OLG Frankfurt vom 12.03.2010 (5 UF 306/09)

Stichworte: Anfechtung wegen Rechtsirrtums, Wiederaufnahme des durch Vergl. beendeten Verfahrens;
Normenkette: BGB 119, ZPO 278 Abs. 6; BGB 119, ZPO 278 Abs. 6;
Orientierungssatz:
  • Nach vergleichsweiser Beendigung eines Verfahrens kann dieses von den Parteien nicht mehr aufgenommen werden.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 5. Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 12.03.2010 beschlossen:

    Der Antrag des Antragsgegners, ihm Prozesskostenhilfe für die Durchführung seines Rechtsmittels zu gewähren, wird zurückgewiesen.

    Gründe:

    Der Antragsgegner wendet sich mit seinem als Berufung bezeichneten Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelnhausen vom 02.10.2009, welches nach einem vorausgegangenen Vergleich festgestellt hat, dass der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich beendet ist.

    Die mit dem Antragsgegner verheiratete Antragstellerin begehrte ursprünglich wegen behaupteter gewaltsamer Übergriffe des Antragsgegners in der Hauptsache und im Wege der einstweiligen Anordnung eine Anordnung nach § 1 GewSchG. In der mündlichen Verhandlung vom 05.02.2008 erklärte der Antragsgegner, der im Gegensatz zur Antragstellerin anwaltlich vertreten war, dass die behaupteten Vorfälle nicht zutreffend seien, dass er jedoch bereit sei, sich für die Zukunft antragsgemäß gegenüber der Antragstellerin zu verpflichten. Sodann schlossen die Parteien folgende Vereinbarung:

    "Der Antragsgegner verpflichtet sich, die Antragstellerin weder zu bedrohen, zu belästigen, zu verletzten oder sonst körperlich zu misshandeln. Der Antragsgegner verpflichtet sich weiterhin, mit der Antragstellerin auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln keine Verbindung aufzunehmen und auch kein Zusammentreffen mit der Antragstellerin herbeizuführen. Sollte es zu einem zufälligen Zusammentreffen kommen, verpflichtet sich der Antragsgegner, sofort einen Abstand von mindestens 20 Metern herzustellen."

    Nachdem der Vergleich den Parteien vorgespielt und von diesen genehmigt wurde, wies das Amtsgericht darauf hin, dass bei Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld festgesetzt werden kann und drohte ein solches in Höhe von 500,- EUR an. Außerdem setzte das Amtsgericht den Streitwert auf 1000,- EUR fest.

    Mit Schriftsatz seines neuen Verfahrensbevollmächtigten vom 12.02.2008 erklärte der Antragsgegner die Anfechtung seiner Willenserklärung zum Abschluss des Vergleiches und beantragte die Fortführung des Verfahrens. Er habe sich in einem Irrtum über die Rechtsfolgen und die Tragweite des Vergleiches befunden. Er sei davon ausgegangen, ohne einen Vergleich nicht geschieden werden zu können. Auch sei ihm die Möglichkeit einer Vollstreckung des Vergleiches nicht bewusst gewesen.

    Mit Schreiben vom 01.04.2008 erklärte die Antragstellerin, dass sie angesichts gesundheitlicher Probleme wolle, dass das Verfahren ruhe und dass sie auf Wunsch der Gegenseite versichere, keine Rechte aus dem Vergleich vom 06.02.2008 geltend zu machen.

    Sodann beantragte der Antragsgegner gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festzustellen, dass sich die Parteien einig seien, dass die Antragstellerin keine Rechte aus dem Vergleich vom 06.02.2008 mehr geltend machen könne.

    Das Amtsgericht hat sodann aufgrund mündlicher Verhandlung am 22.09.2009 durch Endurteil festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 05.02.2008 erledigt sei. Den Streitwert hatte es zuvor mit Beschluss vom 14.04.2008 auf 500,- EUR festgesetzt.

    Gegen das seinem Verfahrensbevollmächtigten am 03.11.2009 zugestellte Urteil, hat der Antragsteller durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 02.12.2009 im Wege der elektronischen Versendung, eingegangen beim Oberlandesgericht am 03.12.2009, Berufung eingelegt.

    Die Antragstellerin meint, die Berufung sei verspätet eingelegt und im Übrigen sei die Berufungssumme nicht erreicht.

    Der Antrag des Antragsgegners auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen, da für das beabsichtigte Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg besteht.

    Das Rechtsmittel des Antragsgegners ist als Beschwerde zulässig. Das Amtsgericht hat bei der Entscheidung über die Anträge des Antragsgegners verkannt, dass Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz vor dem Familiengericht nicht den Regeln der Zivilprozessordnung, sondern der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterliegen (§ 621a Abs. 1 ZPO). Es hätte insoweit nicht durch ein Urteil, sondern durch Beschluss entscheiden müssen. Nachdem das Amtsgericht eine Endentscheidung über eine Familiensache nach § 621 Abs. 1 Nr. 13 ZPO erlassen hat, wäre gemäß § 621e Abs. 1 ZPO die befristete Beschwerde das zulässige Rechtsmittel gewesen. Wenn ein Gericht eine Entscheidung abweichend von der im Gesetz bestimmten Form als Urteil erlassen hat, dann darf der Fehler des Gerichts nicht zu Lasten der Parteien gehen. Deshalb ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung sowohl das Rechtsmittel gegeben, das der erkennbar gewordenen Entscheidungsart entspricht, als auch das jenige, das der Entscheidung entspricht, für die die Voraussetzungen nicht gegeben waren (BGHZ 40, 265). Es können daher sowohl Beschwerde als auch Berufung eingelegt werden.

