OLG Frankfurt vom 07.11.2011 (5 UF 217/11)

Stichworte: Gesetzliche Rentenversicherung; Geringfügigkeit; mehrere Anrechte;
Normenkette: VersAusglG 10 Abs. 2; VersAusglG 18;
Orientierungssatz: Auf einzelne oder mehrere Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung ist § 18 Abs. 1 oder 2 VersAusglG nicht anzuwenden, wenn die Differenz der Summen der korrespondierenden Kapitalwerte aller beidseitiger Ausgleichswerte den Grenzwert nach § 18 Abs. 3 VersAusglG übersteigt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde vom 15.04.2011 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenbach am Main vom 28.03.2011 am 7. November 2011 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird in den Ziffern 3, 5 und 6 abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

1. Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn- See, Versicherungsnummer ..., zu Gunsten der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 1,2662 Entgeltpunkten (Ost) auf das vorhandene Konto, Versicherungsnummer ..., bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See, bezogen auf den 31. 1. 2002, übertragen.

2. Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Monier Technical Centren GmbH ... zu Gunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 65,41 Euro monatlich nach Maßgabe Braas Ruhegeldordnung, bezogen auf den 31. 1. 2002, übertragen.

3. a) Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn- See, Versicherungsnummer ..., zu Gunsten der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 10,1140 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto, Versicherungsnummer ..., bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See, bezogen auf den 31. 1. 2002, übertragen.

3.b) Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn- See, Versicherungsnummer ..., zu Gunsten der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 0,0316 knachaftlichen Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto, Versicherungsnummer ..., bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See, bezogen auf den 31. 1. 2002, übertragen.

3.c) Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragstellers bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn- See, Versicherungsnummer ..., zu Gunsten der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 0,4556 knachaftlichen Entgeltpunkten (Ost) auf das vorhandene Konto, Versicherungsnummer ..., bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See, bezogen auf den 31. 1. 2002, übertragen.

4. Der Ausgleich des Anrechts des Antragstellers bei der Lahmeyer Holding GmbH in Höhe von 38,87 Euro (das ist der Ehezeitanteil mtl. Rente) unterbleibt.

5. Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn- See, Versicherungsnummer ..., zu Gunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 6,0872 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto, Versicherungsnummer ..., bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See, bezogen auf den 31. 1. 2002, übertragen.

6. Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn- See, Versicherungsnummer ..., zu Gunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 4,9300 Entgeltpunkten (Ost) auf das vorhandene Konto, Versicherungsnummer ..., bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See, bezogen auf den 31. 1. 2002, übertragen

Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten werden gegeneinander aufgehoben.

Der Beschwerdewert wird auf 7.050,- E festgesetzt.

Gründe:

Die am 18. 9. 1981 geschlossene Ehe des Antragstellers und der Antragsgegnerin ist durch das Familiengericht geschieden worden. Der Scheidungsantrag wurde der Antragsgegnerin am 15. 2. 2002 zugestellt. Das Familiengericht hat das Verfahren über den Versorgungsausgleich abgetrennt, weil es sich im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Verfassungswidrigkeit der Barwertverordnung (FamRZ 2001, S. 1695, S. 1700) an einer Entscheidung gehindert sah. Das Verfahren ist von dem Familiengericht erst im Jahr 2010 weiter betrieben worden, weil die beteiligten Ehegatten in der Ehezeit auch Anrechte in Entgeltpunkten (Ost) erworben hatten. Das Familiengericht hat neue Auskünfte der beteiligten Versicherungsträger eingeholt. Der geschiedene Ehemann hat danach in der Ehezeit (1. 9. 1981 bis 31. 1. 2002) bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See Anrechte mit Ehezeitanteilen von 20,2280 Entgeltpunkten, 2,5323 Entgeltpunkten (Ost), 0,0631 knachaftlichen Entgeltpunkten und 0,9112 knachaftlichen Entgeltpunkten (Ost) erlangt. Dem standen auf Seiten der geschiedenen Ehefrau Anrechte bei der Deutschen Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See Anrechte mit Ehezeitanteilen von 12,1744 Entgeltpunkten und 9,8600 Entgeltpunkten (Ost) gegenüber. Überdies hatten die geschiedenen Ehegatten in der Ehezeit aus betrieblicher Altersvorsorge Anrechte erworben.

Das Familiengericht hat in der angefochtenen Entscheidung ein Anrecht der geschiedenen Ehefrau aus betrieblicher Altersversorgung intern geteilt und entschieden, dass der Ausgleich eines Anrechts des geschiedenen Ehemannes aus betrieblicher Altersversorgung nach § 18 Abs. 2 VersAusglG unterbleibt. Das Anrecht des geschiedenen Ehemanns in Entgeltpunkten hat es den Anrechten der geschiedenen Ehefrau in Entgeltpunkten und Entgeltpunkten (Ost) gegenüber gestellt und entschieden, dass der Ausgleich dieser drei Anrechte gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG unterbleibt. Das Anrecht des geschiedenen Ehemanns in Entgeltpunkten (Ost) hat das Familiengericht intern geteilt.

Die Deutsche Rentenversicherung Knachaft-Bahn-See macht mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde geltend, dass das Familiengericht die Anrechte des geschiedenen Ehemannes in knachaftlichen Entgeltpunkten und knachaftlichen Entgeltpunkten (Ost) übersehen hat. Die Beschwerdeführerin rügt zudem, dass Anrechte in Entgeltpunkten und Entgeltpunkten (Ost) nicht gleichartig i. S. d. § 18 Abs. 1 VersAusglG seien und dass geringfügige Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung in der Regel auch dann auszugleichen seien, wenn der Versicherte dort weitere Anrechte erworben habe.

