OLG Frankfurt vom 16.01.2012 (5 UF 381/10)

Stichworte: Beschwerdebefugnis; Beschwerdeberechtigung; Versorgungsausgleich; Ausschluss wegen Geringfügigkeit; Geringfügigkeit; gleichartiges Anrecht; Halbteilungsgrundsatz; Verwaltungsaufwand;
Normenkette: FamFG 59, 228; VersAusglG 18 Abs. 1, 18 Abs. 2;
Orientierungssatz:
  • Ein Versorgungsträger ist durch eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich zu einem bei ihm bestehenden Anrecht beschwert und damit nach § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, wenn der Versorgungsausgleich in einer mit der Gesetzeslage nicht übereinstimmenden Weise durchgeführt worden ist, unabhängig davon, ob die Entscheidung zu einer finanziellen Mehrbelastung des Versorgungsträgers führt oder nicht (§ 228 FamFG). Die Betroffenheit in eigenen Rechten ist bei Versorgungsträgern stets gegeben, wenn sich die angefochtene Entscheidung auf ihre Rechtsstellung durch die Verrechnung gemäß § 10 Abs. 2 VersAusglG auswirken kann.
  • Der Rechtsprechung des BGH, wonach bei gleichartigen Anrechten nach Prüfung des § 18 Abs. 1 VersAusglG die weitere Prüfung eines dieser Anrechte nach § 18 Abs. 2 VersAusglG generell auscheidet, kann nicht beigepflichtet werden (vgl. Schwamb, FamRB 2012, 89 ff.); jedoch wird auch bei grundsätzlich noch möglicher subsidiärer Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG die Ausübung des Ermessens dazu führen, ein geringfügiges Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung mangels nennenswertem Verwaltungsaufwand intern zu teilen, um dem Halbteilungsgrundsatz besser gerecht zu werden, sofern nicht noch ein geringfügiges etwa gleich hohes Anrecht außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Gegenseite zu berücksichtigen ist.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1. vom 8. 12. 2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Offenbach vom 11.10.2010 am 16.01.2012 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Der Ausspruch zum Versorgungsausgleich gemäß Ziffer 2 der Beschlussformel wird wie folgt neu gefasst:

    Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen, Versicherungsnummer ..., zu Gunsten der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 0,3985 Entgeltpunkten, bezogen auf den 30. 4. 2010, auf das vorhandene Konto, Versicherungsnummer ..., bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz übertragen.

    Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz, Versicherungsnummer ..., zu Gunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 1,8326 Entgeltpunkten, bezogen auf den 30. 4. 2010, auf das vorhandene Konto, Versicherungsnummer ..., bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen übertragen.

    Der Ausgleich des Anrechts der Antragsgegnerin bei der R+V Lebensversicherung AG in Höhe von 326,31 Euro unterbleibt.

    Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten werden gegeneinander aufgehoben.

    ... Der Beschwerdewert wird auf 1.000,- E festgesetzt.

    Gründe:

    Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht die am 16. 12. 2005 geschlossene Ehe des Antragstellers und der Antragsgegnerin geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt. Der Scheidungsantrag ist am 12. 5. 2010 zugestellt worden. In der Ehezeit vom 1. 12. 2005 bis 30. 4. 2010 hat der Antragsteller ein Anrecht bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen in Höhe von 0,7969 Entgeltpunkten erworben. Der Ausgleichswert beläuft sich auf 0,3985 Entgeltpunkte und der korrespondierende Kapitalwert auf 2.537,89 Euro. Die Antragsgegnerin hat in der Ehezeit bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz ein Anrecht in Höhe von 3,6651 Entgeltpunkten erworben. Der Ausgleichswert beträgt 1,8326 Entgeltpunkte und der korrespondierende Kapitalwert 11.671,09 Euro. Außerdem hat die Antragsgegnerin aus einem privaten Altersvorsorgevertrag ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 326,31 Euro und einem Ausgleichswert von 163,16 Euro erlangt.

    Das Amtsgericht hat das Anrecht der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Rentenversicherung intern geteilt und entschieden, dass der Ausgleich der Anrechte des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen und der Antragsgegnerin aus dem Altersvorsorgevertrag gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG wegen Geringfügigkeit unterbleibt.

    Mit der form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde rügt die weitere Beteiligte zu 1. die Anwendung des § 18 VersAusglG. Da die Differenz der beiderseitigen Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht geringfügig und deshalb der vorrangige § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht anzuwenden war, habe nicht eines der Anrechte nach § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Ausgleich ausgenommen werden dürfen.

