Tätigkeit hinausgehe (Urteil vom 16.12.2009, XII ZR 50/08, Rdn. 53). Jedenfalls in dieser engen Ausprägung begegnet das nach Auffassung des Senats weiterhin Bedenken, denn gemäß Artikel 6 Abs. 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das "natürliche Recht" der Eltern. Daran kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.02.2007, die im Wesentlichen die Gleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder zum Gegenstand hatte, nichts Grundsätzliches ändern, wenn auch nicht verkannt wird, dass das Bundesverfassungsgericht meint, die zeitliche Begrenzung des Betreuungsunterhaltsanspruchs auf in der Regel drei Jahre sei im Blick auf Art. 6 Abs. 2 GG "nicht zu beanstanden" (BVerfG FamRZ 2007, 965 ff.). Soweit der Bundesgerichtshof nun allerdings jeder Art von Altersphasenmodell, und sei es auch nur dahingehend, jedenfalls bei Betreuung eines Kindes bis zur Beendigung der Grundschulzeit könne eine Vollzeiterwerbstätigkeit in der Regel nicht erwartet werden (so aber bisher die Unterhaltsgrundsätze des OLG Frankfurt am Main seit 01.01.2008 unter Nr. 17.1), eine Absage erteilt, steht dies zudem in einem gewissen Widerspruch zu der in den genannten Entscheidungen auch wiedergegebenen Passage aus der Gesetzesbegründung, dass kein abrupter Wechsel zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit verlangt wird, sondern ein gestufter Übergang ermöglicht werden soll (FamRZ 2007, 1947; vgl. dazu auch Norpoth in der Anmerkung zu dem Urteil des BGH vom 17.06.2009 in FPR 2009, 485; zu einem auf dem Boden des neuen Unterhaltsrechts möglichen abgewandelten Altersphasenmodell: Büttner, FPR 2009, 92 ff., 94). Mit der engen Auslegung von § 1570 BGB durch den Bundesgerichtshof droht dagegen eine Benachteiligung gerade derjenigen Kinder zu entstehen, die infolge der Trennung der Eltern die Betreuung durch den verbliebenen Elternteil in der Regel besonders benötigen, zumal gleichzeitig das Streitpotenzial zwischen den Eltern wieder verschärft wird, wie vorliegender Fall exemplarisch zeigt (ausführlich Lenze, FamRZ 2009, 1724, 1727). Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Entwicklung sind derzeit noch gar nicht abzusehen (vgl. Lenze a. a. O.).

    Die danach hier erforderliche Beweisaufnahme hat allerdings die Feststellungen des Amtsgerichts zur Notwendigkeit der ergänzenden Betreuung K's durch die Kindesmutter in vollem Umfang bestätigt. Sowohl der Zeuge Y als Arzt und Psychotherapeut aus medizinischer Sicht als auch der Zeuge Z als Schulleiter und Klassenlehrer aus pädagogischer Sicht haben unter Berücksichtigung der festgestellten sozialen Störungen sowie der Lese- und Rechtschreibschwäche K's überzeugend die wichtige ergänzende Betreuungstätigkeit gerade der Mutter hervorgehoben, die für K`s weitere Entwicklung von zentraler Bedeutung ist. Soweit die Beklagte ihre Betreuungstätigkeit zusätzlich über zwei Wochen genau aufgezeichnet hat, ist das substantiiert und vor dem Hintergrund des übrigen Ergebnisses der Beweisaufnahme auch ohne weiteres auf der Hand liegend; insoweit genügt kein bloßes Bestreiten mit Nichtwissen. Sowohl im Hinblick auf die erhöhte Betreuungsbedürftigkeit K's als kindbezogenem Grund als auch wegen der damit für die Beklagte verbundenen Belastungen bis in die Abendstunden neben ihrer etwas mehr als halbschichtigen Erwerbstätigkeit als elternbezogenem Grund besteht somit ein ergänzender Anspruch auf Betreuungsunterhalt, der im Übrigen auch nicht zu befristen ist, weil die weitere Dauer der besonderen Betreuungsbedürftigkeit K's nicht sicher vorhersehbar ist (BGH a. a. O.; OLG Frankfurt, Unterhaltsgrundsätze Nr. 17.1 seit 19.05.2008).

    Was die Einkommensverhältnisse des Klägers angeht, sind diese derzeit noch unverändert. ...(wird ausgeführt)

    Der Unterhaltsbedarf der Klägerin ist aus den zutreffenden Gründen der Entscheidung des Amtsgerichts auch unter Berücksichtigung der erwartungs-gemäßen Ausweitung ihrer Erwerbstätigkeit, wie schon nach dem Vergleich vom 22.02.2006 vorgesehen, sowie unter Berücksichtigung der bereits gewürdigten, nach wie vor erhöhten Betreuungsbedürftigkeit des gemeinsamen Kindes K nicht geringer als bisher zu erachten. ...(wird ausgeführt)

    Nach allem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

    Es bestehen keine Gründe, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, denn es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung nach Beweisaufnahme unter Beachtung der inzwischen umfänglichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Betreuungsunterhalt.

    Schwamb