OLG Frankfurt vom 25.11.2010 (5 UF 230/10)

Stichworte: Wohnungszuweisung nach Scheidung;
Normenkette: § 1568a BGB
Orientierungssatz:
  • Nach der Übergangsvorschrift des Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG vom 17.12.2008, geändert am 3.4.2009 (BGBl 2009, I, 700) und gemäß Art 112 FGG-RG am 1.9.2009 in Kraft getreten, ist altes Verfahrensrecht für Wohnungszuweisungsverfahren, die vor dem 1.9.2009 eingeleitet wurden, maßgebend.?
  • Aufgrund der zum 1.9.2009 in Kraft getretenen Regelung des Gesetzes zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts vom 6.7.2009 (BGBl. 2009, I, 1696) ist mangels einer anders lautenden gesetzlichen Regelung § 1568 a Abs. 1 BGB als das im Zeitpunkt der Entscheidung geltende materielle Recht anzuwenden.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Einzelrichter auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 3.8.2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main vom 18.6.2010 am 25. November 2010 beschlossen:

    1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

    2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 13a Abs. 1 S. 2 FGG i.V.m. § 20 HausrVO).

    3. Beschwerdewert: 4.000,-- EUR (§ 100 Abs. 3 KostO).

    Gründe:

    Die im Jahre 1926 geborenen Beteiligten streiten um die Zuweisung der Ehewohnung nach rechtskräftiger Scheidung ihrer Ehe durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main vom 23.1.2009.

    Aus der am x.x.1956 geschlossenen Ehe der Beteiligten gingen der am 17.1.1965 geborene Sohn Thomas und die am x.x. 1966 geborene Tochter S. hervor. Beide Kinder sind verheiratet, der Sohn hat einen Sohn X, geboren 1994, die Tochter hat die Söhne Y., geboren 1994, und Z., geboren 1998. Die Tochter der Beteiligten wohnt mit ihrer Familie im gleichen Einfamilienhaus, in dem sich im Erdgeschoß die Ehewohnung befindet.

    Der Antragsgegner war während der Zeit seiner Berufstätigkeit bis ins Jahr 1976 abhängig beschäftigt und viele Jahre im Ausland tätig. Die Antragstellerin war nach der Eheschließung bis etwa im Mai 1965 berufstätig, war dann Hausfrau und unterstützte den Antragsgegner ab dem Zeitpunkt der Selbständigkeit, indem sie die Buchhaltungstätigkeiten ausübte und ihn bei einzelnen Auftragsabwicklungen auf der Baustelle unterstützte.

    Im Jahre 1971 errichteten die Beteiligten das Haus in M., X-Straße. Mit dem Hausbau erfüllten sie sich einen lange gehegten Lebenstraum. In dem Haus lebten die Beteiligten mit ihren Kindern. Den Handwerksbetrieb übte der Antragsgegner ebenfalls in dem Haus aus, indem er in dem Kellerbereich die handwerklichen Arbeiten ausführte und dort das Material lagerte, während im Erdgeschoss des Hauses in dem Raum, den der Antragsgegner derzeit bewohnt, der Büroraum vorgehalten wurde.

    In den Folgejahren übertrug der Antragsgegner sein Handwerksunternehmen auf den Sohn und beide Beteiligten unterstützten ihn bei der Errichtung eines eigenen Hauses mit einer Zuwendung i.H.v. 280.000,-- DM. Infolge dessen gewährten sie zunächst der Tochter ein Darlehen zum Kauf des von ihr vermieteten Hauses X-Strasse, das die Tochter in den Folgejahren zunächst in Raten und mit Schlusszahlungen nach dem Verkauf zurückzahlte. Nachdem die Tochter aus ihrer damals genutzten Wohnung mit ihrer Familie ausziehen musste, wünschte sie den Wechsel in das von den Beteiligten bewohnte Haus. Dies führte am 15.5.1998 zu einer notariell vereinbarten unentgeltlichen Übereignung des Hauses durch die Beteiligten an die Tochter im Wege vorweggenommener Erbfolge. Die Beteiligten behielten sich im Erdgeschoss, bestehend aus zwei Wohnräumen zu 25 m² und 14 m² sowie einer Diele, Küche und Bad, ein dingliches Wohnrecht gemäß § 1093 BGB vor. Vereinbart wurde, dass die Tochter im Falle der Nichtausübung des Wohnrechts durch die Beteiligten keine Geldrente schulde. Wegen der Einzelheiten wird auf den notariellen Vertrag Bezug genommen.