    Die Beschwerde ist zulässig. Ein Versorgungsträger ist durch eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich zu einem bei ihm bestehenden Anrecht beschwert und damit nach § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, wenn der Versorgungsausgleich in einer mit der Gesetzeslage nicht übereinstimmenden Weise durchgeführt worden ist, unabhängig davon, ob die Entscheidung zu einer finanziellen Mehrbelastung des Versorgungsträgers führt oder nicht (§ 228 FamFG). Die Versorgungsträger haben nämlich neben eigenen finanziellen Belangen auch die Gesetzmäßigkeit der Festlegung zukünftig von ihnen zu erbringender Versorgungsleistungen zu wahren (OLG Saarbrücken, Beschl. vom 10.08.2011, 6 UF 82/11, mit zustimmender Besprechung Schwamb, FamFR 2011, 468; OLG Karlsruhe, FamRZ 2011, 641; OLG Frankfurt, Beschl. vom 19.12.2011, 5 UF 245/11). Die Betroffenheit in eigenen Rechten ist bei Versorgungsträgern stets gegeben, wenn sich die angefochtene Entscheidung auf ihre Rechtsstellung durch die Verrechnung gemäß § 10 Abs. 2 VersAusglG auswirken kann (OLG Düsseldorf, FamRZ 2011, S. 1404; OLG Celle, Beschl. vom 15. 11. 2011, 10 UF 256/11 - Rechtsprechungszitate nach juris). Das gilt auch, wenn der Versorgungsträger rügt, ein bei ihm bestehendes Anrecht sei zu Unrecht nicht geteilt worden. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Ausgleichswertdifferenz der Anrechte der geschiedenen Ehegatten in der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigt die Bagatellgrenze nach 18 Abs. 3 VersAusglG, die sich zum Ehezeitende auf 3.066,- Euro belief. Ein Ausschluss dieser beiden gleichartigen Anrechte wegen Geringfügigkeit der Wertdifferenz nach § 18 Abs. 1 VersAusglG kam deshalb, wie das Amtsgericht richtig festgestellt hat, nicht in Betracht. Ob nach der Feststellung einer nicht geringen Wertdifferenz gemäß § 18 Abs. 1 und 3 VersAusglG noch eines dieser beiden gleichartigen Anrechte in Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG von dem Versorgungsausgleich ausgenommen werden kann, war in der Rechtsprechung bisher umstritten (für eine grundsätzlich noch mögliche subsidiäre Anwendbarkeit des § 18 Abs. 2 VersAusglG: OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 17. 1. 2011, 5 UF 278/10, bei www.hefam.de und FamFR 2011, S. 469; OLG Celle, FamRZ 2010, S. 979; OLG Stuttgart, FamRZ 2011, S. 41 und FamRZ 2010, 1805; OLG Jena, FamRZ 2011, S. 38; OLG Nürnberg, FamRZ 2011, S. 899; OLG Karlsruhe, FamRZ 2011, S. 979; für die Nichtanwendbarkeit des § 18 Abs. 2 VersAusglG in diesen Fällen: OLG Hamburg, FamRZ 2011, 1403; OLG München, FamRZ 2010, S. 1664 und FamRZ 2011, S. 646). Der Bundesgerichtshof hat sich nun mit Beschluss vom 30.11.2011 (XII ZB 344/10, Leitsatz c, Tz. 29 - 36) der letztgenannten Auffassung angeschlossen, wonach der Ausschluss nur eines der beiden gleichartigen Anrechte - wegen eines geringen Ausgleichswerts - gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG nicht möglich sei. Unter § 18 Abs.1 VersAusglG fielen "Anrechte gleicher Art", während § 18 Abs. 2 VersAusglG nur "einzelne Anrechte" erfasse. Dabei sei die Bezeichnung als "einzelne" Anrechte bereits als Abgrenzung zu den Anrechten "gleicher Art" zu verstehen. Daneben sprächen auch die Gesetzessystematik sowie der Sinn und der Zweck der Vorschrift für diese Auslegung. Der Entscheidung kann zwar insoweit nicht beigepflichtet werden, denn es gibt, wie der BGH auch erkennt (a. a. O. Tz. 36), Fallkonstellationen, in denen gleichartige Anrechte bei verschiedenen Versorgungsträgern nicht nach § 10 Abs. 2 VersAusglG verrechnet werden können. Vor allem aber gibt es auch - vom BGH nicht berücksichtigt - Fallkonstellationen, in denen der andere Ehegatte seinerseits noch ein geringfügiges etwa gleich hohes Anrecht außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung hat, so dass der Ausschluss der beiderseitigen geringfügigen Anrechte gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG im Einzelfall sogar sowohl dem Halbteilungsgrundsatz besser gerecht werden kann als auch das Entstehen einer Splitterversorgung vermieden wird (vgl. dazu OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 17.01.2011, 5 UF 278/10, a. a. O.). Allerdings kommt es auf diese Streitfrage letztlich nicht an, wenn auch bei grundsätzlich noch möglicher subsidiärer Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG die Ausübung des Ermessens dazu führen würde, das geringfügige und verrechenbare Anrecht des Antragstellers in der gesetzlichen Rentenversicherung mangels nennenswertem Verwaltungsaufwand intern zu teilen, um dem Halbteilungsgrundsatz besser gerecht zu werden (insoweit in Übereinstimmung mit dem BGH a. a. O.; vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 17.01.2011, 5 UF 278/10, gegen die Bedenken in der Besprechung von Holzwarth, FamFR 2011, 469). So liegt der Fall hier. Auch wenn § 18 Abs. 2 VersAusglG auf das geringwertige Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung noch grundsätzlich subsidiär anwendbar wäre, würden gewichtige Gründe dafür sprechen, es zu teilen, weil die Deutsche Rentenversicherung den Ausgleich gemäß § 10 VersAusglG nur in Höhe des Wertunterschieds nach Verrechnung vollzieht und vorliegend auch das Anrecht der Antragsgegnerin bei der R+V Lebensversicherung AG, das mit seinem nur sehr geringen Ausgleichswert von 163,16 Euro zu Recht nach § 18 Abs. 2 VersAusglG ausgeschlossen worden ist, bei der Ermessensausübung kein ausreichendes Gegengewicht bildet zu dem nur verhältnismäßig knaunter der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Anrecht des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 150 Abs. 1 und Abs. 3 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 50 Abs. 1 FamGKG.

    Ostermöller Schwamb Dr. Ostermann