OLG Frankfurt vom 27.05.1999 (5 UF 15/99)

Stichworte: Wiedereinsetzung Rechtsunkenntnis Gesetzesänderung
Normenkette:
Orientierungssatz: Keine Wiedereinsetzung bei Rechtsunkenntnis; "Die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten hätte nämlich wissen können und müssen, daß sich durch die ab 01.07.1998 in Kraft getretene Rechtsänderung durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz die Rechtsmittelzuständigkeit in dem Verfahren, das ab 01.07.1998 gemäß 621 Abs. 1 Ziffer 4 als Familiensache zu behandeln ist, geändert hat, und für die Berufung gegen das Urteil, nach Artikel 15 1 Abs. 2 Satz 3 des Kindschaftsreformgesetzes das Oberlandesgericht zuständig ist, auch wenn in erster Instanz die Zivilabteilung des Amtsgerichtes entschieden hat, das Urteil aber, wie vorliegend, erst nach dem 01.07.1998 verkündet worden ist."

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 27.05.1999 beschlossen:

Der Antrag des Beklagten und Berufungsklägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist gegen das am 15.10.1998 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main-Abt. Höchst wird zurückgewiesen.

G r ü n d e :

Durch das angefochtene Urteil des Amtsgericht - Zivilabteilung - Frankfurt am Main-Abt. Höchst vom 15.10.1998 ist der Beklagte aufgrund eines an den Kläger nach 90, 91 BSHG übergegangenen Unterhaltsanspruches seiner Mutter zur Zahlung eines Betrages von 3.399,00 DM verurteilt worden. Gegen dieses ihm am 12.11.1998 zugestellte Urteil hat der Beklagte beim Landgericht Frankfurt am Main mit Eingang am 14.12.1998 Berufung einlegen lassen. Nach einem Hinweis der Berufungskammer des Landgerichts vom 07.01.1999, daß für die Berufung gegen das angefochtene Urteil nicht das Landgericht, sondern das Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zuständig sei, hat der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten die dort eingelegte

Berufung zurückgenommen. Mit Eingang am 21.01.1999 ist Berufung, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist, beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingelegt worden. Die Prozeßbevollmächtigte beruft sich darauf, daß sie auf die formale Anknüpfung der Rechtsmittelzuständigkeit nach 72 bzw. 119 GVG vertraut habe und ihr die Übergangsvorschriften des Kindschaftsreformgesetzes nicht bekannt gewesen seien und sie diese nach der damals zur Verfügung stehenden Kommentarliteratur auch nicht habe kennen können.

Zunächst ist festzustellen, daß die Berufungsfrist ( 516 ZPO) gegen das ihm am 12.11.1998 zugestellte Urteil für den Beklagten mit Ablauf des 14.12.1998 endete und mit Eingang der Berufung beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 21.01.1999 bereits abgelaufen war. Nach Artikel 15 1 Abs. 2 Satz 3 des Kindschaftsrechtsreformgesetzes in Verbindung mit 621 Abs. 1 Ziffer 4 ZPO und 119 Abs. 1 Ziffer 1 GVG war nämlich für die Berufung gegen das nach Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 01.07.1998 verkündete Urteil nicht das Landgericht, sondern das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zuständig, da es bei dem Rechtsstreit der Sache nach um einen Unterhaltsanspruch eines Elternteils gegen ein Kind geht und dieser sogenannte Aszendentenunterhalt seit dem 01.07.1998 eine Familiensache im Sinne des 621 Abs. 1 Ziffer 4 ZPO ist, was nach der Übergangsvorschrift des Artikel 15 1 Abs. 2 Satz 3 ZPO die Rechtsmittelzuständigkeit des Familiensenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main begründet. Aus diesem Grund konnte die Berufungsfrist nicht durch Einlegung der Berufung beim Landgericht Frankfurt am Main am 14.12.1998 gewahrt werden.

Dem Beklagten kann die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist nicht bewilligt werden, da die Fristversäumnis auf einem Verschulden seines Rechtsbeistandes beruht, das sich der Beklagte gemäß 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muß (vgl. dazu BGH VersR 1977, 835; 1978, 1169; NJW 1993, 2538).