    Der anfangs zögerliche Antragsgegner war zu diesem Schritt bereit, nachdem vorvertraglich in der Familie darüber gesprochen wurde, dass mit der Tochter jemand ins Haus einziehe, der die Beteiligten im Alter bei Bedarf auch pflegen könnte. Im Übereignungsvertrag kam es zu keiner Regelung von Pflegeleistungen, ein solcher Vertrag wurde auch in der Folgezeit nicht geschlossen.

    Zwischen den Beteiligten kam es spätestens im Jahre 2005 zu einer endgültigen Trennung, die dadurch herbeigeführt wurde, dass die Antragstellerin den 25 m² großen Raum im Erdgeschoss nutzte, während der Antragsgegner den 14 m² großen Raum nutzte. Die übrigen Räume der Wohnung standen weiter zur gemeinsamen Nutzung. Auf den Scheidungsantrag der Antragstellerin aus dem Jahre 2007 wurde die Ehe im Jahre 2009 geschieden.

    Die Beteiligten verfügen außer dem dinglichen Wohnrecht an der Ehewohnung über kein weiteres Vermögen, die Antragstellerin bezieht eine monatliche Rente von rund 738,-- EUR, der Antragsgegner eine monatliche Rente i.H.v. 1.004,-- EUR.

    Unter dem 12.2.2009 leitete die Antragstellerin das Wohnungszuweisungsverfahren mit dem Antrag ein, ihr die Wohnung im Erdgeschoß zur alleinigen Nutzung zuzuweisen und dem Antragsgegner die Räumung und Herausgabe aufzugeben. Das Verfahren wurde ab April 2009 zunächst nicht weiter betrieben, da die Beteiligten Bedenkzeit für einen eigenen Lösungsweg wollten. Mit Schriftsatz vom 22.4.2010 begehrte die Antragstellerin die Fortsetzung des Verfahrens.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Anhörung vom 17.11.2010 Bezug genommen.

    Das Amtsgericht - Familiengericht - Offenbach am Main hat den Antrag der Antragstellerin auf Zuweisung der ehelichen Wohnung zur Alleinnutzung mit Beschluss vom 18.6.2010 zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen.

    Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (§§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a.F.).

    Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main ist auf das vorliegende Verfahren nicht das neue Verfahrensrecht des FamFG anzuwenden, sondern das bis zum 1.9.2009 geltende Recht. Nach der Übergangsvorschrift des Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG vom 17.12.2008, geändert am 3.4.2009 (BGBl 2009, I, 700) und gemäß Art 112 FGG-RG am 1.9.2009 in Kraft getreten, ist maßgebend, dass das Wohnungszuweisungsverfahren vor dem 1.9.2009 eingeleitet wurde. Die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Anwendung des neuen Rechts nach Artikel 111 Abs. 3 FGG-RG liegen nicht vor, da das Verfahren am 1.9.2009 weder ausgesetzt war noch dessen Ruhen angeordnet war. Zutreffend ist zwar, dass das Verfahren in dem Zeitraum von April 2009 bis April 2010 nicht betrieben wurde. Eine Anwendung des neuen Rechts wäre aber nach Artikel 111 Abs. 3 FGG-RG nur in Betracht gekommen, wenn das Amtsgericht einen ausdrücklichen Beschluss zur Ruhensanordnung des Verfahrens getroffen hätte. Da das Amtsgericht lediglich im Termin vom 3.4.2009 beschloss, dass neuer Termin auf Antrag bestimmt werde, und unter dem 2.10.2009 verfügte, dass das Verfahren nach Ablauf von sechs Monaten entsprechend der Aktenordnung wegzulegen sei, fehlt es an einer förmlichen Ruhensanordnung.