Auf die Beschwerde war die angefochtene Entscheidung nur hinsichtlich der ehezeitlichen Anrechte der geschiedenen Ehegatten in der allgemeinen und in der knachaftlichen gesetzlichen Rentenversicherung zu überprüfen. Das Familiengericht hat zutreffend gemäß § 48 Abs. 2 VersAusglG das neue Recht zum Versorgungsausgleich angewendet. Die Beschwerde rügt Fehler bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs nur hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Anrechte. Die Teilanfechtung einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich ist nach neuem Recht möglich, weil bei mehreren Anrechten der Ehegatten die Teilung innerhalb der einzelnen Versorgung erfolgt und die Entscheidungen zu den jeweiligen Anrechten nicht voneinander abhängig sind (vgl. BGH FamRZ 2011, S. 547).

Die angefochtene Entscheidung war dahingehend abzuändern bzw. zu ergänzen, dass alle sechs Anrechte ohne Anwendung der Bagatellregelung des § 18 VersAusglG intern geteilt werden.

Zwar unterschreiten die korrespondierenden Kapitalwerte der Ausgleichswerte der in der angefochtenen Entscheidung übergangenen Anrechte des geschiedenen Ehemannes in der knachaftlichen Rentenversicherung in Entgeltpunkten und Entgeltpunkten (Ost) mit 228,90 Euro bzw. 2.754,04 Euro den Grenzwert gemäß § 18 Abs. 3 Euro, der sich auf 2.814,- Euro belief. Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung sind aber bei der Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG als Einheit anzusehen mit der Folge, dass nicht eines der (Teil-) Anrechte wegen Geringfügigkeit seines Ausgleichswerts ausgenommen werden sollte, wenn der Ausgleichswert des anderen die Bagatellgrenze übersteigt (vgl. OLG Celle, FamRZ 2010, S. 979; OLG Dresden, B. v. 9. 9. 2010, 23 UF 478/10; OLG Frankfurt, B. v. 17. 1. 2011, 5 UF 278/10, FamFR 2011, S. 469; OLG Jena, B. v. 4. 11. 2010, 2 UF 349/10; OLG München, FamRZ 2011, S. 1062; OLG Nürnberg, NJW 2011, S. 620, 11; Bergner, NJW 2010, S. 3269, S. 3270 und wohl auch Borth, FamRZ 2010, S. 1210, S. 1212; a. A. OLG Düsseldorf, FamRZ 2011, S. 348; OLG Stuttgart, NJW 2010, S. 3312). Bei der gemeinsamen Berücksichtigung von West- und Ost-Anrechten und von Anrechten in der knachaftlichen und in der allgemeinen Rentenversicherung ist der Verwaltungsmehraufwand der gesetzlichen Rentenversicherung so gering, dass der Gesichtspunkt der Teilhabegerechtigkeit ein Übergewicht gegenüber der mit der Geringfügigkeitsregelung intendierten Verwaltungsvereinfachung erlangt. Deswegen hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Kritik von Holzwarth (FamFR 2011, S. 469) an seiner Auffassung fest, zumal der Umstand, dass die Verrechnung gemäß § 10 Abs. 2 VersAusglG vom Versorgungsträger vorzunehmen ist, im Rahmen der Billigkeitsabwägung kein Gegenargument darstellt.

Dass das Familiengericht zwei (Teil-) Anrechte der geschiedenen Ehefrau und ein Teilanrecht des geschiedenen Ehemanns gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht ausgeglichen hat, begegnet ungeachtet der mit der Beschwerde gerügten Ansicht, dass Anrechte auf der Grundlage von Entgeltpunktenn und Entgeltpunkten (Ost) nicht nach § 18 Abs. 1 VersAusglG vergleichbar seien, bereits aus den obigen Gründen Bedenken. Die Differenz des korrespondierenden Kapitalwerts des Anrechts des geschiedenen Ehemanns in Entgeltpunkten der allgemeinen Rentenversicherung und der Summe der korrespondierenden Kapitalwerte der Anrechte der geschiedenen Ehefrau in Entgeltpunkten und Entgeltpunkten (Ost) liegt zwar unter dem Grenzwert nach § 18 Abs. 3 VersAusglG. Die Differenz der Summe aller korrespondierenden Kapitalwerte (Ehemann 63.828,85 Euro - Ehefrau 55.566,18 Euro) liegt aber deutlich darüber. Auf der Grundlage der obigen Erwägungen zu § 18 Abs. 2 VersAusglG liegt es näher, die Regelung des § 18 Abs. 1 VersAusglG zur Geringfügigkeit der Differenz von Ausgleichswerten jedenfalls dann nicht auf einen Teil der beiderseitigen ehezeitlichen Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung anzuwenden, wenn die Differenz der Summe der korrespondierenden Kapitalwerte aller beidseitigen Ausgleichswerte von (Teil-) Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung den Grenzwert übersteigt (vgl. OLG Nürnberg, FamRZ 2011, S. 641 und OLG Hamburg, FamRZ 2011, S. 1403). Auf die in der Rechtsprechung derzeit noch uneinheitlich beantwortete Frage, ob Anrechte in Entgeltpunkten und in Entgeltpunkten (Ost) als gleichartig i. S. d. § 18 Abs. 1 VersAusglG anzusehen sind, kam es für die Entscheidung demzufolge nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 150 Abs. 1 und Abs. 3 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 50 Abs. 1 S. 1 FamGKG.

Ostermöller Schwamb Dr. Ostermann