Die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten hätte nämlich wissen können und müssen, daß sich durch die ab 01.07.1998 in Kraft getretene Rechtsänderung durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz die Rechtsmittelzuständigkeit in dem Verfahren, das ab 01.07.1998 gemäß 621 Abs. 1 Ziffer 4 als Familiensache zu behandeln ist, geändert hat, und für die Berufung gegen das Urteil, nach Artikel 15 1 Abs. 2 Satz 3 des Kindschaftsreformgesetzes das Oberlandesgericht zuständig ist, auch wenn in erster Instanz die Zivilabteilung des Amtsgerichtes entschieden hat, das Urteil aber, wie vorliegend, erst nach dem 01.07.1998 verkündet worden ist. Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten konnte und durfte sich insoweit nicht auf die formale Anknüpfung des Rechtsmittels verlassen. Auch wenn zunächst in der Zeit kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eine gewisse Unsicherheit über die Rechtsmittelzuständigkeit geherrscht haben mag, so kann dies im vorliegenden Fall die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten nicht entschuldigen, zumal vorliegend ca. fünf Monate seit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung vergangen waren. Es kommt insoweit nicht darauf an, inwieweit auch die Übergangsvorschriften in der zum Zeitpunkt der Zustellung des Urteils zugänglichen Kommentarliteratur verarbeitet waren. Entscheidend ist vielmehr, daß die vorgesehene Gesetzesänderung bereits seit mehr als einem Jahr in der Diskussion war, und dies für einen Rechtsanwalt Veranlassung gegeben haben mußte, sich mit dem Übergangsrecht im Hinblick auf bereits anhängige Verfahren vertraut zu machen. Die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten hat dargelegt, ihr sei die =C4nderung der Zuständigkeitsregelungen für Prozesse über Aszendentenunterhalt bekannt gewesen. Dann muß sich die Frage der Behandlung anhängiger Verfahren aufdrängen. Dies kann in Übergangsvorschriften geregelt sein, so daß insoweit Nachforschungen anzustellen sind. Der Hinweis auf die Rechtsunsicherheit im Hinblick auf das Inkrafttreten des Ersten Eherechtsreformgesetzes im Jahr 1977 und die hierzu ergangenen Entscheidungen (vgl. BGH Versicherungsrecht 1978, 376) vermag die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten nicht zu entlasten, da entgegen der damaligen Rechtslage nunmehr Übergangsvorschriften in Artikel 15 des Kindschaftsrechtsreformgesetzes die Rechtsmittelzuständigkeit für die Übergangszeit eindeutig geklärt haben. Umgekehrt mußte gerade Kenntnis von der damaligen Rechtsunsicherheit die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten dazu veranlassen, sich über die jetzige Rechtslage in der Übergangszeit nach Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes zu informieren. Dies war auch durch bereits vor dem 01.07.1998 zugängliche Veröffentlichungen (wie z. B. Schwab/Wagenitz "Familienrechtliche Gesetze" und Gressmann "Neues Kindschaftsrecht" Rn. 589 ff.) und nicht zuletzt auch jedenfalls nach Zustellung des angefochtenen Urteil, d. h. ab 12.11.1998 nach der Ergänzungslieferung für Juli 1998 der Gesetzessammlung "Schönfelder" "Deutsche Gesetze", der in einer Fußnote zu 621 ZPO die Übergangsvorschriften aufführt, leicht möglich. Daß die Übergangsvorschriften selbst, wie der Beklagte angibt, für einen Rechtsanwalt "kryptisch" formuliert sein sollen, ist jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht nachzuvollziehen. Wenn in Art. 15 1 Abs. 2 Satz 1 KindRG ausgeführt ist, daß für vor dem 01.07.1998 verkündete oder zugestellte Entscheidungen erster Instanz für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln und die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel die bis zum vorgenannten Zeitpunkt maßgeblichen Vorschriften weiterhin anzuwenden sind, und in Satz 3 der Vorschrift dargelegt wird, daß im übrigen sich die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel nach den Vorschriften richtet, die für die von den Familiengerichten entschiedenen Sachen gelten, so ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Regelungen hinreichend eindeutig, daß Satz 3 auch die Einlegung eines Rechtsmittels selbst regeln soll, obwohl dies nicht ausdrücklich erklärt wird. Auf Art. 5 2 Nr. 1 KindUG kann sich die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten nicht berufen, da davon allenfalls Verfahren, die die gesetzliche Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber einem minderjährigen Kind betreffen, tangiert werden können. Jedenfalls hätte es der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten oblegen, sich bei Unklarheit über die Rechtsmittelzuständigkeit z. B. auch im Kollegenkreis oder bei den zuständigen Gerichten zu informieren. Aus diesem Grund kann es nicht als unverschuldet im Sinne des 233 ZPO angesehen werden, wenn sie am letzten Tag der Rechtsmittelfrist die Berufung nicht beim zuständigen Oberlandesgericht eingelegt hat.

Nach alledem ist das Gesuch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist als unbegründet zurückzuweisen.

Dr. Hartleib Held Schweitzer