    Für das Verfahren gelten nach dem anzuwendenden § 621 a ZPO a.F. die Vorschriften des FGG a.F. und weiter die Verfahrensvorschriften der HausratsVO. Nach Art 62 FGG-RG i.V.m. Art 111 FGG-RG wurden zwar die in der HausratsVO enthaltenen Verfahrensvorschriften aufgehoben bzw. übergangsweise abgeändert, andererseits aber ihre Fortgeltung für vor dem 1.9.2009 eingeleitete Verfahren angeordnet. Die zeitlich nachfolgende Aufhebung der HausratsVO durch Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Zugewinnsausgleichs- und Vormundschaftsrechts vom 6. Juli 2009 (BGBl. 2009, I, 1696) zum 1.9.2009 erfasste nur noch die nicht durch das FGG-RG aufgehobenen Vorschriften der §§ 1 ff HausratsVO, die mit Wirkung ab 1.9.2009 durch §§ 1568a, 1568b BGB ersetzt wurden. Diese Aufhebung der HausratsVO gilt ohne eine Übergangsvorschrift uneingeschränkt ab Inkrafttreten des Gesetzes am 1.9.2009. Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG stellt gegenüber Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts die speziellere Vorschrift für die Verfahrensvorschriften der HausratsVO dar und geht damit vor. Anders lässt sich nicht erklären, dass aufgrund der Übergangsregelung zu Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG für vor dem 1.9.2009 eingeleitete Verfahren die Vorschrift des § 621 Abs. 1 Nr. 7 ZPO a.F. auf die HausratsVO Bezug nimmt und § 621 a ZPO a.F. die Geltung der HausratsVO für die Verfahren nach § 621 Abs. 1 Nr. 7 ZPO anordnet.

    #der Sache ist der mit der Beschwerde weiter verfolgte Wohnungszuweisungsantrag unbegründet.

    Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Zuweisung der Ehewohnung gemäß § 1568a BGB zu.

    Der geltend gemachte Anspruch richtet sich aufgrund der zum 1.9.2009 in Kraft getretenen Regelung des Gesetzes zur Änderung des Zugewinnausgleichs- und Vormundschaftsrechts vom 6.7.2009 nach § 1568 a Abs. 1 BGB. Mangels einer anders lautenden gesetzlichen Regelung ist grundsätzlich das im Zeitpunkt der Entscheidung und nicht das im Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht anzuwenden.

    Entgegen der früheren Regelung der HausratsVO, nach der das Familiengericht für den Fall der Scheidung die Zuweisung der Wohnung an einen der Ehegatten nach Billigkeitsgesichtspunkten vorzunehmen hatte, ist nunmehr die Regelung des § 1568a BGB dem zivilrechtlichen Kontext entsprechend als Anspruchsgrundlage ausgestaltet. Demgemäß steht ein Anspruch der antragstellenden Beteiligten nur zu, wenn sie das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale zweifelsfrei nachweisen kann. Sie hat die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Wohnungsüberlassung an sie zu erfolgen hat, weil sie auf die Nutzung der Wohnung in stärkerem Maße angewiesen ist als der andere Ehegatte oder die Überlassung aus anderen Gründen der Billigkeit entspricht. Dabei dürfen die Gründe, die Ursache für die Eheauflösung waren, nicht berücksichtigt werden.

    Der Anspruch entfällt nicht bereits deshalb, weil sich die Beteiligten abschließend, vorbehaltlos und umfassend über die Nutzung der Wohnung geeinigt hätten. Die aktuelle Aufteilung der Wohnung ist lediglich Folge der real gelebten Verhältnisse, durch die die Beteiligten eine Trennung ihre Lebensbereiche erreichten. Der status quo beruht aber nicht auf einer abschließenden mit Rechtsbindungswillen geschlossenen Vereinbarung.

    Nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung und dem weiteren Vorbringen der Beteiligten teilt der Senat die Auffassung des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main, dass nicht festgestellt werden kann, dass die Antragstellerin in stärkerem Maße auf die Nutzung der Wohnung angewiesen ist als der Antragsgegner.

    Zutreffend führt das Amtsgericht aus, dass beide Beteiligten in gleichem Maße auf die Nutzung der früheren Wohnung angewiesen sind. Beide sind gleich alt und in vergleichbarer gesundheitlicher Verfassung. Demgemäß ist derzeit keiner dauerhaft auf familiäre Unterstützung angewiesen, sondern kann noch selbständig leben und wohnen. Die von der Tochter gebotene Unterstützung der Antragstellerin zum Beispiel bei Fahrten zum Einkaufen oder zum Arzt bedingt nicht zwingend ein Wohnen im gleichen Haus.

