OLG Frankfurt vom 20.05.2010 (5 UF 26/10)

Stichworte: Schuldunfähigkeit, Gewaltschutz; Gewaltschutz, Schuldunfähigkeit; Gewaltschutz, Stalking;
Normenkette: GewSchG 1, BGB 823, 1004, 827, GVG 17 Abs. 2; GewSchG 1, BGB 823, 1004, 827, GVG 17 Abs. 2;
Orientierungssatz:
  • § 1 Abs. 1 und 2 GewSchG sind nicht anwendbar, wenn der Täter eines sog. Stalkings zur Tatzeit schuldunfähig war. In einem solchen Fall kann auf den allgemeinen quasinegatorischen Unterlassensanspruch analog §§ 823, 1004 BGB zurückgegriffen werden, über den analog § 17 Abs. 2 GVG auch die Familiengerichte zu entscheiden haben.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 08.01.2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 30.11.2009 am 20. Mai 2010 beschlossen:

    Die angefochtene Entscheidung wird teilweise abgeändert.

    Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, jegliche Verbindung zum Antragsteller, insbesondere auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln und Briefen, zu unterlassen.

    Die Anordnung ist bis zum 31.12.2013 befristet.

    Der weitergehende Antrag und die weitergehende Beschwerde werden zurückgewiesen.

    Für den Fall der Zuwiderhandlung wird der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,- EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

    Die Gerichtskosten der ersten und zweiten Instanz haben die Beteiligten je zur Hälfte zu tragen. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

    Der Beschwerdewert wird auf 2.000,- EUR festgesetzt.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    Gründe:

    Der Antragsteller begehrt Schutzanordnungen wegen sog. Stalkings durch die Antragsgegnerin, die er nach dem Inhalt seiner als "Klage" bezeichneten Antragsschrift vom 09.10.2009 ausdrücklich auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2b Gewaltschutzgesetz stützt.

    Der Antragsteller arbeitete ab 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie der Universität (....). Im Februar 2004 beaufsichtigte er eine Klausur im Fach Strafrecht, an der auch die Antragsgegnerin, die damals Jura studierte, teilnahm. Bereits zu dieser Zeit befand sich die Antragsgegnerin in psychiatrischer Behandlung, weil sie nicht existierende Stimmen hörte. Die Antragsgegnerin stellte sich während der Klausur ein Gespräch des Antragstellers mit seiner ebenfalls aufsichtführenden Kollegin vor, in dessen Verlauf sie zu hören meinte, der Antragsteller habe geäußert, dass er die Antragsgegnerin attraktiv finden würde. Sie bildete sich weiter ein, der Antragsteller sei in sie verliebt, und entwickelte sodann selbst ein Gefühl der Verliebtheit gegenüber dem Antragsteller. In der Folgezeit fühlte sich die Antragsgegnerin vom Antragsteller, der sie bisher tatsächlich noch nicht bewusst wahrgenommen hatte, verfolgt und verfiel in den Glauben, dass alle Personen an der Universität über ihr Verhältnis zum Antragsteller Kommentare abgeben würden. Im Sommer 2005 wandte sich die Antragsgegnerin mit einem in sehr verwirrter Form verfassten Brief an die Universitätsverwaltung und beschuldigte den Antragsteller, sie sexuell beleidigt und herabwürdigend behandelt zu haben. Auf Anraten seines damaligen Vorgesetzten verzichtete der Antragsteller auf eine Strafanzeige und vereinbarte ein klärendes Gespräch mit der Antragsgegnerin, an dem auch die Frauenbeauftragte der Universität teilnahm. Die Antragsgegnerin entschuldigte sich in diesem Gespräch und wies auf ihre bestehenden psychischen Probleme hin. Etwa ein halbes Jahr später, Im Frühjahr 2006, nahm die Antragsgegnerin telefonischen Kontakt zum Antragsteller auf und hinterließ zunächst eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, um ein Treffen mit ihm zu verabreden. Bei dem nächsten Telefonat erklärte ihr der Antragsteller, dass er kein Interesse an einem persönlichen Kontakt zu ihr habe. Seit diesem Zeitpunkt erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin unerwünschte Anrufe, anfangs mehrere Male wöchentlich, dann mehrere Male täglich, später auch bis mitten in die Nacht hinein. Bei den meisten Anrufen schwieg die Antragsgegnerin, teilweise hinterließ sie Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Als der Antragsteller Ende 2008 seine Rufnummer änderte, bemerkte die Antragsgegnerin dies und brachte die neue Nummer in Erfahrung. Gleichzeitig begann sie, dem Antragsteller regelmäßig Briefe zu schreiben, die sie zum Teil selbst in den zur Wohnung des Antragstellers gehörenden Briefkasten einwarf. Am 20.04.2009 erstattete der Antragsteller Strafanzeige wegen Stalkings, was die Antragsgegnerin dazu veranlasste, noch im September 2009 teilweise bis zu 50 Mal täglich beim Antragsteller anzurufen. Am 09.10.2009 beantragte der Antragsteller bei dem Amtsgericht eine Anordnung nach § 1 GewSchG, die das Amtsgericht nach mündlicher Verhandlung, zu der die Antragsgegnerin nicht erschien, mit Beschluss vom 30.11.2009 erließ. Seitdem unterblieben weitere Anrufe der Antragsgegnerin. Mit Schreiben vom 02.01.2010 legte die Antragsgegnerin Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ein und machte geltend, aufgrund ihrer psychischen Probleme nicht schuldfähig gewesen zu sein. Außerdem wendet sie sich gegen die Dauer der Befristung der Anordnung. Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Gießen (AZ.: ...) wurde ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldfähigkeit der Antragsgegnerin und dortigen Beschuldigten eingeholt, das der Senat zu Beweiszwecken beigezogen hat. In ihrem Gutachten vom 02.03.2010 kommt die Sachverständige Dr. E. zum Ergebnis, dass die Antragsgegnerin an paranoider Schizophrenie leide und während der Begehung der von ihr eingeräumten Taten gemäß § 20 StGB schuldunfähig gewesen sei. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Antragsgegnerin wurde deshalb zwischenzeitlich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Eine Abschrift einer entsprechenden Benachrichtigung des Bundesamtes für Justiz vom 23.03.2010 an die Antragsgegnerin wurde von ihr in das Verfahren eingeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf das vorbezeichnete Gutachten vom 02.03.2010 aus der vom Senat beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Gießen (AZ.: ...). Den Inhalt des den Beteiligten aus dem Strafverfahren bekannten Gutachtens machte der Senat mit Verfügung vom 28.04.2010 zum Gegenstand dieses Verfahrens.

