OLG Frankfurt vom 11.02.2009 (5 UF 260/08)

Stichworte: Ehescheidung, Anhörungspflicht; türkisches Recht, Ehescheidung, Widerspruchsrecht;
Normenkette: ZPO 613; Türk ZGB 166 Abs. 2; ZPO 613; Türk ZGB 166 Abs. 2;
Orientierungssatz:
  • Die dem Familiengericht obliegende Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhalts (§ 616 ZPO) rechtfertigt es nicht, von einer Anhörung nach § 613 ZPO alleine deswegen abzusehen, weil eine Partei sich zum Zeitpunkt des Termins im Aus-land aufhält und die andere Partei krankheitsbedingt am Erscheinen gehindert ist.
  • Ein beachtliches Widerspruchsrecht gegen die Scheidung nach türkischem Recht besteht gemäß § 166 Abs. 2 Türk ZGB nur, wenn den Antragsteller ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung trifft.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    U R T E I L

    In der Familiensache

    hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgericht Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Ostermöller, die Richterin am Oberlandesgericht Albrecht und den Richter am Oberlandesgericht Held im schriftlichen Verfahren, bei dem der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten, auf den 29.1.2009 festgesetzt wurde, für Recht erkannt:

    Auf die Berufung des Antragstellers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main vom 12.9.2008, Az. 314 F 1990/07 S, aufgehoben.

    Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Amtsgericht - Fa-miliengericht - Offenbach am Main zurückverwiesen.

    Berufungswert: 4.476,- EUR (§ 48 Abs. 3 GKG).

    Die Prozesskostenhilfeanträge beider Parteien werden zurückgewie-sen.

    Gründe:

    Der am 15.2.1938 geborene Antragsteller und die am 5.3.1947 geborene Antragsgegnerin, beide türkische Staatsangehörige, haben am 30.9.1985 die Ehe geschlossen, aus der die am xxxx.1983 geborene Tochter X. hervorging. Mit Schriftsatz vom 27.11.2007 begehrte der Antragsteller die Scheidung der Ehe.

    Er hat vorgetragen, die Parteien würden bereits seit dem Beginn des Rentenbezugs des Antragstellers, d. h. seit mehr als 5 Jahren, getrennt leben. Die Antragsgegnerin verweigere jede Kommunikation mit ihm, beide würden getrennt ihre Mahlzeiten einnehmen und in getrennten Zimmern leben und schlafen. Ein im April 2008 durchgeführter Versöhnungsversuch sei im Mai 2008 gescheitert.

    Die Antragstellerin verweigere ihm jede Unterstützung. Im Mai 2007 habe sie ihn, als er eine Herzkathederoperation stationär habe durchführen lassen müssen, nicht besucht und nach seiner Heimkehr ignoriert (Beweis: Zeugnis der Tochter der Parteien). Auch bei einem sechs Monate später erfolgten Krankenhausaufenthalt habe sie ihn nicht besucht. Nach Rückkehr aus einem weiteren Krankenhausaufenthalt habe sie ihm weiterhin jede Hilfe verweigert. Er sei nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus vor der Küchentür gestürzt und habe nicht alleine aufstehen können. Seine Hilferufe habe die Antragsgegnerin ignoriert, sei in der Küche sitzengeblieben und habe weiter geraucht, bis die Tochter ihm zur Hilfe gekommen sei (Beweis: Parteivernehmung). Vermittlungsversuche durch die Tochter seien gescheitert.

    Der Antragsteller hat beantragt,

    die am 00.00.1985 vor dem Standesbeamten in Halidere/Türkei geschlossene Ehe der Parteien zu scheiden.

    Die Antragsgegnerin hat beantragt,

    den Scheidungsantrag abzuweisen.

    Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.9.2008 sind beide Parteien nicht erschienen. Die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin teilte dem Amtsgericht mit Schriftsatz vom 9.9.2008 mit, dass sich die Antragsgegnerin derzeit in stationärer Heilbehandlung befinde und sich der Antragsteller noch in der Türkei aufhalte, weshalb er ebenfalls nicht zum Termin erscheinen könne.

    Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12.9.2008 wies das Amtsgericht - Familiengericht- Offenbach am Main den Scheidungsantrag ab. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Urteils vom 12.9.2008 Bezug genommen (Bl. 39ff d. A.).

    Der Antragsteller wendet sich gegen diese Entscheidung. Er verfolgt mit der Berufung, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Urteils anstrebt, seinen Scheidungsantrag weiter und beantragt,

    wegen Verfahrensfehler das Urteil aufzuheben und die Sache an das Familiengericht zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO).

    Die Antragsgegnerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Antragsgegnerin behauptet, ein Getrenntleben habe in den Jahren 2006, 2007 und bis März 2008 vorgelegen. Seit April 2008 habe eine völlige Versöhnung zwischen den Parteien stattgefunden, inzwischen werde wieder gemeinsam eingekauft, gelebt, gekocht und gegessen, es würden gemeinsame Verwandtenbesuche und sonstige Unternehmungen durchgeführt (Beweis: Zeugnis der Frau Y.).

    Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, alle früheren Vorkommnisse seien verziehen, im Übrigen seien diese Vorwürfe von ihr nicht zuzugestehen, sie habe sich keine Vorwürfe zu machen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen und von der weiteren Sachdarstellung unter Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteil abgesehen (§ 540 ZPO).

    Die Berufung ist zulässig. Sie wurde gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

    Auf den nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO gestellten Zurückverweisungsantrag war das Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

    Das Amtsgericht - Familiengericht - Offenbach am Main hat unter Verletzung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO die persönliche Anhörung der Parteien unterlassen. Nach dieser Vorschrift ist abweichend vom früher geltenden Recht (§ 619 ZPO a. F.) die Anhörung der Ehegatten nicht mehr in das Ermessen des Gerichts gestellt. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es hierzu, damit werde der Bedeutung der Anhörung für eine möglichst genaue und vollständige Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie dem besonderen Charakter des Verfahrens vor dem Familiengericht Rechnung getragen. Die danach in aller Regel stattfindende persönliche Anhörung der Ehegatten sei zugleich der geeignete Zeitpunkt, um in Ehescheidungssachen über die schwerwiegenden Folgen der Scheidung sowie die Möglichkeit eines Verbunds der Scheidungssache mit Folgesachen hinzuweisen (BT-Drucksache 7/650, S. 197).

    Von der danach vor Urteilserlass grundsätzlich gebotenen Parteianhörung sind nur unter besonderen Umständen Ausnahmefälle denkbar. Ein solcher Ausnahmefall ist etwa anzunehmen, wenn die Anhörung eines Ehegatten nicht möglich ist, weil er unbekannten Aufenthaltes ist, oder wenn nicht ersichtlich ist, dass die Ehegatten bei ihrer persönlichen Anhörung durch das Gericht in der Lage wären, die Zerrüttung der Ehe nachzuweisen bzw. die Begründung des einen Ehegatten über die Zerrüttung der Ehe und die endgültige Abwendung von dem anderen Ehegatten überzeugend in Frage zu stellen.

    Ein solcher Ausnahmefall liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor.

    Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen, dass infolge des Nichterscheinens der Parteien wegen der Auslandsreise des Antragstellers und des stationären Krankenhausaufenthaltes der Antragsgegnerin eine persönliche Anhörung der Parteien im Termin nicht möglich war, weshalb es die Frage der Zerrüttung der Ehe nicht weiter habe aufklären können.