    Die finanziellen Verhältnisse beider Beteiligten sind annähernd ähnlich niedrig, so dass für sie von großer Bedeutung ist, neben der relativ geringen Rente mietfrei wohnen zu können. Keiner von ihnen verfügt über eine vergleichbare mietfreie Wohnmöglichkeit, insbesondere hat keiner eine anderweitige Immobilie.

    Der Senat teilt auch die Auffassung, dass dem Antragsgegner die Beziehung zu Frau Vordermeyer nicht die Möglichkeit einräumt, ohne Probleme einen neuen Wohnsitz zu nehmen. Dass er sich dort tagsüber häufig aufhält und aus Besorgnis seine privaten Unterlagen deponiert, ist mit deren beruflicher Pflegetätigkeit, die eine wochenlange Abwesenheit verursacht, und dem bestehenden freundschaftlichen Verhältnis zu erklären. Zwischen dem Antragsgegner und Frau Vordermeyer besteht aber keine gefestigte soziale Beziehung, die die Annahme einer Lebensgemeinschaft rechtfertigen könnte, in der jeder für den anderen einsteht und gemeinsam gewirtschaftet, gelebt und gewohnt wird.

    Der Umstand, dass dem Antragsgegner von Seiten der Antragstellerin angeboten wurde, im Falle eines Auszugs eine Nutzungsvergütung oder eine Ablöse für das Wohnrecht zu bezahlen, ändert im Verhältnis der Beteiligten zueinander nichts an dem gleich hohen Maß der Angewiesenheit auf die Ehewohnung. Abgesehen davon, dass ein solches Angebot bislang nicht beziffert wurde, steht nach der mündlichen Anhörung der Beteiligten fest, dass keiner über die ausreichenden Mittel verfügt, um eine solche Zahlung zu erbringen. Offensichtlich soll das Angebot so gemeint sein, dass derartige Leistungen von Seiten der Tochter der Beteiligten erbracht werden könnten.

    Da die Antragstellerin der Tochter persönlich näher steht als der Antragsgegner, kann angenommen werden, dass die Tochter auch die Antragstellerin im Falle eines Auszugs wirtschaftlich unterstützen würde. Für beide Beteiligte bedeutete ein Auszug aus der Wohnung im Ergebnis die Abhängigkeit von Leistungen der Tochter, zumal ein ernst zu nehmendes Angebot des Sohnes, einen der Beteiligten in sein Haus aufzunehmen, nicht vorliegt. Dies birgt für den Antragsgegner aber ein wesentlich höheres Risiko. Sein Verhältnis zur Tochter ist besonders angespannt, was zu diversen Rechtstreitigkeiten führte, und einen nächsten Rechtsstreit wegen nicht gezahlter Hauskosten für die Jahre 2009 und 2010 erwarten lässt. Wie sollte der Antragsgegner unter diesen Umständen auf eine dauerhafte Zahlungsbereitschaft der Tochter vertrauen können, ohne in die Situation eines weiteren Rechtsstreits zu kommen, zumal in der notariellen Übergabevereinbarung ausdrücklich festgehalten wurde, dass die Tochter im Falle der Nichtausübung des Wohnrechts durch die Beteiligten keine Geldrente schuldet. Damit droht ihm bei ausbleibender Übernahme des Mietzinses die Gefahr, Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, und im schlimmsten Fall die Obdachlosigkeit.

    Auch aus anderen Gründen der Billigkeit kann der Anspruch nicht als gerechtfertigt angesehen werden.

    Beide Beteiligten haben eine sehr enge Beziehung zu der Ehewohnung, die sich in dem von ihnen errichteten Haus befindet. Die finanzielle Grundlage für den Bau des Hauses hat zumindest überwiegend der Antragsgegner geschaffen, der zur damaligen Zeit des Hausbaus für seinen Arbeitgeber häufig im Ausland tätig war, weshalb er durch Überstunden und Auslösung über erhöhte Einkünfte verfügte.