    Die nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und zulässige Beschwerde ist insoweit begründet, als eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 und 3 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2b GewSchG nicht ergehen kann.

    Das Gewaltschutzgesetz regelt in § 1 die Befugnis der Familiengerichte (§§ 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG, 111 Nr. 6 FamFG), in Fällen vorsätzlicher und rechtswidriger Verletzung des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit einer Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Schutzanordnungen zu treffen. In § 1 Abs. 2 Nr. 2b GewSchG ist auch ein Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, der Schutz der Privatsphäre vor unzumutbaren Belästigungen (BT-Drucksache 14/529, S. 16f), in das Gesetz mit aufgenommen worden. § 1 GewSchG ist dabei nicht als materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, sondern als verfahrensrechtliche Grundlage für gerichtliche Schutzanordnungen geschaffen worden (BT- Drucksache, a. a. O., S. 17; Schumacher FamRZ 2002, 645). Die materiell- rechtliche Anspruchsgrundlage ist insoweit dem Recht der unerlaubten Handlung gemäß § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. 1004 BGB analog als quasinegatorischer Unterlassensanspruch zu entnehmen (Johannsen/Henrich- Götz, Familienrecht, 5. Aufl., § 1 GewSchG Rdn. 4: BT-Drucksache, a.a.O., S. 17).

    Die Antragsgegnerin hat, wie sie selbst einräumt, den Antragsteller über einen Zeitraum von über 3 Jahren in unzumutbarer Weise gegen dessen ausdrücklich erklärten und unmissverständlichen Willen hartnäckig und zielgerichtet durch unzählige Anrufe und Briefe belästigt und damit widerrechtlich in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht, das als sonstiges Recht nach § 823 Abs. 1 BGB anerkannt ist (BGHZ 13, 334; 128, 1), eingegriffen. Die Antragsgegnerin bezeichnet, insoweit zutreffend, ihr Verhalten selbst als "Stalk", also als einen Fall des sog. Stalkings (allgemein hierzu Kühner/Gass FPR 2006, 176), welches unter den Voraussetzungen des im Jahr 2007 eingeführten § 238 Abs. 1 StGB auch unter Strafe steht. Hieraus folgt in analoger Anwendung von § 1004 BGB ein Unterlassensanspruch des Antragstellers.

    Eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2b GewSchG kommt jedoch deshalb nicht in Betracht, weil nach ganz herrschender Meinung (AG Wiesbaden FamRZ 2006, 1145; Palandt-Brudermüller, 69. Aufl., § 1 GewSchG Rdn. 5; MünchKomm-Krüger, 5. Aufl., § 1 GewSchG Rdn. 14; Weinreich in: Handbuch des Fachanwaltes Familienrecht, 7. Aufl.,Kap. 8 Rdn. 434; Löhnig, Zivilrechtlicher Gewaltschutz, 2. Aufl., Rd. 95) § 1 GewSchG bei dauernder Schuldunfähigkeit des Täters außerhalb der Ausnahmeregelung von § 1 Abs. 3 GewSchG nicht anwendbar ist. Der insoweit vor allem von Schumacher (FamRZ 2002, 645, 649) vertretenen Gegenauffassung, wonach der Begriff des Vorsatzes in § 1 GewSchG anders als im allgemeinen Deliktsrecht nur die Art der Handlung bezeichne und nicht voraussetze, dass der Täter zurechnungsfähig gewesen sei, kann nicht gefolgt werden. Hiergegen spricht vor allem die Regelung des § 1 Abs. 3 GewSchG. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht Maßnahmen nach Absatz 1 auch dann anordnen, wenn der Täter die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat, in den er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel vorübergehend versetzt hat. Durch diese in Anlehnung an § 827 S. 2 BGB erfolgte Regelung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die vorsätzliche Verletzung des geschützten Rechtsgutes bei § 1 GewSchG nur durch einen schuldfähigen Täter verwirklicht werden kann. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass es nicht auf die Schuldfähigkeit des Täters ankommen würde, hätte es einer Aufnahme von § 1 Abs. 3 in das GewSchG nicht bedurft.

    Nach dem vorliegenden Gutachten der Sachverständigen Dr. E. war die Antragsgegnerin bei der Begehung ihrer Taten aufgrund ihrer paranoiden Schizophrenie nicht dazu in der Lage, das Unrecht ihres Handeln zu erkennen. Die Antragsgegnerin habe sich bereits in der Kindheit aufgrund von Kontaktschwierigkeiten in eine Phantasiewelt zurückgezogen. Bereits seit 2001 habe sie kommentierende und dialogisierende Stimmen gehört und sei zunehmend Verfolgungsideen verfallen. 2005 sei bei einem Klinikaufenthalt eine paranoide Schizophrenie bei der Antragsgegnerin diagnostiziert worden. Die Antragsgegnerin habe sich sodann nicht konsequent genug auf eine medikamentöse und therapeutische Behandlung eingelassen. Es habe sich ein chronisches Behandlungsbild entwickelt, das während des gesamten Tatzeitraumes angedauert habe, und auch bei der Exploration hätten sich noch bei ihr wahnhafte Erlebensweisen gezeigt. Aus ihrer wahnhaften Überzeugung, dass auch der Antragsteller in sie verliebt sei, sei es zu dem Stalking-Verhalten der Antragsgegnerin gekommen. Auch die Reaktionen des Opfers seien deshalb von ihr völlig fehlinterpretiert worden. Aufgrund ihres wahnhaften psychotischen Erlebens sei davon auszugehen, dass sie an einer krankhaften seelischen Störung leide und ohne Einsichtsfähigkeit und damit auch ohne Schuld nach § 20 StGB gehandelt habe. Aufgrund der nicht beseitigten seelischen Störung sei die Gefahr als hoch einzustufen, dass es in Zukunft zu Wiederholungstaten gegenüber dem Antragsteller kommen könnte, in die auch dessen Lebenspartnerin miteinbezogen werden könnte.

    Die Ausführungen und Schlussfolgerungen in dem vorliegenden Sachverständigengutachten waren für den Senat nachvollziehbar und nicht in Zweifel zu ziehen. Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen des Bundesgerichtshofes (NStZ-RR 2005, 331) zur Frage der strafrechtlichen Schuldunfähigkeit im Bereich des sog. Stalkings, ergibt sich aus den konkreten Darlegungen des Sachverständigengutachtens, dass hier von einer Zurechnungsfähigkeit der Antragsgegnerin nicht ausgegangen werden kann.

