OLG Frankfurt vom 16.08.2012 (5 UF 221/12)

Stichworte: Gewaltschutzsachen, Ladungsfrist; mündliche Erörterung; Ladung; Ladungsfrist;
Normenkette: FamFG 32 Abs. 1, 57 Satz 2 Nr. 4; FamFG 32 Abs. 2; FamFG 214 Abs. 1 Satz 2; GewSchG 1 Abs. 1;
Orientierungssatz:
  • Das Nichterscheinen zum Termin steht bei ordnungsgemäßer Ladung der Annahme einer "mündlichen Erörterung im Sinne der §§ 32 Abs. 1 Satz 1, 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG nicht entgegen (Abgrenzung zu OLG Frankfurt am Main FamRZ 2012, 571).
  • Bei der Bemessung der Ladungsfrist in Gewaltschutzsachen (hier: 1 Woche) sind die Bedeutung und die besondere Eilbedürftigkeit, die auch bei der Regelannahme eines dringenden Bedürfnisses für ein sofortiges Tätigwerden nach § 214 Abs. 1 Satz 2 FamFG zum Ausdruck kommen, zu berücksichtigen.
  • 319 F 959/12
    AG Offenbach

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main vom 31.05.2012 am 16.08.2012 beschlossen:

    Die befristete Beschwerde wird zurückgewiesen

    ...

    Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

    Der Beschwerdewert wird auf 1.000,- EUR festgesetzt.

    Gründe:

    I. Die Antragstellerin ist die rechtskräftig geschiedene Ehefrau des Antragsgegners und erstrebt im vorliegenden Verfahren im Wege der einstweiligen Anordnung diesem gegenüber Gewaltschutzmaßnahmen gemäß § 1 Abs. 1 GewSchG.

    Die Antragstellerin hat in ihrem Antrag beim Amtsgericht behauptet und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner sie am 16.05.2012 mit der flachen Hand in den Nacken geschlagen und sie von hinten in die Kniekehlen getreten habe. Einem von ihr vorgelegten ärztlichen Attest des Klinikums A vom 16.05.2012 ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin Rötungen und Druckschmerzen im Bereich der Halswirbelsäule und ein Hämatom und Druckschmerzen im Bereich der Kniekehle hatte.

    Am 17.05.2012 bestätigte die Polizei - nach mündlicher Verfügung - schriftlich das gegen den Antragsgegner angeordnete Annäherungsverbot, das Kontaktverbot und den Platzverweis.

    Das Amtsgericht bestimmte einen Termin zur mündlichen Erörterung auf den 31.05.2012. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Antragsgegner am 24.05.2012 geladen bei gleichzeitiger Zustellung der Antragsschrift vom 21.05.2012. Nachdem nur die ebenfalls ordnungsgemäß geladene Antragstellerin zum Termin erschien, erließ das Amtsgericht "auf Grund mündlicher Erörterung" am 31.05.2012 eine einstweilige Anordnung gemäß § 1 Abs. 1 GewSchG gegen den Antragsgegner.

    In der dagegen eingelegten befristeten Beschwerde führte der Antragsgegner aus, dass er von der Ladung zum Termin keine Kenntnis gehabt habe, da er aus beruflichen Gründen "häufig mehrere Tage am Stück unterwegs" sei. Ferner habe er am 31.05.2012 einen anderen Termin bei der gleichen Richterin gehabt und hätte daher problemlos an der mündlichen Erörterung in dem Gewaltschutzverfahren anwesend sein können. In der Sache bestritt der anwaltlich vertretene Antragsgegner den Vortrag der Antragstellerin, ohne sein Vorbringen glaubhaft zu machen.

    II. Die befristete Beschwerde gegen die am 31.05.2012 erlassene einstweilige Anordnung des Amtsgerichts ist gemäß § 57 Satz 2 Nr. 4, §§ 58 ff. FamFG zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG statthaft.