    Beide Beteiligte haben sich mit dem selbst erbauten und eingerichteten Haus einen Lebenstraum erfüllt, auf den sie seit ihrer Eheschließung hingearbeitet haben. Das Haus bildete die Lebensgrundlage für die gesamte Familie. Trotz ihrer engen Beziehung zu dem Haus haben sie ihrer Tochter das Eigentum an dem Haus übertragen und sich damit beide in die schwierige Lage gebracht, auf die im Erdgeschoss befindliche Ehewohnung angewiesen zu sein. Hätten sie sich im Übergabevertrag wenigstens die Verpflichtung der Tochter zu Pflegeleistungen niederlegen lassen, hätten sie bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung die Möglichkeit gehabt, vom Vertrag zurückzutreten und die Rückgabe des Hauses zu verlangen (vgl. hierzu BGH Beschluss 05.10.2010, Az.: IV ZR 30/10). Diese Perspektive scheint ihnen so aber verschlossen.

    Inzwischen haben die Beteiligten einen modus vivendi in der Ehewohnung in einer Weise gefunden, die für die Antragstellerin günstiger zu sein scheint. Sie nutzt den größeren der beiden Wohnräume (25 qm) nebst Terrasse und dem von ihr mit großem Interesse genutzten Garten, während der Antragsgegner sich mit dem kleineren 14 qm großen Raum und dem als Werkraum ausgestalteten Kellerraum begnügt.

    Nach dem Vortrag der Antragstellerin hält sich der Antragsgegner tagsüber überwiegend außerhalb des Hauses auf, so dass sie für weite Tageszeiträume von den ihr Angst machenden Begegnungen mit dem Antragsgegner unbehelligt ist. Der Antragsgegner hält sich in dem Raum überwiegend nachts zum Schlafen auf und nutzt nur gelegentlich Küche und Bad, was ohne eine starre Zuweisungsregelung bislang möglich war.

    Die von der Antragstellerin behaupteten, sie ängstigenden Attacken und körperlichen Bedrohungen des Antragsgegners entbehren im Wesentlichen einer konkreten substantiierten Darlegung. Soweit konflikthafte Begegnungen geschildert werden, liegen diese längere Zeit zurück. Im Übrigen haben sie nicht ein solches Gewicht, dass sie die Räumung der Wohnung durch den Antragsgegner rechtfertigen könnten. Körperliche Übergriffe von bedeutender Relevanz oder ernst zu nehmende Verletzungen sind nicht dargelegt.

    Dass das Leben in der Wohnung für die Antragstellerin von einer ständigen, psychisch belastenden Spannungssituation geprägt ist, ist nicht zuletzt auch durch den um die Wohnung geführten Rechtsstreit nachvollziehbar, wird vom Antragsgegner aber nicht in dieser Weise erlebt und ist für sich noch kein billigenswerter Grund, den Antragsgegner aus der Wohnung zu weisen.

    Schließlich stellt sich für die Antragstellerin die Wohnsituation zusätzlich dadurch günstiger dar, dass sie zu der Tochter und deren Familie eine sehr gute, enge Beziehung hat. Nach ihrem eigenen Vortrag lebt sie im Tagesrhythmus der Familie der Tochter, verbringt mit dieser Familie Urlaube und wertet ihr Leben mit der Familie der Tochter als eine ihrer zentralen Lebensaufgaben. Sie hat nicht nur Gelegenheit, dem Antragsgegner durch Besuche bei der Tochter auszuweichen, sondern könnte auch die Möglichkeit in Anspruch nehmen, sich in dem früher den Beteiligten zur Verfügung gestellten Gästeraum im Dachgeschoss aufzuhalten.

    Dem Senat ist aufgrund der besonderen Umstände einsichtig, dass der Antragsgegner das Haus, in dem er seinen Lebenstraum verwirklicht sieht, zu Lebzeiten nicht verlassen will. Da die Verhältnisse für die Antragstellerin bei einem gemeinsamen Wohnen in der Wohnung wesentlich erträglicher zu sein scheinen als für den Antragsgegner, kommt unter Billigkeitsgesichtspunkten eine Alleinzuweisung der Wohnung an sie nicht in Betracht.

    Ostermöller