    Unabhängig von der letztlich hier nicht zu entscheidenden methodischen Frage, inwieweit hinsichtlich der Schuldfähigkeit die strafrechtlichen Verschuldenskriterien des § 20 StGB mit den zivilrechtlichen Maßstäben (§ 827 S. 1 BGB) korrespondieren (vgl. Staudinger-Oechsler, § 827 BGB Rdn. 3; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdn. 44), bestehen für den Senat hier keine Zweifel, dass die Antragsgegnerin aufgrund ihrer schwerwiegenden krankhaften Störung der Geistestätigkeit auch im zivilrechtlichen Sinne (§ 827 S. 1 BGB) nicht zurechnungsfähig gewesen ist.

    Obwohl damit gerichtliche Maßnahmen nach § 1 GewSchG ausgeschlossen sind, waren die auf ein Unterlassen gerichteten, angeordneten Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Es entspricht der ganz h. M. im Schrifttum, dass im Falle der Schuldunfähigkeit des Täters ein Rückgriff auf die allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassensansprüche nach §§ 823, 1004 BGB analog in Betracht kommt (Palandt-Brudermüller, a. a. O., Johannsen/Henrich-Götz, a. a. O., Weinreich, a. a. O.; Nagel FamRZ 2006, 1146; Winterer FPR 2006, 199, 201). Der auf ein Unterassen gerichtete Anspruch nach §§ 823, 1004 BGB analog setzt nämlich kein Verschulden des Störers voraus (BGHZ 3, 270; 30, 7).

    Obgleich zivilrechtliche Unterlassensansprüche nach §§ 823, 1004 BGB analog - soweit sie nicht als sonstige Familienstreitsachen im Sinne der §§ 111 Nr. 10, 112 Nr. 3, 266 FamFG zu qualifizieren sind - grundsätzlich nicht den Familiengerichten zugewiesen sind, sondern gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 GVG streitwertabhängig der allgemeinen ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit vorbehalten sind, ist der Familiensenat (§ 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG) an der Entscheidung hierüber nicht gehindert. Dies folgt aus einer analogen Anwendung von § 17 Abs. 2 GVG. Nach § 17 Abs. 2 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten. Dabei sind innerhalb des betreffenden Rechtsverhältnisses insbesondere auch rechtswegfremde Anspruchsgrundlagen mit zu berücksichtigen (BGH NJW 2003, 828). Zwar stellt die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit gegenüber den bei den Amtsgerichten als besondere Abteilung geführten Familiengerichten (§ 23b GVG) keinen anderen Rechtsweg i. S. d. § 17 GVG dar, sondern betrifft lediglich die gerichtsinterne Geschäftsverteilung (BGH FamRZ 2004, 689). Für das Verhältnis von freiwilliger und ordentlicher streitiger Gerichtsbarkeit ist jedoch die analoge Anwendung von § 17 GVG anerkannt (BGH MDR 2003, 515). Insoweit besteht für das Verhältnis von Familiensachen (§ 23a Abs. 1 Nr. 1 GVG) zur ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit (§ 23 Nr. 1 GVG) innerhalb des entscheidenden Spruchkörpers keine Veranlassung, auch hier § 17 Abs. 2 GVG nicht entsprechend anzuwenden (so auch Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, 5. Aufl., § 17 GVG Rdn. 57), da nur so ein umfassender und durchgängiger Schutz der Interessen des Antragstellers als Stalkingopfer zu gewährleisten ist. Dies gilt auch, soweit der Senat in dem nach §§ 111 Nr. 6, 210 ff FamFG zu führenden Verfahren in Gewaltschutzsachen den Amtsermittlungsgrundsatz anzuwenden hat, obwohl für den allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassensanspruch der zivilprozessuale Beibringungsgrundsatz gilt. Bei einer Berücksichtigung von verfahrensfremden Ansprüchen nach § 17 Abs. 2 GVG entspricht es nämlich der herrschenden Meinung (Thomas/Putzo-Hüßtege, 30. Aufl., § 17 GVG Rdn. 6; Deckers ZZP 110, 341, 351), dass das einmal zuständige Gericht auch bei der Anwendung von rechtsweg- oder verfahrensfremden Anspruchsgrundlagen innerhalb der jeweiligen Verfahrensordnung verbleibt. Dies wirkt sich hier trotz der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes auch nicht zum Nachteil der Antragsgegnerin aus, da diese sämtliche tatsächlichen Behauptungen ohnehin zugestanden hat.

    Die tatbestandlichen Voraussetzungen des quasinegatorischen Unterlassensanspruches nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog liegen, wie bereits oben festgestellt, unzweifelhaft vor. Auch soweit die erforderliche Wiederholungsgefahr nicht durch die Regelung von § 1 GewSchG indiziert wird, gilt auch beim allgemeinen zivilrechtlichen Unterlassensanspruch der Grundsatz, dass bei bereits stattgefundenen Rechtsgutverletzungen die Wiederholungsgefahr vermutet wird (BGH NJW 1966, 648). Eine solche Gefahr der Fortsetzung weiterer Stalkingangriffe hat im Übrigen auch die Sachverständige für sehr wahrscheinlich erachtet.