    Das Amtsgericht hat die einstweilige Anordnung auf Grund mündlicher Erörterung im Sinne der § 32 Abs. 1 Satz 1, § 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG erlassen. Dass der Antragsgegner zum Termin am 31.05.2012 nicht erschienen war, ändert an dieser Würdigung nichts. Zwar konnte die Sache auf Grund seines Nichterscheinens im Termin mit ihm nicht im Wortsinne "erörtert" werden. Allerdings war er zu dem Termin ausweislich der Postzustellungsurkunde ordnungsgemäß am 24.05.2012 geladen worden. Wenn eine Ladung ordnungsgemäß erfolgt ist, der Geladene aber nicht zum Termin erscheint, hindert das die Annahme einer "mündlichen Erörterung" im Sinne der § 32 Abs. 1 Satz 1, § 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG nicht (vgl. auch Heilmann, NJW 2012, S. 887 (890)). Andernfalls wäre es den Beteiligten möglich, ein Verfahren in der ersten Instanz durch bloßes Nichterscheinen zu blockieren, da zwar § 32 Abs. 1 FamFG es grundsätzlich dem Ermessen des Gerichts überlässt, eine Sache mit den Beteiligten mündlich zu erörtern, dieses Ermessen jedoch pflichtgemäß auszuüben ist (BTDrucks 16/6308, S. 191) und daher gerade in besonders eingriffsintensiven Verfahren wie solchen in Gewaltschutzsachen zur Gewährung rechtlichen Gehörs für alle Beteiligten eine mündliche Erörterung grundsätzlich angezeigt sein wird (vgl. insoweit Nr. 18 der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung über das FGG-RG, BTDrucks 16/6308, S. 366, der die Bundesregierung zugestimmt hat, BTDrucks 16/6308, S. 407; siehe auch Meyer-Holz, in: Keidel, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 32 Rn. 3).

    Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich auch von demjenigen, der der Entscheidung des 3. Familiensenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12.04.2011 (Az. 3 UF 25/11, FamRZ 2012, 571 (572)) zugrunde lag. Dort hatte das Amtsgericht vor Erlass der angegriffenen Entscheidung lediglich persönliche Anhörungen durchgeführt, aber nicht alle Beteiligten des Verfahrens zu einem Termin zur Erörterung der Sache geladen. Vorliegend hat das Amtsgericht dagegen alle Beteiligten ordnungsgemäß zum Termin geladen, der Antragsgegner ist - unentschuldigt - nur nicht zum Termin erschienen.

    Soweit der Antragsgegner vorträgt, er habe von der Ladung zum Termin keine Kenntnis gehabt, da er "häufig mehrere Tage am Stück unterwegs" sei, ändert das nichts an der Ordnungsgemäßheit der Ladung. Unabhängig davon, ob der Antragsgegner tatsächlich nichts von der Ladung wusste, ist sie ihm ausweislich der Zustellungsurkunde zugegangen und damit in seinen Verantwortungsbereich geraten (vgl. Zöller-Stöber, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 180 Rn. 5) Gerade wenn jemand häufig "unterwegs" ist, ist es ihm zuzumuten, Vorsorge dafür zu treffen, dass er insbesondere von amtlichen Schriftstücken rechtzeitig Kenntnis erhält. Nach der polizeilichen Verfügung vom 17.05.2012 musste der Antragsgegner überdies auch mit amtlichen Schriftstücken rechnen. Das gilt umso mehr angesichts des Umstands, dass er selbst vorträgt, er habe am gleichen Tag bereits einen Termin beim Amtsgericht gehabt. Daraus folgt, dass der Antragsgegner jedenfalls in diesem Verfahren damit rechnen musste, dass amtliche Schriftstücke wie Terminsverlegungen o.ä. - gegebenenfalls auch kurzfristig - an ihn zugestellt werden könnten. Dass der andere Termin bei der gleichen Richterin stattgefunden haben soll, kann sich ebenfalls nicht gegen die Ordnungsgemäßheit der Ladung auswirken.

    Die Ladung ist angesichts der Eilbedürftigkeit in Angelegenheiten des Gewaltschutzes auch rechtzeitig erfolgt, als sie dem Antragsgegner eine Woche vor dem Termin zugestellt wurde. Wenn § 32 Abs. 2 FamFG zwischen Ladung und Termin eine "angemessene Frist" fordert, bedeutet das, dass alle relevanten Gesichtspunkte bei der Frage der Bemessung der Ladungsfrist zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen sind (vgl. auch Meyer-Holz, in: Keidel, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 32 Rn. 13). Hierzu zählen insbesondere die Bedeutung und die besondere Eilbedürftigkeit von Gewaltschutzsachen. Beides kommt auch bei der Regelannahme eines dringenden Bedürfnisses für ein sofortiges Tätigwerden nach § 214 Abs. 1 Satz 2 FamFG zum Ausdruck. Deren Voraussetzungen hat die Antragstellerin mit dem Schlag des Antragsgegners in ihren Nacken und seines Tritts in ihre Kniekehle dargetan, da damit eine Tat im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG in Rede steht. Schließlich zeigt auch ein Vergleich mit § 217 ZPO, dass die Ladungsfrist von einer Woche im vorliegenden Fall nicht unangemessen kurz war. Nach § 217 ZPO soll die Ladungsfrist in - nicht zwingend eilbedürftigen - Anwaltsprozessen nach der Zivilprozessordnung mindestens eine Woche, in anderen Prozessen mindestens drei Tage betragen. Beide Fristen wären vorliegend eingehalten.