    Die dem Familiengericht obliegende Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhalts (§ 616 ZPO) rechtfertigt es nicht, von einer Anhörung nach § 613 ZPO alleine deswegen abzusehen, weil eine Partei sich zum Zeitpunkt des Termins im Ausland aufhält und die andere Partei krankheitsbedingt am Erscheinen gehindert ist. Im Gegenteil besteht die Pflicht des Gerichts, einen Ehegatten persönlich anzuhören, auch dann, wenn dieser sich im Ausland aufhält (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2000, 898), und es ist nicht zulässig, von der Anhörung der Parteien allein deswegen abzusehen, weil sie trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Termin nicht erschienen sind (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1986, 1117; OLG Hamm FamRZ 1996, 1156). Ist die Anhörung in dem anberaumten Termin wegen des Nichterscheinens der Parteien nicht möglich, so obliegt es dem Familiengericht, einen neuen Anhörungstermin zu bestimmen. Dies gilt insbesondere, wenn dem Familiengericht bereits vor dem Termin angezeigt wurde, dass keine der beiden Parteien am Terminstag in der Lage sein wird, der Ladung Folge zu leisten.

    Vorliegend leitet sich ein besonderer Grund für die Notwendigkeit einer Anhörung der Parteien im Übrigen bereits daraus ab, dass sich die Antragsgegnerin zwar gegen den Scheidungsantrag wendet, aber den Sachvortrag des Antragstellers zur Zerrüttung der Ehe nach Art 166 Abs. 1 Türk ZGB nicht substantiiert bestritten hat. Sie meint lediglich, es habe eine endgültige Versöhnung stattgefunden, was aber im Gegensatz zum Vortrag des Antragstellers steht.

    Soweit das Familiengericht meint, die Antragsgegnerin habe damit einen wirksamen Widerspruch nach § 166 Abs. 2 Türk ZGB erhoben, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

    Die Antragsgegnerin hat in keinem ihrer die Versöhnung darstellenden Schriftsätze das Widerspruchsrecht nach § 166 Abs. 2 Türk ZGB ausdrücklich geltend gemacht. Eine Scheidung wegen Zerrüttung der Ehe wird jedoch nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin an der Ehe festhalten möchte. Ein beachtliches Widerspruchsrecht besteht nämlich nur, wenn den Antragsteller ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung trifft. Ist dies nicht einmal vorgetragen, kann regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass ein derartiger grundsätzlich unbeachtlicher Widerspruch gegen das Scheidungsbegehren überhaupt erhoben sein soll (vgl. auch OLG Frankfurt, FamRZ 1994, 1111; Urteil vom 15.1.2009, Az. 5 UF 47/08; Staudinger / Mankowski, EGBGB Artikel 17, Rn. 49 m. w. N.), weshalb es auf die Frage einer Rechtsmissbräuchlichkeit des Widerspruchs nicht mehr ankommt.

    Wegen des Verstoßes gegen § 613 ZPO war auf Antrag des Antragstellers das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zurückzuverweisen.

    Prozesskostenhilfe konnte keiner Partei bewilligt werden. Nach § 119 ZPO erfolgt die Prüfung der Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug besonders. Demgemäß haben die Parteien grundsätzlich für jeden Rechtszug eine neue Erklärung nach § 117 ZPO vorzulegen. Dem sind beide Parteien nicht nachgekommen.

    Der Antragsteller hatte im Schriftsatz vom 20.11.2008 die Nachreichung der Erklärung nach § 117 ZPO angekündigt, dies aber bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht umgesetzt. Die Antragsgegnerin hatte in ihrem Schriftsatz vom 19.12.2008 zwar erklärt, die Verhältnisse hätten sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht verändert. Es fehlt aber an der dahingehenden notwendigen Versicherung der Partei oder des Prozessbevollmächtigten (vgl. zu diesem Erfordernis die std. höchstrichterliche Rspr. seit BGH FamRZ 1983, 579). Im Übrigen ist nach ihrem Vortrag für die Zeit ab Januar 2009 eine Änderung durch Rentenbezug eingetreten, ohne dass sie den angekündigten Rentenbescheid vorlegte. Im Falle einer Änderung der Verhältnisse ist aber die Vorlage einer neuen Erklärung nach § 117 ZPO nicht entbehrlich.

    Ostermöller Albrecht Held