    Zum Schutz vor weiteren Übergriffen durch die Antragsgegnerin war deshalb ein Kontaktverbot im Unfang der bereits vorliegenden Entscheidung des Amtsgerichts anzuordnen. Bereits vor Geltung des Gewaltschutzgesetzes vom 11.12.2001 waren zivilrechtliche Kontaktverbote bei nachhaltigen persönlichen Belästigungen und damit verbundenen Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht als adäquates Mittel zum Schutz vor weiteren Angriffen in der Rechtsprechung (etwa LG Oldenburg NJW 1996,62; allgemein: Fischer MDR 1997, 120) angeordnet worden. Teilweise wurde sogar anerkannt, dass das Familiengericht im Rahmen einstweiliger Anordnungen analog §§ 620 Nr. 5 und 7 ZPO im Rahmen einer anhängigen Ehesache derartige Belästigungen, Bedrohungen oder Misshandlungen untersagen kann (etwa OLG Karlsruhe FamRZ 1984, 184; OLG Hamm NJW 1982, 1108; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 59. Aufl., 2001, § 620 ZPO Rdn. 1 mit weiteren Nachweisen). Sie sind ungeachtet des Umstandes, dass auch im Rahmen der Vollstreckung sich die Frage des Verschuldens stellt (BVerfG NJW- RR 2007, 860; OLG Celle NJW 1973, 1136), gerade in Fällen der Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen des GewSchG erforderlich, um vorhandene Lücken im Bereich des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zu schließen.

    Das angeordnete Kontaktverbot war bis zum 31.12.2013 zu befristen. Ungeachtet des Umstandes, dass die Befristung der Anordnung hier nicht durch den nicht anwendbaren § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG gesetzlich vorgesehen ist und auch vor Geltung des GewSchG Kontaktverbote in der Regel unbefristet angeordnet wurden (LG Oldenburg a. a. O.), war hier schon deshalb eine Befristung vorzunehmen, da wegen des Grundsatzes des Verbotes einer sog. reformatio in peius, welcher auch im Rahmen der Beschwerde nach § 58 FamFG zumindest für das nur auf Antrag einzuleitende Verfahren nach dem GewSchG gilt (Keidel-Sternal, 16. Aufl., § 69 FamFG Rdn. 22), von der Vorentscheidung nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin abgewichen werden darf. Angesichts der Dauer und Intensität der Rechtsgutverletzungen und der hohen Wiederholungsgefahr kam eine Verkürzung der Befristung aber nicht in Betracht.

    Die Androhung der Ordnungsmittel folgt aus §§ 890 Abs. 1 und 2 ZPO.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Beschwerde zumindest insoweit erfolgreich war, als ein Kontaktverbot nicht auf § 1 GewSchG gestützt werden konnte. Dies wirkt sich für die Antragsgegnerin insoweit zum Vorteil aus, als nach § 4 GewSchG eine Strafbewehrung nicht besteht und im Bereich der Vollstreckung der Schutz nach § 96 FamFG nicht greift. Schließlich war auch zu bedenken, dass angesichts der fehlenden Schuldfähigkeit der Antragsgegnerin § 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nicht anzuwenden war. Es erschien unter Abwägung aller Belange als sachgerecht, die Gerichtskosten gegeneinander aufzuheben und von einer Erstattung der außergerichtlichen Auslagen - beide Beteiligte waren anwaltlich nicht vertreten - abzusehen.

    Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf §§ 40, 49 Abs. 1 FamGKG. Auch soweit hier über einen nicht unmittelbar in § 49 Abs. 1 FamGKG geregelten zivilrechtlichen Anspruch mit entschieden wurde, war wegen der Identität des Streitgegenstandes von der gesetzlichen Regelung im FamGKG auszugehen.

    Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zuzulassen, weil die Frage der analogen Anwendung von § 17 Abs. 2 GVG von grundsätzlicher Bedeutung ist.

    Rechtsmittelbelehrung: Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof statthaft. Gem. § 71 FamFG ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstrasse 45a, 76133 Karlsruhe einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten: 1. die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und 2. die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde. Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden. Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen (§ 114 Abs. 2 FamFG).

    Ostermöller Albrecht Dr. Dürbeck