    Aus dem Umstand, dass der Antragsgegner beim erstinstanzlichen Termin nicht anwesend war, folgt im Übrigen auch nicht, dass eine Erörterung nunmehr in zweiter Instanz zu erfolgen hätte. Nach dem Vorstehenden hat das Amtsgericht einen Termin durchgeführt, und angesichts des nicht behelflichen Vortrags des Antragsgegners in seiner Beschwerdeschrift sind von einer erneuten Vornahme eines Erörterungstermins keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Der Antragsgegner hat den Schlag in den Nacken der Antragstellerin und den Tritt in ihre Kniekehle lediglich pauschal bestritten, ohne auch nur mit einem Satz auf den von der Antragstellerin bereits erstinstanzlich vorgelegten ärztlichen Bericht vom 16.05.2012 oder die protokollierte ausführliche Aussage der Antragstellerin im Termin vom 31.05.2012 einzugehen. Der Antragsgegner hat auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen, dass er gegen die polizeirechtlichen Maßnahmen vom 17.05.2012 Widerspruch nach §§ 68 ff. VwGO eingelegt hätte.

    Der angegriffene Beschluss ist auch nicht unter Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs ergangen. Zwar ist dem Antragsgegner die Antragsschrift ebenso wie die Ladung zum Termin erst eine Woche vor dem Termin zugestellt worden, sodass ihm tatsächlich nur eine kna Zeit zur Verfügung stand, sich mit der Begründung des Antrags auseinanderzusetzen. Angesichts der besonderen Eilbedürftigkeit in Gewaltschutzsachen ist es einem Antragsgegner aber zuzumuten, sich gegebenenfalls auch innerhalb kürzerer Zeit auf das Vorbringen einer Antragstellerin einzulassen. Selbst wenn man - entgegen dem Nachweis aufgrund der Postzustellungsurkunde - unterstellt, dass der Antragsgegner die Antragsschrift nicht erhalten haben sollte, wäre eine fehlende Möglichkeit, sich mit dem Antrag ausreichend auseinanderzusetzen, spätestens mit der Durchführung des Beschwerdeverfahrens geheilt, da der Antragsgegner hier die Möglichkeit hatte, umfassend zum Vorbringen der Antragstellerin Stellung zu nehmen.

    In der Sache hat die befristete Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

    Zu Recht hat das Amtsgericht gegen den Antragsgegner die im Beschluss vom 31.05.2012 näher aufgeführten Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz angeordnet. Wegen dessen konkreten Inhalts wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beschluss vom 31.05.2012 verwiesen.

    Gemäß § 1 Abs. 1 GewSchG kann das Gericht, wenn eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt hat, auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen treffen.

    Nach dem Vortrag der Antragstellerin sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 GewSchG dadurch erfüllt worden, dass der Antragsgegner die Antragstellerin am 16.05.2012 mit der flachen Hand in den Nacken geschlagen und sie von hinten in die Kniekehle getreten hat. Der Antragsgegner hat den entsprechenden Vortrag der Antragstellerin zwar bestritten, aber sein Vorbringen bis zum heutigen Tag nicht glaubhaft gemacht. Da die Antragstellerin ihr Vorbringen hingegen durch eidesstaatliche Versicherung und durch Vorlage eines ärztlichen Attestes des Klinikum A vom 16.05.2012 glaubhaft gemacht hat, kommt eine Beweislastentscheidung nicht in Betracht, da im einstweiligen Anordnungsverfahren die Glaubhaftmachung ausreichend ist und anderweitige präsente Beweismittel in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht nicht vorhanden waren und auch für das Beschwerdeverfahren nicht ersichtlich sind.

    Die Wiederholungsgefahr ist durch die Verwirklichung des Tatbestands von § 1 Abs. 1 GewSchG indiziert (vgl. Palandt-Brudermüller, BGB, 71. Aufl. 2012, GewSchG, § 1 Rn. 6).

    Gemäß § 84 FamFG hat der Antragsgegner die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

    Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 41, 49 FamGKG.

    Ostermöller Schwamb Dr. Fink