    Das Rechtsmittel ist insbesondere auch fristgemäß eingelegt. Es konnte gemäß §§ 130a ZPO i. V. m. der VO über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften auch ohne eine Unterschrift des Verfahrensbevollmächtigten auf der Rechtsmittelschrift eingelegt werden.

    Unabhängig davon, dass das Amtsgericht entgegen §§ 100a Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO den Geschäftswert nicht auf 500,- EUR hätte festsetzen dürfen, bedarf es bei einer Beschwerde gegen eine Entscheidung nach dem Gewaltschutzgesetz als nichtvermögensrechtlicher Streitigkeit keiner Beschwerdesumme. Im Übrigen wäre das Rechtsmittelgericht entgegen der Auffassung der Antragstellerin im Rahmen des § 511 Abs. 2 ZPO ohnehin nicht an die in erster Instanz erfolgte Streitwertfestsetzung gebunden (BGH NJW-RR 1988, 837).

    Die Beschwerde ist jedoch offenkundig unbegründet. Das Verfahren beim Amtsgericht ist durch den Abschluss des Vergleichs am 05.02.2008 beendet worden. Soweit sich in Verfahren nach dem FGG die Zwangsvollstreckung nach den Grundsätzen der ZPO richtet, was hier gemäß §§ 890, 891, 892a ZPO der Fall ist, sind bei einem Streit um die Wirksamkeit eines Vergleiches die zivilprozessualen Grundsätze über die Fortsetzung des Vergleiches aufgrund von Wirksamkeitshindernissen entsprechend anzuwenden (Keidel/Kuntze/Winkler-Kahl, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Vorb. § 8 FGG Rdn. 28).

    Der Antragsgegner hat jedoch nicht in rechtswirksamer Weise seine Willenserklärung zum Abschluss des Vergleiches gemäß §§ 119 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB angefochten. Er kann sich nicht darauf berufen, ihm seien bei Abgabe seiner Erklärung die Rechtswirkungen seiner Erklärung nicht bekannt gewesen. Irrtümer über die Rechtsfolgen einer Willenserklärung berechtigen grundsätzlich nicht zur Anfechtung wegen eines Inhaltsirrtums, wenn die Rechtsfolgen der Erklärung unabhängig vom Willen des Einzelnen eintreten (Staudinger-Singer, § 119 BGB Rdn. 67; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 9. Aufl., Rdn. 750). Fehlvorstellungen des Betroffenen sind insoweit reine Motivirrtümer, die grundsätzlich unbeachtlich sind (RGZ 156, 74). Der Antragsgegner hat sich, obwohl er den Vorwurf der Gewaltanwendung zu Lasten der Antragstellerin bestritten hat, freiwillig dazu bereit erklärt, sich für die Zukunft zu dem begehrten Unterlassen zu verpflichten. Die protokollierte Vereinbarung ist auch für Laien klar verständlich formuliert, wobei der Antragsgegner im Gegensatz zur Antragstellerin anwaltlich vertreten war. Dahin gestellt bleiben kann, ob der Antragsgegner, wie von ihm behauptet, nicht hinreichend von seinem damaligen Verfahrensbevollmächtigten beraten worden ist. Der Vergleich wurde vom Vorsitzenden nochmals vorgespielt und von den Anwesenden genehmigt. Sodann wurde er darauf hingewiesen, dass im Falle von Zuwiderhandlungen Zwangsgelder gegen ihn festgesetzt werden können. Ein beachtlicher Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB ist nach alledem nicht zu erkennen.

    Die Beschwerde hat auch insoweit keinen Erfolg, soweit der Antragsgegner beantragt, gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festzustellen, er habe sich mit der Antragstellerin vergleichsweise dahin geeinigt, dass diese keine Rechte mehr aus dem Vergleich vom 05.02.2008 geltend mache.

    Nach vergleichsweiser Beendigung eines Verfahrens kann dieses von den Parteien nicht mehr aufgenommen werden. Der Bundesgerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung vom 15.04.1964 (BGHZ 41, 310) zutreffend festgestellt, dass die Parteien die verfahrensbeendigende Wirkung eines Vergleiches nicht durch eine Vereinbarung, insbesondere durch eine übereinstimmende Verzichtserklärung, beseitigen können. Eine solche Vereinbarung, mag sie gerichtlich oder außergerichtlich geschlossen sein, tangiert lediglich die materiell-rechtliche Wirkung des Vergleiches. Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Antragsgegner sich auf einen gerichtlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO beruft. Auch die durch das 1. JuMoG im Jahr 2001 eingefügte Möglichkeit des Abschlusses gerichtlicher Vergleiche außerhalb der mündlichen Verhandlung gibt den Parteien nicht die Befugnis, über die prozessbeendigende Wirkung eines bereits geschlossenen Vergleiches zu verfügen. Die vom Antragsgegner zitierte, hiervon abweichende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 05.08.1982 (NJW 1983, 2212) wird ausdrücklich mit den Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gegenüber Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit begründet. Der insbesondere von Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 130 Rdn. 59 unter Hinweis auf den Parteiwillen vertretenen Gegenauffassung vermag der Senat aus obigen Gründen nicht zu folgen.

    Soweit der Antragsgegner der Auffassung sein sollte, er habe trotz der von ihm behaupteten Vereinbarung der Parteien über den Verzicht auf die Rechte aus dem Vergleich die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zu befürchten, wird er gehalten sein, im Wege der Klage nach § 767 ZPO vorzugehen.

    Ostermöller Albrecht Dr. Dürbeck